Nervenheilkunde 2021; 40(03): 198-202
DOI: 10.1055/a-1298-0255
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

Borries Kukowski
,
Stefan Evers
,
Katharina Kamm
,
Ruth Ruscheweyh
,
Cem Thunstedt
,
Ruth Ruscheweyh

Ein PACAP-Rezeptorantikörper zur Prophylaxe der Migräne

**** Ashina M, Dolezil D, Bonner JH, et al. A phase 2, randomized, double-blind, placebo-controlled trial of AMG 301, a pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide PAC1 receptor monoclonal antibody for migraine prevention. Cephalalgia 2020; doi.org/10.1177/0333102420970889

Der monoklonale Antikörper gegen den PAC1-Rezeptor AMG 301 ist in der Vorbeugung der Migräne nicht wirksamer als Placebo.

Hintergrund

Eine umfangreiche Evidenz spricht für eine wichtige Rolle des pituitary adenylate cyclase-activating polypeptide (PACAP) bei Migräne und Clusterkopfschmerzen. Dieses strukturell und funktionell dem vasoaktiven intestinalen Peptid (VIP) verwandte, in zahlreichen Geweben und den Isoformen –27 und –38 vorkommende multifunktionelle Neuropeptid bindet an 3 Rezeptoren (PAC1, VPAC1, VPAC2), von denen der PAC1-Rezeptor selektiv für PACAP ist. PACAP findet sich in vielen für die Migränepathophysiologie relevanten Strukturen des peripheren und zentralen Nervensystems, wie dem trigeminovaskulären System und dem parasympathischen Schenkel des trigemino-autonomen Reflexbogens [1]. In der Migräneattacke wurden im Blut der V. jugularis externa erhöhte PACAP-Spiegel mit Rückbildung unter effektiver Therapie gemessen [2], und in Provokationsstudien löste die intravenöse Gabe von PACAP bei den meisten Patienten mit Migräne ohne Aura verzögert einsetzende migräneartige Kopfschmerzen aus [3], [4]. Basierend hierauf erscheint die Annahme plausibel, dass die Blockade des PACAP-Signalweges ein effektives therapeutisches Prinzip darstellen könnte. In der vorgestellten Phase-IIa-Studie wurde AMG 301, ein monoklonaler Antikörper gegen den PAC1-Rezeptor, verwendet. Präklinische Befunde weisen darauf hin, dass PACAP nur über diesen Rezeptor eine Aktivierung und Sensitivierung zentraler trigeminovaskulärer Neurone vermittelt [5] und dass sich diese Prozesse durch einen selektiven PAC1-Rezeptorantikörper verhindern lassen [6].


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Zusammenfassung

An 46 internationalen Studienzentren wurden 343 Patienten im Alter zwischen 18 und 60 Jahren mit episodischer (EM, n = 224) und chronischer (CM, n = 119) Migräne eingeschlossen und im Verhältnis 4:3:3 in die Studienarme Placebo, AMG 301 210 mg s. c. alle 4 Wochen (210 mg Q4W) und AMG 301 420 mg s.c alle 2 Wochen (420 mg Q2W) randomisiert. Um die Verblindung aufrechtzuerhalten, erhielten alle Teilnehmer 6 Injektionen. Zu den Einschlusskriterien gehörte mindestens eine vorausgegangene gescheiterte präventive Therapie. Das Bestehen eines MOH war kein Ausschlusskriterium. Im Mittel hatten die Teilnehmer etwa 12 Migränetage pro Monat. Primärer Endpunkt war die Veränderung der monatlichen Migränetage zwischen Baseline und den letzten 4 Wochen der 12-wöchigen Behandlungsphase. Zu den sekundären Endpunkten gehörten neben der ≥ 50 %-Responderrate auch die Veränderung der Einnahmetage von Akutmedikamenten und Fragebögen zur Patientensicht (patient reported outcomes). Insgesamt beendeten 305 Patienten (88,9 %) die doppelblinde Studienphase. In der Placebogruppe gingen die monatlichen Migränetage um 2,5 (0,4) Tage, in beiden Verumarmen um 2,2 (0,5) Tage zurück. Eine Reduktion um mindestens die Hälfte der Migränetage erreichten unter Placebo 22,7 % und unter Verum 19,4 % (210 mg Q4W) bzw. 18,8 % (420 mg Q2W) der Teilnehmer. Auch bei den übrigen sekundären Endpunkten sowie bei Auswertung der EM- und CM-Subgruppen ergab sich keine Überlegenheit der Behandlung. Die Verträglichkeit war insgesamt gut. Nebenwirkungen traten in den Verumgruppen nicht häufiger auf als unter Placebo und führten bei 3,4 % (AMG 301) bzw. 2,2 % (Placebo) der Teilnehmer zu einem Studienabbruch.


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Kommentar

Diese Studie hat methodisch einwandfrei gezeigt, dass die Blockade des PAC1-Rezeptors mit AMG 301 in 2 um den Faktor 4 unterschiedlichen Dosierungen in der Prophylaxe der Migräne nicht wirksamer ist als Placebo. Die Autoren diskutieren eine Reihe von möglichen Gründen, die von pharmakologischen Aspekten (Affinität zum resp. Konzentration am Rezeptor?) bis hin zu Überlegungen reichen, dass die Blockade eines anderen oder mehrerer PACAP-Rezeptoren für einen therapeutischen Effekt notwendig sein könnte, oder dass nur eine Subgruppe von Migränepatienten profitiert. Hierbei könnte es sich angesichts der Bedeutung von PACAP als parasympathisches Signalmolekül um diejenigen mit kranialen autonomen Symptomen handeln. Allerdings scheint die Freisetzung von PACAP im Rahmen spontaner Migräneattacken im Gegensatz zu VIP nicht an das Vorhandensein autonomer Symptome gebunden zu sein (PJ Goadsby, persönliche Mitteilung). In der vorgestellten Studie wurden kraniale autonome Symptome erfasst, jedoch erwies sich die Ausprägung als zu gering, um eine stratifizierte Auswertung zu erlauben. Auch wenn sich eine Wiederholung der Erfolgsgeschichte der anti-CGRP-Therapien bislang nicht abzeichnet, bleiben weitere Bemühungen, eine Blockade des PACAP-Signalwegs therapeutisch zu nutzen, durchaus gerechtfertigt. Ein monoklonaler Antikörper gegen das Peptid (ALD1910) befindet sich in einem frühen Entwicklungsstadium (NCT04197349).

Borries Kukowski, Göttingen


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Publication History

Article published online:
09 March 2021

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