Einleitung
Wie keine andere Erkrankung wird die Gicht von Patienten, aber auch Rheumatologen immer auch mit der Lebensweise in Verbindung gebracht, denn der Zusammenhang zwischen dem Auftreten eines Gichtanfalls und bestimmten Ernährungsfaktoren ist seit vielen Jahrhunderten bekannt.
Hippokrates (460–337 v.Chr.) charakterisierte bereits die Gicht als „eine schmerzhafte Erkrankung, die vorwiegend bei wohlbeleibten Männern in höherem Lebensalter“ anzutreffen ist. Thomas Sydenham (1624–1689), der selbst viele Jahre an einer Gicht litt, schrieb im 17. Jahrhundert: „Die Gicht befällt meist alte Leute, welche ihre besten Jahre in der Weichlichkeit und Zärtlichkeit zugebracht haben, leckerhafte Speisen, Wein und andere Getränke zu häufig geliebt haben, zuletzt aber alle in der Jugend angewöhnten Leibesübungen auf einmal unterlassen haben“ [1]. So galt die Krankheit lange Zeit auch als „Krankheit der Könige“ oder „aristokratische Krankheit“, was den engen Zusammenhang von Gicht und Wohlstand und dem damit verbundenen uneingeschränkten Zugang zu Fleisch, Alkohol, aber auch Zucker widerspiegelt. Vielen Rheumatologen sind Darstellungen des Karikaturisten James Gillrey (1756–1815) aus dem England des 18. Jahrhunderts bekannt, in denen der akute Gichtanfall im Großzehengrundgelenk (Podagra) als Strafe für einen üppigen und maßlosen Lebensstil dargestellt wird ([Abb. 1]).
Abb. 1 Gicht als Sinnbild für Maßlosigkeit und Völlerei. a A self-indulgent man afflicted with gout: the pain is represented by a demon burning his foot. Coloured lithograph by G. Cruikshank, 1818, after Captain Hehl. Quelle: https://wellcomecollection.org/works/xgc9vaez. https://creativecommons.org/licenses/by/4. 0/ b An obese gouty man drinking punch with two companions. Coloured etching by J. Gillray, 1799. Credit: https://wellcomecollection.org/works/kwg8tptz. https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.
Demzufolge ist die Gicht immer auch in Hungerzeiten wie dem 2. Weltkrieg seltener als in Zeiten des Wohlstands. Heute gilt die Erkrankung aufgrund unseres westlichen (üppigen) Lebensstils als eine typische Zivilisationskrankheit. Ihr Auftreten ist eng assoziiert mit dem metabolischen Syndrom, anderen häufigen Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes mellitus, Adipositas, Dyslipidämien und arterieller Hypertonie.
Aktuell sind ca. 2–4% der Bevölkerung von einer Gicht betroffen, bei ca. 20% der Erwachsenen findet sich eine Hyperurikämie und damit ein erhöhtes Gicht-Risiko [2]
[3]. Neben den sog. nicht-modifizierbaren Risikofaktoren für eine Hyperurikämie/Gicht wie genetischen Faktoren, Geschlecht und Alter spielen v. a. modifizierbare Lebensstil-assoziierte Risikofaktoren eine wichtige Rolle bei der Prävention und Therapie der Erkrankung. Daher sollte vor Beginn einer medikamentösen Therapie immer auch eine Ernährungsberatung erfolgen. Welche Aspekte adressiert werden sollten, ist Gegenstand dieser Arbeit.
Hyperurikämie als Ursache der Gicht
Der Stoffwechselkrankheit Gicht liegt eine Hyperurikämie zugrunde. Eine Hyperurikämie liegt vor, wenn der Harnsäurewert über dem Sättigungspunkt, d. h. über 6,8 mg/dl (400 µmol/l) bei einer Temperatur von 37° und einem pH von 7,4 liegt. Mit steigender Serumharnsäure steigt das Gicht-Risiko [4]
[5].
Harnsäure entsteht als Endprodukt beim Abbau von Purinen im menschlichen Stoffwechsel und wird überwiegend über die Niere ausgeschieden ([Abb. 2]). Über 90% der glomerulär filtrierten Harnsäure werden im proximalen Tubulus reabsorbiert. Sowohl Reabsorption als auch tubuläre Sekretion erfolgen über spezifische aktive Transportmechanismen.
Abb. 2 Harnsäure – Endprodukt des Purin-Stoffwechsels.
Die Harnsäureausscheidung beträgt unter der üblichen Nahrung ca. 800 mg/d, die sich aus 300 mg endogen gebildeter Harnsäure und aus 500 mg Harnsäure aus Nahrungspurinen zusammensetzt. Endogen gebildete Harnsäure entsteht beim Abbau von körpereigenen (DNA, RNA- und damit purinhaltigen) Zellen; bei einem hohen Zellumsatz wie bei myeloproliferativen Erkrankungen oder einem hohen Zellzerfall (z. B. unter einer Chemotherapie) ist die Hyperurikämie ein häufiger Laborbefund.
Auch in Lebensmitteln tierischer wie pflanzlicher Herkunft liegen Purine als Bausteine von DNA, RNA, Nukleotiden und Nukleosiden, also gebunden sowie auch als freie Purinbasen vor. Demzufolge sind Purine in allen Lebensmitteln zu finden, die aus Zellen und Zellkernen bestehen. Purinfrei sind dagegen die wichtigen Energielieferanten Fette und Kohlenhydrate.
In Abhängigkeit von der Menge der exogen zugeführten Purine erklärt sich der Einfluss einer purinreichen Ernährung auf den Harnsäurespiegel. So hat Muskelgewebe (Fleisch) einen hohen Anteil an energiereichen Phosphaten (ATP, AMP, IMP), Innereien und Haut von Geflügel oder Schwein (z. B. Krustenbraten) enthalten wegen ihres Zellreichtums ebenfalls sehr viele Zellkerne und damit einen hohen Puringehalt. Magerfische wie Sardellen und Sprotten gehören zu den purinreichen Fischen. Der Puringehalt in Lebensmittel hängt auch vom Wachstumsstadium der Tiere/Pflanzen ab, sowie von der Zubereitungsart. Gekochtes Fleisch hat bspw. weniger Purine als gebratenes.
Da der Zusammenhang zwischen Gicht und Ernährung schon lange bekannt ist, wird Gichtpatienten empfohlen purinreiche Lebensmittel ([Tab. 1]) zu meiden.
Tab. 1 Purinreiche Lebensmittel.
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Portion
|
Puringehalt/
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HS in mg
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Kalbsbries
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125 g
|
1300–1500
|
Ölsardinen
|
125 g
|
440
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Gegrilltes Huhn
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150 g
|
360
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Rinderleber
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125 g
|
450
|
Erbsen
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200 g
|
240
|
Linsen
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200 g
|
108
|
Spargel
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200 g
|
50
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Kohlrabi
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100 g
|
30
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Bier
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500 ml
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ca. 75
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Im Folgenden soll die Studienlage zu den Effekten einer purinreichen Ernährung auf die Manifestation von Gichtanfällen erörtert werden [6]. Einschränkend gilt, dass es sich hierbei um reine Assoziationsstudien handelt. Prospektive Interventionsstudien zu einzelnen Ernährungsfaktoren liegen dagegen bislang kaum vor.
Purinreiche Kost
Die meisten Erkenntnisse zu den Effekten einer purinreichen Kost auf die Manifestation einer Gicht stammen aus wenigen prospektiven Kohortenstudien, insbesondere der Health-Professional-Follow up-Studie (HPFS) bei Männern und der Nurses’ Health Study (NHS) bei Frauen sowie auch des “Third National Health and Nutrition Examination Surveys” (NHANES) (1988–1994), in denen validierte Ernährungsfragebögen (Food Frequency Questionnaires) eingesetzt wurden und eine große Probandenzahl über 1–2 Jahrzehnte auf eine inzidente Gicht untersucht wurde ([Tab. 2]). Es ist zu betonen, dass diese Studien somit keine eindeutige Aussage darüber erlauben, wie sich einzelne Ernährungsfaktoren bei einer bereits manifesten Gicht auf die Anfallsfrequenz auswirken.
Tab. 2 Ernährungsfaktoren und inzidentes Gicht-Risiko (16).
Nahrungsmittel
|
Studie
|
Vergleich
|
RR
|
95 %-KI
|
Fleisch-Gesamt
|
HPFS
|
Höchste vs. niedrigste Quintile
|
1,41
|
1,07, 1,86
|
Meeresfrüchte
|
HPFS
|
s. o.
|
1,51
|
1,17, 1,95
|
Gemüse
|
HPFS
|
s. o.
|
0,96
|
0,74, 1,24
|
Soft-Drinks
|
HFPS
|
>= 2 Getränke/d vs. < 1Getränk/m
|
1,85
|
1,08, 3,16
|
|
NHS
|
>= 2 Getränke/d vs. < 1 Getränk/m
|
2,39
|
1,34; 4,26
|
„Diet“-Soft Drinks
|
HPFS
|
>= 2 Getränke/d vs. < 1 Getränk/m
|
1,12
|
0,82, 1,52
|
Alkohol ges.
|
HFPS
|
>50g vs. kein Alkohol
|
2,53
|
1,73, 3,55
|
Bier
|
HFPS
|
>2 Getränke/d vs. < 1 Getränk/m
|
2,51
|
1,77, 3,55
|
Spirituosen
|
HFPS
|
>2 Getränk/d vs. < 1 Getränk/m
|
1,60
|
1,19, 2,16
|
Wein
|
HFPS
|
>2 Getränke/d vs. < 1 Getränk/m
|
1,05
|
0,64, 1,72
|
Milch
|
HFPS
|
Höchste vs. niedrigste Quintile
|
0,56
|
0,42, 0,74
|
Fettarm
|
HPFS
|
s. o.
|
0,58
|
0.45, 0,76
|
Fettreich
|
HFPS
|
s. o.
|
1,00
|
0,77, 1,29
|
Kaffee
|
HFPS
|
>= 6 Tassen/d vs. kein Kaffee
|
0,41
|
0,19, 0,88
|
|
NHS
|
>= 4 Tassen/d vs. kein Kaffee
|
0,43
|
0,30, 0,61
|
Tee
|
HFPS
|
>= 4 Tassen/d vs. kein Tee
|
0,82
|
0,30, 1,75
|
|
NHS
|
>= 4 Tassen/d vs. kein Tee
|
1,55
|
0,98, 2,47
|
Vitamin C
|
HFPS
|
>1500 mg/d vs. <250 mg/d
|
0,55
|
0,38, 0,80
|
In der HPFS-Studie [7] zeigte sich bei rotem Fleisch eine lineare Korrelation für einen Gichtanfall mit einem multivariaten relativen Risiko (RR) von 1,41 (95%-KI: 1,07–1,98) und einem multivariaten relativen Risiko (RR) von 1,51 (95%-KI: 1,17–1,95) für Meeresfrüchte. Auch beim Alkoholkonsum fand sich eine lineare Beziehung zwischen dem Konsum und dem Gichtrisiko. Verglichen mit Menschen, die keinen Alkohol tranken, betrug das RR bei einem Alkoholkonsum von 10–15 g/d 1,32 (95%-KI: 0,99–1,75) und stieg bei einem Konsum von >50 g/d auf 2,53 (95-KI: 1,73–3,70) an.
Alkoholische Getränke unterscheiden sich bezüglich des Gichtrisikos. So zeigte sich die stärkste Assoziation für Bier. Bei einem Bierkonsum >= 2 Bieren pro Tag (>= 670 ml/d) betrug das RR 2,51 (95%-KI: 1,77–3,55) [8]. Das multivariate Risiko betrug 1,49 für jeweils ein weiteres Bier pro Tag. An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass der Puringehalt von Bier sehr variieren kann. So sind lokale Biere, meist von kleinen Privatbrauereien und auch alkoholfreies Bier oft besonders purinreich [9]. Moderater Weingenuss war dagegen in der Studie von Choi et al. [8] nicht mit einem erhöhten Gichtrisiko assoziiert.
Direkte akute Wirkungen von Alkohol auf die Harnsäure-Synthese oder Harnsäureausscheidung wurden bei gesunden Probanden nicht nachgewiesen [10]. Es wird diskutiert, dass lediglich indirekte Effekte (z. B. über die entstehende Azidose) für eine verminderte Harnsäureausscheidung ursächlich sind.
Eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre ist die Unterscheidung zwischen tierischen und pflanzlichen Purinen in der Nahrung. So war der Verzehr von Purin-reichem Gemüse in einer populations-basierten Fallkontroll-Studie mit 2076 gesunden Teilnehmern nicht mit einer erhöhten Serumharnsäure assoziiert (p=0,38) [11]. Choi et al. [7] konnten ebenfalls keine Assoziation zwischen hohem Verzehr von Gemüse und Gicht nachweisen, was vermutlich auf einen Harn-alkalisierenden Effekt bei reichlichem Verzehr von Gemüse zurückzuführen ist. So gelten pflanzliche Purine heute als unbedenklich und der Verzehr von Gemüsen, auch purinreicheren wird aufgrund zahlreicher anderer gesundheits-förderlichen Wirkungen ausdrücklich empfohlen [12].
Fruktose-haltige Lebensmittel
Auch Softdrinks, Fruchtsäfte und Obst mit hohem Fruchtzuckergehalt erhöhen den Harnsäurespiegel bei Gesunden bzw. auch übergewichtigen Probanden [13]
[14]
[15]
. Der Verzehr von Fruktose-reichen Getränken (v. a. Soft-Drinks) und Lebensmitteln ist mit einem erhöhten Gichtrisiko assoziiert. Dies wurde für Frauen und Männer gezeigt [16]
[17]. Deshalb sollten Gichtpatienten auf Fruktose-reiche Nahrung möglichst verzichten. Da verschiedenen Nahrungsmitteln heute industriell Fruktose aufgrund seiner stärkeren Süßkraft zugesetzt wird (meist in Form von aus Mais gewonnenem sog. „high fructose corn syrup“), lohnt in jedem Fall ein Blick auf die Inhaltsangaben von Fertigprodukten. „Light“-Getränke, die keinen Fruchtzucker enthalten erhöhen das Gichtrisiko nicht.
Fruktose wird zu 75% in der Leber abgebaut. Die Aufnahme und Metabolisierung von Fruktose ist im Gegensatz zu Glukose ein insulin-unabhängiger Prozess. Bei einem hohen Angebot von Fruktose ist der Pentosephosphat-Weg rasch gesättigt, überschüssige Fruktose wird zu Triglyzeriden umgebaut (de Novo-Lipogenese) und begünstigt die Entstehung einer Fettleber. Entscheidend für den enzymatischen Abbau der Fruktose ist das Enzym Fruktokinase. Unter dem Verbrauch von Energie in Form von ATP erfolgt die Phorphorylierung (hoher ATP-Verbrauch). Je mehr Fruktose aufgenommen wird, umso mehr ATP wird verbraucht und aus diesem konsekutiv mehr Harnsäure als „Abbauprodukt“ gebildet. Hier besteht der pathophysiologische Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Fruktose und erhöhtem Gichtrisiko. Die hierdurch vermehrt gebildete Harnsäure prädisponiert nicht nur zur Gicht, sondern fördert auch die Entstehung einer Insulinresistenz über Hemmung der Glukoseaufnahme in die Muskelzelle und direkte Effekte auf Adipozyten ([Abb. 3]), die letztlich zu einem manifesten Diabetes mellitus führen können.
Abb. 3 Harnsäure entsteht bei der Metabolisierung von Fruktose.
Weitere direkte Effekte von Harnsäure sind Angriffspunkte am Endothel. Vermutlich über eine Hemmung der endothelialen NO-Synthetase wird vermindert NO gebildet, was eine endotheliale Dysfunktion triggert. In diesem Zusammenhang kommen der Fruktose und Harnsäure vermutlich eine wichtige Bedeutung bei der multifaktoriellen Entstehung des metabolischen Syndroms, der Fettleber sowie evtl. der Hypertonie zu. All dies sind Erkrankungen, die durch eine frühzeitige Ernährungsmodifikation günstig zu beeinflussen sind [18]
[19].
Harnsäure-senkende Lebensmittel: Kaffee, Milch/Milchprodukte und Kirschen
Koffein, ein Methylxanthin hemmt in Ratten kompetitiv die Xanthinoxidase [20]. Daher wurde eine ähnliche Wirkung wie ein Xanthinoxidasehemmer diskutiert. Bei einem Verzehr von >6 Tassen Kaffee betrug das RR für eine inzidente Gicht 0,41 (95%-KI: 0,19–0,88). Auch für entcoffeinierten Kaffee fand sich diese Assoziation - wenn auch weniger ausgeprägt; hier betrug das RR bei einem Genuss von >= 4 Tassen RR 0,73 (95% KI: 0,46–1,17). Der Konsum von Tee reduzierte das Gichtrisiko nicht [21]
[22]
[23]. Letzteres spricht dafür, dass Koffein nicht der einzige Grund für einen Gicht-protektiven Effekt von Kaffee ist, sondern andere Inhaltsstoffe evtl. auch eine urikosurische Wirkung von Kaffee ursächlich sind.
Auch der Verzehr von Milch und milchhaltigen Produkten war in Studien mit einem geringeren Gicht-Risiko assoziiert. So war in der prospektiven Health-Professional-Follow up-Studie (HPFS) bei einem zusätzlichen Milchgetränk das Gichtrisiko von Männern um 21% vermindert. Der Effekt war bei fettarmer Milch und Magermilch am stärksten. In der NHS-Studie konnte dieser Effekt auch bei Frauen nachgewiesen werden [7]
[24].
In einigen Interventionsstudien konnte ein Harnsäure-senkender Effekt von Milchprodukten bei gesunden Probanden beobachtet werden. Die akute Zufuhr von Milchprodukten führte dabei zu einer vermehrten renalen Harnsäureausscheidung [25].
Milch und Milchprodukte eignen sich somit besonders gut als Eiweißquelle für Gichtpatienten. Im Gegensatz zu einer auf Fleisch-basierenden (und damit Purin-reichen!) Ernährung, sind Milch- und Milchprodukte purinarm.
Bereits in den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts berichtete Blau LW [26], dass bei Gichtpatienten, die etwa 250 g Kirschen pro Tag essen, weniger Gichtanfälle auftreten. So ist seit langem bekannt, dass Kirschen den Harnsäurespiegel senken können, während dies für Erdbeeren, Weintrauben oder Kiwis nicht der Fall ist [27]. Als mögliche Ursache wurde eine verminderte renale Reabsorption von Harnsäure diskutiert. In Ratten konnte auch eine Hemmung der Xanthinoxidase gezeigt werden, sodass auch eine vermindere Harnsäurebildung möglich wäre [28].
Kürzlich wurde die Beobachtung von Blau in einer prospektiven Cross-Over Studie bestätigt. Es konnte gezeigt werden, dass der Genuss von 10–12 Kirschen/d nicht nur die Harnsäure senkt, sondern auch die Gichtanfallsfrequenz bei Patienten mit Gicht um 35% (multivariate OR 0,65; 95%-KI: 0,50–0,85) reduziert [29]. Der Genuss von Kirschextrakten zeigte eine vergleichbare inverse Assoziation (OR 0,55; 95%-KI: 0,30–0,98). In Kombination mit Allopurinol wurde das Risiko für Gichtanfälle sogar um 75% gesenkt. Diskutiert wurde, dass Kirschen Anthocyane enthalten, die antiinflammatorische und anti-oxidative Wirkungen haben. Der Vitamin C-Gehalt von Kirschen ist allerdings vermutlich zu gering, um diesen protektiven Effekt zu erklären, da nur für Vitamin Dosierungen von über 500 mg eine Assoziation mit einem niedrigeren Harnsäurewert gefunden wurde. So betrug in der HFPS-Studie das RR für eine inzidente Gicht bei einer täglichen Vitamin C Zufuhr von 500–999 mg/d 0,83 (95%-KI: 0,71–0,97) und 0,66 (95%-KI: 0,52–0,86) bei einer Zufuhr von 1000–1499 mg/d. Dies bedeutete eine Senkung des Gichtrisikos um 17% je 500 mg Vitamin C [30].
In einer prospektiven, randomisierten Therapiestudie wurde daher bei Patienten mit Gicht, die unter Therapie mit Allopurinol den Serumharnsäure-Spiegel <6 mg/dl nicht erreichten, entweder die Dosis von Allopurinol erhöht oder 500 mg Vitamin C verabreicht. Die erreichte Harnsäuresenkung war allerdings unter Vitamin C Therapie (0,23 mg/dl) signifikant geringer als unter Allopurinol (1,9 mg/dl; p<0,001), was von den Autoren der Studie auf die vermutlich zu niedrige Vitamin C Dosis von 500 mg zurückgeführt wurde [31].
Fasten-Kuren
Gichtanfälle können nicht nur durch ein Zuviel an bestimmten Lebensmitteln, sondern auch durch Nahrungsverzicht (Fasten) ausgelöst werden, was vielen Patienten nicht bewusst ist. Dies gilt z. B. auch für das auch bei Rheuma-Patienten beliebte Heil-Fasten, bei dem für 8–14 Tage fast vollständig auf (feste) Nahrung verzichtet wird. Hier kommt es häufig in den ersten Tagen zu einem Harnsäureanstieg [32]. Ursächlich sind die katabole Stoffwechsellage (Ketose/Fastenstoffwechsel) mit konsekutiv verminderter renaler Ausscheidung der Harnsäure. Ausreichende Flüssigkeitszufuhr mit Alkalisierung des Urins und ggf. bei Patienten mit entsprechender Vorerfahrung auch die prophylaktische Gabe bzw. Höherdosierung eines Xanthinoxidase-Hemmers (Allopurinol) können dann trotzdem ein vorübergehendes Fasten „anfallsfrei“ ermöglichen.
Adipositas und Gicht
Der Zusammenhang zwischen Adipositas und Gicht ist schon lange bekannt. Ab einem BMI von > 25 steigt das Gichtrisiko an. Bei einem BMI > 35 betrug das RR 2,97 (95% KI: 1,73–5,1) für Gicht bei Männern [33]. Im Gegenzug bedeutet eine Gewichtsreduktion eine deutliche Risikoreduktion (RR 0,61 95%-KI: 0,40–0,92).
In einer prospektiven kontrollierten schwedischen Studie wurde gezeigt, dass die Inzidenz einer Hyperurikämie nach bariatrischer (metabolischer) Operation im Vergleich zu konventionell therapierten Patienten über ein Follow-up von 15 Jahren signifikant geringer war [34]. Dies ging mit einer signifikanten Abnahme des Gicht-Risikos einher (HR 0,6; 95%-KI: 0,48–0,75). Als mögliche Mechanismen zur Erklärung dieser Beobachtung wurden neben der „reduzierten“ Ernährungsweise nach der OP mit Abnahme der Insulinresistenz durch Gewichtsreduktion auch eine Verbesserung der Nierenfunktion diskutiert [35].
Der positive Effekt einer Gewichtsreduktion von übergewichtigen/adipösen Gichtpatienten konnte kürzlich in einer Meta-Analyse von Nielson et al. [36] bestätigt werden. In Abhängigkeit von der Intervention (Diät, Diät und Bewegung, bariatrische Operation) konnte die Serum-Harnsäure zwischen 30–168 µmol/l gesenkt werden. 0–60% der Patienten erreichten einen Harnsäurewert < 360 µmol/l. Die effektivste Harnsäuresenkung ließ sich durch bariatrische Operationen erreichen. In 6/8 Studien konnte auch ein positiver Effekt auf die Anfallshäufigkeit belegt werden.
Die Gewichtsreduktion ist v. a. mit Blick auf häufige Komorbiditäten wie Diabetes mellitus und KHK dringend zu empfehlen. Bedacht werden muss dabei nur, dass es gerade zu Beginn einer Fastenphase aufgrund des Fastenstoffwechsels (Azidose) und oft auch unzureichender Flüssigkeitszufuhr zu einer verminderten Harnsäure-Ausscheidung und konsekutiv einem Gichtanfall kommen kann.
Diabetes mellitus und Gicht
Wie oben bereits erwähnt, gibt es aus epidemiologischen Studien Hinweise, dass eine asymptomatische Hyperurikämie zur Entstehung einer Insulinresistenz und auch Diabetes mellitus beitragen kann [37]. Liegen eine Gicht und ein manifester Diabetes vor, dann treten Gichtanfälle beim Patienten eher weniger häufig auf. Erklärt wird dies u. a. durch anti-inflammatorische Effekte der Diabetes-Medikation (z. B. Metformin) oder auch urikosurische Wirkungen. Hier sind neben der Glukosurie per se vor allem die SGLT2-Inhibitoren zu erwähnen. So könnte einer kürzlich publizierten Studie zu folge die Verordnung von SGLT2-Inhibitoren Diabetes-Patienten vor einer Gicht schützen. Untersucht wurden die Versichertendaten von 295 907 US Patienten [38]. Die Behandlung mit einem SGLT2-Inihibitor war mit einer signifikanten Reduktion des Erkrankungsrisikos assoziiert (HR 0,64 95%-KI 0,57–0,72.
Körperliche Aktivität/Bewegung
Ergebnisse der „National Runners Health Study“, in der während einer Studiendauer von 7,7, Jahren die Häufigkeit einer inzidenten Gicht bei Läufern untersucht wurde, belegen, dass die Gichtinzidenz mit Zunahme der körperlichen Fitness bei Männern abnimmt (RR 0,55; 95% KI: 0,41–0,75). Bei Erhöhung des Alkoholkonsums um 10g/d betrug das RR 1,19 (95% KI: 1,12–1,26) und je zusätzlicher Fleischportion/d lag das RR bei 1,45 (95%KI: 1,06–1,92). Das Risiko einer Gicht war 16x höher bei Patienten mit einem BMI von > 27,5 im Vergleich zu < 20. Auch diese Daten eines eher fitten Kollektivs unterstreichen eindrucksvoll die Bedeutung eines gesunden Lebensstils [39]. Daher gilt auch für Gichtpatienten die Empfehlung einer moderaten körperlichen Aktivität über mind. 150 min/Woche. Bei Extremsportarten wie Marathonlaufen kann es allerdings aufgrund der katabolen Stoffwechsellage (Acidose) [40], (zu) geringer Flüssigkeitszufuhr und v. a. starken mechanischen Belastung der Gelenke (v. a. auch des Großzehengrundgelenkes), insbesondere bei arthrotischer Vorschädigung zur Manifestation von Gichtanfällen kommen.
Abb. 4 Einfluss von Lebensstilfaktoren auf die Harnsäure.
Eine Vielzahl von Lebensstil-Faktoren kann die Harnsäure-Homöostase sowohl über deren Bildung als auch über deren Ausscheidung beeinflussen ([Abb. 4]). Dabei wird ca. die Hälfte der Harnsäure im Stoffwechsel unabhängig von der Nahrung gebildet, während die andere Hälfte mit den Lebensmitteln zugeführt wird. So erhöht eine sehr purinreiche Kost die Serum-Harnsäure um 1–2 mg/dl (60–120 µmol/l), eine isokalorische purinfreie Diät über 8–10 Tage senkt den Harnsäurespiegel um ca. 1–2 mg/dl (60–120 µmol/l) [39]. Auch wenn die Effekte einer Ernährungsmodifikation auf den Harnsäurespiegel daher eher moderat sind, ist die Modifikation der Ernährung bei Gichtpatienten in jedem Fall auch unter dem Aspekt weiterer metabolischer Erkrankungen zu bedenken und als Basismaßnahme mit dem Patienten zu besprechen.
Eine schon länger bestehende Gicht ist leider allein durch eine Nahrungsumstellung nur selten erfolgreich zu behandeln. Dennoch sollte vor Einleitung einer medikamentösen Therapie immer überprüft werden, ob Lebensstilmodifikationen ratsam sind. Im Wesentlichen geht es weniger darum, einzelne Nahrungsmittel zu „verbieten“, als eine „gesunde schmackhafte Ernährung“ zu empfehlen, die sich im Alltag auch umsetzen lässt.
Die sog. DASH (Dietary Approaches to Stop Hypertension) Diät, die im Wesentlichen einer mediterranen Ernährung mit viel Obst und Gemüse, Nüssen, fettarmen Milchprodukten und wenig gesüßten Getränken, rotem und verarbeitetem Fleisch entspricht, zeigte in Studien gute antihypertensive Effekte und senkte die Harnsäure innerhalb von 30 Tagen um 0,8 mg/dl (48 µmol/l) nach 90 Tagen um 1,0 mg/dl (60 µmol/l) [41].
In einer retrospektiven Auswertung der HFPS-Studie zeigte sich, dass bei einer typisch westlichen Kost (kohlenhydrat- und fettreich, mit einem hohen Anteil an rotem und verarbeiteten Fleisch) ein höheres Gichtrisiko bestand (RR 1,42; 95%-KI: 1,16–1,74) als mit einer mediterranen Kost (RR 0,68 95%-KI: 0,57–0,80) [42]. Da die mediterrane Kost ebenso gute Effekte auf kardiovaskuläre Erkrankungen, Gewichtsreduktion und Diabetes mellitus gezeigt hat –kann sie Patienten mit einer Hyperurikämie besonders empfohlen werden [43].
Im Gegensatz zu früheren Verboten (kein Fleisch, kein Fisch, kein Bier, keine Hülsenfrüchte) ermöglicht die mediterrane Kost den Betroffenen ein umfangreiches gesundes Nahrungsangebot, und ist für die meisten Patienten auch im Alltag gut umsetzbar. Auf das Studium komplizierter Tabellen mit Angaben zum Puringehalt kann somit weitgehend verzichtet werden, was die Information/Schulung des Patienten erleichtert.
Wichtig, v. a. auch mit Blick auf assoziierte Komorbiditäten ist die Empfehlung zur Gewichtsreduktion. Gelingt diese, so lassen sich nicht nur die Hyperurikämie, sondern auch andere Stoffwechselparameter (Blutglukose, Triglyceride, Cholesterin) und arterielle Hypertonie günstig beeinflussen.
Ernährungs- und Lebensstilberatung gehören damit unabdingbar zum Management der asymptomatischen Hyperurikämie und Gicht [44]
[45], auch wenn die Effekte auf den Serumharnsäurespiegel moderat sind, wie eine kürzlich publizierte Meta-Analyse (bei Gesunden) nochmals bestätigt hat [46]. Daher sind bei manifester Gicht und hoher Anfallsfrequenz diätetische Maßnahmen leider meist nicht (mehr) ausreichend und eine frühe medikamentöse Harnsäuresenkung unabdingbar.