Schlüsselwörter
Schilddrüse - Kropf - Struma - Jod - Goitrogene - Glucosinolate
Key words
Thyroid - goiter - iodine - goitrogenic substances - glucosinolates
Kohlsorten wie Wirsing gehören zu den Nahrungsmitteln, die goitrogen wirken. (Quelle:
Kirsten Oborny/Thieme Gruppe)
Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BFR) hat darauf hingewiesen, dass der Jodgehalt
heimischer Agrarprodukte nicht ausreiche, um in Deutschland eine ausreichende Jodzufuhr
mit der Nahrung sicherzustellen. Seit Mitte der 1980er-Jahre wird empfohlen, jodiertes
Speisesalz in Lebensmittelindustrie und -handwerk sowie in Privathaushalten zu verwenden,
wodurch die Jodversorgung verbessert wurde. Jodiertes Tierfutter und daraus resultierende
höhere Jodgehalte in Milch und Milchprodukten konnten ebenso dazu beitragen. Aktuelle
Daten zeigen laut BFR jedoch, dass die Jodversorgung der deutschen Bevölkerung noch
immer nicht optimal ist, mit rückläufiger Tendenz [1].
Der Jodbedarf eines Menschen ist individuell verschieden und hängt u. a. von Umwelteinflüssen
sowie von Ernährungsgewohnheiten ab, z. B. von Lebensmitteln, die jodhemmende Substanzen
enthalten. Der folgende Artikel gibt eine Übersicht über Nahrungsmittel, die in den
Jodstoffwechsel eingreifen können und so strumigen, d. h. kropfbildend, wirken.
Die Schilddrüsenhormone haben im Körper eine zentrale Funktion bei der Steuerung einer
Vielzahl von Stoffwechselprozessen und sind u. a. für normales Wachstum, Knochenbildung,
Entwicklung des Gehirns sowie den Energiestoffwechsel notwendig. Wird Jod über längere
Zeit in Mengen unterhalb des Bedarfs aufgenommen, produziert die Schilddrüse zu wenig
Hormone, wodurch es zu schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen kommen kann.
Zur Deckung des Jodbedarfs empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE)
e. V. altersabhängige tägliche Jodzufuhren von 40–80 µg bei Säuglingen, 100–200 µg
bei Kindern unter 15 Jahren und 180–200 µg bei Jugendlichen und Erwachsenen. Schwangeren
und Stillenden werden Tageszufuhren von 230 bzw. 260 µg empfohlen. Die Europäische
Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hält bei Säuglingen (7.–11. Monat) eine
tägliche Aufnahme von 70 µg, bei 1- bis 14-jährigen Kindern von 90–120 µg und bei
Jugendlichen und Erwachsenen von 130–150 µg pro Tag für adäquat. Bei schwangeren und
stillenden Frauen hält die EFSA eine Tageszufuhr von 200 µg für angemessen [2].
Jodversorgung in Deutschland
Jodversorgung in Deutschland
Die Jodaufnahme erfolgt in Deutschland zum größten Teil über jodiertes Speisesalz.
Die zu Hause aufgenommenen Salzmengen tragen allerdings nur mäßig zur Gesamtjodversorgung
bei, belegen die Daten der DEGS-Studie [3]. Zudem ernähren sich Kinder und Erwachsene zunehmend von Fertigprodukten oder essen
außer Haus [3].
Der Jodversorgungsstatus der Bevölkerung lässt sich u. a. anhand der Jod-Urinausscheidung
bestimmen. Da rund 85–90 % der mit der Nahrung aufgenommenen Jodmenge über den Urin
ausgeschieden wird (die restlichen 10–15 % sind Jodverluste über Schweiß und Stuhl),
kann anhand der täglichen Jodausscheidungsmenge die Jodzufuhr pro Tag geschätzt werden.
Repräsentative Daten zur Jod-Urinausscheidung für die deutsche Bevölkerung wurden
im Rahmen der nationalen Gesundheitssurveys des Robert Koch-Instituts (RKI) erhoben:
„Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ (KiGGS-Studie,
Erhebungszeitraum 2003–2006 sowie 2014–2017) [4] und „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS, Erhebungszeitraum
2008–2011) [3]. Die Daten zeigen, dass etwa 30 % der einbezogenen Erwachsenen und 44 % der einbezogenen
Kinder und Jugendlichen eine Jodzufuhr unterhalb des geschätzten mittleren Bedarfs
aufweisen. Das heißt, dass bei diesen Personen ein erhöhtes Risiko für eine Jodunterversorgung
besteht. Bei Kindern und Jugendlichen sank die geschätzte tägliche Jodaufnahme seit
der Basiserhebung (2003–2006) um 13 %.
Jodquellen
Meeresfisch ist eine gute natürliche Jodquelle, aber auch Milch und Milchprodukte,
sofern die Kühe mit jodiertem Futter ernährt werden. Darüber hinaus wird Jod v. a.
über jodiertes Speisesalz und damit hergestellte Lebensmittel aufgenommen. Bei Verwendung
von Jodsalz in industriellen Lebensmitteln sind Fleisch, Wurst und Brot die Hauptquellen
für Jod. Die mittlere tägliche Jodaufnahme ohne Berücksichtigung von jodiertem Speisesalz
liegt bei Jugendlichen und Erwachsenen in Deutschland bei etwa 100 µg. Dies entspricht
nur etwa der Hälfte der von der DGE empfohlenen Tageszufuhr von 180–200 µg. Die Jodzufuhrempfehlungen
der DGE könnten im Durchschnitt nur erreicht werden, wenn etwa 50–80 % der verzehrten
Lebensmittel mit Jodsalz hergestellt wären. Fleisch, Wurst und Brot wären dann die
Hauptquellen für Jod.
Kropfbildung
Die Zahl der Kropfträger wird weltweit auf über 400 Mio. Menschen geschätzt. Die Hauptursache
hierfür liegt in der zu geringen Jodzufuhr. Während bei Letzterem die Schilddrüse
ohne Zweifel im Mittelpunkt der Pathogenese steht, ist dies für jenen nicht erwiesen.
Während der sporadische Kropf überall vorkommt oder vorkommen kann, ist das Auftreten
des endemischen Kropfs an bestimmte Gegenden, und zwar an Berg- und Hochländer, gebunden
(Zentralalpen, Karpaten, Pyrenäen, auch deutsche Mittelgebirge).
Strumigene Nahrungsbestandteile
Nicht nur Jodmangel, sondern auch strumigene Nahrungsbestandteile können eine Kropfbildung
auslösen.
Der regionale Jodmangel kann zudem durch Umweltbelastungen, Lebensgewohnheiten (Rauchen)
und durch einseitige Ernährung mit strumigenen Nahrungsmitteln, sog. Goitrogenen,
verursacht werden. Heute weiß man, dass zahlreiche Nahrungsbestandteile bzw. Chemikalien
strumigen bzw. goitrogen wirken können. Neben Jodmangel wird der endemische Kropf
zahlreicher Regionen unserer Welt auf besonders einseitige Ernährungsgewohnheiten
zurückgeführt. Im Folgenden sollen die komplexen Interaktionen strumigen wirksamer
Substanzen (Goitrogene) mit dem Schilddrüsenstoffwechsel näher untersucht werden.
Mechanismus der Kropfbildung
Ein sinkender Schilddrüsenhormonspiegel im Blut stimuliert die Thyreotropin(TSH)-Sekretion
aus dem Hypophysenvorderlappen und steigert damit Produktion und Freisetzung von L-Thyroxin
(T4) und Triiodthyronin (T3). TSH intensiviert die Synthese organischer Jodverbindungen
(einschließlich der Hormone) und die Thyreoglobulinbildung. Es regt die Freisetzung
der Schilddrüsenhormone aus Thyreoglobulin und ihre Ausschüttung aus der Schilddrüse
an. Nur sehr langsam nimmt dagegen unter TSH-Einfluss der Transport von Jodid in die
Schilddrüsenepithelzellen zu. Dieser Transport ist daher der geschwindigkeitsbegrenzende
Schritt der Hormonsynthese.
Die meisten TSH-Wirkungen sind nicht direkt, sondern indirekt durch cAMP vermittelt.
Die Zellproliferation wird vermutlich nicht von TSH, sondern von Wachstumsfaktoren
gesteuert. Die Wirkung dieser Wachstumsfaktoren kann durch organische Jodverbindungen
antagonisiert werden. Jodmangel, behinderte Jodaufnahme in die Schilddrüse oder verstärkter
TSH-Einfluss (häufig Folge der Einwirkung strumigener Substanzen) können den Jodgehalt
der Schilddrüse senken. Dabei wird die Bremswirkung auf den Wachstumsfaktor reduziert.
Die Folge ist die Proliferation der Schilddrüsenzellen (Hyperplasie). Ein niedriger
Jodgehalt sensibilisiert die Schilddrüse gegenüber Wachstumsreizen.
Jodstoffwechsel bei normaler Schilddrüsenfunktion
Jodstoffwechsel bei normaler Schilddrüsenfunktion
Der Dünndarm resorbiert das in der Nahrung enthaltene Jod, soweit es in der ionogenen
Form vorliegt. Organisch gebundenes Jod, z. B. in Seefischen, muss im alkalischen
Milieu des Dünndarms erst in die resorbierbare Jodidform reduziert werden. Danach
erfolgt die intravasale, extrazelluläre Verteilung. Die Nieren scheiden ca. 70 % des
aufgenommenen Jods wieder aus. Den Rest speichert hauptsächlich die Schilddrüse in
ihren Follikelzellen (Thyreozyten). Dieser Vorgang trägt die Bezeichnung Jodination.
Durch den Einfluss des Enzyms Na+/K+-ATPase wird unter Energieaufwand das Jodidanion von der Basalmembran zur kolloidnahen
apikalen Membran der Thyreozyten transportiert und vom Enzym Peroxidase zum elementaren
Jod oxidiert (Jodisation). Aus jeweils 2 jodierten Thyrosinmolekülen entstehen unter
Abspaltung der Aminosäure Alanin die Schilddrüsenhormone T3 und T4. Auf dem Weg der
Pinozytose gelangen die Schilddrüsenhormone aus dem Kollodium, ihre Bildungsstätte
und Depot, zurück zur Basalmembran, von wo aus sie ins Blut sezerniert werden. Dieses
trägt T3 und T4 globulingebunden zu den peripheren Geweben, in denen sie ihre Stoffwechselwirkung
entfalten [5].
Strukturformel: Allylpropyldisulfid.
Ernährungsgewohnheiten und endemische Kropfbildung
Ernährungsgewohnheiten und endemische Kropfbildung
Jodmangel und die Vorliebe der Bevölkerung für Zwiebeln werden im Libanon für das
Auftreten eines Kropfes verantwortlich gemacht. Zwiebeln enthalten das leicht flüchtige
N-Propyldisulfid.
Bei Ratten hemmen bereits kleine Mengen dieses Stoffes die Schilddrüsenfunktion vergleichbar
stark wie Propylthiouracil [6]. Der in Nigeria und Zaire häufige endemische Kropf wird auf den Verzehr von Cassava
zurückgeführt [7]. Untersuchungen an Ratten zeigten, dass getrocknete, unfermentierte Cassava rasch
zur Kropfbildung führt und die Jodvorräte der Schilddrüse rascher entleert werden
als bei Jodmangel allein. Cassava (Manihot aesculenta) enthält das giftige Blausäureglykosid
Phaseolunatin, das vor der Verwendung der Wurzelknolle als Nahrungsmittel entfernt
werden muss [8]. Die strumigene Wirkung der Cassava erklärt sich dadurch, dass Cyanide über die
weniger giftigen Thiocyanate mithilfe des Enzyms Thiosulfat-Sulfur-Transferase metabolisiert
werden.
Strumigen wirkt ferner ein hoher Anteil von Sojabohnen in der Nahrung, beispielsweise
in westafrikanischen Ländern. Rohe Sojabohnen enthalten eine strumigene Substanz,
die durch Erhitzen nur teilweise inaktiviert wird [9], [10]. Sie hemmt die Resorption von Thyroxin aus dem Magen-Darm-Kanal. Da 25–30 % des
körpereigenen Thyroxins über den enterohepatischen Kreislauf in den Darm gelangen,
kommt es bei einseitiger Sojaernährung zu größeren Thyroxinverlusten [6].
Retrospektive Studien in den USA belegen, dass Jugendliche mit autoimmunen Schilddrüsenerkrankungen
im Säuglingsalter signifikant häufiger mit einer sojahaltigen Milch ernährt wurden
als schilddrüsengesunde Kontrollpersonen [11].
Der regelmäßige Verzehr größerer Mengen Walnüsse wird für das gehäufte Auftreten eines
Kropfes in Spanien verantwortlich gemacht. Bei Ratten war nach 75-tägiger Walnussfütterung
die Aufnahme von Radiojod (J 131) in die Schilddrüse im Vergleich zu den Kontrolltieren
verdoppelt. Histologisch boten die Schilddrüsen das Bild von stimulierten Drüsen wie
nach Gabe von thyreotropem Hormon [6].
Auch eine regelmäßige Aufnahme von mehr als 2 mg Jod pro Tag blockiert die Freisetzung
von Schilddrüsenhormonen und produziert damit Strumae. Auf Hokkaido (Japan) erzeugt
der häufige Genuss von Seetang die endemische Küstenstruma. Neben Jodverbindungen
spielen auch Phloroglucinpolymere, die reichhaltig in Laminariarten vorkommen, eine
Rolle [7].
Der regelmäßige Verzehr größerer Mengen Walnüsse wird für das gehäufte Auftreten eines
Kropfes in Spanien verantwortlich gemacht. (Quelle: Kirsten Oborny/Thieme Gruppe)
Das cyanogene Glykosid Dhurrin.
Erdnüsse wirken strumigen aufgrund von Phenolen, die mit Tyrosin als falsche Substrate
konkurrieren. So enthält die rote Samenschale der Erdnuss ein Glykosid, das Arachidosid,
aus dem Phenolderivate entstehen. Auch in der Samenschale der Cashewnüsse (Anacordium
occidentale) wurde ein solches Glykosid gefunden [8].
Die Pearl-Hirse (Pennisetum millet) ist für die häufige Kropfbildung in ländlichen
Bezirken im Sudan verantwortlich, wo bis zu 74 % der täglichen Energieaufnahme durch
Hirse gedeckt ist [7]. Die strumigene Wirkung beruht vermutlich auf C-Glykosylflavonen. Die thyreostatische
Wirkung wird den Abbauprodukten zugeschrieben. Hirse dient weltweit in erster Linie
als Futtermittel, wird aber in unterentwickelten Ländern als primäre Brotgetreideart
angebaut. Viele Hirsearten beinhalten Dhurrin, ein cyanogenes Glykosid, das im menschlichen
Organismus zu Thiocyanat metabolisiert wird, das ebenfalls goitrogen wirkt.
Cyanogene Glykoside kommen ferner in bitteren Mandeln, Aprikosen- und Pfirsichkernen
sowie in Äpfeln, in der Limabohne und in Leinsamen vor. Das Kropfrisiko ist sehr hoch,
wenn nach Aufnahme cyanogener Glykoside ein Verhältnis von Jodid (in µg) zu Thiocyanat
(in mg) unter 3 im 24-Stunden-Harn vorliegt. So niedrige Quotienten treten in erster
Linie in Jodmangelgebieten auf.
Die wilde Tamarinde enthält ein toxisches Alkaloid, das zu 3,4-Dihydroxypyridin metabolisiert
wird. Dihydroxypyridine und 3-Hydroxypyridin hemmen die Tyrosin-Peroxidase etwa so
stark wie Propylthiouracil [7].
Brassica-Faktoren
Schon seit 1928 ist bekannt, dass verschiedene Kohlarten nach Langzeitfütterung an
Kaninchen einen Kropf hervorrufen und den Grundumsatz senken können [12]. Hervorzuheben sind dabei besonders
-
Brassica oleracea (Kohlrabi, Wirsing, Weißkohl, Blumenkohl, Rosenkohl),
-
Brassica campestris (Rübe),
-
Brassica napus (Sommerraps),
-
Brassica sativus (Rettich),
-
Brassica nigra (Schwarzer Senf),
-
Sinapsi alba (Weißer Senf),
-
Brassica carinata (Äthiopischer Raps) und
-
Brassica juncea (Indischer und brauner Senf).
Die Brassica-Faktoren bestehen in ihrem chemischen Aufbau aus 2 verschiedenen Substanzgruppen,
den Thiocyanaten und den Oxazolidin-2-thionen. Thiocyanate finden sich in der Pflanze
nicht frei, sondern werden beim Zerkleinern aus Thioglykosiden (Glucosinolaten) hydrolytisch
gebildet. Die Glucosinolate ([
Tab. 1
]) sind die Vorstufen der Aromastoffe, die den jeweils typischen Geschmack oder Geruch
dieser Pflanzen bestimmen. Die flüchtigen Aromastoffe, die enzymatisch aus Glucosinolaten
hervorgehen, werden als ätherische Senföle bezeichnet [13]. Thiocyanate werden v. a. bei der Hydrolyse von Glucobrassicin, aber auch von Sinalbin
und anderen Indolmethylglucosinolaten gebildet. Sie wirken nicht nur thyreostatisch,
sondern auch immunstimulierend, antihypertensiv und antimikrobiell [14]. Inzwischen sind mehr als 120 verschiedene Glucosinolate bekannt [15]. Neue Untersuchungen beschreiben antikanzerogene Effekte, die Induktion von Enzymen
der Phase-II-Detoxifizierung, die Induktion der Apoptose und die Regulation von Redoxprozessen
[16], [17], [18], [19].
Tab. 1
Vorkommen von Glucosinolaten in Nahrungsmitteln [22].
Glucosinolat
|
Vorkommen
|
Glucocapparin
|
Kaperngewächse
|
Sinigrin
|
Schwarzer Senf Kohlarten
|
Gluconapin
|
Raps Kohlarten
|
Glucoerucin
|
Ölrauke Kohlarten
|
Glucoiberin
|
Kohlarten
|
Progoitrin
|
Raps Kohlarten
|
Glucotropaeolin
|
Große Kapuzinerkresse
|
Glucosinalbin
|
Weißer Senf
|
Glucobrassicin
|
Kohlarten
|
Sowohl Thiocyanate als auch ihre Vorstufen wie Goitrin und Isothiocyanate haben eine
potente Wirkung auf die Antithyroid-Peroxidase-Aktivität [20]. Sie interagieren ferner mit dem Jodmetabolismus durch Hemmung der Jod-Resorption,
Erhöhung der Jodausscheidung und durch Ersetzen von Jod im Schilddrüsengewebe [21].
In der internationalen medizinischen Literatur wird berichtet, dass die Entwicklung
eines Kropfes nicht von der Aufnahme großer Mengen Thiocyanat-Präcursoren abhängt,
sondern die Balance zwischen täglicher Aufnahme von Jodid und Thiocyanat der kritische
Faktor ist. Die tägliche Aufnahme von Jodid und Thiocyanat (SCN) wird bestimmt durch
die Ausscheidung der Jodid-Thiocyanat-Relation im Urin. Unter normalen Bedingungen
beträgt der Wert für die Aufnahme eine Relation > 7; der kritische Wert ist erreicht,
wenn die Relation ca. 3 beträgt. In einer Studie mit 1286 Kindern zwischen 6 und 12
Jahren im indischen Imphal District in Manipur, einem Landstrich, in dem die Kropfhäufigkeit
trotz Jodsalz-Supplementierung konstant blieb, wurde nach den Ursachen gefahndet.
Die Lösung des Rätsels war, dass pflanzliche Grundnahrungsmittel in diesem Distrikt
hohe Konzentrationen an Thiocyanat und dessen Präkursoren aufwiesen, die mit der Schilddrüsenhormon-Biosynthese
interagierten und zu einer vermehrten Ausscheidung von Jod führten [21].
Cyanogene Glykoside, Glukosinolate und Thiocyanate, die sowohl in gekochtem als auch
in ungekochtem Zustand in relativ hohen Konzentrationen in Bambussprossen vorkommen,
werden für die Entstehung von morphologischem wie funktionellem Hypothyreodismus verantwortlich
gemacht. Eine Jod-Supplementierung verzögerte den antithyreodalen Effekt von Bambussprossen,
konnte ihn aber nicht aufheben [23].
Im Rosenkohl beispielsweise, der reich an Glucosinolaten ist, können sich goitrogene
Substanzen, insbesondere das Goitrin und Thiocyanat bilden. Der Einfluss einer Rosenkohldiät
(4 Wochen lang täglich 150 g) auf die Schilddrüsenfunktion war Gegenstand einer Studie
an 10 Probanden in London. Es konnte belegt werden, dass gekochter Rosenkohl keine
Wirkung auf die Schilddrüsenfunktion ausübt. Vermutlich wird durch das Kochen die
Myrosinase inaktiviert, sodass keine goitrogenen Substanzen entstehen [24].
In anderen Untersuchungen wurde jedoch beobachtet, dass Glucosinolate selbst bei Denaturierung
der Myrosinase gespalten werden können. An dieser Spaltung dürften bakterielle Enzyme
im Magen-Darm-Trakt beteiligt sein.
Thiocyanate besitzen für den Menschen kaum toxikologische Bedeutung. Erst 200–1000
mg Thiocyanat hemmen die Radiojodaufnahme beim Menschen [13]. So wird in der Literatur nur selten von Kropfbildungen, bedingt durch Brassica-Arten
berichtet. Nur durch sehr einseitige Ernährung mit Kohl, wie in Zeiten von Hungersnöten,
Armut oder in Kriegsgefangenenlagern, sowie durch Jodmangel können strumigene Rhodanidkonzentrationen
entstehen.
Fazit
5 % der Weltbevölkerung leiden an Kropfbildung, und die damit assoziierten Schilddrüsenerkrankungen
sind von erheblicher Bedeutung. Daher sollte goitrogenen Substanzen, sowohl Nahrungsbestandteilen
als auch Verunreinigungen von Luft und Wasser, eine größere Aufmerksamkeit bei der
Ätiologie von Schilddrüsenerkrankungen geschenkt werden. Deutschland hat sich in den
letzten Jahren von einem Jodmangelgebiet zu einem Land mit niedrig normaler Jodversorgung
gewandelt. Um diese Entwicklung zu stabilisieren, ist die Verwendung von jodiertem
Speisesalz nachhaltig zu fordern und der Anteil von aktuell ca. 30 % bei derzeit sinkender
Tendenz zu erhöhen. Der Nitratgehalt in Trinkwasser und Nahrungsmitteln sollte in
Zukunft sorgfältig beobachtet werden.