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DOI: 10.1055/a-1212-8607
Vertauschung von Hautbiopsien als voll beherrschbares Risiko
Mix-up of Skin Biopsies as a Fully Controllable Risk- Zusammenfassung
- Abstract
- Klinischer Fall
- Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
- Stellungnahme des behandelnden Hautarztes
- Urteil durch das Landgericht
- Medizinische und rechtliche Interpretation
- Literatur
Zusammenfassung
Ein Hautarzt führte bei einem Patienten wegen suspekter Hautveränderungen an der rechten Schulter und im Bereich des Nackens Biopsien durch. Der Pathologie-Befund ergab für die Hautveränderung an der rechten Schulter ein fortgeschrittenes und ulzeriertes invasives superfiziell spreitendes malignes Melanom (SSM) und für die im Bereich des Nackens vorgefundene Hautveränderung ein fortgeschrittenes solid-adenoides Basalzellkarzinom. Der Patient unterzog sich daraufhin einem unter Vollnarkose durchgeführten operativen Eingriff zur Entfernung der Hautveränderung an der Schulter (Nachexzision mit Sicherheitsabstand von 2 cm und Sentinel-Lymphonodektomie axillär). Da der Patient bereits zu diesem Zeitpunkt eine Vertauschung der zuvor entnommenen Gewebeproben vermutete, erfolgte im Rahmen dieses Eingriffs auf seinen ausdrücklichen Wunsch zugleich eine Re-Biopsie der Hautveränderung im Bereich des Nackens. Während die Exzision im Bereich der Schulter einen tumorfreien Befund ergab, bestätigte die Re-Biopsie am Nacken den Nachweis von Tumorzellverbänden im Sinne eines malignen Melanoms und damit den Verdacht auf Verwechslung der Präparate. Das zuständige Landgericht gab seiner Klage auf Schmerzensgeld statt und hielt fest, dass die verwechslungssichere Aufbewahrung, Etikettierung und Versendung von Patienten entnommenen Gewebeproben ein sog. vollbeherrschbares Risiko ist. Für voll beherrschbare Risiken gilt eine Beweislastumkehr, d. h. der Arzt muss beweisen, dass kein Behandlungsfehler vorlag. Zur Vermeidung von Vertauschungen dermatopathologischer Proben sollten alle Prozessschritte der Biopsieentnahme, des Versandes und der Verarbeitung analysiert und in einem Qualitätsmanagement-Dokument festgehalten werden.
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Abstract
A dermatologist performed biopsies on a patient because of suspicious skin changes on the right shoulder and in the neck area. The pathology report revealed an advanced and ulcerated invasive superficial spreading malignant melanoma (SSM) for the right shoulder and an advanced solid adenoidal basal cell carcinoma for the neck area. The patient then underwent surgery under general anesthesia on the shoulder (re-excision with a safety margin of 2 cm and axillary sentinel lymphonodectomy). Since the patient suspected at this point that the tissue samples taken previously had been mixed up, a re-biopsy in the neck area was performed at his express request. While the excision in the shoulder area was tumor-free, the re-biopsy in the neck confirmed the detection of malignant melanoma tumor cells and thus his suspicion of mix-up of the biopsy specimen. The regional court upheld his claim for damages for pain and suffering and held that the confusion-proof storage, labelling and dispatch of tissue samples taken from patients is a so-called fully controllable risk. A reversal of the burden of proof applies to fully controllable risks, i. e. a physician must prove that there was no treatment error. In order to avoid mix-ups of dermatopathological specimen, all process steps of biopsy taking, dispatch and processing should be analysed and recorded in a quality management document.
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Klinischer Fall
Aus der Urteilsbegründung des Landgerichtes Göttingen [1] ergab sich folgender Krankheits- und Behandlungs- sowie Verfahrensverlauf:
Der Patient und Kläger begab sich wegen Hautveränderungen an der rechten Schulter und im Bereich des Nackens in die Behandlung des beklagten Hautarztes. Der Hautarzt führte bez. beider suspekter Hautveränderungen jeweils eine Biopsie durch und übersandte die entnommenen Gewebeproben zur Befundung an einen Pathologen. Dieser befundete die Hautveränderung an der rechten Schulter als ein fortgeschrittenes und ulzeriertes invasives superfiziell spreitendes malignes Melanom (SSM) und die im Bereich des Nackens vorgefundene Hautveränderung als ein fortgeschrittenes solid-adenoides Basaliom (Basalzellkarzinom).
Der Patient unterzog sich daraufhin in einer Universitätsklinik einem unter Vollnarkose durchgeführten operativen Eingriff zur Entfernung der Hautveränderung an der Schulter. Dabei wurden das suspekte Hautareal mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm entfernt und zugleich eine Sentinel-Lymphonodektomie axillär rechts durchgeführt. Da der Patient bereits zu diesem Zeitpunkt eine Vertauschung der zuvor entnommenen Gewebeproben vermutete, erfolgte im Rahmen dieses Eingriffs auf seinen ausdrücklichen Wunsch zugleich eine Re-Biopsie betreffend die Hautveränderung im Bereich des Nackens.
Eine Befundung der im Rahmen der Resektion und der Re-Biopsie entnommenen Gewebeproben bestätigte den Verdacht des Patienten, dass die vom behandelnden Hautarzt gewonnenen Exzidate vertauscht worden waren und damit die Zuordnung der Befunde unrichtig war. So zeigte die histologische Untersuchung des im Bereich der Schulter entnommenen Exzidats, dass die Exzisionsränder und der basale Absetzungsrand tumorfrei waren und sich auch immunhistochemisch keine detektierbaren Tumorzellen fanden. Auch die weitere Untersuchung des entnommenen Sentinel-Lymphknotens ergab keine detektierbaren Melanomzellen im Lymphknotengewebe. Hingegen erbrachte die Untersuchung des im Rahmen der Re-Biopsie entnommenen Gewebes den Nachweis von Tumorzellverbänden im Sinne eines malignen Melanoms. Der Kläger unterzog sich deshalb einem weiteren, ebenfalls im Universitätsklinikum durchgeführten operativen Eingriff, in dessen Rahmen nunmehr auch die im Bereich des Nackens lokalisierte Hautveränderung mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm entfernt wurde. Zugleich wurde eine Sentinel-Lymphknoten-Exstirpation zervikal durchgeführt.
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Beanstandung der ärztlichen Maßnahmen
Der Patient und Kläger machte vor dem Landgericht Schadensersatz sowie ein Schmerzensgeld mit der Begründung geltend, aufgrund der Operation an der Schulter leide er unter Belastungen, die über diejenigen hinausgingen, die bei jedem operativen Eingriff normal seien. Er hatte längere Zeit große Schmerzen und konnte die Schulter nicht schmerzfrei bewegen, sodass der rechte Arm mehrere Wochen lang nahezu nutzlos war. Die Beweglichkeit sei – sowohl im Alltag als auch bei sportlicher Betätigung – eingeschränkt; insbesondere habe der Kläger seine Mitwirkung bei der Trainerausbildung im Leichtathletikverband einschränken müssen.
Der Patient und Kläger behauptete in diesem Zusammenhang, die im Rahmen der Untersuchung durch den behandelnden Hautarzt entnommenen Gewebeproben seien in dessen Praxis vertauscht worden. Der Hautarzt habe bei der Entnahme der Exzidate nicht die erforderliche Sorgfalt beachtet. Diese seien in gänzlich ungekennzeichnete Behälter („Röhrchen“) abgelegt worden, eine Beschriftung/Markierung sei dann wohl erst später vorgenommen worden. Ein solches Vorgehen unterschreite den einzuhaltenden Sorgfaltsstandard, da ein solches Vorgehen das Risiko einer Vertauschung der Proben bzw. Verwechslung der jeweiligen Entnahmestelle nicht mit höchstmöglicher Sicherheit ausschließe, sondern dieses Risiko vielmehr beträchtlich erhöhe. Der Patient behauptete weiter, dass bei Hinwegdenken der Vertauschung der Proben ein Eingriff an der Schulter überhaupt nicht, jedenfalls aber kein zweiter operativer Eingriff erforderlich geworden wäre. In jedem Fall wäre aber, so die weitere Behauptung des Klägers, ein geringerer Sicherheitsabstand ausreichend gewesen.
Sollte die Vertauschung nicht durch den Hautarzt verursacht worden sein, sei sie jedenfalls im Labor des Pathologen erfolgt, sodass ihm in diesem Fall ein Anspruch gegen diesen zustehe.
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Stellungnahme des behandelnden Hautarztes
Der Hautarzt bestritt, dass es in seiner Praxis zu einer Vertauschung der Gewebeproben gekommen sei. In Entsprechung eines aufwendigen und langjährig bewährten Qualitätsmanagements, das u. a. die Abläufe bei der Entnahme von Gewebeproben regele, seien die Röhrchen, in die die Proben gegeben werden, durchnummeriert (beginnend bei 1). Im Anschluss an die Probenentnahme fülle der Hautarzt selbst den Histologiebegleitzettel aus. Jedem nummerierten Röhrchen werde die Lokalisation des Gewebes durch Bezeichnung zugeordnet. Dieses Prozedere werde von ihm, dem Beklagten, und von sämtlichen Mitarbeiterinnen eingehalten. In Bezug auf die streitbefangene Behandlung behauptete der Hautarzt, der Kläger habe die Vorgänge nicht sehen können, da er sich in Bauchlage befunden, keine Brille getragen und überdies in die andere Richtung geblickt habe.
Der Fehler liege vielmehr im Bereich des Universitätsklinikums. Der Patient habe dort schon vor der ersten Operation den Verdacht geäußert, die Befunde könnten falsch zugeordnet worden sein. Die Behandler im Universitätsklinikum hätten daher vor Durchführung der Operation neue Befunde abwarten müssen und eine Nachexzision nicht vornehmen dürfen. Die Operation trotz unklarer Tatsachengrundlage durchgeführt zu haben, sei seitens der Behandler im Universitätsklinikum fehlerhaft gewesen und habe – so die Auffassung des Hautarztes – jedenfalls zu einer Zäsur im Kausalverlauf geführt.
All dies habe sich jedoch ohnehin nicht ausgewirkt, da beide Diagnosen – Basaliom bzw. Melanom – bei leitliniengerechtem Vorgehen jeweils eine mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm vorzunehmende Nachexzision erforderlich gemacht hätten, sodass es auch bei Hinwegdenken einer Vertauschung der Gewebeproben derselben Behandlung bedurft hätte.
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Urteil durch das Landgericht
Das Landgericht entschied, die Klage sei zulässig und teilweise begründet. Es folgte dabei in Teilen dem Gutachten einer dermatologischen Sachverständigen.
Das Gericht stellte fest, dass eine Gewebeprobenentnahme in der Praxis des Hautarztes – und so auch im vorliegenden Fall – derart erfolgt, dass im Vorfeld des Eingriffs zunächst eine Arzthelferin eine den planmäßig zu entnehmenden Gewebeproben entsprechende Anzahl von Aufbewahrungsröhrchen auf dem Operationstisch bereitstellt. Diese sind zuvor von ihr in der Weise vorbereitet worden, dass sie den bereits herstellerseits auf jedes der äußerlich gleichartigen, etwa 5 – 10 cm langen Röhrchen aufgebrachten Aufkleber mit dem Namen des Patienten und – fortlaufend – mit jeweils einer Ziffer beschriftet. Ebenfalls im Vorfeld des Eingriffs füllt die Arzthelferin ein – später mitsamt den Gewebeproben an den Pathologen zu übersendendes – Formular wie folgt aus: Neben dem Namen des Patienten werden dessen Adressdaten auf das Formular gedruckt. Anschließend vermerkt die Arzthelferin, der zu diesem Zeitpunkt die Anzahl und die Lokalisation, nicht aber die Reihenfolge der zu entnehmenden Gewebeproben bereits bekannt ist, handschriftlich auf dem Formular eine fortlaufende Ziffernfolge, wiederum entsprechend der Anzahl der zu entnehmenden Gewebeproben. Hinter jede dieser Ziffern notiert sie sodann – noch vor Beginn des Eingriffs – jeweils eine spezifische Lokalisation für jeweils eine Gewebeprobe. Die Reihenfolge, in der die zu entnehmenden Gewebeproben auf dem Formular den fortlaufenden Ziffern zugeordnet werden, bestimmt sich dabei nicht nach stets gleichen Kriterien, sondern ist entweder der Arzthelferin zuvor vom Hautarzt ausdrücklich vorgegeben worden oder sie entspricht dem ggf. geäußerten Patientenwunsch oder aber sie wird – mangels anderer Angaben – von der Arzthelferin selbst festgelegt, wobei die Entnahmereihenfolge in diesem letztgenannten Fall regelmäßig dem Schema „von oben nach unten“ und „in Schreibrichtung, also von links nach rechts“ folgt. Das derart vorbereitete Entnahmeformular legt die Arzthelferin sodann auf dem in Sichtweite neben dem Operationstisch stehenden Arbeitsplatz bzw. Schreibtisch ab.
Nach Abschluss dieser vorbereitenden Maßnahmen beginnt sodann der Hautarzt in Anwesenheit der Arzthelferin mit dem operativen Eingriff zur Gewebeentnahme. Die Operationsanordnung gestaltet sich dabei wie folgt: Der Beklagte steht hinter der Operationsliege, auf der der Patient sitzt. Im Rücken des Beklagten steht die assistierende Arzthelferin, unmittelbar neben dem hinter dem Beklagten befindlichen Operationstisch. Die Gewebeprobenentnahme selbst gestaltet sich schließlich wie folgt: Der Beklagte entnimmt die erste Probe und dreht sich zu der Arzthelferin um, die ihm eines der vorbereiteten, geöffneten Aufbewahrungsröhrchen anreicht, wobei sie dieses mit 2 oder mehr Fingern greift und ihm entgegenhält. Der Beklagte verbringt sodann die Gewebeprobe in das ihm entgegengehaltene Röhrchen, woraufhin die Arzthelferin es entweder sofort verschließt oder – weil ihre Assistenz am Patienten benötigt wird – es zunächst geöffnet auf dem Operationstisch ablegt und kurze Zeit später verschließt. Anschließend dreht sich der Beklagte zurück zum Patienten, entnimmt eine weitere Gewebeprobe, dreht sich wiederum nach hinten zur Arzthelferin um, die ihm erneut ein weiteres Aufbewahrungsröhrchen anreicht, in das der Beklagte die Probe füllt. Hierbei sagt der Hautarzt die Nummer der jeweiligen Probe an (z. B.: „Dies ist Probe 1.“). Beim Befüllen der Aufbewahrungsröhrchen mit der jeweiligen Probe ist es dem Hautarzt nicht möglich, die auf dem Röhrchen vermerkte Ziffer zu sehen bzw. zu erkennen.
Anschließend werden die Wunden des Patienten versorgt. Die anwesende Arzthelferin ergreift sodann die befüllten und verschlossenen Aufbewahrungsröhrchen und verbringt sie nebst dem Entnahmeformular in einen über einen kurzen Flur zu erreichenden wenige Meter entfernten Laborraum. Der Hautarzt hat entweder bereits zuvor, also noch im Operationsraum, hinter jede der auf dem Formular notierten Ziffern und die dazu vermerkte Lokalisation seine jeweilige Verdachtsdiagnose vermerkt oder ihm wird – sofern das nicht bereits im Operationsraum geschehen ist – das Formular von der Arzthelferin anschließend nochmals zur Vornahme dieser Eintragung vorgelegt, bevor es sodann in den Laborraum verbracht wird. Im Laborraum fertigt die Arzthelferin einen Überweisungsschein an den Pathologen und macht die Proben nebst beiden Formularen (Überweisungsschein und Entnahmeformular) anschließend versandfertig. Hierzu verpackt sie alles (Röhrchen und Formulare) – gemeinsam mit den Proben und Formularen weiterer Patienten (ca. 20 Proben pro Arbeitstag) – ohne Verwendung weiterer Einzelverpackungen in eine große Versandtasche.
Das Gericht gelangte zu der Auffassung, dass das vom Hautarzt angewandte Praxismanagement nicht geeignet war, Gewebeprobenverwechslungen sicher auszuschließen, dies, obgleich insoweit ein voll beherrschbares Risiko betroffen und eine sichere Vermeidung des Vertauschungsrisikos tatsächlich möglich war.
Zwar habe die gerichtliche Sachverständige unter Heranziehung sämtlicher verfügbarer Fachveröffentlichungen und thematisch einschlägiger medizinischer Regelwerke festgestellt, dass es keine schriftlich statuierten, konkrete Verfahrensabläufe für den Umgang mit entnommenen Gewebeproben vorgebende Standards gebe, an denen sich das konkrete Vorgehen des Hautarztes messen lasse. Allerdings statuiere die bereits im Frühjahr 2008 veröffentlichte Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen die Forderung nach einer unverwechselbaren Kennzeichnung des Untersuchungsmaterials.
Diese medizinische Vorgabe findet nach Urteil des Gerichtes unter juristischen Gesichtspunkten ihre Entsprechung darin, dass die verwechslungssichere Aufbewahrung, Etikettierung und Versendung von dem Patienten entnommenen Gewebeproben ein sog. vollbeherrschbares Risiko ist. Der Hautarzt sei zu gehöriger Organisation und Koordinierung des Behandlungsablaufs verpflichtet; hiernach obliegt ihm die Gewährleistung genereller Sicherheitsstandards der Behandlung gegen bekannte Risiken. Zur Gefahr- und Schutzvorsorge des Patienten wird eine volle Vermeidung bekannter Risiken verlangt, weil deren Vermeidung durch sachgerechte Maßnahmen der Organisation und Koordinierung des Behandlungsträgers in Gänze möglich und damit das Risiko voll beherrschbar ist. Steht fest, dass der Primärschaden des Patienten im Gefahrbereich dieses sog. voll beherrschbaren Risikos gesetzt worden ist, so resultiert hieraus für den Patienten eine dahingehende Beweiserleichterung, dass sowohl die objektive Fehlverrichtung als auch das Verschulden des Behandlers vermutet werden.
Das Gericht konstatierte beim Verfahrensablauf der Hautarztpraxis 2 vermeidbare kritische Momente, in denen eine Vertauschung der Proben möglich und eine unverwechselbare Kennzeichnung für die weitere Untersuchung gerade nicht sichergestellt war.
So waren durch den Hautarzt keine Vorkehrungen dagegen getroffen worden, dass die Arzthelferin, die im Fall mehrerer zeitgleich zu entnehmender Proben mit der Notierung einer Entnahmereihenfolge betraut war, auf dem Begleitformular – wenngleich nur im Einzelfall – eine von dem vom Hautarzt nach eigenem Bekunden stets angewandten Entnahmeschema abweichende Reihenfolge notiert, etwa weil dies dem ausdrücklichen Patientenwunsch entsprach. Im Vorfeld des Eingriffs gab es keine Kontrolle der auf dem Begleitzettel notierten, fortlaufend nummerierten Lokalisationen durch den Hautarzt; so war nicht sichergestellt, dass die auf dem Begleitzettel notierte Reihenfolge der Probenentnahme mit der durch den Hautarzt sodann tatsächlich gewählten übereinstimmt. Die Arzthelferin konnte auch nicht sicher wahrnehmen, von welcher Lokalisation die Probeentnahme gerade erfolgte.
Darüber hinaus bestand ein weiteres erhöhtes Verwechslungsrisiko bei der Aufbewahrung der Proben darin, dass der Hautarzt die auf dem ihm jeweils von der Arzthelferin angereichten Röhrchen vermerkte Nummer nicht selbst kontrollierte, bevor er die Probe einbrachte. Damit bestand das Risiko, dass die Arzthelferin dem Hautarzt versehentlich ein Röhrchen mit der falschen Nummer anreichte, ohne dass der Hautarzt dies bemerkte.
Das Gericht wies darauf hin, dass sich beide genannten Risikoquellen leicht vermeiden ließen, wie auch die Sachverständige betreffend ihre eigene klinische Praxis im Umgang mit mehreren, einem Patienten zeitgleich entnommenen Gewebeproben ausgeführt habe. So beschränke sie sich im Rahmen eines Eingriffs nicht darauf, die entnommene Probe ihrer „Nummer“ nach zu bezeichnen, sondern benenne sie der Assistenz gegenüber mitsamt der Entnahmelokalisation („Jetzt kommt das „linke Ohr“.“). Schließlich überprüfe sie im Sinne eines „Double-Check“ vor der Einbringung der Probe in das Röhrchen auch nochmals, ob die Assistenz das richtige Röhrchen anreicht, indem sie selbst die auf das ihr angereichte Röhrchen geschriebene Nummer kontrolliere. Mit diesen zusätzlichen Kontrollmechanismen und dem durchgängig gepflegten „Vier-Augen-Prinzip“ sei nach Auffassung des Gerichtes anders als in der Hautarztpraxis sichergestellt, dass sämtliche mit dem Probenhandling betrauten Personen einerseits von derselben Entnahmereihenfolge ausgehen und dass andererseits innerhalb der feststehenden Reihenfolge jede Probe tatsächlich in das richtige, ihr numerisch zugeordnete Röhrchen gelangt, weil es bei allen wesentlichen Schritten eine wechselseitige Kontrolle von Arzt und Arzthelferin gibt, um so möglichst – bei aller Sorgfalt gerade bei Routinetätigkeiten nie auszuschließende – Fehler des einen oder anderen Teils des medizinischen Personals zu entdecken und zu korrigieren.
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Medizinische und rechtliche Interpretation
Die Vertauschung einer Gewebeprobe ist ein klassischer Fehler in der Pathologie [2] und auch der Dermatopathologie [3] [4] [5], der in der dermatologischen Literatur erstaunlich selten diskutiert wird. Die Häufigkeit dieser Verwechslungen kann nur geschätzt werden. Eine Studie aus einem großen amerikanischen Pathologie-Labor ergab Fehlbeschriftungen von Proben in 0,25 %; davon betrafen 73 % einen falschen Patientennamen und 24 % eine falsche Lokalisation [6]. Erfolgen kann eine Verwechslung entweder bereits bei Entnahme einer Biopsie oder Durchführung einer Exzision durch den Kliniker oder sekundär im pathologischen bzw. dermatopathologischen Labor. Die Folgen für Patienten können gravierend sein; so wurden von einem Internisten die im Rahmen von Gastroskopien bei verschiedenen Patienten entnommenen Gewebeproben vertauscht, weshalb dem falschen Patienten wegen Karzinomverdachts der Magen entfernt wurde [7], oder es kam zu nicht erforderlichen Mammektomien [8] [9].
Beim Vorgang einer Biopsie ([Abb. 1], [Abb. 2]) lassen sich zahlreiche Prozessschritte unterscheiden ([Abb. 3]); es wurde geschätzt, dass es von der Biopsieentscheidung bis zum Vorliegen des Befundes ca. 20 Schnittstellen mit Fehlermöglichkeiten gibt [4]. Selbst wenn bei jedem Prozessschritt nur eine Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 % bestünde, ergibt sich daraus eine Gesamtwahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Fehlers von 64 % [4]. Von (dermato-)pathologischer Seite wird zu Recht darauf hingewiesen, dass ein kritischer Vorgang bei der Entnahme von Gewebeproben, besonders bei Biopsien, das Einbringen der Probe in das Gefäß ist [2]. Empfohlen wird daher sowohl von Seiten der (Dermato-)Pathologen als auch im vorliegenden Fall vom Gericht ein „Vier-Augen-Prinzip“ [2]. Weyers hat detaillierte Empfehlungen zur Vermeidung von Präparateverwechslungen im dermatologischen OP gegeben ([Tab. 1]) [3]. Weitergehend wären prinzipiell mögliche technologische Maßnahmen wie Videoaufzeichnungen im OP, die inzwischen zur Fehlerprävention von chirurgischer Seite diskutiert werden [10].






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In der (Dermato-)Pathologie selbst besteht die größte Gefahr der fehlerhaften Zuordnung beim Auspacken der Einsendungen und der Zuordnung der Begleitscheine [2]. Es sollten beim Auspacken Zeugen zugegen sein, die Unregelmäßigkeiten durch Gegenzeichnung bestätigen [2]. Verwechslungen von Präparaten unterschiedlicher Patienten können heute mit humangenetischen Methoden, wie sie auch in der Rechtsmedizin eingesetzt werden, insbesondere der Short Tandem Repeat Analysis [11], detektiert werden; dieses Verfahren ist allerdings nicht möglich bei Proben desselben Patienten von unterschiedlichen Lokalisationen, wie im vorliegend berichteten Fall. Offensichtliche Verwechslungen können bei der Untersuchung dermatopathologischer Präparate und der Korrelation mit der Frage des Einsenders auffallen, etwa, wenn eine Biopsie von einem Säugling eingesandt wird, aber das Präparat eine aktinische Keratose auf lichtgeschädigter Haut zeigt [3]. Weyers weist daher zu Recht darauf hin, dass die beste Prävention einer Präparateverwechslung in einer Standardisierung genau durchdachter Abläufe besteht: „Der beste Weg, Verwechslungen von Proben zu verhindern und aufzudecken, scheint eine gute Organisation aller mit einer Biopsie verbundenen Schritte zu sein, vom chirurgischen Eingriff selbst über die Etikettierung der Probenflaschen und Anforderungsformulare im Operationssaal, die Entnahme der Proben im Labor, die Prozessierung der Proben, die Beurteilung der histopathologischen Befunde am Mikroskop, zum Schreiben der Diktate, der Übermittlung der Berichte und schließlich der Zuordnung der Berichte zu den jeweiligen Patienten in der Arztpraxis oder Klinik“ [3]. Weyers betont, dass Basis für ein sicheres Arbeiten in der Dermatopathologie Ordnung am Arbeitsplatz ist; er warnt vor dem bei einigen Dermatopathologen anzutreffenden „kreativen Chaos“. Interessanterweise trifft sich dieser Ansatz mit dem Konzept des „Clean Cockpit“, also einer aufgeräumten Cockpit-Umgebung, für die Erhöhung der Flugsicherheit. Technologie wie die Verwendung von Computern und Barcode-Scannern kann diese Ordnung unterstützen; sie sollte allerdings nicht unkritisch eingesetzt und immer wieder überprüft werden.
Entscheidend zur Fehlerprävention und Fehlerkorrektur wird sein, dass alle beteiligten Ärzte und ihre Mitarbeiter bei aller Routine des Biopsiegeschehens jeden Schritt kritisch und aufmerksam begleiten. So sollte auch vom Kliniker ein mit einem klinischen Befund unvereinbarer Dermatopathologie-Bericht in direkter Kommunikation mit dem Dermatopathologen kritisch hinterfragt werden.
Unter rechtlichen Gesichtspunkten wichtig ist, dass eine Biopsievertauschung als „voll beherrschbares Risiko“ einer Behandlung eingestuft wird. Dieser Rechtsbegriff wurde durch die Rechtsprechung entwickelt und durch das Patientenrechtegesetz in § 630 h Abs. 1 BGB kodifiziert. Danach wird ein Fehler des Behandelnden „vermutet, wenn sich ein allgemeines Behandlungsrisiko verwirklicht hat, das für den Behandelnden voll beherrschbar war und das zur Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit des Patienten geführt hat“. Für einen solchen Fehler gilt demnach eine Beweislastumkehr, d. h. der Arzt muss beweisen, dass ein solcher Fehler nicht vorlag (widerlegliche Vermutung). Der Patient hat weiterhin die Beweispflicht, dass ein Gesundheitsschaden vorlag, und dass dieser Schaden durch ein Ereignis aus dem Bereich der voll beherrschbaren Risiken verursacht wurde. Ein bekanntes Beispiel für ein voll beherrschbares Risiko ist das Zurücklassen von Gegenständen im Operationsgebiet. Die Gesetzesbegründung zum Patientenrechtegesetz nennt als weitere Fallgruppen den Einsatz medizinisch-technischer Geräte und das von dem Behandelnden zu koordinierende und zu organisierende Behandlungsgeschehen, wie die hygienischen Standards und die Verrichtungssicherheit des Pflegepersonals in Krankenhäusern [12], wozu eben auch die Biopsieorganisation wie im vorliegenden Fall zählt. „Grund für diese Regelung ist die besondere Schutzbedürftigkeit des Patienten, dem die Vorgänge aus dem Organisations- und Gefahrenbereich des Behandelnden regelmäßig verborgen bleiben. Daher muss sich der Patient darauf verlassen dürfen, der Behandelnde werde alles Erforderliche unternehmen, um den Patienten vor den mit der Behandlung verbundenen typischen Gefahren zu schützen“ [12].
Die verwechslungssichere Aufbewahrung, Etikettierung und Versendung von Patienten entnommenen Gewebeproben ist ein sog. vollbeherrschbares Risiko. Für voll beherrschbare Risiken gilt eine Beweislastumkehr, d. h. der Arzt muss beweisen, dass kein Behandlungsfehler vorlag. Zur Vermeidung von Vertauschungen dermatopathologischer Proben sollten alle Prozessschritte der Biopsieentnahme, des Versandes und der Verarbeitung analysiert und in einem Qualitätsmanagement-Dokument festgehalten werden.
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Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Urteil vom 13. Juni 2017 – 12 O 16/14 –, juris. LG Göttingen.
- 2 Banaschak S, Witting C, Brinkmann B. Präparateverwechslungen: Ursachen, Auswirkung, Prävention. Pathologe 1999; 20: 155-158
- 3 Weyers W. Confusion-specimen mix-up in dermatopathology and measures to prevent and detect it. Dermatol Pract Concept 2014; 4: 27-42
- 4 Stratman EJ, Elston DM, Miller SJ. Skin biopsy: Identifying and overcoming errors in the skin biopsy pathway. J Am Acad Dermatol 2016; 74: 19-25; quiz 25-26
- 5 Uhlenhake E, Feldman SR. Dermatological patient safety: problems and solutions. J Dermatolog Treat 2010; 21: 86-92
- 6 Layfield LJ, Anderson GM. Specimen labeling errors in surgical pathology: an 18-month experience. Am J Clin Pathol 2010; 134: 466-470
- 7 Urteil vom 23. Mai 1996 – 8 U 98/94 –, juris. OLG Düsseldorf.
- 8 Urteil vom 12. September 2012 – 1 O 247/11 –, juris. LG Essen.
- 9 Schäfer KJ, Baltzer J, Pfeifer U. Die vertauschte Gewebeprobe. Rheinisches Ärzteblatt 2010; 22-24
- 10 Shah NA, Jue J, Mackey TK. Surgical Data Recording Technology: A Solution to Address Medical Errors?. Ann Surg 2020; 271: 431-433
- 11 Pellerin C, McKercher G, Aprikian AG. et al. A Simple Variable Number of Tandem Repeat-Based Genotyping Strategy for the Detection of Handling Errors and Validation of Sample Identity in Biobanks. Biopreserv Biobank 2016; 14: 383-389
- 12 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Bundesregierung. Im Internet: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710488.pdf
Korrespondenzadresse
Publication History
Article published online:
04 September 2020
© 2020. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Urteil vom 13. Juni 2017 – 12 O 16/14 –, juris. LG Göttingen.
- 2 Banaschak S, Witting C, Brinkmann B. Präparateverwechslungen: Ursachen, Auswirkung, Prävention. Pathologe 1999; 20: 155-158
- 3 Weyers W. Confusion-specimen mix-up in dermatopathology and measures to prevent and detect it. Dermatol Pract Concept 2014; 4: 27-42
- 4 Stratman EJ, Elston DM, Miller SJ. Skin biopsy: Identifying and overcoming errors in the skin biopsy pathway. J Am Acad Dermatol 2016; 74: 19-25; quiz 25-26
- 5 Uhlenhake E, Feldman SR. Dermatological patient safety: problems and solutions. J Dermatolog Treat 2010; 21: 86-92
- 6 Layfield LJ, Anderson GM. Specimen labeling errors in surgical pathology: an 18-month experience. Am J Clin Pathol 2010; 134: 466-470
- 7 Urteil vom 23. Mai 1996 – 8 U 98/94 –, juris. OLG Düsseldorf.
- 8 Urteil vom 12. September 2012 – 1 O 247/11 –, juris. LG Essen.
- 9 Schäfer KJ, Baltzer J, Pfeifer U. Die vertauschte Gewebeprobe. Rheinisches Ärzteblatt 2010; 22-24
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- 12 Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Bundesregierung. Im Internet: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/104/1710488.pdf





