Laryngorhinootologie 2020; 99(08): 531-535
DOI: 10.1055/a-1183-4835
Übersicht

Riechstörungen bei COVID-19 – aktueller Wissensstand

Smell disorders at COVID-19 – the current level of knowledge
Martin Sylvester Otte
Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universität zu Köln Medizinische Fakultät, Köln, Germany
,
Jens Peter Klußmann
Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universität zu Köln Medizinische Fakultät, Köln, Germany
,
Jan Christoffer Luers
Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universität zu Köln Medizinische Fakultät, Köln, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Nachdem anfängliche Berichte über die SARS-CoV-2-Infektion Riech- und Schmeckstörungen kaum erwähnten, haben mittlerweile mehrere Studien, insbesondere aus Europa und den USA, diese Symptome als Merkmal von COVID-19 bestätigt. Gut 2 Drittel der Erkrankten scheinen im Verlauf der Erkrankung eine Riech- und Schmeckminderung zu erleiden, wobei die meisten der bislang veröffentlichten Studien auf Fragebögen und anamnestischen Daten basieren. Validierte Riechtests wurden bislang nur in wenigen Studien eingesetzt. Eine Unterscheidung zwischen Schmeck- und Geschmacksstörungen, also eine Abgrenzung des retronasalen Aromaschmeckens über das olfaktorische System von der Dysfunktion von Geschmackspapillen und der weiterführenden Hirnnerven, erfolgte in den bisher verfügbaren Studien zumeist nicht. Einige Berichte assoziieren die Riechstörungen mit einem milderen klinischen Krankheitsverlauf. Gleichzeitig stellt das Riechsystem über den Bulbus olfactorius eine Eintrittspforte in das zentrale Nervensystem dar, und eine Riechstörung könnte ein prädisponierender Faktor für zentral-neurologische Symptome sein. Die klinische Bedeutung von Riech- und Schmeckstörungen bei COVID-19-Patienten ist aktuell noch unklar. Weitere offene Fragen betreffen die genaue Prävalenz und die Prognose, sodass insgesamt höherwertige Studien mit validierten Riechtests und größeren Patientenzahlen zu fordern sind.


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Abstract

Early reports of SARS-CoV-2 infections only rarely mentioned smell and taste disorders. Several studies, particularly from Europe and the USA, have now confirmed these symptoms as an early key feature of COVID-19. About 70 % of patients seem to experience a reduction of smell and taste in the course of the disease, with most of the studies published to date based on questionnaires and anamnestic data. Validated smell tests have so far only been used in a few studies. A distinction between taste and taste disorders, i. e. a distinction between retronasal aroma taste and the olfactory system from the dysfunction of taste capsules and the further cranial nerves, was mostly not made in the studies available to date. Some reports associate olfactory disorders with a milder clinical course. At the same time, the olfactory system via the olfactory bulb represents an entry point into the central nervous system, and an olfactory disorder could be a predisposing factor for central neurological symptoms. The clinical significance of smell and taste disorders in COVID-19 patients is currently still unclear. Further open questions concern the exact prevalence and the prognosis, so that overall higher quality studies with validated smell tests and larger numbers of patients are required.


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Einleitung

Die durch das Coronavirus SARS-CoV-2 verursachte Erkrankung COVID-19 hat sich seit ihrem erstmaligen Auftreten im Dezember 2019 in Wuhan, China, zunächst landesweit, später pandemisch in aktuell 187 Ländern der Erde verbreitet. Die Weltgesundheitsorganisation führt aktuell Husten, Fieber und/oder Atembeschwerden als Hauptsymptome auf. Bei Befall der Lunge kann SARS-CoV-2 eine schwere virale Lungenentzündung mit Atemnot und Lungenversagen auslösen.

Viele COVID-19-Patienten klagen über Riech- und Schmeckstörungen. Beide Symptome wurden jedoch in den ersten Berichten über die Erkrankung aus China so gut wie nicht erwähnt. Eine Besonderheit scheint der sehr plötzliche Beginn der Riechstörung bei COVID-19-Patienten zu sein, der so ansonsten nur beim traumatisch bedingten Riechverlust beschrieben ist. Riechstörungen anderer Genese, darunter auch postinfektiöse, entwickeln sich hingegen eher langsam und allenfalls im Verlauf mehrerer Tage.

Riechstörungen treten nach Infekten der oberen Luftwege mit einer Wahrscheinlichkeit von ca. 10–65 % auf. Im Gegensatz zum konduktiv bedingten Riechverlust während der akuten Rhinitis persistieren sie auch nach Abheilung des Infektes und können trotz insgesamt günstiger Prognose auch lebenslang anhalten [1]. Histologisch finden sich bei Patienten mit viral erworbener Riechstörung Schädigungen des olfaktorischen Epithels [2]. Der Bulbus olfactorius und einige höhere olfaktorische Areale weisen in strukturellen und funktionellen MRT-Untersuchungen ein vermindertes Volumen und verminderte olfaktorisch-induzierte Aktivitäten auf. Für SARS-CoV-2 wird diskutiert, dass analog zum Coronavirus der ersten SARS-Pandemie (2003) das Virus von den zentralen olfaktorischen Regionen aus auf andere ZNS-Gebiete übergreifen könnte [3].

Die vorliegende Übersichtsarbeit gibt den aktuellen Wissensstand zu Riechstörungen bei SARS-CoV-2-Infektionen wieder.

Für dieses Review wurden alle 35 deutsch- und englischsprachigen Artikel berücksichtigt, die bis zum 05.05.2020 in „PubMed“ über die Schlagwortkombination „COVID“ und „olfactory“ gefunden wurden, und hinsichtlich ihrer Relevanz und Aussage analysiert.


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Anamnestische Häufigkeit von Riech- und Schmeckstörungen

Elf der gefundenen Arbeiten ermittelten Prävalenzzahlen für Riech- und Schmeckstörungen im Rahmen der COVID-19-Erkrankung ([Tab. 1]). Alle Studien arbeiteten auf der Basis von Fragebögen oder der retrospektiven Analyse von Patientenakten. Bislang existiert keine Studie, die mittels validierter Riechtests die tatsächliche Prävalenz von Riechstörungen bei COVID-19-Patienten zu ermitteln versucht hat.

Tab. 1

Auflistung von Studien mit Angaben zur Prävalenz von Riechstörungen bei COVID-19, wobei keine dieser Studien ein validiertes Messverfahren zur Ermittlung der Riechstörung einsetzte.

Studie

Anzahl der COVID-19-positiven Patienten

Anteil der Erkrankten mit Riechstörungen in %

Methodik der Studie

Ort der Erhebung

[13]

  16

19

Krankenakten

USA

[7]

  59

68

Fragebogen

USA

[9]

  72

74

Krankenakten

Deutschland

[10]

  79

39,2

Fragebogen

Spanien

[11]

 154

22,7

Patientenakten

Singapur

[6]

 169

75,5

Patientenakten

USA

[12]

 214

 5,6

Krankenakten

China

[14]

 237

73

Online Tool

weltweit

[4]

 417

85,6

Fragebogen

Europa

[5]

1420

70,2

Fragebogen

Europa

Eine multizentrische Querschnittsstudie erhob interview- bzw. fragebogenbasiert in 12 bzw. 18 europäischen Kliniken Daten von 417 bzw. 1420 Patienten, alle mit einem PCR-basierten COVID-Nachweis. Hierbei zeigte sich eine Prävalenz für Riechstörungen von 85,6 bzw. 70,2 % [4] [5]. Ob es sich bei den befragten Patienten lediglich um stationäre oder auch um Patienten der jeweiligen Ambulanzen handelte, bleibt unklar. Patienten mit schweren klinischen Verläufen und intensivmedizinischer Behandlung wurden nicht befragt.

In einer retrospektiven Datenauswertung aus San Diego (USA) zeigte sich, dass Riech- und Schmeckstörungen vor allem von SARS-CoV-2-positiven Personen angegeben werden, deren Krankheit eher milde bis moderat verläuft und die ambulant mittels häuslicher Quarantäne behandelt werden können. Im Fragebogen gaben 75,5 % der 169 in dieser Studie analysierten Patienten eine Riechstörung an [6]. In einer weiteren Studie derselben Autoren mit einem prospektiven Design konnte diese Prävalenz bestätigt werden. Von 59 positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Teilnehmern gaben 68 % eine Riechstörung an, im Gegensatz zu nur 17 % bei 203 negativ Getesteten [7].

Kaye et al. zeigten in ihrer Studie an 237 COVID-19-erkrankten US-Amerikanern eine Prävalenz für Riechstörungen von 73 %. Die Validität der Daten muss jedoch kritisch beurteilt werden, da diese anonym und über eine Internetplattform erhoben wurden. Bei 26,6 % der Erkrankten handelte es sich bei der Riechstörung um ein Frühsymptom, sodass die Autoren empfahlen, dies bei der Detektion von COVID-19-Patienten zu berücksichtigen [8].

Eine fragebogenbasierte Studie aus Deutschland erbrachte eine Prävalenz von Riechstörungen von 74 % bei nachgewiesenen COVID-19-Patienten (n = 72). Erneut zeigte sich hier, dass Riechstörungen ein relativ frühes Symptom der COVID-19-Erkrankung sind, welches etwa um den vierten Tag der Erkrankung auftritt, bei 13 % der Befragten sogar als erstes Symptom [9].

Dies konnte auch in einer Fragebogenstudie aus Spanien bestätigt werden, in der 35,3 % von 79 Patienten mit PCR-bestätigter COVID-19-Erkrankung die Riechstörung als initiales Symptom angaben. Die gesamte Prävalenz der Riechstörung lag in dieser Studie jedoch bei lediglich 39,2 % [10].

Auch in Singapur gaben nur 22,7 % von 154 SARS-CoV-2-positiv getesteten Patienten an, unter Riech- und Schmeckstörungen zu leiden [11]. Die Symptome zeigten eine hohe Spezifität (98,7 %), aber niedrige Sensitivität (22,7 %) als Screening-Methode für eine COVID-Erkrankung, vergleichbar mit dem vorherigen Kontakt zu einem COVID-19-Erkrankten [11].

In der chinesischen Stadt Wuhan traten Riech- und Schmeckstörungen einer retrospektiven Analyse zufolge im Zeitraum vom 16. Januar bis 19. Februar lediglich mit einer Prävalenz von 5,1 bzw. 5,6 % auf [12]. Da Riech- und Schmeckstörungen zu Beginn der Pandemie als Symptome der COVID-19-Erkrankung nicht bekannt waren, ist zu vermuten, dass nicht alle Patienten gezielt danach gefragt wurden, was aus der Beschreibung der Methodik in der Studie jedoch nicht klar hervorgeht.

Zusammenfassend besteht somit aktuell ein sehr heterogenes Bild bezüglich der Prävalenzzahlen von Riechstörungen bei COVID-19-Patienten. In Europa und den USA scheint die Prävalenz mit > 70 % deutlich höher zu sein als in Asien, wobei systematische Studien, die einen wirklichen Vergleich erlauben würden, aktuell fehlen.

Kaum eine Beachtung findet in den bisherigen Studien die Tatsache, dass die Prävalenz und Stärke von Riechstörungen einen starken Altersbezug haben. Unter Personen älter als 50 Jahre beträgt die Prävalenz einer Presbyosmie bereits 25 % [13] [14]. Auch ob vorbestehende Riechstörungen, chronische Erkrankungen der Nase und Nasennebenhöhlen (bspw. allergische Rhinitis, chronische Rhinosinusitis) und stattgehabte Operationen oder Traumata im Bereich der Nase und Nasennebenhöhlen Ausschlusskriterien waren, wird nicht aus allen Studien ersichtlich. Eine Datenerhebung mittels Fragebogen oder Interview ermöglicht zudem keine reliable Unterscheidung zwischen unterschiedlichen Graden von Riechstörungen, zum Beispiel einer verminderten Riechfunktion (Hyposmie) und einem vollständigen Riechverlust (Anosmie). Kaum eine Studie geht zudem bislang auf die notwendige Unterscheidung zwischen Schmeck- und Geschmacksstörungen, also eine Abgrenzung des retronasalen Aromaschmeckens über das olfaktorische System von der Dysfunktion von Geschmackspapillen und der weiterführenden Hirnnerven ein. Prinzipiell ist denkbar, dass neben einer Funktionsstörung des N. olfactorius (Riechfunktion, Aromaschmecken) auch die verschiedenen „Geschmacksnerven“ der Zunge und des Rachens (Chorda tympani, N. glossopharyngeus, N. vagus), die die Geschmacksqualitäten süß, sauer, salzig, bitter und umami vermitteln, durch SARS-CoV-2 betroffen sind.

Bei vielen Studien bleibt aktuell unklar, ob rein quantitative (Normosmie, Hyposmie, Anosmie) oder qualitative Riechstörungen bei den Patienten bestehen. So gehen beispielsweise postinfektiöse oder posttraumatische Riechstörungen häufig mit Parosmien einher, bei denen Gerüche verzerrt (meist „unangenehm“) wahrgenommen werden. Auch Phantosmien (Wahrnehmung von Gerüchen in Abwesenheit einer Reizquelle) treten regelmäßig nach Traumata oder Infektionen auf. Dass von ihnen in der COVID-19-Literatur bislang so gut wie nicht berichtet wird, ist vermutlich auf die Art der Befragung und Datenerhebung zurückzuführen. Nicht vergessen werden sollte auch, dass eine anamnestisch erhobene, subjektiv empfundene Riechstörung häufig nur wenig mit den Ergebnissen validierter Riechtests korreliert. Selbsteinschätzungen zur olfaktorischen Funktion werden als sehr unzuverlässig angesehen, sodass zur Bestimmung der Riechfunktion Testverfahren unerlässlich sind [15].


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Ergebnisse auf der Basis validierter Riechtests

Die Riechfunktion kann mithilfe psychophysischer Verfahren getestet werden, wobei subjektive und objektive Funktionstests voneinander zu unterscheiden sind. Ziel des Tests ist eine Objektivierung der durch einen Patienten geschilderten Symptome und eine Quantifizierung der Riechstörung in Anosmie, Hyposmie und Normosmie ([Tab. 2]).

Tab. 2

Psychophysische Riechtests mit der Möglichkeit zur Unterscheidung von Norm-, Hyp- und Anosmie, modifiziert nach [1].

Test

Merkmale

gemessene Qualitäten

„Connecticut Chemosensory Clinical Research Center”-Test (CCCRC)

Aus Flaschen angebotene Duftstoffe dienen im Vergleich mit Leerproben der Ermittlung der Wahrnehmungsschwelle. Beim Identifikationstest werden anhand einer Begriffsliste 8 Duftstoffe angeboten.

Wahrnehmungsschwelle, Identifikation

„University of Pennsylvania Smell Identification”-Test (UPSIT)

Mikroverkapselte Duftstoffe werden durch Rubbeln freigesetzt, die Identifikation erfolgt anhand einer Multiple-Choice-Auswahl. Der UPSIT ist der weltweit meistverwendete Riechtest, regional unterschiedliche Düfte sind validiert (z. B. für den europäischen, amerikanischen, arabischen Sprachraum).

Identifikation

Sniffin’ Sticks

Umfangreichster Test, der sowohl die Peripherie als auch die zentralen Anteile des olfaktorischen Systems erfasst.

Wahrnehmungsschwelle, Diskrimination, Identifikation

T&T-Test

Darbietung von 5 Düften in jeweils 8 verschiedenen Konzentrationen sowohl zur Wahrnehmungs- als auch zur Erkennungsschwelle. Anwendung insbesondere im asiatischen Raum.

Wahrnehmungsschwelle, Erkennungsschwelle

Im Gegensatz zu den zahlreichen anamnestischen Erhebungen mittels Fragebogen sind bislang nur 4 Studien publiziert, die Riech- und Schmeckstörungen bei COVID-19-Patienten mit psychophysischen Tests validiert haben. Objektive Untersuchungen mit elektrophysiologischen Verfahren (olfaktorisch evozierte Potenziale, Elektroolfaktogramm) findet man bislang in der COVID-19-Literatur nicht.

Vaira et al. untersuchten das Riechvermögen an COVID-19-Patienten in Italien mithilfe des „Connecticut Chemosensory Clinical Research Center orthonasal olfaction test (CCCRC)“. Von den 72 untersuchten COVID-19-Patienten waren 16,7 % normosmisch, 80,6 % hyposmisch und 2,8 % anosmisch [16]. In die Studie eingeschlossen wurden nur stationär behandelte Patienten, sodass – trotz Ausschluss von beatmeten Patienten – von eher schwerer erkrankten Patienten ausgegangen werden muss und die Studie nicht als repräsentativ für die Gesamtbevölkerung angesehen werden kann.

Mithilfe der persischen Version des UPSIT untersuchten Moein et al. das Riechvermögen von 60 stationär behandelten COVID-19-Patienten. Der UPSIT basiert auf der Identifikation von 40 Gerüchen, die mikroverkapselt auf Papier aufgetragen sind und durch Rubbeln freigesetzt werden. Der Test ist gut validiert bei einer Test-Retest-Reliabilität von 0,94. Die Autoren konnten bis auf eine Ausnahme bei allen der 60 Patienten mit COVID-19 einen gewissen Grad der Riechstörung feststellen. Im Vergleich zu einer gesunden Kontrollgruppe waren die Scores im UPSIT signifikant reduziert. 35 % der 60 Patienten (58 %) waren entweder anosmisch (15/60; 25 %) oder schwergradig hyposmisch (20/60; 33 %), 16 wiesen eine mäßige (16/60; 27 %), 8 eine leichtgradige Hyposmie (8/60; 13 %) und eine Person eine Normosmie (1/60; 2 %) auf. Ein Zusammenhang zwischen der Ausprägung der Riechstörung und dem Schweregrad der COVID-19-Erkrankung bestand gemäß den Einteilungskriterien des „Massachusetts General Hospital“ nicht. Anzumerken ist jedoch, dass es sich bei den Studienteilnehmern erneut ausschließlich um stationär behandelte Patienten handelte. Da Patienten mit milden Symptomen oder in einem frühen Stadium der Erkrankung zumeist ambulant behandelt werden, kann die Studie bzgl. dieser Krankheitsverläufe keine Aussage treffen.

Unter der Vielfalt der vorhandenen Riechtests bietet der in Deutschland und Europa weitverbreitete Sniffin’-Sticks-Test die wohl umfassendste Beurteilung, da er einen Schwellen-, einen Diskriminations- und einen Identifikationstest beinhaltet und somit sowohl die Funktion des peripheren olfaktorischen Systems als auch der komplexeren zentralen Verarbeitung validieren kann [1]. Der Sniffin’-Sticks-Test ist facettenreicher und umfangreicher als der UPSIT und der CCCRC. Anhand des Summenwertes der Einzelmessungen kann mittels des Sniffin’-Sticks-Tests der sogenannte SDI-Wert (Schwelle + Diskrimination + Identifikation) ermittelt werden, anhand dessen die Riechstörung als Norm-, Hyp- oder Anosmie klassifiziert wird. Aktuell liegen noch keine Studien mit dem Sniffin’-Sticks-Test bei COVID-19-Patienten in der aktiven Krankheitsphase vor.

Bislang unveröffentlichte Daten aus unserer Klinik zeigen anhand des Sniffin’-Sticks-Test bei 30 Patienten, dass die Riechstörung in etwas mehr als der Hälfte der Fälle länger als die übrigen Symptome anhält. Alle Patienten waren bereits von einer SARS-CoV-2-Infektion genesen und berichteten von einer plötzlich auftretenden Riechstörung während ihrer ambulanten Quarantänephase. Etwa 3 Wochen nach der Infektion zeigten 50 % der Personen im Riechtest eine Normakusis. Bei den Patienten mit einer persistierenden Riechstörung zeigte sich insbesondere die Wahrnehmungsschwelle reduziert.


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Zeitpunkt der Testung und Schweregrad der Erkrankung

Die ersten Symptome einer COVID-19-Erkrankung zeigen sich im Mittel 5,1 Tage nach der Infektion [17]. Die sich anschließende klinische Manifestation und damit der Schweregrad der Erkrankung weist eine große Varianz auf und reicht von leichten Symptomen wie trockenem Husten, Fieber und Kopfschmerzen bis hin zu schweren Verläufen, in denen Krankenhausaufenthalte, Intensivpflege und mechanische Beatmung erforderlich werden können und die möglicherweise letal enden. Die meisten der bislang veröffentlichten Studien berichten von Riechstörungen im Rahmen von milden oder moderaten Verläufen der Erkrankung [4] [5] [12] [18]. Dies könnte jedoch auch der Tatsache geschuldet sein, dass es sich wie bei den meisten Studien zum Thema bislang um fragebogenbasierte Erhebungen handelt, die vor allem von Patienten mit geringerer Symptomatik beantwortet werden. Auch Yan et al., die in ihrem Statement ebenfalls explizit einen Zusammenhang von Riechstörungen mit milderen COVID-19-Verläufen herstellen, analysierten lediglich die anamnestischen Daten ambulanter Patienten [7]. Studien an hospitalisierten Patienten sind bislang selten. Die Beobachtungen erster krankenhauspflichtiger Verläufe in den USA unterstützen die These einer Assoziation von Riechstörungen mit einem milden Krankheitsverlauf, wurden bei stationär behandelten Patienten Riechstörungen doch nur in 19 % der Patienten als Symptom beschrieben [19]. Eine systematische Vergleichsstudie zwischen ambulant und stationär behandelten Patienten in Bezug auf die Beeinträchtigung des Riech- und Geschmackssinns existiert bislang nicht. Auch zum zeitlichen Auftreten der Riechstörung im Verlauf der COVID-19-Erkrankung liegen bislang keine repräsentativen Daten vor.


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Zusammenfassung und Ausblick

Nachdem anfängliche Berichte über die SARS-CoV-2-Infektion Riech- und Schmeckstörungen kaum erwähnten, haben mittlerweile mehrere Studien, insbesondere aus Europa und den USA, diese Symptome als Merkmal von COVID-19 bestätigt. Gut 2 Drittel der Erkrankten scheinen im Verlauf der Erkrankung eine Riech- und Schmeckminderung zu erleiden, wobei die meisten der bislang veröffentlichten Studien auf Fragebögen und anamnestischen Daten beruhen. Eine Unterscheidung zwischen Schmeck- und Geschmacksstörungen, also eine Abgrenzung des retronasalen Aromaschmeckens über das olfaktorische System von der Dysfunktion von Geschmackspapillen und der weiterführenden Hirnnerven, wurde zumeist nicht gemacht. Auch validierte Riechtests wurden bislang nur in wenigen Studien eingesetzt.

Riech- und Schmeckstörungen im Rahmen der COVID-19-Erkrankungen scheinen sich in mehrfacher Hinsicht von anderen postviral erworbenen Riechstörungen zu unterscheiden, unter anderem durch einen akuten Beginn und eine rasche Erholung in einer Vielzahl der Fälle, wie erste und bislang unveröffentlichte Untersuchungen unserer Klinik zeigen. Bei etwa 50 % der nicht hospitalisierten Patienten (milder/moderater Verlauf), die während der Infektion über eine akut aufgetretene Riechstörung geklagt hatten, konnte 3 Wochen nach Infektion (Beginn der Quarantänezeit) keine Riechstörung im Sniffin’-Sticks-Test mehr nachgewiesen werden. Der zeitliche Verlauf der Riechstörung sollte daher Umfang weiterer Studien sein, ebenso wie die zugrunde liegende Pathophysiologie und ein möglicher Befall des zentralen Nervensystems über die Riechbahn [20].


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

  • Literatur

  • 1 Welge-Lüssen A, Hummel T. Riech- und Schmeckstörungen. 1. Auflage. Thieme Verlag; 2009
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  • 19 Aggarwal S, Garcia-Telles N, Aggarwal G. et al. Clinical features, laboratory characteristics, and outcomes of patients hospitalized with coronavirus disease 2019 (COVID-19): Early report from the United States. Diagnosis (Berl) 2020; 7: 91-96
  • 20 Schenk M. Neurologische Manifestationen: Wie COVID-19 die Nerven tangiert. Dtsch Arztebl International 2020; 117: A-1001

Korrespondenzadresse

Dr. Martin Sylvester Otte
Medizinische Fakultät und Uniklinik Köln, Klinik und Poliklinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie, Universität zu Köln
Kerpener Str. 52
50923 Köln
Germany   
Phone: ++ 49/2 21/4 78 47 50   
Fax: ++ 49/2 21/47 81 42 65 93   

Publication History

Received: 14 May 2020

Accepted: 19 May 2020

Article published online:
10 June 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York

  • Literatur

  • 1 Welge-Lüssen A, Hummel T. Riech- und Schmeckstörungen. 1. Auflage. Thieme Verlag; 2009
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