Keywords
Akupunktur - TCM - chinesische Medizin - Geriatrie
Abb. 1 Quelle: Kirsten Oborny/Thieme Group
Milz und Niere sind die Basis der Behandlung – Erfahrungen und Reflexionen aus langjähriger
Praxis
Im hohen Alter beschwerdefrei zu sein ist ein Geschenk, das man sich z. T. selbst
machen könnte. Am einfachsten durch die alltägliche Pflege eines verborgenen, vergessenen
Sinnes – des FrohSinns, der im Herzen wohnt.
In der Natur, also ringsum, sehen wir Auftauchen – Wachsen – Blühen – Reifen – Altern
– Verschwinden. Nur uns betrifft das nicht. „Mit Stöckelschuhen ins Alter“, lächelte
Gawlik [1], der große Alte der Homöopathie.
Im Lenz unserer Jahre lockt die Märzsonne aus uns lustige Sommersprossen hervor –
und nun sind der Sommer und der Spätsommer des Lebens vorbei. Nun, da wir den Lebensherbst
genießen, beschenkt das Licht unsere Hände und Gesichter mit neuen Tupfen – den sogenannten
Altersflecken. Und Alterswarzen obendrein. Zwischen diesen eigenartigen „Tätowierungen“
und seltsamen Auswüchsen verlief unser erinnerbares Leben.
Wir sinnieren nun: Wer bin ich? Was habe ich erreicht? Aus der Natur herausgelebt,
hineingepfercht in Städte, jeder in seinem alltäglichen Hamsterrad, verleben (nicht
erleben!) wir sogar Feiertage und Urlaube im Stress. Die Traditionelle Chinesische
Medizin (TCM) weiß: Stress schädigt das Herz.
Jedwede Emotion, sagt Maciocia [2], [3], fließt durchs Herz, jede auch noch so klitzekleine. Er empfiehlt, den Punkt Herz
7, Shenmen (Tor des Geistes), in der Schmerzbehandlung nicht zu vergessen.
„Ich muss“, blickte eine Neunzigjährige unlängst auf die Uhr, – hatte sich auch ihr
die Muße längst im Irgendwo verloren. Nein, niemand hat Zeit. Zeit ist Geld. Im Sandkasten
war Bonbonpapier unser Geld. „Wo ist die Zeit nur geblieben?“, gucken wir einander
an.
Stützen und stärken lauten die Schlüsselwörter der chinesischen Medizin beim alten
Menschen. Schlafstörungen, Herzschwäche, Schmerzen, aber auch Ängste und Schwäche
können mit Akupunktur und Ernährung gelindert werden. Die Funktionskreise Milz und
Niere bilden die Basis der Behandlung. Die Autorin stellt bewährte Akupunkturpunkte
bei häufigen Beschwerden im Alter vor, ergänzt durch Ernährungsempfehlungen auf der
Grundlage der Traditionellen Chinesischen Medizin.
„Was soll ich denn noch?“ Und sie kriecht uns an, steigt auf, geht an die Nieren,
die lähmende Angst. Die Urangst. Die Todesfurcht. Die Luftnot, das Herzklopfen, das
Weh, der Schmerz. Verbittert (Herz), bange (Herz), hockt Mensch vergessen von aller
Welt (Herz) in seiner Ecke. Und grollt. Leber-Gallenblase, weiß die TCM.
Ja, der alternde/alte Mensch bringt (schleppt? buckelt?) uns sein ganzes Leben in
die Praxis mit hinein. Und es braucht ein gutes Gespräch (wie Hippokrates es ja verlangte),
um zwischen Zipperlein und vielen Beschwerden die äußere/innere Leere sowie die noch
vorhandenen Möglichkeiten und Kräfte zu erspüren. Dem Menschen sein weiteres sinnvolles
Leben, trotz allem sein Lebensziel, entdecken zu helfen. Zu lernen helfen, tagtäglich
mit Freude (Herz) aufzuwachen sowie gelassen (Lunge) und dankbar (Herz) abends einzuschlafen.
Wie der Sommer (Herz) die „Mutter“ des Spätsommers (Milz), des Erntedankfestes, genannt
werden könnte, so kann Funktionskreis Herz, Lebensfreude, die „Mutter“ des Funktionskreises
Milz-Magen sein, der da wiederum „Mutter“ von Lunge (Herbst) wäre. Diese dann „Mutter“
von Niere (Winter), welche „Mutter“ des Funktionskreises Leber (Frühling) ist, als
dessen „Kind“ wiederum Herz (Sommer) zu bezeichnen wäre.
Was wir Organe nennen, sind in der TCM Funktionskreise.
Funktionskreis Milz
Und so erkennen wir in den Entsprechungen des Funktionskreises Milz-Magen den süßen
Geschmack, verdauen, transformieren, assimilieren (wie die Mohrrübe so das zu Lernende),
aber auch grübeln, sich sorgen, denken, Fürsorglichkeit, alles an seinem Platz halten.
Wir finden hier Melancholie, sehen Yi, die „Vernunft“, auch Vorstellungskraft. Und
wenn Milz geschwächt ist, zeigen sich möglicherweise eine gestörte Verdauung, Feuchtigkeit,
Ödeme, Schleim, Tumore.
Singen Sie! – Singen stärkt Milz.
Aus dem modernen Wissen können wir Milz vermutlich auch das Bauchgehirn und das Mikrobiom
zuschreiben.
Jede Störung beginnt im Funktionskreis Milz, sozusagen der Mitte, und endet – wenn
tödlich – im Funktionskreis Niere, der Wurzel des Seins, des Atemholens, sagte man
im alten China. Anders gesagt: Jede Störung beginnt aus der Ernährung. Folglich stützen
wir die Milz.
Die Milz stützen und stärken
Akupunktur
Wir nadeln Ma 36, dessen Spitzname „Göttliche Gleichmut“ lautet, der uns stärken kann wie kein anderer
Punkt, stechen Mi 6, in dem sich die Leitbahnen Milz + Niere + Leber kreuzen, mit dem wir also auch die
3 Funktionskreise erreichen, und akupunktieren z.B. KG 6, Qi Hai, Meer des Qi, der Kraft, die Leben schafft.
Ein schönes Tischgespräch, schöne Musik, schöne Erinnerungen – wir empfehlen, das
Essen zu genießen.
Gerne nehme ich noch Lu 7, einen Lungenpunkt, der nicht nur eine direkte Verbindung zum Organ Lunge hat, auch
zum Lungenpartner Dickdarm und über diesen bis hin zum LG 14, also zum Nacken; – den
Nacken, das Drehen des Kopfes, behandelt Lu 7 mit, ebenso wie Lu 7 als Schlüsselpunkt des Ren Mai auch Blase beeinflusst. Punkt
LG 14 tonisiert Mangelzustände, beeinflusst Kurzatmigkeit, nächtliches Schwitzen, „Schmerzen
der hundert Gelenke“, eine steife Wirbelsäule, Schlaflosigkeit und mehr.
Sinnvoll ist Punkte von Herz und Perikard mitzunehmen, der „Mutter“ und „Amme“ von
Milz und Magen.
Perikard schützt Herz vor Hitze; wir empfehlen seine Punkte besonders bei Fieber oder
Sommerhitze, die alten Menschen ja so sehr zusetzt. Wir nadeln Pe 4, Pe 5 (diesen auch bei Speichelfluss nach Apoplex), Pe 6 im Falle von Störungen des Herzrhythmus, der Herzfrequenz. Gegen den zehrenden Nachtschweiß
nadeln wir He 6, Dü 3 + LG 14.
Ernährung
Als milzstärkende Ernährung empfehlen wir Reissuppen aller Art, Hühnersuppe, Hirse;
raten, vom Speiseplan Zucker, Kuhmilch, Kuhkäse, Milchschokolade, die großen, heutzutage
modernen rohen Salate zu streichen. Wir kochen, das tun wir seit der Zähmung des Feuers.
Das unterstützt Milz. Das Kauen tut es ebenso. Pürierte Speisen dennoch kauen, also
durchspeicheln. Und wie empfehlen etwas Bitteres, das ist der Geschmack des Funktionskreises
Herz, der „Mutter“. Früher trank man als Aperitif einen bittersüßen Wermutwein – heute
Wasser, das den ach so nützlichen Magensaft unnützlich verdünnt.
Da Freude und Sprache im Herzen wohnen, empfehlen wir, das Essen zu genießen, ein
schönes Tischgespräch, für Alleinstehende schöne Musik, schöne Erinnerungen; das Langzeitgedächtnis,
Heimat, Kindheit, die „besonnte Vergangenheit“ (C. L. Schleich [4]) wohnt im Herzen.
Funktionskreis Niere
Gleichfalls suchen wir den Funktionskreis Niere zu stärken. In ihm finden wir Haupthaar,
Hören, Zähne, Knochen, Gehirn und Rücken – wie Knochenmark, die Wirbelsäule, das Kreuz,
das Urogenitalsystem, die Sphincter, die Knie, finden die Angst, die Urangst! – aber
auch das Urvertrauen und das Kurzzeitgedächtnis.
Patienten, die nicht lange stehen können, denen es „so gegen Abend“ schlechter geht,
so zwischen 17 und 19 Uhr, haben eine Schwäche im Funktionskreis Niere.
Die Niere stützen und stärken
Akupunktur
Wir können aus der japanischen Akupunktur Ni 7 + Lu 8 stechen, Lu 8 beeinflusst zugleich auch Beschwerden der Fußsohlen. Oder wir wenden
dieses TCM-Basismuster an: Yuan-Quellpunkt + Rücken-Shu-Punkt, für Niere also Ni 3 + Bl 23. Und unbedingt Bl 43, Gaohuangshu, den Transportpunkt zu allen Funktionskreisen, zu den Lebenszentren,
einen Basispunkt in der Therapie chronisch kranker, ausgelaugter, geschwächter Patienten.
Die den Alltag so erschwerenden Rücken- und/oder Kreuzschmerzen behandeln wir gerne
mit Ni 3, Ni 6, Bl 23, Bl 40, Bl 60, Bl 62. Die Knieschwäche mindern wir Niere stärkend. Um die Knieschmerzen zu beeinflussen
nehmen viele Ohr. Ohrpunkte sind stets Fernpunkte und wirken sofort.
Ebenso nützlich sind auch andere Mikrosysteme: Yamamotos Neue Schädelakupunktur (YNSA),
Siener (NPSO) bzw. ECIWO oder im Falle von Tremor die Tremorlinie der chinesischen
Schädelakupunktur.
Empfehlen Sie Ihren Patienten, täglich die Ohrmuscheln zwischen Daumen und Zeigefinger
zu massieren – hier punktuell wehtuende Stellen besonders oft zu reizen – und Sie
werden sich freuen, was für Erfolge das zeitigen kann.
Ernährung
Für den Speiseplan raten wir bei Störungen des Funktionskreis Niere, Himalayasalz
statt Industriesalz zu nutzen, empfehlen besonders Salzwasserfische, Algen, alle essbaren
Samen (Sesam, Nüsse, Esskastanien), Wurzelgemüse, alles, was aus dem Wasser kommt
und im Winter unter der Erde ist, sowie Eier, schwarze Bohnen, Schwarzwurzeln, schwarzen
Rettich und erinnern daran, Süßes zu meiden.
Dazu gesundes, unbelastetes (kaum belastetes) Wasser.
Bei Herzbeschwerden nutzen wir die Erfahrungen der Universitätsmedizin, behandeln
Funktionskreise Herz und Perikard eher nur unterstützend und begleitend.
Funktionskreis Lunge
Funktionskreis Lunge wird durch Trockenheit und durch Trauer geschädigt. Wir können
ihn unterstützen durch Nahrungsmittel mit scharfem Geschmack, z. B. Rettich, Zwiebel,
Knoblauch. Ingwer stärkt als „Mutter“ zugleich Funktionskreis Niere. Bei Knoblauch
und Ingwer denken wir natürlich daran, dass diese blutverdünnend wirken, weswegen
wir Patienten mit z. B. Marku-marmedikation öfter kontrollieren.
Funktionskreis Leber
Zum Funktionskreis Leber gehören im TCM-Denken das Sehen, die Augen, die Sehnen und
die Muskelkraft, das Planen sowie Wut, Zorn, Grimm, aber auch die Freundschaft. Funktionskreis
Leber lässt, wenn gesund, alles fließen. Ist er geschädigt, ist Leber verantwortlich
für Stau, für jegliche Verspannungen, wirkt bei Verstopfung mit, greift zuweilen Milz
und/oder Magen an, kann zu Hitzewallungen, erhöhtem Blutdruck und vielen weiteren
Symptomen führen. Auch zu Migräne – ja.
Die Leber stützen und stärken
Akupunktur
Wir kombinieren gern Le 3 (bei Hitze Le 2, bluten lassen) mit Bl 18, Bl 47 und LG 20; aber auch Le 4 und Le 5.
Le 3 könnte man als Weichspüler der Seele bezeichnen.
Ernährung
In der Ernährung raten wir zu Natursaurem, zu Grünem, zu Sprießendem. Zu Süßsaurem,
wenn Leber Milz-Magen angreift.
Funktionskreis Herz
Schlafstörungen sind oft besonders quälend. Hier wenden wir uns grundsätzlich an den
Funktionskreis Herz. Bedenken aber, dass alle anderen Funktionskreise miteinbezogen
seien können, und wenden uns auch an diese.
Sehr viele Patienten leiden unter Störungen des Bewegungssystems. Hier ist es sinnvoll,
den Kranken an sich selbst zeigen zu lassen, wo es wehtut – dies weist uns die Achse,
zumeist die Yang-Achse bzw. -Achsen, bezieht die zeigende Hand zugleich die Ausstrahlung
mit ein. Auf der gezeigten Achse nehmen wir Fernpunkte, wenn der Prozess chronisch
ist, auch Nahpunkte hinzu. Fragen nach eventuellen Ursachen, besonders klimatischen,
bitten, uns den Schmerz zu beschreiben, und stechen die entsprechenden Punkte. Und
nadeln Ohr!
Perschke [5] riet, tendinomuskuläre Leitbahnen miteinzubeziehen.
Interessenkonflikt:
Die Autorin erklärt, dass keine Interessenkonflikte bestehen..