Allgemeine Homöopathische Zeitung 2020; 265(06): 26
DOI: 10.1055/a-1283-0090
Forum (Nachrufe)

Nachruf für Dr. Norbert Enders

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Abb. 1 Dr. med. Norbert Enders (3.7.1940–8.8.2020)

Am 8. August hat Norbert Enders kurz nach dem Erreichen des 80. Lebensjahres in seiner letzten Wahlheimat auf der Insel Siquijor auf den Philippinen seine letzte große Reise angetreten. Aus dem Pfälzischen stammend war sein ganzes Leben eine Reise, die er zuerst aus Neugier und Wissensdurst antrat, später aus seiner als Lebensaufgabe empfundenen Mission, die Homöopathie zu verbreiten und medizinisch-humanitäre Hilfe zu leisten, wo immer ihrer bedurft wurde.

Norbert Enders studierte in Heidelberg, Lausanne und Tübingen Medizin und ging kurz nach Beendigung seines Studiums als junger Arzt 1968 nach Vietnam, wo er prägende Erfahrungen im Spannungsfeld zwischen den Perversionen eines sinnlosen Krieges und der ergreifenden Freundlichkeit der Vietnamesen machte, die ihn ermutigten, weiter auf die Suche nach einer menschenwürdigen Medizin zu gehen. Er studierte traditionelle Heilverfahren in Asien und Mittelamerika und tauchte tief in die Philosophie der dahinterstehenden geistigen und spirituellen Systeme ein, die später sein Erleben und Wertesystem prägen sollten. Ende der 1970er-Jahre begegnete er in Deutschland der Homöopathie, die ihn faszinierte und für den Rest seines Lebens sein bedeutendstes Heilverfahren neben der angewandten Philosophie bleiben sollte. Dann ging er nach Wien, um Homöopathie bei Mathias Dorsci zu lernen, dessen Schüler er wurde und dessen Methode, dem ganzen Menschen im Kontext von gesunden und krankhaften Lebensäußerungen zu begegnen und ihn zu verstehen, sein weiteres ärztliches Handeln prägen sollte.

Er ließ sich zuerst in Wiesbaden und später in Idstein im Taunus mit seiner Praxis nieder. Bald wurde der Andrang der Patienten so groß, dass er oft bis spät in die Nacht und an den Wochenenden arbeitete und sich danach noch oft dem weiteren Studium der Arzneien und seiner umfangreichen schriftstellerischen Aktivität widmete. Dabei wurde ihm neben der unmittelbaren ärztlichen Tätigkeit auch bald die Weitergabe homöopathischen Wissens zu einer gewichtigen Aufgabe. Er begann, Kurse und Seminare für seine Patienten und andere Interessierte abzuhalten, weil er, ähnlich wie Hahnemann, seine Patienten zunächst das Organon lesen ließ, seinen Patienten ein differenziertes Grundverständnis der Homöopathie vermitteln und sie gleichzeitig befähigen wollte, die kleinen Probleme des Krankseins auch selbstständig kompetent angehen zu können. Damit stand er in der alten Tradition der homöopathischen Laienverbände, wovon viele seiner Bücher zeugen, die in dem ihm eigenen legeren Schreibstil allgemeinverständlich Behandlungswissen für viele häufige Alltagsbeschwerden vermitteln. Auf der anderen Seite schlug er mit einem seiner Hauptwerke, der Bewährten Anwendung der homöopathischen Arznei, eine ganz andere Richtung ein: ein Register für die kurzen Wege zur heilenden Arznei zu schaffen, das die häufigsten hilfreichen Arzneien für eine jeweilige Krankheitssituation aufführte.

Aber auch die Ausbildung ärztlicher Kollegen war ihm stets ein wichtiges Anliegen, und so lud er uns als Studenten ein, wann immer wir Zeit aufbringen konnten, in seiner Praxis zu hospitieren und in einer kleinen Arbeitsgruppe uns gemeinsam den homöopathischen Arzneischatz systematisch zu erarbeiten. So war es für mich eine tiefgreifende Erfahrung, zu erleben, wie dieser sonst redefreudige und extrovertierte Lehrer bei einer Anamnese als Person in den Hintergrund trat, fast völlig verschwand und damit einen ungeheuren Raum für den Patienten schuf, den er nur durch seltenes, leises Fragen ganz subtil strukturierte. Am Ende eines jeden Patientenkontakts schob er uns ein kleines Blöckchen hinüber mit der Aufforderung, 3 Arzneien, an die wir bei dem noch anwesenden Patienten dachten, aufzuschreiben. Das war anfangs eine harte Schule, die aber nach und nach dazu führte, im Laufe eines Patientenkontakts eine Orientierung zu entwickeln, welche Arzneien infrage kommen könnten. Durch diese Hospitationen und die zahlreichen abendlichen Treffen zum Arzneistudium wurden uns viele Goldkörner geschenkt, und wir erfuhren eine große Ermutigung, den homöopathischen Weg auch praktisch in unserer ärztlichen Tätigkeit zu gehen, worauf ich mit großer Dankbarkeit zurückschaue.

Norbert Enders war auch ein Mensch, der in seinem Leben eine große Spannweite zwischen einem fast feudalen und repräsentierenden, extrovertierten Lebensstil und einer zutiefst bescheidenen, seinen höheren Zielen untergeordneten Lebensweise durchmaß. In gleichem Maße polarisierte er auch in seinem Umfeld, war streitbar und provokativ, wenn etwas seinen Wertvorstellungen entgegenstand, und leise und feinfühlig, wenn er in den Fluss kam und seinem inneren Auftrag folgen konnte.

Es war schon immer sein Traum gewesen, seinen Lebensmittelpunkt in das von ihm geliebte Frankreich zu verlagern, und so zog er nach einer gesundheitlichen Krise 2000 nach Nizza, wo er bis vor einem Jahr weiter als Homöopath arbeitete, Seminare abhielt und Bücher schrieb. Gleichzeitig vertiefte er sein Engagement auf den Philippinen, wo er über zahlreiche Jahre, trotz teilweise schwerer Enttäuschungen und Rückschläge, sehr viel medizinische und soziale Entwicklungshilfe betrieb, Familien unterstützte und Kindern eine Ausbildung ermöglichte. Mit den Jahren wurde ihm das Reisen immer mühseliger, und so schuf er sich dort ein kleines, schönes Refugium, in dem er nun friedlich eingeschlafen ist.

Ulrich Koch



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Article published online:
23 November 2020

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