Der Klinikarzt 2020; 49(07/08): 283-284
DOI: 10.1055/a-1204-6118
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Von Panten un Blomen: Leichte Kost in Corona-Zeiten

Winfried Hardinghaus
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Publication Date:
28 August 2020 (online)

Vielleicht haben auch Sie den Corona-Lockdown mit mehr Spaziergängen als früher verbracht. Die ausgleichende Wirkung des Grüns ist immer wieder eine angenehme Erfahrung.

Was sagt eigentlich die Wissenschaft darüber? Teilweise Ernüchterndes. Ob beispielsweise die Genesung im Krankenhaus wirklich schneller verläuft, wenn das Fenster zum Waldgelände geöffnet ist und nicht wie auf der anderen Seite gegen eine Betonwand, kann man glauben oder nicht.

Dennoch gibt es Bemerkenswertes, wobei mir der Kollege Andreas Michalsen, Stiftungsprofessur für klinische Naturheilkunde an der Charité in Berlin, für eine aktuelle Ausgabe der in der Thieme Gruppe erscheinenden Zeitschrift für Komplementärmedizin [1] etwas Recherchearbeit abgenommen hat. Michalsen fasst hier die aus seiner Sicht seriöse Studienlage in Bezug auf Effekte des Waldes zusammen. So sieht es nach einer belastbaren Evidenz aus bei Stress, Depression, und Hypertonie. Daneben können Immunfunktionen und kognitive Qualitäten verbessert werden. Belegen lässt sich eine verbesserte Blutzuckerregulation und schließlich die Linderung von Wirbelsäulenschmerzen. Als Wirkmechanismen der Waldmedizin werden ätherische Öle, Terpene, visuelle Effekte, Geräusche, eigene Bewegung, Temperaturausgleich und natürlich die bessere Luftqualität herangezogen. Wie schön, wenn doch nur alles von längerer Dauer sein könnte!

Die Forschung an der „aktiven Naturtherapie im Grünen“, neudeutsch auch als „Waldbaden“ tituliert, ist nicht wirklich neu und wurde schon vor 30 Jahren in Japan unter dem gleichbedeutenden Begriff „Shimrin yoku“ als Wissenschaftszweig etabliert. Dort legte man dar, dass nach einem Waldspaziergang natürliche Killerzellen bis zu 50 % ebenso wie auch das DHEA im Blut ansteigen, immerhin über mehrere Tage.

Eine von Michalsen zitierte Kohortenstudie mit 50 000 Australiern [2] ist überdies der Frage nachgegangen, ob die Art des Grüns oder die Art der Bäume einen therapeutischen oder präventiven Unterschied ergeben. Es zeigte sich, dass zwar auch Rasenflächen, Büsche oder Hecken eine stressmindernde Auswirkung haben – wenn sie wenigstens ein Drittel der Umgebung ausmachten – dieses Resultat aber noch viel deutlicher bei hohen Bäumen mit großen Baumkronen ausfällt. Als Grund wird deren Feinstaub-Filterfunktion und der dadurch gegenüber der Stadtluft mit viel weniger Staubteilchen belasteten Luftqualität vermutet.

Wer es in dieser Glosse noch lyrischer verträgt: Für den Bestsellerautor Peter Wohlleben [3] sind Bäume Lebewesen, die gar mit einem eigenen Sozialleben, Gedächtnis und Gefühlen versehen sind. Bäume verzweigen sich sozial über ihr Wurzelwerk und informieren sich gegenseitig über Düfte der Terpene, so heißt es auflagenträchtig.

Den Waldbademeister gibt es zwar noch nicht, tatsächlich jedoch bereits den Berufszweig des Walbadentrainers, sogleich organisiert im eigenständigen Berufsverband. Das muss bei uns wohl so sein.

Die Europäische Union (EU) indes will laut aktuellem Beschluss vom 20.5.2020 Nägel mit Köpfen gegen das Waldsterben in Europa machen. Bis zum Jahr 2030 soll dazu im Rahmen ihres „Green Deals“ in Milliarden neuer Bäume in bewaldeten Schutzgebieten investiert werden.

So weit so gut. Vom Makrokosmos zum beschränkten Kosmos eines Krankenzimmers: Müssten Pflanzen und Blumen im Krankenzimmer nicht ebenso gesund sein? Unterm Strich ein klares Jein! Blumen, mit persönlicher Zuwendung überreicht, mit frischen oder mit beruhigenden Farben, tragen unzweifelhaft zum psychischen Wohlbefinden bei. In Corona-Zeiten macht sich bemerkbar: Weniger Besuch, weniger Blumen. Und umgekehrt.

Pflanzen in Töpfen werden im Krankenzimmer wegen möglicher Keime oder Ungeziefer in der Erde nicht gerne gesehen. Auch können Allergien störend sein. In altem Blumenwasser tummeln sich gerne mal Mikroorganismen. Ob davon tatsächlich eine Gefahr ausgeht, ist allerdings nicht nachgewiesen.

Viele von uns erinnern sich, wie Abend für Abend die Blumen aus den Krankenzimmern herausgenommen und auf den Flur gestellt wurden.

Die Pflanzen sollten den Sauerstoff nicht wegnehmen. Den verbrauchen sie nachts tatsächlich und wandeln ihn wie bekannt in Kohlendioxid um. An der Sache ist also etwas dran, aber minimal und bedeutungslos. Vanessa Hörmann vom Bundesumweltamt in Dessau stellt 2019 vor, wie ein Quadratmeter Blattfläche pro Stunde nur ungefähr 112–125 Milliliter Kohlendioxid ausstößt. Ein Mensch in Ruhe atmet in der Stunde allein schon mal 15–30 Liter Kohlendioxid ab. So müsste man eher den Zimmernachbarn (oder zuhause den Bettnachbarn) vor die Tür setzen. Müßig an dieser Stelle zu ergänzen, dass Pflanzen bei Tageslicht durch die Photosynthese Sauerstoff an die Umgebung abgeben.

Mein Schwiegervater schwor auf Sanseverien als gesundheitsspendende Zimmerpflanzen. Die Wohnstube war voll davon. Tatsächlich, kann man nachlesen, filtert diese Pflanze, auch als Schwiegermutterzunge bezeichnet, Giftstoffe wie Benzol, Xylol und Toluol aus der Raumluft und gibt sogar im Dunkeln Sauerstoff ab. Er wurde 102 Jahre alt.

Soviel zu Pflanzen und Blumen (in meiner nördlichen Heimat auch Panten un Blomen genannt). Zugegeben, es gibt Wichtigeres für Sie im klinischen Alltag. Dank Corona konnte ich Wald und Natur indes wieder mehr schätzen lernen. Zumindest habe ich mir mit der Betrachtung von Bäumen und Blumen eine schöne kurze Entspannung in dieser Zeit gegönnt … wohl auch mit einem Schluck neuen Wein aus alten Schläuchen.

 
  • Literatur

  • 1 Michalsen A. Natur als Therapie und Prävention. Zkm 2020; 2: 12-17
  • 2 Astell-Burt T, Feng X. Association of urban green space with mental health and general health among adults in Australia. JAMA Netw Open 2019; 2: e198209
  • 3 Wohlleben P. Das geheime Leben der Bäume. München: Heyne; 2019