Nervenheilkunde 2021; 40(03): 198-202
DOI: 10.1055/a-1298-0255
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Borries Kukowski
,
Stefan Evers
,
Katharina Kamm
,
Ruth Ruscheweyh
,
Cem Thunstedt
,
Ruth Ruscheweyh
 

Ein PACAP-Rezeptorantikörper zur Prophylaxe der Migräne

**** Ashina M, Dolezil D, Bonner JH, et al. A phase 2, randomized, double-blind, placebo-controlled trial of AMG 301, a pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide PAC1 receptor monoclonal antibody for migraine prevention. Cephalalgia 2020; doi.org/10.1177/0333102420970889

Der monoklonale Antikörper gegen den PAC1-Rezeptor AMG 301 ist in der Vorbeugung der Migräne nicht wirksamer als Placebo.

Hintergrund

Eine umfangreiche Evidenz spricht für eine wichtige Rolle des pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide (PACAP) bei Migräne und Clusterkopfschmerzen. Dieses strukturell und funktionell dem vasoaktiven intestinalen Peptid (VIP) verwandte, in zahlreichen Geweben und den Isoformen –27 und –38 vorkommende multifunktionelle Neuropeptid bindet an 3 Rezeptoren (PAC1, VPAC1, VPAC2), von denen der PAC1-Rezeptor selektiv für PACAP ist. PACAP findet sich in vielen für die Migränepathophysiologie relevanten Strukturen des peripheren und zentralen Nervensystems, wie dem trigeminovaskulären System und dem parasympathischen Schenkel des trigemino-autonomen Reflexbogens [1]. In der Migräneattacke wurden im Blut der V. jugularis externa erhöhte PACAP-Spiegel mit Rückbildung unter effektiver Therapie gemessen [2], und in Provokationsstudien löste die intravenöse Gabe von PACAP bei den meisten Patienten mit Migräne ohne Aura verzögert einsetzende migräneartige Kopfschmerzen aus [3], [4]. Basierend hierauf erscheint die Annahme plausibel, dass die Blockade des PACAP-Signalweges ein effektives therapeutisches Prinzip darstellen könnte. In der vorgestellten Phase-IIa-Studie wurde AMG 301, ein monoklonaler Antikörper gegen den PAC1-Rezeptor, verwendet. Präklinische Befunde weisen darauf hin, dass PACAP nur über diesen Rezeptor eine Aktivierung und Sensitivierung zentraler trigeminovaskulärer Neurone vermittelt [5] und dass sich diese Prozesse durch einen selektiven PAC1-Rezeptorantikörper verhindern lassen [6].


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Zusammenfassung

An 46 internationalen Studienzentren wurden 343 Patienten im Alter zwischen 18 und 60 Jahren mit episodischer (EM, n = 224) und chronischer (CM, n = 119) Migräne eingeschlossen und im Verhältnis 4:3:3 in die Studienarme Placebo, AMG 301 210 mg s. c. alle 4 Wochen (210 mg Q4W) und AMG 301 420 mg s.c alle 2 Wochen (420 mg Q2W) randomisiert. Um die Verblindung aufrechtzuerhalten, erhielten alle Teilnehmer 6 Injektionen. Zu den Einschlusskriterien gehörte mindestens eine vorausgegangene gescheiterte präventive Therapie. Das Bestehen eines MOH war kein Ausschlusskriterium. Im Mittel hatten die Teilnehmer etwa 12 Migränetage pro Monat. Primärer Endpunkt war die Veränderung der monatlichen Migränetage zwischen Baseline und den letzten 4 Wochen der 12-wöchigen Behandlungsphase. Zu den sekundären Endpunkten gehörten neben der ≥ 50 %-Responderrate auch die Veränderung der Einnahmetage von Akutmedikamenten und Fragebögen zur Patientensicht (patient reported outcomes). Insgesamt beendeten 305 Patienten (88,9 %) die doppelblinde Studienphase. In der Placebogruppe gingen die monatlichen Migränetage um 2,5 (0,4) Tage, in beiden Verumarmen um 2,2 (0,5) Tage zurück. Eine Reduktion um mindestens die Hälfte der Migränetage erreichten unter Placebo 22,7 % und unter Verum 19,4 % (210 mg Q4W) bzw. 18,8 % (420 mg Q2W) der Teilnehmer. Auch bei den übrigen sekundären Endpunkten sowie bei Auswertung der EM- und CM-Subgruppen ergab sich keine Überlegenheit der Behandlung. Die Verträglichkeit war insgesamt gut. Nebenwirkungen traten in den Verumgruppen nicht häufiger auf als unter Placebo und führten bei 3,4 % (AMG 301) bzw. 2,2 % (Placebo) der Teilnehmer zu einem Studienabbruch.


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Kommentar

Diese Studie hat methodisch einwandfrei gezeigt, dass die Blockade des PAC1-Rezeptors mit AMG 301 in 2 um den Faktor 4 unterschiedlichen Dosierungen in der Prophylaxe der Migräne nicht wirksamer ist als Placebo. Die Autoren diskutieren eine Reihe von möglichen Gründen, die von pharmakologischen Aspekten (Affinität zum resp. Konzentration am Rezeptor?) bis hin zu Überlegungen reichen, dass die Blockade eines anderen oder mehrerer PACAP-Rezeptoren für einen therapeutischen Effekt notwendig sein könnte, oder dass nur eine Subgruppe von Migränepatienten profitiert. Hierbei könnte es sich angesichts der Bedeutung von PACAP als parasympathisches Signalmolekül um diejenigen mit kranialen autonomen Symptomen handeln. Allerdings scheint die Freisetzung von PACAP im Rahmen spontaner Migräneattacken im Gegensatz zu VIP nicht an das Vorhandensein autonomer Symptome gebunden zu sein (PJ Goadsby, persönliche Mitteilung). In der vorgestellten Studie wurden kraniale autonome Symptome erfasst, jedoch erwies sich die Ausprägung als zu gering, um eine stratifizierte Auswertung zu erlauben. Auch wenn sich eine Wiederholung der Erfolgsgeschichte der anti-CGRP-Therapien bislang nicht abzeichnet, bleiben weitere Bemühungen, eine Blockade des PACAP-Signalwegs therapeutisch zu nutzen, durchaus gerechtfertigt. Ein monoklonaler Antikörper gegen das Peptid (ALD1910) befindet sich in einem frühen Entwicklungsstadium (NCT04197349).

Borries Kukowski, Göttingen


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Rimegepant als Migräne-Prophylaktikum

Croop R, Lipton RB, Kudrow D, et al. Oral rimegepant for preventive treatment of migraine: a phase ⅔, randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet 2021; 397(10268): 51–60

Rimegepant 75 mg jeden 2. Tag zeigte in dieser Phase-II/III-Studie nach 3 Monaten eine gegenüber Placebo signifikante migräneprophylaktische Wirkung.

Zusammenfassung

Die Gepante kommen mit immer mehr positiven Studien ins Gesichtsfeld, sowohl in der Akuttherapie der Migräne als auch in der prophylaktischen Therapie. In der vorgelegten Studie ist die Substanz Rimegepant gegen Placebo getestet worden. Im klassischen Design erhielten die Patienten über 3 Monate entweder 75 mg Rimegepant oder Placebo jeden zweiten Tag. Im dritten Monat zeigte sich eine signifikante Reduzierung im Vergleich bei den Migränetagen zwischen Rimegepant und Placebo. Dabei verloren die Patienten mit Rimegepant im Durchschnitt 4,3 Migränetage und die Patienten mit Placebo im Durchschnitt 3,5 Migränetage, dieser therapeutische Gewinn von 0,8 Migränetagen war angesichts einer Population von 695 Patienten signifikant. In ca. einem Drittel der Patienten wurden sowohl in der Placebogruppe als auch in der Verumgruppe Nebenwirkungen angegeben. Die Zahl der Abbrecher wegen Nebenwirkungen lag bei 1 % in der Placebogruppe und bei 2 % in der Verumgruppe.


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Kommentar

Diese Studie zeigt ein positives Ergebnis für Rimegepant in der Migräneprophylaxe. Insbesondere ist bemerkenswert, dass das Medikament sehr gut vertragen wurde und keine relevanten unerwünschten Ereignisse aufgetreten sind. Der therapeutische Gewinn war jedoch relativ niedrig, er lag noch unter dem von vergleichbaren Studien mit Topiramat oder Betablocker. Wir haben jedoch gelernt, dass die Therapieeffekte in den kontrollierten klinischen Studien häufig niedriger sind als in der Wirklichkeit außerhalb von Studien. So ist es möglich, dass Rimegepant einen festen Stellenwert in der medikamentösen oralen Prophylaxe der Migräne hinsichtlich der Wirksamkeit einnehmen kann. Kritisch gesehen werden muss die Sicherheit dieser Substanz. So ist erst kürzlich gezeigt worden, dass im Tiermodell die Infarktgröße bei einem Schlaganfall unter der Medikation mit Rimegepant signifikant größer und dass das funktionelle Outcome nach einem Schlaganfall unter Rimegepant schlechter gewesen ist. Es ist also noch offen, wie sicher diese Substanz trotz der sehr guten Verträglichkeit beim Menschen wirklich ist und ob sie allen Patienten bedenkenlos gegeben werden kann. Entscheidend wird auch sein, wie die verschiedenen Aufsichtsbehörden das Risiko durch Rimegepant einschätzen werden.

Stefan Evers, Coppenbrügge


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Prednison als Kurzzeitprophylaxe für den Clusterkopfschmerz

****Obermann M, Nägel S, Ose C, et al. Safety and efficacy of prednisone versus placebo in short-term prevention of episodic cluster headache: a multicentre, double-blind, randomised controlled trial. Lancet Neurol 2021; 20: 29–37

Die vorliegende randomisiert-kontrollierte Studie zeigt, dass Prednison als Kurzzeitprophylaxe für die Behandlung von episodischen Clusterkopfschmerz-Patienten wirksam ist.

Hintergrund

Die Gabe von Kortison ist eine häufig durchgeführte Kurzzeitprophylaxe für die Behandlung von Clusterkopfschmerz-Episoden, wobei bezüglich Dosierung und Dauer keine einheitlichen Behandlungsempfehlungen vorliegen. Bislang wurde der Einsatz von Kortison in kleineren Studien untersucht, allerdings liegen keine placebokontrollierten, randomisierten Studien vor.


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Zusammenfassung

Obermann et al. untersuchten in einer multizentrischen, randomisierten, doppelblinden und placebokontrollierten Studie die Wirkung von oralem Prednison als Kurzzeitprophylaxe in 116 Patienten. Eingeschlossen wurden episodische Clusterkopfschmerz-Patienten zwischen 18 und 65 Jahren in einer aktiven Clusterkopfschmerz-Episode. Die Episode durfte zum Zeitpunkt des Einschlusses nicht länger als 30 Tage angedauert haben und durfte nicht prophylaktisch behandelt sein (auch nicht mit Kortison). Die Einnahme von Akutmedikation war zulässig. Die Studie dauerte 28 Tage, beginnend mit einer Screening Visite und einer 1:1-Randomisierung in die Placebo- oder Prednison-Gruppe; weitere Visiten erfolgten an Tag 7 und 28. Die Prednison-Gruppe erhielt für 5 Tage Prednison 100 mg p. o. mit anschließender Reduktion um 20 mg alle 3 Tage. Beide Gruppen erhielten Verapamil 40 mg 1–1–1 mit Steigerung um 40 mg alle 3 Tage bis zu einer maximalen Dosierung von 360 mg/Tag sowie Pantoprazol 20 mg/Tag. Während der Studie führten die Teilnehmer einen Attackenkalender (auf Papier). Die Anzahl der Attacken während der 3 Tage vor Studieneinschluss wurde retrospektiv dokumentiert.

Primärer Endpunkt war die durchschnittliche Anzahl von Clusterkopfschmerz-Attacken in der ersten Woche der Behandlung. Sekundäre Endpunkte waren u. a. die Anzahl der Attacken von Tag 1 bis 28, die Anzahl der Tage mit Attacken von Tag 1 bis 7 bzw. 28, eine mind. 50 %ige Ansprechrate, der Einfluss auf die Lebensqualität sowie Sicherheits- und Verträglichkeitsdaten. Zwischen April 2013 und Dezember 2017 wurden an 10 deutschen Kopfschmerzzentren 119 Patienten gescreent und 116 randomisiert. Die Studie wurde nach 5 Jahren aufgrund der auslaufenden Finanzierung ohne Erreichen der geplanten Stichprobengröße (n = 144) beendet. In die Auswertung wurden 56 Patienten (40,3 ± 10,5 Jahre; 84 % männlich) der Placebogruppe und 53 Patienten (42,4 ± 11,4 Jahre, 83 % männlich) der Prednison-Gruppe eingeschlossen. Während der Baselinephase hatten die Patienten in der Placebogruppe 6,2 ± 4,6 und in der Prednison-Gruppe 7,1 ± 4,0 Clusterkopfschmerz-Attacken, also hochgerechnet 14,5 bzw. 16,6 Attacken pro Woche.

Die Studie erreichte ihren primären Endpunkt, während der ersten Woche der Behandlung hatten die Patienten in der Prednison-Gruppe durchschnittlich 7,1 ± 6,5 Clusterkopfschmerz-Attacken, die Patienten in der Placebogruppe 9,5 ± 6,0 (Differenz –2,4; p = 0,002), d. h. Patienten in der Prednison-Gruppe hatten durchschnittlich 25 % weniger Attacken als in der Placebogruppe. Auch die Zahl der Attacken in den ersten 28 Tagen ab Beginn der Behandlung war in der Prednison-Gruppe signifikant reduziert im Vergleich zur Placebogruppe (15,6 ± 15,5 vs. 20,2 ± 15,0 Attacken, Differenz –4,7, p = 0,0356). 17 von 49 Patienten der Prednison-Gruppe (35 %) waren nach 7 Tagen kopfschmerzfrei im Vergleich zu 4 von 54 Patienten (7 %) in der Placebogruppe (p = 0,0006). Nach 28 Tagen nahm die Zahl der kopfschmerzfreien Patienten zu, allerdings gab es zwischen der Verum- und Placebogruppe keinen signifikanten Unterschied mehr (p = 0,6510). An Tag 7 erreichten 49 % der Prednison-Gruppe eine mind. 50 %ige Reduktion der Attackenfrequenz im Vergleich zu 15 % der Placebogruppe (p = 0,0001). Die Einnahme von Akutmedikation war in der Prednison-Gruppe im Vergleich zur Placebo-Gruppe in der ersten Woche und in den ersten 28 Tagen signifikant reduziert (Tag 1–7: Prednison-Gruppe: 6,0 ± 6,8 vs. 9,2 ± 6,6; Differenz –3,2; p = 0,0012; Tag 1–28: p = 0,0373). Nebenwirkungen waren nicht unterschiedlich zwischen beiden Gruppen.


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Kommentar

Die vorliegende Studie ist ein ambitioniertes Beispiel einer nicht kommerziellen Prüfung (investigator initiated trial, IIT), also einer Studie, die unabhängig von der Pharmaindustrie durchgeführt wird. Dabei wurde auf ein klares und gut umsetzbares Studiendesign für Patienten und Studienzentren geachtet. Hiermit liegen zum ersten Mal evidenzbasierte Daten vor, dass orales Prednison eine wirksame und sichere Kurzzeitprophylaxe ist, um bspw. die Wirkung anderer prophylaktischer Medikamente einzuleiten. Die Gabe von Prednison reduziert die Tage mit Clusterkopfschmerz-Attacken, führt zu einer schnelleren Kopfschmerzfreiheit und zu einer reduzierten Einnahme von Akutmedikation; dies ist insofern beachtenswert, da Patienten während Episoden mit hoher Attackenzahl die empfohlene Tagesdosis an Triptanen häufig überschreiten. Auf der anderen Seite berichten viele Clusterkopfschmerz-Patienten von einer unzureichenden Versorgung mit Akuttherapeutika, so geben auch in dieser Studie 15–29 % der Patienten an, in der Vergangenheit (Nichttriptan)-Analgetika verwendet zu haben. In dieser Hinsicht ist die vorübergehende Gabe von Prednison eine gute Möglichkeit, um eine adäquate und nebenwirkungsarme Versorgung von Clusterkopfschmerz-Patienten sicherzustellen.

Einschränkend könnte gesagt werden, dass in der Studie „nur“ eine Episode über einen begrenzten Zeitraum von 28 Tagen untersucht wurde. Es wäre interessant gewesen, den Verlauf über einen längeren Zeitraum nach Beendigung der Kortisongabe zu untersuchen. An den Ergebnissen etwas überraschend ist vielleicht, dass „nur“ 35 % der Patienten unter Prednison an Tag 7 schmerzfrei und 49 % um mindestens 50 % gebessert waren. Der klinische Eindruck ist häufig, dass eine deutliche Mehrheit der Patienten von Kortison einen sehr guten Effekt hat. Bei kortisonerfahrenen Patienten könnte auch ein Nocebo-Effekt eine Rolle gespielt haben (Erwartung evtl. kein Kortison zu erhalten). Dass sich am Ende des Studienzeitraums (4 Wochen) die beiden Gruppen nicht mehr unterschieden, ist zu erwarten – bis dahin war Prednison abgesetzt, Verapamil aufdosiert und bei einem Teil der Patienten vielleicht die Episode vorbei. Dies macht nochmals die Schwierigkeiten der Studienplanung deutlich, da die einzelnen Verläufe der Clusterepisoden nicht vorhersagbar sind.

Die meisten Therapien, die für den Clusterkopfschmerz angewandt werden, beruhen auf Empfehlungen, die nie in großen randomisierten und placebokontrollierten Studien untersucht wurden; mit der vorliegenden Studie gelingt Obermann et al. der Nachweis, dass Prednison eine wirksame Medikation in der Behandlung von Clusterkopfschmerzen ist, und es wurde ein entsprechendes Dosierungsschema etabliert. Die Durchführung weiterer solcher Studien in der Behandlung des Clusterkopfschmerzes wäre wünschenswert.

Katharina Kamm, München


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Die Kombination aus Rimegepant und CGRP-(Rezeptor)-Antikörper und was wir daraus lernen können

*** Mullin K, Kudrow D, Croop R, et al. Potential for treatment benefit of small molecule CGRP receptor antagonist plus monoclonal antibody in migraine therapy. Neurology 2020; 94(20): e2121-e2125

*** Berman G, Croop R, Kudrow D, et al. Safety of Rimegepant, an Oral CGRP Receptor Antagonist, Plus CGRP Monoclonal Antibodies for Migraine. Headache 2020; 60(8): 1734–42

2 kleine Fallserien mit 15 Patienten geben erste, wenn auch sehr vorläufige Hinweise auf Wirksamkeit und Sicherheit der Kombination.

Hintergrund

Die in der Akuttherapie der Migräne in den USA bereits zugelassenen Gepante sind Antagonisten am CGRP-Rezeptor und haben daher prinzipiell denselben Ansatzpunkt wie CGRP-Rezeptorantikörper (Erenumab) und einen sehr ähnlichen wie CGRP-Antikörper (Fremanezumab und Galcanezumab). Es ergeben sich interessante Fragen, z. B.: Wirken Gepante zur Akuttherapie überhaupt bei Patienten, deren CGRP-Signalweg durch einen CGRP(R)-Antikörper blockiert ist? Führt die doppelte Blockade des CGRP-Signalwegs bei Kombinationstherapie zu vermehrten Nebenwirkungen oder Sicherheitsrisiken?


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Inhalt

Die beiden Fallserien beschreiben Migräne-Patienten, die gleichzeitig Rimegepant 75 mg zur Akuttherapie eingenommen und einen CGRP-(Rezeptor)-Antikörper zur Prophylaxe verwendet haben. Rimegepant wurde in beiden Fällen im Rahmen einer offenen Langzeitsicherheitsstudie gegeben. In der ersten Fallserie werden 2 Patienten beschrieben, die unter laufender Akuttherapie mit Rimegepant eine Prophylaxe mit Erenumab (70–140 mg) begonnen haben. Die Nachbeobachtungszeit war 1 Monat. Rimegepant war auch unter Erenumab weiter wirksam und es traten keine unerwünschten Ereignisse auf.

Die zweite Fallserie beschreibt 13 Patienten, die während laufender Therapie mit Erenumab (n = 7), Fremanezumab (4) oder Galcanezumab (2) an einer Studie zu Rimegepant über 12 Wochen teilnahmen. Diese Patienten behandelten im Durchschnitt 7,8 Attacken pro Monat mit Rimegepant, insgesamt wurden 224 Dosen eingenommen. Die Wirksamkeit wird nicht berichtet, die Studie fokussiert auf die Sicherheit. 3 Patienten brachen vorzeitig ab, mindestens einer davon wegen ungenügender Wirkung. Es traten keine schweren unerwünschten Ereignisse auf, nur 3 unerwünschte Ereignisse wurden als potenziell mit Rimegepant zusammenhängend eingeordnet: Eine virale Gastroenteritis (unwahrscheinlich), ein AV-Block 1. Grades (möglich, bei vorbestehender grenzwertiger PQ-Zeit) und ein Benommenheitsschwindel (möglich). Nach Aussage der Autoren unterschieden sich die unerwünschten Ereignisse sich nicht von denen bei Patienten ohne Prophylaxe mit einem CGRP(R)-Antikörper, dies wurde aber nicht statistisch analysiert.


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Kommentar

Die beiden Fallserien stammen aus derselben Arbeitsgruppe und sind Beispiele für die eilige Publikation vorläufiger Daten, obwohl mehr Daten (z. B. zur Wirksamkeit in der zweiten Fallserie) und in näherer Zukunft wahrscheinlich auch mehr Patienten zur Verfügung gestanden hätten. Fazit ist, die Kombination von CGRP(R)-Antikörpern hat nicht unmittelbar zu schweren Nebenwirkungen geführt, und es gibt Patienten, die unter CGRP(R)-Antikörpern Rimegepant als wirksames Akuttherapeutikum verwenden können. Die kleinen Patientenzahlen machen diese Ergebnisse sehr vorläufig.

Es gibt in den Publikationen aber noch einige interessante Erklärungsansätze, wie sich eine Wirkung der Gepante unter gleichzeitiger Verwendung von CGRP(R)-Ak erklären ließe. Zunächst wird darauf hingewiesen, dass entsprechend Modellrechnungen für Galcanezumab die freien CGRP-Spiegel unter Langzeittherapie nur auf ca. 25–50 % des Ausgangswerts sinken, sodass insbesondere gegen Ende des Dosisintervalls noch reichlich CGRP zur Verfügung steht. Außerdem sind die Gepante ca. 280x kleiner als die Antikörper und können daher Targets erreichen, die für die Antikörper nicht erreichbar sind, wird sogar eine intrazelluläre Wirkung an internalisierten Rezeptoren diskutiert. Auch die cAMP-Produktion, einer der intrazellulären CGRP-Signalwege, wird durch Rimegepant stärker gehemmt als durch Erenumab. Zusätzlich wird eine differenzielle Wirkung am Amylin-1-Rezeptor (Erenumab: keine; Rimegepant: zumindest leichte) diskutiert. Zusammenfassend sind dies erste, sehr vorläufige Daten zu einer spannenden Fragestellung. Interessant wäre auch, ob die Response auf Gepante mit der Response auf CGRP-(Rezeptor)-Antikörper korreliert.

Ruth Ruscheweyh, München


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Kein „Wearing-Off“-Effekt am Ende des Dosisintervalls bei Fremanezumab

*** Blumenfeld AM, Stevanovic DM, Ortega M, et al. No “Wearing-Off Effect” Seen in Quarterly or Monthly Dosing of Fremanezumab: Subanalysis of a Randomized Long-Term Study. Headache 2020; 60 (10): 2431–2443

Patienten, die vierteljährlich oder monatlich Fremanezumab bei chronischer oder episodischer Migräne erhielten, zeigten kein Nachlassen des Effekts gegen Ende des Dosisintervalls.

Hintergrund

Antikörper gegen CGRP oder dessen Rezeptor ihre Wirksamkeit erwiesen und werden seit 2018 bzw. 2019 in der prophylaktischen Therapie bei episodischer (EM) und chronischer Migräne (CM) eingesetzt. Von diesen sind als Antikörper gegen den Rezeptor Erenumab sowie gegen den Liganden Fremanezumab und Galcanezumab auf dem deutschen Markt. Eptinezumab ist nur in den USA verfügbar. Die Applikation erfolgt alle 4 Wochen, bei Fremanezumab wahlweise auch in 3-facher Dosierung alle 3 Monate. Hintergrund der hier besprochenen Post-hoc-Analyse war es, zu überprüfen, ob der Effekt von Fremanezumab gegen Ende des Dosisintervalls nachlässt („Wearing-Off“).


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Zusammenfassung

Die Analyse stützt sich auf die Daten einer Langzeitwirksamkeitsstudie über 12 Monate zu Fremanezumab 225 mg monatlich gegenüber 675 mg vierteljährlich (verblindet, keine Placebogruppe). Die 1890 Patienten mit EM oder CM sind teils aus den 3-monatigen placebokontrollierten HALO-Studien in die Langzeitstudie übergegangen oder waren neu rekrutiert (n = 312). Die Ein- und Ausschlusskriterien kann man im Detail in der Publikation nachlesen [1]. Der primäre Endpunkt, die Veränderung der durchschnittlichen Kopfschmerztage pro Woche, wurde in folgenden Intervallen verglichen: zwischen der ersten und zweiten Hälfte des Monats; in Wochen 1–3 gegenüber Woche 4 des Monats sowie in Wochen 1–2 gegenüber Wochen 11–12 des Quartals. Hierbei wurden Daten im 3., 6., 9. sowie 15. Monat der Behandlung analysiert, bzw. das erste und das zweite Behandlungsquartal. Es ergaben sich keine signifikanten Unterschiede in den durchschnittlichen Migränetagen zwischen den Zeiträumen in den EM- und CM-Subgruppen sowie in der monatlichen und quartalsweisen Dosierung. So zeigten sich beispielsweise in der CM-Gruppe bei der vierteljährlichen Einnahme 2,8 Migränetage pro Woche in den ersten 2 Wochen sowie 2,7 in den letzten 2 Wochen des ersten Quartals, und im zweiten Quartal 2,5 Migränetage pro Woche in den ersten beiden und 2,5 in den letzten beiden Wochen. Der Ausgangswert vor Behandlung war 4,0 Migränetage pro Monat. Ähnliche Ergebnisse erbrachten die anderen Zeiträume in den untersuchten Gruppen. Zusammenfassend zeigt sich in der dargestellten Analyse kein Hinweis auf ein Nachlassen des Effekts, gemessen an den Migränetagen pro Woche, von Fremanezumab kurz vor erneuter Injektion.


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Kommentar

Diese Arbeit beschäftigt sich mit einer interessanten und klinisch wichtigen Fragestellung. Bei Botulinumtoxin hat sich in mehreren Studien ein Wearing-Off gegen Ende des 3-monatigen Behandlungsintervalls gezeigt [2]. Für Erenumab zeigen Real-World-Daten bei ca. einem Viertel bis einem Drittel der Patienten ein subjektives Wearing-Off-Phänomen, dies basiert allerdings auf Befragung der Patienten, nicht auf Kalenderdaten [3], [4]. Bei Galcanezumab scheinen Kalenderdaten hingegen keinen Hinweis auf einen Wearing-off-Effekt zwischen der ersten und zweiten Hälfte des Monats zu geben [4]. Die große Fallzahl unter Verwendung von Kalenderdaten ist eine Stärke der vorliegenden Arbeit. Leider gibt es jedoch Schwachstellen wie die fehlende Placebokontrolle, heterogene Ein- und Ausschlusskriterien, kompliziertes Studiendesign mit unterschiedlichen Beobachtungszeiträumen zwischen den HALO-Patienten und später eingeschlossenen Patienten. Ein Nachteil ist auch, dass immer nur gruppierte Wochen verglichen wurden. Überzeugender wären Diagramme mit Darstellung der Migränetage für jede Woche gewesen, insbesondere für die quartalsweise Dosierung, denn eigentlich möchte man ja die Phase der maximalen Wirkung mit der Phase kurz vor der nächsten Injektion vergleichen. Diskutiert wurde auch, dass ein einseitiger Fokus auf die Häufigkeit der Kopfschmerzen gelegt wurde, und die Kopfschmerzintensität nicht betrachtet wurde. Es ist nicht auszuschließen, dass sich das Nachlassen der Wirkung zuerst an einer stärkeren Kopfschmerzintensität zeigt. In diesem Fall könnte es sein, dass Patienten subjektiv von einem Nachlassen der Wirkung berichten, während die Anzahl der Migränetage noch unverändert bleibt. Die Zusammenschau der Daten erlaubt daher nicht die Aussage, dass ein Wearing-Off bei Erenumab vorkommt, nicht aber bei Galcanazumab und bei Fremanezumab. Hier müssen erst weitere Studien erfolgen. Der Ansatz sollte die Forschung, am besten prospektiv in Kombination von subjektiver Einschätzung und Kalenderdaten anregen. Trotz der genannten Einschränkungen legt die Arbeit nahe, dass keine Wearing-Off-Effekte gegen Ende des Dosierungsintervalls bei Fremanezumab vorliegen. Bezüglich der Interessenskonflikte ist noch zu erwähnen, dass 6 der 8 Autoren bei Teva beschäftigt sind oder waren.

Cem Thunstedt und Ruth Ruscheweyh, München


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INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von: Priv.-Doz. Dr. Ruth Ruscheweyh, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Klinikum der Universität München, Marchioninistr. 15, 81377 München, Tel. 089/440073907, ruth.ruscheweyh@med.uni-muenchen.de

Sie wird dabei unterstützt von Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz), PD Dr. Gudrun Goßrau, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Clusterkopfschmerz).

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


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Publication History

Article published online:
09 March 2021

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