Allgemeine Homöopathische Zeitung 2021; 266(01): 4
DOI: 10.1055/a-1252-6162
Editorial

Epidemie der Angst

Noch nie zuvor hat mir eine AHZ so viel Kopfzerbrechen bereitet wie diese Ausgabe zu Covid-19. Denn im Laufe der Vorbereitung geriet ich zwischen die gesellschaftlichen Fronten zum Thema Corona. Das hat mich nicht davon abgehalten, noch eine 2. Ausgabe (AHZ 3 / 2021) zum selben Thema zu planen, da das Interesse der Autoren so groß war, dass wir nicht alle Beiträge in einer Ausgabe veröffentlichen können.

Um es gleich vorwegzunehmen: Für mich ist diese Epidemie in erster Linie eine Epidemie der Angst. Ich erlebe in meinem sozialen Umfeld mehr Angst vor Ansteckung als tatsächliche Ansteckung mit dem Virus. Ich meine echte Angst, nicht die gebotene Vorsicht oder soziale Anpassung an die gesundheitspolitischen Maßnahmen. Ich erlebe auch Angst vor den gesellschaftlichen und sozialen Auswirkungen dieser Maßnahmen, Angst vor der Äußerung und Publikation der vom Mainstream abweichenden Meinungen. Wir sind Zeitzeugen der epidemischen Ausbreitung eines nicht einschätzbaren Virus und eines anderen, nichtmateriellen Agens, das eine hohe Kontagiösität besitzt: der Angst.

Die Herausgeberschaft dieses Heftes hat mir viele positive Überraschungen beschert, und das habe ich unseren Autoren zu verdanken, die wirklich alles gegeben haben. Dominik Müller knüpft mit vier ausführlichen Fallbeispielen an die Zeiten der homöopathischen Behandlung der Pneumonie in der vorantibiotischen Ära an und schreibt dieses Kapitel weiter ins Hier und Jetzt. Er schildert die homöopathische (Begleit-)Behandlung der Covid-19-Viruspneumonie. Besser hätte ich es mir nicht wünschen können.

Fleiß und Verantwortungsbewusstsein stecken ebenfalls in dem Artikel von Anna Gerstenhöfer und Stephanie Jahn, in dem an die homöopathische Ärzteschaft appelliert wird: Behandelt eure Covid-19-Patienten und schaut genau auf die Symptome, verlasst euch nicht auf einen Genius epidemicus. Und dokumentiert gewissenhaft eure Behandlungen, nur so können wir der Nachwelt nachvollziehbare Ergebnisse hinterlassen.

Ingrid Pfanzelt lenkt unseren Blick auf die psychische Dimension der Epidemie, sowohl im gesellschaftlichen Kontext als auch bei ihren homöopathisch-psychotherapeutisch behandelten Patienten. Was macht die Angst vor Ansteckung, vor Tod oder schwerer Erkrankung, vor der Stille und der sozialen Isolation unter verschärften Lockdown-Bedingungen mit Patienten, die sowieso schon eine Angststörung haben oder hatten? Lesen Sie selbst.

Doch nun zum Teil dieses Heftes, der mir Mühe bereitet hat. Denn das Thema ist brisant und rief auch die kritischen Geister auf den Plan, deren Sichtweise nicht übereinstimmt mit den Leitmedien. Es trafen zwei coronakritische Beiträge von bekannten AHZ-Autoren ein. Wir haben intensiv diskutiert, ob es klug wäre, diese beiden Beiträge zum aktuellen Zeitpunkt zu veröffentlichen.

Ich habe mich letztlich aus rein pragmatischen Gründen dagegen entschieden, und zwar gegen meine eigene Überzeugung. Was mich dazu bewogen hat, ist der Umstand, dass die Kollegen in letzter Konsequenz ihre berufliche Existenz aufs Spiel setzen könnten, wenn sie die gesundheitspolitischen Maßnahmen öffentlich kritisieren und die Möglichkeiten der Opposition, die uns bleiben, ausschöpfen. Angst vor der freien Meinungsäußerung zum Thema Covid-19 wird zunehmend zu einer gesellschaftlichen Realität, nicht nur im öffentlichen, sondern auch im beruflichen und privaten Bereich.

Was mich persönlich in dieser Krise am meisten berührt, ist die Polarisierung der Gesellschaft in Befürworter und Kritiker des Lockdowns mit der Folge eines zunehmend gereizten sozialen Klimas. Diese Polarisierung geht quer durch Familien und gute Freundschaften und ist eine große psychosoziale Belastung.

Wer sich über die zurückgehaltenen Artikel informieren möchte, kann sich an die Redaktion wenden unter ahz@thieme.de. Sie wird mit Zustimmung der Autoren den Kontakt vermitteln.

Anne Sparenborg-Nolte



Publication History

Article published online:
19 January 2021

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