ergopraxis 2021; 14(01): 42-43
DOI: 10.1055/a-1236-9898
Perspektiven

Zusammen letzte Ziele erreichen – Ein Ergotherapeut in der Palliative Care

Lisa Raß
 

Carsten Schulze hat eine besondere Mission: Als Ergotherapeut setzt er sich für eine bessere Versorgung von palliativ versorgten Personen ein. Dafür engagiert er sich in seinem Berufsverband und reist für Vorträge durch ganz Deutschland – denn er ist überzeugt, dass Ergotherapie in der letzten Lebensphase eine wichtige Rolle spielen kann.


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Humor macht einen großen Teil meiner Arbeit aus. Denn wer lacht, denkt nicht über seine Schmerzen nach. Abb.: C. Schulze

„Als mein Vater an Krebs starb, hat mich das gesamte Team der Palliativstation sehr unterstützt. Diese Hilfe war für mich eine absolut positive Erfahrung“, erzählt der 55-jährige Ergotherapeut Carsten Schulze. Die Zuwendung aller Behandler ermöglichte seinem Vater, die letzte Lebensphase so angenehm wie möglich zu verbringen.

Für Schulze wurde das zu einem Schlüsselerlebnis. An die Herzlichkeit und Empathie, die auch ihm als Angehörigem entgegengebracht wurde, denkt er noch heute gerne zurück. Als Ergotherapeut hatte er schon vorher viel mit Menschen in ihrer letzten Lebensphase zu tun. Als sein eigener Vater starb, wurde ihm aber plötzlich klar, wie wichtig eine gute palliative Versorgung ist.

Die Ergotherapie engagiert vertreten

Aus Dankbarkeit wollte er dem Palliativteam etwas zurückzugeben. Daher organisierte Schulze kurzerhand am Malteser Krankenhaus in Görlitz einen „Tag der Palliativmedizin“. Das Ziel: Mehr Leute sollten erfahren, was Palliativmedizin heute leisten kann. Da er schon zuvor größere Veranstaltungen geplant hatte, traute er sich die anspruchsvolle Aufgabe zu. Am Vormittag gab es Fachvorträge, nachmittags öffnete die Palliativstation ihre Türen für die Öffentlichkeit. So konnte sich jeder Interessierte selbst ein Bild vom Alltag dort machen. Der gesamte Tag war ein großer Erfolg, über den sogar die regionale Presse berichtete.

Carsten Schulzes Engagement für die Palliativversorgung fing damit aber erst an. Als der Deutsche Verband der Ergotherapeuten (DVE) 2011 die Arbeitsgruppe Palliativversorgung gründete, meldete er sich sofort, um mitzuarbeiten. Seitdem trifft er sich mindestens zweimal jährlich mit seinen engagierten Kolleginnen der Arbeitsgruppe. Inzwischen haben sie unter anderem eine Aufklärungsbroschüre und ein Fachbuch herausgebracht. Durch die aktive Arbeit der Gruppe wurde der DVE auch Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP). Deshalb war Schulze schon in ganz Deutschland unterwegs, um gemeinsam mit seinen Kolleginnen Vorträge zum Thema Ergotherapie und Palliativmedizin zu halten. Langweilig wird es ihm daher nie.

Als Verbandsvertreter wirkte Schulze an der S3-Leitlinie zur Palliativversorgung von Tumor-erkrankten mit – für ihn eine „erstklassige Weiterbildung“, weil er mit Professoren aus allen medizinischen Bereichen zusammenarbeiten durfte. Er vertrat die Ergotherapie und stellte ihre Rolle heraus. Dabei verbrachte er viel Zeit mit der Suche nach Studien, die belegen, dass Ergotherapie in der finalen Versorgung Krebskranker nützlich ist. Nebenbei kam er im ganzen Land herum, weil die Leitlinienarbeit an mehreren Unikliniken stattfand.

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Der Austausch mit Kollegen, die ebenfalls mit palliativ versorgten Personen arbeiten, gibt mir viel Kraft. Abb.: C. Schulze

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Kraft-Tankstelle

Schulze schätzt an der Verbandsarbeit, dass er mit anderen engagierten Kollegen eng vernetzt ist: „Es gibt immer wieder Projekte, auf die man stolz sein kann. Und dass ich mich auf Augenhöhe mit anderen austauschen kann, gibt mir viel Kraft. Das ist wie eine Tankstelle für mich.“

Dass der DVE das Thema Palliative Care in den letzten Jahren als Betätigungsfeld für die Ergotherapie zunehmend definiert und erschlossen hat, findet er sehr wichtig. In einer alternden Gesellschaft wird der Wunsch nach einem Lebensende ohne Schmerzen und Leid zunehmend bedeutender. Schulze ist sich sicher: Je besser die Palliativmedizin wird, umso weniger haben Klienten den Wunsch, ihr Leben selbst zu beenden. Und daran hat auch die Ergotherapie ihren Anteil.

In seiner Praxis arbeitet der Ergotherapeut mit einer ambulanten Palliativversorgung zusammen. Immer wieder begleitet er Menschen auf ihrem letzten Lebensabschnitt. Gemeinsam mit den Angehörigen versucht er, ihnen ein aktives Leben bis zum Schluss zu ermöglichen. Er erinnert sich an einen Krebskranken, der noch einmal auf dem Balkon die frische Frühlingsluft genießen wollte. Gemeinsam schafften sie den mühsamen Transfer in den Rollstuhl und fuhren nach draußen. So erreichte er noch ein letztes Ziel.


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Humor bleibt bis zum Schluss wichtig

Natürlich gibt es auch schwierige Situationen, die Schulze sehr nahegehen. Wenn zum Beispiel ein erwachsener Mann plötzlich anfängt zu weinen, fällt es dem 55-Jährigen schwer, angemessen zu reagieren. Aber auch das muss man aushalten können, findet Schulze. Wenn der Klient wieder ruhiger ist, versucht er die Aufmerksamkeit auf etwas zu lenken, was der Person noch Lebensfreude schenkt. Oder er sucht nach einem Grund, trotz allem zusammen zu lachen.

Humor ist überhaupt ein wichtiger Baustein seiner Arbeit. Dass Lachen verschiedenste Krankheitssymptome lindern kann, ist schließlich wissenschaftlich erwiesen: Wer lacht, denkt nicht über seine Schmerzen nach. Seine Fähigkeit zum Humor wird auch von den Angehörigen seiner Klienten gern angenommen. Sie schätzen es, wenn ein Anker da ist, der Halt gibt. Daher kam es schon vor, dass sie Schulze dazubaten, wenn die Stunde des letzten Abschieds gekommen war.

Wenn ihn ein Fall besonders belastet, denkt Schulze konsequent darüber nach, was die Person in diesem Fall besonders benötigt. Trotzdem fällt es ihm manchmal schwer zu begreifen, wie schnell das Leben zu Ende gehen kann. Andererseits findet er, dass er selbst bewusster lebt, seitdem er mit Palliativklienten arbeitet. Und er schöpft auch Kraft aus seiner Arbeit: „Wenn man mitgeholfen hat, dass ein Mensch in Frieden sterben kann, dann sieht man das auch im Gesicht desjenigen. Dann erlebe auch ich einen inneren Frieden.“

Was Carsten Schulze an seinem Beruf am besten gefällt: dass man wirklich mit Menschen zusammenarbeiten und dabei etwas bewegen kann. Und das wird er auch weiterhin nach Kräften tun.


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Publication History

Article published online:
04 January 2021

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Humor macht einen großen Teil meiner Arbeit aus. Denn wer lacht, denkt nicht über seine Schmerzen nach. Abb.: C. Schulze
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Der Austausch mit Kollegen, die ebenfalls mit palliativ versorgten Personen arbeiten, gibt mir viel Kraft. Abb.: C. Schulze