One Health („eine Gesundheit“) ist eine von der Vereinigung amerikanischer Tierärzte
(American Veterinary Medical Association, AVMA) im Jahr 2008 ins Leben gerufene Initiative
[32], deren Ziel es ist, die Gesundheit der Menschen, der Tiere und des Planeten Erde
multidisziplinär und mit einem alle 3 Bereiche zugleich umfassenden Blick zu betrachten.
Das ist beispielsweise bei Krankheiten sehr sinnvoll, die zwischen Tieren und Menschen
übertragen werden – man nennt sie seit Mitte des vorletzten Jahrhunderts mit Rudolf
Virchow Zoonosen. Wenn man zusätzlich zu den Infektionswegen, der Biochemie und den
unterschiedlichen Lebensphasen vieler Krankheitserreger noch deren Lebensräume (irgendwo
auf der Welt) und unseren Lebensraum (überall auf der Erde) mit in Betracht zieht,
dann folgt der Grundgedanke von One Health fast schon mit zwingender Logik: Mensch,
Tierwelt und Lebensraum Erde hängen zusammen.
Daher ist dieser Grundgedanke auch nicht auf die USA beschränkt geblieben. Vielmehr
haben sich die Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation
der Vereinten Nationen (Food and Agriculture Organization, FAO) und die Weltorganisation
für Tiergesundheit (World Organisation for Animal Health, OIE) diesen Gedanken zu
eigen gemacht ([
Tab. 1
]). Auch die US-amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und
das Deutsche Robert-Koch-Institut (RKI) haben One Health jeweils zu einem ihrer Leitthemen
gemacht ([
Abb. 1
], [
Abb. 2
]). Die zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen
(IMBES) geht nicht zuletzt auf die Gründer von One Health und deren Idee zurück.
Tab. 1
Wichtige Organisationen und Einrichtungen für den One-Health-Gedanken, der auf den
Homepages der Institutionen prominent vertreten wird.
Wer
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Gründung
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Sitz
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Mitgliedsstaaten
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Besonderes
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WHO
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7.4.1948
|
Genf
|
194
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Weltgesundheitsorganisation, (WHO, World Health Organization), Organ der vereinten
Nationen (UN) für weltweite Gesundheit.
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FAO
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16.10.1945
|
Rom
|
194
|
Weltweite Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (Food and Agriculture Organization)
der UN, im deutschen Sprachraum als Welternährungsorganisation bezeichnet.
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OIE
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25.1.1924
|
Paris
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182
|
Der ursprüngliche Name war Office International des Epizooties (französisch), 2003
umbenannt in World Organization for Animal Health; das alte Akronym und der Sitz in
Paris wurden beibehalten.
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CDC
|
1.7.1946
|
Atlanta1
|
USA
|
Centers for Disease Control and Prevention, Gesundheitsbehörde der USA, ursprünglich
als Office of National Defense Malaria Control Activities gegründet, umbenannt am
27.10.1992.
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RKI
|
1.7.1891
|
Berlin
|
Deutschland
|
Das Robert-Koch-Institut wurde als Königlich Preußisches Institut für Infektionskrankheiten
gegründet und die ersten 13 Jahre von Robert Koch geleitet. Im Jahr 1912 erhielt es
(zum 30. Jahrestag der Entdeckung des Tuberkel-Bazillus) den Namenszusatz „Robert
Koch“, nach dem Ersten Weltkrieg verschwand „Königlich“ aus dem Namen und im Jahr
1942 als selbstständige „Reichsanstalt“ den heutigen Namen.
|
IPBES
|
21.4.2012
|
Bonn
|
136
|
Intergovernmental Science-Policy Platform on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES),
zu Deutsch: Zwischenstaatliche Plattform für Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen,
auch Weltbiodiversitätsrat oder Weltrat für Biologische Vielfalt genannt. Die Organisation
unter dem Dach der UN hat 136 Mitgliedsstaaten. Ihre Aufgabe ist die wissenschaftliche
Politikberatung in Sachen Nachhaltigkeit, biologische Vielfalt und „Ökosystemdienstleistungen“.
|
IUCN
|
5.10.1948
|
Gland
|
208
|
International Union for Conservation of Nature (IUCN), zu deutsch: Internationale
Union zur Bewahrung der Natur. Die IUCN ist eine zwischenstaatliche Organisation,
die sich sowohl aus staatlichen als auch zivilgesellschaftlichen Mitgliedsorganisationen
zusammensetzt. Sie macht sich die Erfahrung, die Ressourcen und die Reichweite ihrer
mehr als 1400 Mitgliedsorganisationen und den Input von mehr als 17000 Experten zunutze.
Diese Vielfalt und das große Fachwissen machen die IUCN zur weltweiten Autorität für
den Status der natürlichen Welt und die zu ihrem Schutz erforderlichen Maßnahmen.
|
Abb. 1 Faksimile (Screenshot) eines Ausschnitts der Webseite des CDC zum Thema One Health
(https://www.cdc.gov/onehealth/what-we-do/zoonotic-disease-prioritization/fact-sheet.html; abgerufen am 10.10.2020).
Abb. 2 Faksimile (Screenshot) eines Ausschnitts der Webseite des RKI zum Thema One Health
(https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/One-Health/One_Health-Konzept.html; abgerufen am 10.10.2020)
Aufgrund der Ausweitung des globalen Reiseverkehrs [9], [12], [39] und Handels [10], [20] wird die Gesundheit zu einem Problem, das sich ebenfalls nur global lösen lässt.
Daher sind Zusammenarbeit, Koordination, Kommunikation und konzertierte Aktionen zwischen
unterschiedlichen Ländern und Sektoren des Gesundheitswesens, der Veterinärmedizin
und der Ökologie unbedingt erforderlich – aber schwierig. Man spricht mittlerweile
von der „Schnittstelle Mensch-Tier-Umwelt“ [11], wie beispielhaft anhand dreier Problemkreise leicht zu zeigen ist:
Zoonosen
Die Mehrheit (etwa 70 %) der neu auftretenden Krankheiten (wie Influenza, HIV/AIDS,
Ebola, Zika, Nipah Enzephalitis und zuletzt Covid-19) sind Zoonosen, d. h. durch Tiere
übertragene Krankheiten, die deswegen auch keine politischen Grenzen und definitionsgemäß
auch keine biologischen Grenzen zwischen Mensch und Tier kennen. Sie wirken sich mitunter
nicht nur auf unsere Gesundheit aus, sondern auch auf die Gesundheit und das Wohlergehen
von Tieren und damit auch auf die Landwirtschaft und können zu einer Bedrohung der
Nahrungsmittelproduktion führen. So wundert es nicht, dass die erste wesentliche Aktion
der genannten, den One-Health-Gedanken vertretenden Organisation in der Erstellung
eines Leitfadens zur Bekämpfung von Zoonosen bestand [11].
Antibiotikaresistenz
Auch Bakterien kennen weder politische noch biologische Grenzen. In der Landwirtschaft
bei der Tiermast verwendete Antibiotika haben „Nebenwirkungen“ in Krankenhäusern,
denn die gleichen Bakterien, die innerhalb von Tieren eine Resistenz gegenüber Antibiotika
entwickeln können, verursachen auch Infektionskrankheiten beim Menschen, deren Behandlung
zunehmend schwierig wird, weil die verwendeten Medikamente (Antibiotika) nicht mehr
wirken.
Lebensraum und Artenvielfalt
Lebensraum und Artenvielfalt
Die Bedeutung des One-Health-Gedankens wurde nicht zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie
für viele überhaupt erst erkennbar [6]
[
1
]. Menschen sind nun einmal nicht die einzigen Lebewesen auf der Erde. Insbesondere
seit dem Übergang vom Jäger und Sammler zu Ackerbau und Viehzucht leben Mensch mit
vielen Arten – Haustieren, Nutztieren, aber auch Parasiten und Schädlingen – eng zusammen.
Dies hat in den vergangenen 10 000 Jahren zu vielen Epidemien geführt: Die Masern
und Tuberkulose verdanken wir den Kühen, den Keuchhusten den Schweinen und die Grippe
den Enten. Viele Menschen sind daran gestorben, aber die „Menschheit“ wurde immun
–zumindest teilweise, nämlich dort, wo man Haustiere hatte sowie Viehzucht und Milchwirtschaft
betrieb. Hunde, Pferde, Esel, Katzen, Rinder, Schweine, Schafe, Gänse, Hühner und
Enten – diese Haus- und Nutztiere trugen die Krankheiten unserer Vorfahren in sich.
Für uns heutige Menschen sind dagegen Fledermäuse, Schuppentiere, Schleichkatzen oder
Schlangen Überträger von Krankheiten und zwar nicht deswegen, weil diese Tiere uns
bedrängen, sondern wir sie. – Durch die immer weiter fortschreitende Abholzung der
Wälder und die zunehmende Urbanisierung vieler Regionen engen wir den Lebensraum vieler
Tiere ein, wodurch ihre Nähe zu uns und damit auch die Wahrscheinlichkeit zunimmt,
mit ihnen in Kontakt kommen, sodass Krankheitserreger (Malaria, Ebola, Corona) von
ihnen auf uns überspringen können.
Die WHO, FAO und OIE haben daher im Jahr 2019 gemeinsam einen „Dreigliedrigen Leitfaden
für Zoonosen“ (Tripartite Zoonoses Guide, TZG) herausgegeben, um die Länder der Vereinten
Nationen in ihren Bemühungen um die Gesundheit von Mensch, Tier und Erdball zu unterstützen.
Er bezieht alle relevanten Sektoren, Fachkenntnisse, Perspektiven und Erfahrungen
ein und vernetzt nationale Gruppen, sodass koordinierte internationale Reaktionen
auf globale Bedrohungen möglich werden. Einige heben hervor, dass zu diesem Wissen
auch die Erfahrungen indigener Völker mit dem von ihnen bewohnten Land (immerhin etwa
ein Viertel der Erde) und der von ihnen oft betriebenen schonenden, konservierenden
Nutzung gehören [27], [31]. Schon im Jahr 2018 erschien eine von Wissenschaftlern der University of Missouri
in Columbia, Missouri sowie der der Fontbonne University in St. Louis, Missouri, herausgegebene
Einführung in One Health ([
Abb. 3
]), die dessen Grundgedanken und einige Beispiele hierzu in 15 Kapiteln durchdekliniert
[16].
Abb. 3 Cover des Einführungsbuchs zum One-Health-Gedanken.
Nahrungsmittelknappheit
So wird beispielsweise die weltweite Nahrungsmittelknappheit diskutiert [16]. Wussten Sie, dass die globalen Vorräte an Weizen für etwa 60 Tage ausreichen, und
dass die Weizenpreise deutlich steigen, wenn es ein paar Tage weniger werden? Weil
Transport sehr günstig und irgendwo auf der Welt immer gerade Ernte ist, unterliegen
die Preise für Weizen – und für viele Nahrungsmittel ganz allgemein – heute deutlich
geringeren Schwankungen als vor 50, 100 oder 300 Jahren [34]. Das System hat aber seine Schwächen: Während der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009
kam es beispielsweise zu deutlich gesteigerten Nahrungsmittelpreisen. Dies macht in
„reichen“ Ländern kaum Probleme, denn wer 10 % seines Einkommens für Nahrungsmittel
ausgibt, den trifft eine Steigerung der Preise um 50 % kaum, kann er doch die zusätzlichen
benötigten 5 % seines Einkommens leicht anderswo einsparen. In einem ärmeren Land
hingegen, dessen Einwohner im Mittel 80 % ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben,
führt eine Preissteigerung um 50 % dazu, dass selbst im besten Fall (wenn man das
ganze Einkommen für Nahrungsmittel ausgibt) nur 100 von benötigten 130 % des benötigten
Einkommens zur Verfügung steht, also gehungert werden muss. Hunger wiederum führt
zu Unruhen, vor allem dann, wenn das Durchschnittsalter der Bevölkerung noch niedrig
ist – wie man während der Finanzkrise vor gut 11 Jahren weltweit in mehr als 20 Ländern
gesehen hat [36], [38], [43]. Auch die gegenwärtige Corona-Krise kann zu Problemen in der Logistik und damit
der Verteilung von Nahrungsmitteln beitragen, selbst wenn es global betrachtet prinzipiell
an nichts fehlt, worauf Wissenschaftler der Plattform Globales Netzwerk Gegen Nahrungsmittelkrisen
schon vor Monaten hinwiesen [17] ([
Abb. 4
]).
Abb. 4 Der neueste Report des Netzwerks für Informationen zur Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung
(Food Security Information Network, FSIN 2020) befasst sich mit den Auslösern für
Hungersnöte. Dargestellt auch als Icons auf dem Titelblatt des Reports.
Lebensraum
Vor 300 Jahren, also im Jahr 1700 wurden lediglich 9 % der Landerdoberfläche für den
Ackerbau verwendet. Im Jahr 1992 waren es 40 % [28]. Immer mehr Land wird zur Nahrungsmittelproduktion urbar gemacht, weswegen es weniger
unberührte Natur und weniger Lebensraum für sehr viele Tierarten gibt. Menschen kommen
den Tieren immer näher, was die Verbreitung von Zoonosen begünstigt. Als Beispiel
für die nahezu beliebig hohe Komplexität des Geschehens sei Folgendes angeführt: Eine
internationale Arbeitsgruppe (auch unter deutscher Beteiligung u. a. mit dem Virologen
Christian Drosten) publizierte im April 2020 eine Studie zu den Wechselwirkungen zwischen
Mensch und Tier mit Blick auf die Zusammenhänge zwischen Stress und Immunsystem. Die
Höhle von Faucon im zentralafrikanischen Gabun, einer ehemaligen französischen Kolonie,
ist die größte von allen untersuchten Höhlen und beherbergt eine Vielfalt von Fledermausarten.
Sie wird regelmäßig von Dorfbewohnern besucht, um Fledermäuse für den Verzehr zu jagen.
Man geht davon aus, dass solche Störungen des Lebensraums bei den Fledermäusen chronischen
Stress bewirken und damit bei den Tieren eine Unterdrückung der körpereigenen Abwehr
(Immunsuppression) verursachen. Hierdurch wiederum könnte die Anfälligkeit der Tiere
für Infektionen mit Viren zunehmen [29]. Durch den häufigen Kontakt kann es dann zur Übertragung auf den Menschen kommen,
wie dies für Coronaviren mittlerweile 2-mal geschehen ist. Eine Fledermaus frisst
täglich 350 Insekten, die wiederum Malaria übertragen, weswegen die Bedrohung der
Fledermäuse nicht nur für die Verbreitung von Covid-19, sondern auch von Malaria relevant
ist.
Artensterben
Die Zahl der Tier- und Pflanzenarten wurde vor etwa 25 Jahren durch das Global Biodiversity
Assessment im Auftrag der UN mit rund 1,75 Millionen ermittelt [40]. Diese Zahl ist nur ein Schätzwert. Wissenschaftler schätzen, dass es zwischen 10
und 100 Millionen Tier- und Pflanzenarten auf der Erde gibt. Der Artenreichtum nimmt
jedoch mit zunehmender Geschwindigkeit seit Jahrzehnten ab, was meistens als abnehmende
Biodiversität bezeichnet wird, obgleich dieser Begriff auch die abnehmende genetische
Verschiedenheit (der einzelnen Individuen innerhalb einer Art) und die abnehmende
Verschiedenheit von Lebensräumen meinen kann. Man schätzt,[
2
] dass etwa 40 % der 31 0000 Pflanzenarten, die es weltweit gibt [16], vom Aussterben bedroht sind ([
Abb. 5
]). War noch im Jahr 2016 im ersten Report über den Zustand der Pflanzenwelt von 20
% bedrohter Arten die Rede, so zeigten genauere Daten in den 4 Jahren danach eine
doppelt so hohe Zahl [5].
Abb. 5 Im neuesten Berichts einer Arbeitsgruppe an den Royal Botanic Gardens (im Londoner
Stadtteil Kew) über den Zustand des Pflanzenreichs [5]. Nach Berichten über den Zustand der Pflanzen aus den Jahren 2016 und 2017 sowie
über den Zustand der Pilze (2018) ist es der vierte seiner Art, der auf 100 Seiten
eine sehr gründliche Darstellung und Analyse der vorhandenen Erkenntnisse liefert.
Einer der Schwerpunkte ist, wie auch auf dem Titel thematisiert, die weltweit wachsende
Anzahl von Waldbränden.
Die Hauptursache der Bedrohung vieler Pflanzenarten vom Aussterben ist nicht die Erderwärmung
(obgleich deren Bedeutung zunimmt, liegt ihr Anteil derzeit nur bei etwa 4 %), sondern
die Konversion von immer mehr unberührter Natur in Ackerbauflächen (mit einem Anteil
von 38 % am Gesamtgeschehen): „Noch nie zuvor war die Biosphäre, diese dünne Schicht
des Lebens, die wir unsere Heimat nennen, so intensiv und dringend bedroht wie heute.
Die Rate der Rodung von Wäldern ist stark gestiegen, damit wir genügend Land haben,
um immer mehr Menschen zu ernähren“,[
3
] beschreiben Antonelli und seine Mitarbeiter die Situation [5]. Unter den vom Aussterben bedrohten Pflanzenarten sind übrigens auch 723 in der
Medizin als Heilmittel eingesetzte Arten [5].
Im Tierreich besonders vom Aussterben bedroht sind die Amphibien (Frösche, Salamander,
Lurche): Etwa ein Drittel der 6300 Arten ist bedroht [45]. Dies liegt vor allem an der Zerstörung ihrer Lebensräume. Durch Ausrottung sind
dagegen viele größere Land- und Meerestiere ausgestorben oder vom Aussterben bedroht.
Hinzu kommt als dritter Faktor der weltweite Verkehr und damit die Zunahme der Konkurrenz
unter Arten, die früher abgegrenzt voneinander existiert hatten. Schließlich macht
der Klimawandel vielen Arten zu schaffen. Eine im Fachblatt Science publizierte Analyse
von 131 Studien zu den Ursachen des Artensterbens im Tierreich ergab, dass etwa 8
% vom Klimawandel verursacht werden [42]. Dieser Effekt hat – wie der Klimawandel selbst – eine steigende Tendenz und wurde
mittlerweile experimenzell in einer Arbeit mit dem bezeichnenden Titel „Lebe schnell
und stirb jung: Experimenteller Nachweis der Auswirkungen des Klimawandels auf das
Aussterben von Populationen“[
4
] nachgewiesen [8].
Im Hinblick auf die Tierwelt – etwa 1 400 000 wirbellose Tierarten und 62 000 Arten
von Wirbeltieren – sieht es also nicht besser aus als bei den Pflanzen. Man spricht
mittlerweile erdgeschichtlich von der sechsten großen Welle des Aussterbens von Arten,
wobei die erste vor über einer Milliarde Jahren im Aussterben der Lebewesen durch
Vergiftung mit Sauerstoff (den die Pflanzen produzierten) bestand und die fünfte große
Welle vor 66 Millionen Jahren (bei dem u. a. die Dinosaurier ausstarben) höchstwahrscheinlich
auf einen Meteoriteneinschlag im Golf von Mexiko zurückgeht [21], [22], [32], nachdem dieser Gedanke im Jahr 1980 erstmals publiziert wurde [4]. Weil man damals aber den weltgrößten Meteoritenkrater noch nicht kannte, wurde
diese Idee jedoch zunächst sehr skeptisch betrachtet, ist aber mittlerweile weitgehend
akzeptiert.
Innerhalb weniger Jahrzehnte nahmen nicht nur die Populationen von Insekten, Vögeln,
Fischen und Säugetieren deutlich ab, auch die Vielfalt der Arten ist bedroht. Seit
1964 führt die Weltnaturschutzunion (IUCN) die „internationale Rote Liste gefährdeter
Tier- und Pflanzenarten“. Sie unterscheidet die unterschiedlichen Gefährdungsstufen,
von „nicht gefährdet“ über „verletzlich“, „stark gefährdet“ oder „vom Aussterben bedroht“
bis „ausgestorben“. Es sind noch längst nicht alle gefährdeten Arten einer Bewertung
unterzogen, aber immerhin wurde schon der Gefährdungsstatus aller Vögel, Säugetiere
und Amphibien beurteilt. Im Jahr 2020 galten 32 441 der mehr als 120 000 untersuchten
Tier- und Pflanzenarten als vom Aussterben bedroht, im Jahr 2000 waren dies noch 11
046 von 16 507 und im Jahr 2010 bereits 18 351 von 55 926 untersuchten Arten.
Anthropozän: Ein neuer Name für die Bedrohung der Welt durch den Menschen
Anthropozän: Ein neuer Name für die Bedrohung der Welt durch den Menschen
Demgegenüber war man sich von Anfang an darüber einig, dass die seit einigen Jahrzehnten
oder vielleicht schon seit mehr als 2 Jahrhunderten[
5
] (erdgeschichtlich macht das kaum einen Unterschied) sechste große Welle des Artensterbens
nicht auf Geophysik, Vulkanismus oder Meteoriten zurück geht, sondern auf die Aktivitäten
des Menschen. Nicht zuletzt nennt man deswegen auch das derzeitige Zeitalter der Erdgeschichte
das Anthropozän. Das Wort „Anthropozän“ wird (noch inoffiziell) zur Benennung einer
neuen geochronologischen Epoche verwendet, in der wir begonnen haben zu leben: Der
Name soll andeuten, dass der Mensch zu einem der wichtigsten Einflussfaktoren auf
die biologischen, geologischen und atmosphärischen Prozesse auf der Erde geworden
ist. Der Begriff wurde Anfang dieses Jahrhunderts vom niederländischen Meteorologen
und Nobelpreisträger für Chemie, Paul J. Crutzen, wieder in die Diskussion eingebracht
[14], [15], [35], nachdem der italienische Geologen Antonio Stoppani bereits im Jahr 1873 die Bezeichnungen
„Anthropozoischen Ära“ beziehungsweise „Anthropozoikum“ als Bezeichnungen für ein
neues Erdzeitalter vorgeschlagen hatte ([
Abb. 6
]).
Abb. 6 Titelseite der Schrift des italienischen Geologen Antonio Stoppani, der dort auf
S. 463 bereits im Jahr 1873 von der „antropozoischen Ära“ spricht.
Verlust der Biodiversität und Corona-Krise
Verlust der Biodiversität und Corona-Krise
Die früheren Wellen des Aussterbens und deren Ursachen werden anhand von Fossilien
und anderen erdgeschichtlichen Datenquellen (Bohrungen in Gestein und Eis) zu rekonstruieren
versucht. Das jetzige Aussterben im Bereich der Tierwelt wird dagegen dokumentiert.
Was mit einem Treffen unter der Schirmherrschaft der National Academy of Science und
des Smithsonian Institut in Washington, DC, unter dem Titel „National Forum on BioDiversity“[
6
] im September 1986 begann, wurde innerhalb kurzer Zeit zu einem bedeutsamen wissenschaftlichen
und mittlerweile auch politischen Begriff. Das ökologische Gleichgewicht ist recht
empfindlich. Stirbt beispielsweise eine Pflanzenart aus, von der sich eine bestimmte
Insektenart vorwiegend ernährt, ist auch diese in ihrem Bestand gefährdet. Davon können
wiederum Wirbeltiere (Vögel, Fledermäuse) abhängen, die sich von Insekten ernähren.
An fast allen Ursachenverkettungen für das Aussterben von Arten ist der Mensch beteiligt:
intensive Landwirtschaft mit vorwiegend Monokulturen, Insektizide, Pestizide, vergiftete
Lebensräume, Eindringen fremder Arten in Ökosysteme durch den weltweiten Handel etc.
Hinzu kommt der Landverbrauch durch Bebauung und Verkehrswege sowie die Tatsache,
dass in den Industrieländern immer weniger Obst-, Gemüse- und Getreidesorten kultiviert
werden. Beispielsweise handelt es sich bei den gängigen Kartoffel- und Apfelsorten,
die überall zu kaufen sind, nur um einen winzigen Bruchteil der tatsächlichen Sorten,
wodurch die meisten nach und nach in Vergessenheit geraten und langsam aussterben.
Es ist zunächst gar nicht so einfach, sich zu erklären, warum Biodiversität einen
Wert an sich darstellt. „Vielfalt ist immer besser als Einfalt“, sagen die einen.
„Monokulturen sind effektiver“ und „Artensterben gehört zur Evolution“, entgegnen
die anderen. Mittlerweile wurde empirisch gefunden, dass im Laufe der Erdgeschichte
nichts beständiger war als der Wechsel und damit das Aussterben von Arten [1], [2]. Warum muss uns dann die derzeitige Abnahme der Biodiversität Sorgen bereiten? Sie
ist zum einen stärker ausgeprägt als je zuvor: Innerhalb weniger Jahrzehnte starben
etwa 1000-mal mehr Arten pro Zeiteinheit aus als dies normalerweise der Fall ist.
Zum zweiten konnte experimentell nachgewiesen werden, dass eine größere Artenvielfalt
ein Ökosystem gegenüber „Ausbeutung“ widerstandsfähiger macht. Mehr Artenvielfalt
bewirkt, dass für bestimmte Funktionen im System mehrere Träger vorhanden sind, die
diese Funktion innehaben. Bei Ausfall eines Trägers können daher andere einspringen
und die Funktion ist noch immer gewährleistet. Das System hat durch Artenvielfalt
also eine eingebaute Redundanz, die es unempfindlicher gegenüber Störungen von außen
macht [3]. In heutigen Ökosystemen haben solche Störungen überall fast immer die gleiche Ursache:
Eingriff und Ressourcenverbrauch[
7
] durch den Menschen.
Zur besseren Überwachung (Monitoring und Kontrolle) des Artensterbens wurde 2012 –
im Wesentlichen von den Gründern von „One Health“ – die Intergovernmental Platform
on Biodiversity and Ecosystem Services (IPBES) mit Sitz (Sekretariat) in Bonn von
90 Staaten gegründet. Das zwischenstaatliche Gremium soll helfen, umweltpolitische
Entscheidungen nach bestem Stand des Wissens zu treffen. Politische Entscheidungsträger
können Anfragen an IPBES stellen, wo dann der aktuelle Stand des Wissens zum jeweiligen
Problem in einem sog. Assessment zusammengetragen wird, um Handlungsoptionen und deren
Folgen aufzuzeigen [24]. Die neueste, am 29.Oktober 2020 erschienene Publikation von IMBES dreht sich um
den Zusammenhang von Zoonosen (und damit auch der Corona-Pandemie) und Biodiversität.
Dort schreiben 22 Experten aus verschiedenen Ländern: „Pandemien nehmen zwar ihren
Ursprung von Erregern, die in tierischen Reservoiren vorkommen, aber entstehen letztlich
durch menschliche Aktivitäten. Die den Pandemien zugrunde liegenden Ursachen sind
dieselben globalen Umweltveränderungen, die den Verlust der Biodiversität und den
Klimawandel vorantreiben. Dazu gehören Veränderungen der Landnutzung, die Ausdehnung
und Intensivierung der Landwirtschaft sowie der Handel und Konsum von Wildtieren.
Diese Triebkräfte des Wandels bringen Wildtiere, Vieh und Menschen in engeren Kontakt,
sodass tierische Mikroben in den Menschen eindringen und zu Infektionen, manchmal
zu Ausbrüchen, und seltener zu echten Pandemien führen, die sich über Straßennetze,
städtische Zentren und globale Reise- und Handelsrouten ausbreiten“[
8
]
[25]. Die Autoren rechnen ferner vor, dass die Drosselung von Landverbrauch und Handel
mit Wildtieren als Nahrungsquelle sowie ein globales Überwachungssystem für die Gesundheit
von Mensch, Tier und Globus nur einen Bruchteil dessen kosten würden, was die gegenwärtige
Pandemie weltwirtschaftlich kostet, volle 2 Größenordnungen weniger, also etwa ein
Hundertstel. Anders ausgedrückt: Den One-Health-Gedanken nicht ernst zu nehmen, können
wir uns im Grunde gar nicht leisten.
Earth Overshoot Day
Man kann versuchen, die biologischen „Leistungen“ der Erde und den „ökologischen Fußabdruck
der Menschheit“ mit Hilfe von publizierten Daten zur Wirtschaft und zum Verbrauch
zu berechnen. Im Jahr 1961 wurde dies erstmals gemacht, wodurch man fand, dass die
Menschheit damals 73 % der Ressourcen verbrauchte, die der Planet Erde bereitstellte.
Seit dem Jahr 1970 ist dies grundlegend anders: In diesem Jahr überstieg der Fußabdruck
erstmals die Biokapazität der Erde. Seit 1986 wird jährlich der „Earth Overshoot Day“
berechnet, indem man die Biokapazität der Erde durch den ökologischen Fußabdruck der
Menschheit dividiert und das Ganze mit 365 multipliziert. Dann erhält man den Tag
im Jahr, an dem die Ressourcen, die weltweit verbraucht werden, die Kapazität der
Erde, diese nachhaltig zu reproduzieren, übersteigt ([
Abb. 7
]).
Abb. 7 Der Tag, an dem wir die Ressourcen, welche die Erde in einem Jahr bereitstellen kann,
schon verbraucht haben, ist innerhalb der letzten 50 Jahre immer früher eingetreten.
War dies im Jahr 1970 noch erst am 29.12. der Fall, wurde er für 1980 schon für den
4. November berechnet, für 1990 am 11. Oktober, für das Jahr 2000 am 23. September,
2010 am 7. August, 2019 am 29 Juli und aufgrund des Wirtschaftseinbruchs durch die
Corona-Pandemie im Jahr 2020 erst am 7. August und damit zum ersten Mal deutlich später
im Jahr, wie man an der blauen Säule ganz rechts sieht. Auch bei der Ölkrise 1973/74
und der Finanzkrise 2008/9 war dies zu verzeichnen (nach Daten aus [18])
Man kann den Quotienten auch umgekehrt bilden (ökologischen Fußabdruck der Menschheit
dividiert durch die Biokapazität der Erde). Dieser Wert gibt an, wie viele Erden man
bräuchte, um so zu leben, wie wir das gerade tun. Derzeit liegt dieser Wert bei 1,6.
Wir haben jedoch nur eine, woraus sich ergibt, dass wir im Hinblick auf unsere Umwelt
jährlich über unsere Verhältnisse leben. Methodenkritisch ist sicherlich einzuwenden,
dass die beiden ins Verhältnis gesetzten Größen (Kapazität und Fußabdruck) nicht genau
zu messen sind. Sie werden auch immer wieder neu und etwas anders berechnet, wobei
man dann nicht nur den neuen Wert berechnet, sondern alle früheren Werte noch einmal,
um ihre Vergleichbarkeit zu wahren [18]. Man kann also früher ermittelte Werte nicht mit den heutigen Werten vergleichen,
wohl aber die für heute berechneten Werte mit denen für frühere Zeitpunkte berechneten
Werten. Man kann den Earth Overshoot Day auch nach Ländern getrennt berechnen. Dann
belegten im Jahr 2020 Qatar und Luxemburg die Plätze 1 (16. Februar) und 2 (19. Februar).
Für die USA lag der Earth Overshoot Day in 2019 am 15. März, für die EU am 10. Mai
und für Deutschland am 3. Mai. Würde die gesamte Weltbevölkerung so leben wie die
USA, bräuchten wir 5 Erden. Was bedeutet es dann, wenn der ehemalige US-Präsident
George Bush (Senior) im Jahr 1992 schon vor der Weltklimakonferenz in Rio sagte „the
American way of life is not negotiable“?[
9
]
Röteln
Die Röteln sind eine hochansteckende, durch Rötelnviren über die Luft verbreitete,
weltweit auftretende Infektionskrankheit. Wer einmal infiziert war, ist lebenslang
gegenüber dem Rubella-Virus immun, weshalb man die Röteln zu den Kinderkrankheiten
zählt. Die klinischen Erscheinungen – masernähnliche rote Hautflecken, Fieber und
Lymphknotenschwellungen – wurden von den beiden deutschen Ärzten de Bergan und Orlow
zuerst beschrieben, weswegen die Röteln im englischen Sprachgebrauch auch als „Deutsche
Masern“ (German measles; im Gegensatz zu den Masern: English measles) bezeichnet werden.
Wegen der hohen Infektiosität (der R-Wert der Röteln liegt zwischen 3,5 und 7,8) und
weil eine Rötelninfektion während der Schwangerschaft zu schweren Komplikationen (Rötelnembryofetopathie
mit z. B. Herzfehler, Katarakt, Innenohrschwerhörigkeit bzw. Mikrozephalie) und zu
Fehlgeburten führen kann, sind die Röteln meldepflichtig. Man schätzt, dass weltweit
etwa 100 000 Neugeborene von einer Rötelnembryofetopathie (vor allem in Afrika, Südostasien
und dem östlichen Mittelmeerraum) betroffen sind [33]. Das Rötelnvirus galt bis Mitte Oktober 2020 als das einzige Mitglied der Gattung
Rubivirus, die wiederum zur Familie der Togaviridae gehört. Aus diesem Grund war der
Ursprung der Röteln – im Gegensatz zu anderen als Zoonosen identifizierten Infektionskrankheiten
– nicht bekannt, denn nur wenn andere Arten bekannt sind, kann man Verwandschaftsbeziehungen
und damit auch evolutionäre Entwicklungen untersuchen. Unabhängig voneinander entdeckten
2 Forscherteams kürzlich 2 neue Virenarten aus der Gattung Rubivirus, was den zoonotischen
Ursprung der Röteln sehr wahrscheinlich macht.
Der Letztautor der bemerkenswerten, im Fachblatt Nature erschienenen Publikation,
Tony L. Goldberg, und sein ehemaliger Doktorand Andrew Bennett entdeckten eines der
neuen Viren in anscheinend gesunden Rundblattnasen-Fledermäusen (Hipposideros cyclops),
die in einem Nationalpark in Uganda gefangen wurden. Sie nannten es nach der Region
Ruteete in Uganda und dem lokalen Wort für Fledermaus Ruhugu-Virus (RuhV). Das Genom
des Virus ist sehr ähnlich mit dem des Röteln-Virus. Das Protein, das mit den Immunzellen
des Wirts interagiert, war bei beiden Viren nahezu identisch. Während der Vorbereitungen
der Publikation erfuhren die Wissenschaftler, dass eine Forschergruppe unter der Leitung
von Martin Beer am Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems bei Greifswald
im Hirngewebe eines Esels, eines Kängurus und eines südamerikanischen Wasserschweins
(Capybara, das mit einem Gewicht von bis zu 66 kg und einer Länge von bis zu 130 cm
größte Nagetier der Welt), die alle im Zoo an einer Enzephalitis verstorben waren,
das ebenfalls mit dem Röteln-Virus verwandte Rustrella-Virus (RusV; genannt nach einer
Lagune in der Ostsee) entdeckt hatte. Sie fanden dieses Virus später auch bei wilden
Gelbhals-Feldmäusen im Zoo (und nur bei diesen) bzw. im Umkreis von 10 Kilometern,
ohne dass bei den Mäusen eine Enzephalitis vorlag. Dies deutet darauf hin, dass diese
Mausart ein natürliches Reservoir darstellt, aus dem das Virus auf die Zootiere übergetreten
war. Beim Vergleich ihrer Daten stellten die Wissenschaftler fest, dass RuhV und RusV
miteinander verwandt sind, und beschlossen, ihre Ergebnisse gemeinsam zu veröffentlichen
[46]. „Jetzt wissen wir, dass jede Krankheit in den Buchstaben des MMR-Impfstoffs einen
zoonotischen Ursprung hat“, wird der Seniorautor in einem im Fachblatt Science publizierten
Bericht zitiert [47]. Angesichts des genetischen Abstands zwischen Röteln und dem Ruhugu- sowie dem Rostrela-Virus
halten es die Forscher für unwahrscheinlich, dass das Röteln-Virus direkt von einem
der beiden neu entdeckten Viren abstammt. Vielmehr könnte es weitere, noch nicht entdeckte
Viren wie die beiden jetzt neu entdeckten geben, von denen das Röteln-Virus dann durch
Sprung zum Menschen seinen Ausgang genommen hat. Die Arbeit unterstreicht damit die
Bedeutung des One-Health-Ansatzes in der Medizin, der anerkennt, dass die Gesundheit
von Menschen eng mit der von Tieren und der Umwelt verbunden ist. Von Bedeutung ist
beispielsweise die Erkenntnis, dass das Rustrela-Virus offenbar in der Lage ist, sowohl
Plazenta- als auch Beuteltier-Säugetiere zu infizieren, also eine hohe Flexibilität
besitzt, was das Hin- und Herspringen zwischen verschiedenen Arten anbelangt. Dies
könnte die Wahrscheinlichkeit weiterer Pandemien durch Abkömmlinge von ähnlichen Viren
wie RuhV und RusV, die noch gar nicht entdeckt sind, steigern.
Was kann man tun?
Zu den globalen Umweltproblemen Klimawandel (globale Erwärmung), Ozonloch, verminderte
Artenvielfalt, Anstieg der Weltbevölkerung, demografischer Wandel (Überalterung),
globale Umweltverschmutzung und Degeneration der Böden kommen noch die Begrenztheit
und ungleiche Verteilung von Ressourcen (Bodenschätze, Energie, Trinkwasser), das
globale Wettrüsten, der internationale ideologisch getriebene Terror und weltweit
79,5 Millionen Menschen (Stand: 2020) auf der Flucht [41]. Diese Häufung und Brisanz von globalen Problemen macht es schwer, Optimismus zu
verbreiten. Den dürfen wir dennoch nicht verlieren, wenn wir mit den Problemen tatsächlich
fertig werden wollen. Und dabei könnte der Gedanke von „einer Gesundheit“ – von Mensch,
Tier und Erdball – helfen. Auf gesellschaftspolitischer Ebene ist mit den Institutionen,
die neu entstanden sind oder sich intensiv mit diesem Gedanken befassen, sicherlich
schon viel gewonnen. Sie müssen ausgebaut, noch besser vernetzt und dadurch gestärkt
werden – als unabhängige Quellen von wirklichem Wissen, das dann in politische Entscheidungen
eingehen kann.
Aber damit ist es nicht genug. Gerade die Corona-Krise zeigt, dass es auf das Verhalten
jedes Einzelnen ankommt, wenn es darum geht, wie wir alle durch diese Krise kommen.
Ein paar Beispiele hierfür seien aus der wissenschaftlichen Literatur kurz angeführt.
Nahrung: Eine schöne, im vergangenen Jahr in PNAS publizierte Arbeit geht der Frage
nach, was wir – im Hinblick auf unsere Gesundheit und auf die Gesundheit des Planeten
Erde – essen sollten [13]. Hierzu wurden 15 Nahrungsmittel sowohl auf ihre Mortalität und Morbidität als auch
auf ihren ökologischen Fußabdruck hin miteinander verglichen. Das klingt zunächst
ziemlich schwierig, denn wie sollte man das Risiko eines Dickdarmkrebses mit dem CO2-Ausstoß – jeweils ausgelöst durch eine zusätzliche Portion täglich von z. B. Olivenöl,
Salami, Vollkornmüsli, Limonade, Käse, Obst oder Gemüse – vergleichen?
Die Lösung: Man bringt die 15 untersuchten Nahrungsmittel im Hinblick auf die gemessenen
abhängigen Variablen – die unterschiedlicher gar nicht sein könnten – in eine Rangreihenfolge,
von „Platz 1“ bis „Platz 15“, und kann dann tatsächlich den Rang auf jeder Variable
vergleichen. Ein Beispiel: Zur Produktion von einem Liter Limonade braucht man genau
einen Liter Wasser, wohingegen man zur Produktion von einem Liter Olivenöl oder einem
Kilogramm Nüssen Hunderte von Litern Wasser braucht. Olivenöl und Nüsse sind gesund,
brauchen aber viel Wasser und sind daher ungesund für den Globus; Limonade hingegen
braucht wenig Wasser, ist aber ungesund, weil sie sehr viel Zucker enthält. Glücklicherweise
fällt die Auswahl nicht bei allen Nahrungsmitteln so schwer: Obst und Gemüse sind
für den Menschen und die Erde gut; das Gegenteil ist bei Fleisch und Wurst der Fall
([
Abb. 8
]).
Abb. 8 Globaler Fußabdruck und Mortalität verschiedener Nahrungsmittel. Auf der x-Achse
ist das relative Sterblichkeitsrisiko (> 1: erhöht, < 1: vermindert) und auf der y-Achse
der ökologische Fußabdruck (gemessen anhand von 5 Variablen) im Verhältnis zur Produktion
einer Portion Gemüse (= 1) logarithmisch aufgetragen. Die Angaben beziehen sich auf
den Verzehr einer zusätzlichen täglichen Portion der folgenden Lebensmittelgruppen
(gefüllte Kreise: signifikant von 1 abweichendes Mortalitätsrisiko, Kreis, keine signifikante
Abweichung): Müsli (Körner, 30 g Trockengewicht); Müsli (verarbeitete Körner, 30 g
Trockengewicht); Früchte (100 g); Gemüse (100 g); Nüsse (28 g); Hülsenfrüchte (50
g Trockengewicht); Kartoffeln (150 g);Fisch (100 g); Milchprodukte (200 g); Eier (50
g); Huhn (100 g); Fleisch (100 g); Wurst (50 g); Limonade (225 g) und Olivenöl (10
g). Grün: nur minimal verarbeitete pflanzliche Lebensmittel; dunkelblau: Fisch; grau:
Milchprodukte und Eier; rosa: Huhn; rot: Fleisch (Rind-, Lamm-, Ziegen- und Schweinefleisch)
und Wurst; hellblau: Limonaden (mit Zucker gesüßte Getränke); Orange: Olivenöl (nach
Daten aus [13]).
Geld: Hat man erst einmal verstanden, dass die Funktion von Banken darin besteht,
Geld von Leuten, die zu viel davon haben, denen zu geben, die keines haben, dafür
aber Ideen, wie man Geld vermehren könnte. Man gibt es dann am liebsten denen, die
am meisten Geld für’s eingesetzte Geld rausholen, so schnell wie möglich. Daraus folgt,
dass diejenigen, die einfach nur Ressourcen aus der Natur fördern, die schon da sind,
bessere Chancen auf rasche und große Gewinne haben als diejenigen, die erst ein neues
Produkt entwickeln, zur Marktreife bringen, produzieren und schließlich vermarkten
möchten. Nach Öl oder Diamanten suchen, etwas finden, herausholen und verkaufen geht
schneller. Auch Wald roden, etwas anbauen und dann verkaufen geht schneller. Hinzu
kommt, dass die Industrie recht gut kontrolliert und reguliert arbeitet, Wald- und
Minenarbeiter jedoch große Schäden anrichten können, was über lange Zeit unbeobachtet
und unbemerkt bleibt. An unbewohnten Geisterstädten und unbelebten, weil durch Abraum
vergifteten „Mondlandschaften“, wo früher unberührte Natur war, kann man erkennen,
dass niemand für die Schäden aufkommt, wenn der Profit erst einmal gemacht ist. Die
Ökonomie nennt solche „unerwünschten Wirkungen“ „negative Externalitäten“ die man
eigentlich in den Preis eines Produktes mit einrechnen („internalisieren“) müsste,
was jedoch meist nicht geschieht. Kernkraftwerke galten so lange als „lukrativ“, wie
man die Kosten der Endlagerung der radioaktiven Abfälle nicht in den Strompreis mit
einrechnete. Wenn man also beim Investieren nur – und wirklich nur – auf das Geld
(d. h. den Return of Investment) schaut, wird sich an dieser Sachlage nichts ändern.
Wenn aber erst einmal klar ist, dass Schäden an Natur und Gesundheit langfristig teuer
sind, und dass dieses Geld eigentlich vom Gewinn abzuziehen ist (wenn man negative
Externalitäten internalisiert, steigt der Preis des Produkts, womit seine Konkurrenzfähigkeit
und Vermarktbarkeit sinken dürfte sich herumsprechen, dass man Investitionen grundsätzlich
anders bewerten sollte).
Es wird also Zeit, dass vernünftiger investiert wird – von jedem von uns. Wo beispielsweise
steckt das Geld für Ihre Rente? Wurde es nachhaltig investiert? – Der WWF[
10
] meint: Wenn ein jeder nachfragen würde, gäbe es vielleicht ein größeres Interesse
der Investoren hier verantwortlicher zu handeln.
Unsere Reaktionen auf die jetzige Krise – die Corona-Pandemie – stimmen optimistisch:
Wenn es wirklich sein muss, sind wir zu enormen Verhaltensänderungen innerhalb weniger
WOCHEN in der Lage! Und dabei könnte der Gedanke von „einer Gesundheit“ – von Mensch,
Tier und Erdball – helfen: zur Bewältigung der nächsten, wirklich großen Krise [44].