Einführung
Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie stellt Patienten und Gesundheitssysteme weltweit
vor außergewöhnliche Herausforderungen und Bedrohungen [1 ]
[2 ]
[3 ]
[4 ]
[5 ]. Die Krankheit betrifft hauptsächlich die Atemwege [1 ]
[2 ]
[3 ]
[4 ]
[5 ], kann sich jedoch zu einem Multiorganversagen ausweiten und tödlich verlaufen [3 ]. Akute Atemwegserkrankungen, die längere Aufenthalte auf Intensivstation erfordern,
sind eine Hauptursache für Morbidität und Mortalität bei COVID-19-Patienten. Ältere
Erwachsene und polymorbide Patienten haben die schlechteste Prognose und eine höhere
Mortalität [1 ]
[2 ]
[3 ]
[4 ]
[5 ]. Intensivaufenthalte, v. a. von längerer Dauer, sind per se bekannte Ursachen für
Mangelernährung mit Verlust von Skelettmuskelmasse und -funktion, was wiederum zu
einer schlechten Lebensqualität, funktionellen Beeinträchtigung und erhöhter Morbidität
lange nach der Entlassung von der Intensivstation führen kann [6 ]. Viele chronische Krankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie
deren Häufung bei polymorbiden Personen [7 ], aber auch das Alter an sich [8 ], sind sehr häufig mit einem hohen Risiko und einer hohen Prävalenz von Mangelernährung
und schlechter Prognose verbunden. Ursachen der Intensivmedizin bzw. der krankheitsassoziierten
Mangelernährung sind eine verminderte Mobilität, katabolische Veränderungen, insbesondere
im Skelettmuskel, sowie eine verminderte Nahrungsaufnahme – Faktoren, welche bei älteren
Erwachsenen noch gravierender auftreten können [6 ]
[7 ]
[8 ]. Darüber hinaus kann v. a. die Entwicklung von Inflammation und Sepsis dazu beitragen,
die genannten Veränderungen bei bestehender SARS-CoV-2-Infektion zu verstärken. Dabei
ist hervorzuheben, dass eine angemessene Erfassung und Behandlung des Ernährungszustands
tatsächlich geeignet ist, Komplikationen wirksam zu reduzieren und relevante klinische
Ergebnisse unter verschiedenen Bedingungen zu verbessern: für Intensivpatienten und
andere Krankenhauspatienten, für chronisch Kranke und für ältere Menschen [6 ]
[7 ]
[8 ].
Basierend auf solchen Beobachtungen sollte die Prävention, Diagnose und Behandlung
von Mangelernährung bei der Behandlung von COVID-19-Patienten adressiert werden, um
sowohl die kurz- als auch die langfristige Prognose zu verbessern. In dem vorliegenden
Dokument möchte die Europäische Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel
(ESPEN) präzise Expertenaussagen und praktische Anleitungen bieten für das Ernährungsmanagement
von COVID-19-Patienten mit intensivmedizinischer Betreuung, mit höherem Alter oder
mit Polymorbidität, die alle unabhängig voneinander von Mangelernährung und ihrer
negativen Auswirkung auf das Überleben bedroht sind. Die Empfehlungen basieren auf
aktuellen ESPEN-Leitlinien und weiteren Expertenratschlägen. Da es keine speziellen
Studien zum Ernährungsmanagement bei COVID-19-Infektionen gibt, können die folgenden
Überlegungen derzeit nur auf bestem Wissen und klinischer Erfahrung beruhen.
Vorbeugung und Behandlung von Malnutrition bei Individuen mit erhöhtem Risiko oder
mit SARS-CoV-2-Infektion
Die Erfassung des Risikos für Mangelernährung bzw. das Vorhandensein von Mangelernährung
sollte eine frühe Maßnahme im Rahmen der allgemeinen Beurteilung aller COVID-19-Patienten
sein, besonders bei Risikopatienten mit höherem Alter (> 70 Jahre) oder mit chronischen
und akuten Krankheitszuständen. Da Mangelernährung nicht nur durch eine geringe Körpermasse,
sondern auch durch die Unfähigkeit, eine gesunde Körperzusammensetzung und Skelettmuskelmasse
zu erhalten, definiert ist, sollten Personen mit Adipositas nach denselben Kriterien
untersucht werden.
Kriterien wie MUST oder NRS-2002 sind etabliert und validiert für das Malnutritionsscreening
in der allgemeinen klinischen Praxis bzw. in bestimmten Klinikbereichen. Zur weiteren
Beurteilung von im Screening positiv getesteter Patienten wurden verschiedene Instrumente
verwendet, die sich in der klinischen Praxis bewährt haben. Dazu gehören u. a. das
Subjective Global Assessment (SGA), das Mini Nutritional Assessment (NMA) für geriatrische
Patienten und (mit Einschränkungen) der NUTRIC score für Intensivpatienten [8 ]
[9 ]. In einem kürzlich publizierten Dokument, welches von ernährungsmedizinischen Fachgesellschaften
weltweit verabschiedet worden ist, wurden die GLIM-Kriterien (GLIM, Global Leadership
Initiative on Malnutrition) für die Diagnose von Mangelernährung eingeführt [10 ]. GLIM schlägt einen 2-stufigen Ansatz für die Diagnose von Mangelernährung vor,
erstens ein Screening zur Ermittlung des Risikostatus mithilfe validierter Screening-Tools
wie MUST oder NRS-2002 und zweitens eine Bewertung zur Diagnose und Einstufung des
Schweregrads der Mangelernährung nach GLIM ([
Tab. 1
]). Demnach erfordert die Diagnose von Mangelernährung mindestens 1 phänotypisches
Kriterium und 1 ätiologisches Kriterium.
Tab. 1
Phänotypische und ätiologische Kriterien für die Diagnose einer Mangelernährung, adaptiert
nach [9 ].
phänotypische Kriterien
ätiologische Kriterien
Gewichtsverlust (%)
> 5 % innerhalb der letzten 6 Monate oder > 10 % in mehr als 6 Monaten
reduzierte Nahrungsaufnahme oder Nahrungsverarbeitung (intestinale Assimilation)[** ]
50 % des EB > 1 Woche oder jede Verminderung für > 2 Wochen oder eine chronische GI-Erkrankung,
die sich nachteilig auf die Nahrungsassimilation oder Absorption auswirkt
niedriger Body-Mass-Index (kg/m2 )
< 20 wenn < 70 Jahre, oder < 22 wenn > 70 Jahre
Asien: < 18,5 wenn < 70 Jahre oder < 20 wenn > 70 Jahre
Entzündung[*** ]
akute Erkrankung/Verletzung, oder bedingt durch eine chronische Erkrankung
reduzierte Muskelmasse
diagnostiziert durch ein validiertes Messverfahren zur Bestimmung der Körperzusammensetzung[* ]
GI: gastrointestinal; EB: Energiebedarf
* Die Muskelmasse kann am besten mittels Dual-Energy-Absorptiometry (DXA), bioelektrischer
Impedanzanalyse (BIA), Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT)
beurteilt werden. Alternativ können anthropometrische Standardmaße wie Oberarmmuskel-
oder Wadenumfang verwendet werden (siehe https://nutritionalassessment.mumc.nl/en/anthropometry ). Grenzwerte für eine verringerte Muskelmasse müssen an die Ethnie angepasst werden
(Asien). Funktionelle Bewertungen wie die Handkraft können als unterstützende Maßnahme
genutzt werden.
** Gastrointestinale Symptome werden als zusätzliche Indikatoren erachtet, die die Nahrungsaufnahme
oder -aufnahme beeinträchtigen können, z. B. Dysphagie, Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö,
Obstipation oder Bauchschmerzen. Eine verminderte Aufnahme von Nahrungsmitteln/Nährstoffen
ist mit malabsorptiven Störungen wie Kurzdarmsyndrom, Pankreasinsuffizienz und dem
Zustand nach bariatrischen Operationen sowie mit Erkrankungen wie Ösophagusstrikturen,
Gastroparese und Darmpseudoobstruktion verbunden.
*** Bedingt durch eine akute Erkrankung/Verletzung: Schwere Entzündungen können mit ausgeprägten
Infektionen, Verbrennungen, Traumata oder geschlossenen Kopfverletzungen verbunden
sein. Bedingt durch eine chronische Erkrankung: Chronische oder rekurrente leichte
bis mittelschwere Entzündungen sind in den meisten Fällen durch maligne Erkrankungen,
eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Herzinsuffizienz, chronische Nierenerkrankungen
oder anderen Erkrankungen mit chronischen oder rezidivierenden Entzündungen bedingt.
Eine vorübergehende milde Entzündung erfüllt dieses ätiologische Kriterium nicht.
Zur Erfassung der Entzündungsschwere kann die Bestimmung von C-reaktivem Protein im
Serum empfohlen werden.
Die obigen Überlegungen scheinen für Patienten, bei denen das Risiko einer schweren
SARS-CoV-2-Infektion besteht oder die wegen einer COVID-19-Infektion ins Krankenhaus
eingeliefert wurden, uneingeschränkt anwendbar zu sein, da Patienten mit hohem Risiko
für Mangelernährung (ältere und polymorbide Personen) häufig einen schwierigen Verlauf
von COVID-19 aufweisen. Die Erhaltung des Ernährungszustands und die Vorbeugung bzw.
Behandlung von Mangelernährung können auch bei Ernährungsrisikopatienten, bei denen
in Zukunft möglicherweise COVID-19 auftritt, Komplikationen und negative Folgen verringern.
Insbesondere kann COVID-19 von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall begleitet sein, was
die Nahrungsaufnahme und -digestion beeinträchtigt [2 ]. Daher ist ein guter Ernährungszustand für Menschen mit einem Risiko für schweres
COVID-19 von Vorteil. In einer kürzlich publizierten Übersichtsarbeit zu möglichen
Interventionen gegen neuartige Coronaviren wurde, basierend auf den chinesischen Erfahrungen,
vorgeschlagen, dass der Ernährungsstatus jedes infizierten Patienten vor Beginn der
allgemeinen Therapie evaluiert wird [11 ].
Basierend auf Daten von Influenza-Infektionen konnten mittels multivariater Analysen
bestimmte Prädiktoren für die Mortalität identifiziert werden, darunter der Virustyp
(Odds Ratio, OR 7,1), Mangelernährung (OR 25,0), nosokomiale Infektion (OR 12,2),
Ateminsuffizienz (OR 125,8) oder radiologisch identifizierte Lungeninfiltrate (OR
6,0) [12 ]. Es sollte berücksichtigt werden, dass auch mangelernährte Kinder einem erhöhten
Risiko für virale Pneumonien und lebensbedrohlichem Infektionsverlauf ausgesetzt sind.
Zum Beispiel wurde gezeigt, dass Lungenentzündung und Mangelernährung hoch prädiktiv
sind für die Mortalität von Kindern, die mit einer HIV-Infektion ins Krankenhaus eingeliefert
wurden [13 ].
Patienten mit Mangelernährung sollten versuchen, ihren Ernährungszustand zu optimieren,
idealerweise durch Ernährungsberatung von erfahrenen Fachkräften (examinierte Diätassistentin,
erfahrene Ernährungswissenschaftler, Ernährungsmediziner und andere auf Ernährung
spezialisierte Fachärzte).
Eine retrospektive Analyse der verfügbaren Daten zur Influenzapandemie von 1918 ergab,
dass die Schwere der Erkrankung von Virus- und Wirtsfaktoren abhängt. Unter den Wirtsfaktoren,
die mit Schwankungen der Influenza-Morbidität und des Mortalitätsalters assoziiert
sind, spielten zelluläre und humorale Immunantworten, Genetik und Ernährung eine Rolle
[11 ]. Mangelernährung und Hungerzustand waren mit einer hohen Schwere der Erkrankung
und mit der Mortalität verbunden, auch in der jüngeren Bevölkerung. Unterernährung
bleibt ein Problem für Viruspandemien des 21. Jahrhunderts und darüber hinaus. In
der Tat wurde angenommen, dass chronische Mangelernährung zu der hohen Morbidität
und Mortalität bei guatemaltekischen Kindern während der Influenzapandemie 2009 beigetragen
hat [12 ]. In einer zukünftigen Viruspandemie könnten wir einer „doppelten Belastung“ durch
Fehlernährung ausgesetzt sein, wenn sowohl Mangelernährung als auch Überernährung
die Schwere der Krankheit fördern. Es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass Adipositas
das Risiko erhöht, mit einer Influenzavirusinfektion ins Krankenhaus eingeliefert
zu werden und daran zu sterben, und dass Adipositas sowohl virusspezifische CD8+ -T-Zellreaktionen als auch Antikörperreaktionen auf den saisonalen Influenza-Impfstoff
hemmt [11 ]. Die Herausforderung für zukünftige Viruspandemien besteht daher nicht nur darin,
die von Mangelernährung Betroffenen zu schützen, sondern auch die wachsende Zahl von
Menschen mit Adipositas [11 ]. Dies ist besonders wichtig für die Europäische Region der WHO, da in vielen europäischen
Ländern 30–70 % der Bevölkerung von Übergewicht und Adipositas betroffen sind [14 ]. In einer kürzlich durchgeführten japanischen Studie wurden Mangelernährung und
Lungenentzündung als Prognosefaktoren für Influenza-Infektionen identifiziert, die
behandelbar sind. Unter Verwendung der Cox-Proportional-Hazards-Modellierung wurden
als unabhängige Variablen für das Überleben das männliche Geschlecht, der Schweregrad
der Infektion, der Serumalbuminspiegel und das Auftreten von Lungenentzündung 30 Tage
nach Beginn der Influenza identifiziert [13 ].
Wir bieten Behandlungsvorschläge auf der Grundlage verschiedener ESPEN-Leitlinien
(alle S3-Niveau) an, insbesondere den Leitlinien zur Ernährung von internistischen
polymorbiden Patienten [7 ] und von geriatrischen Patienten [8 ]. Wir verweisen den Leser auf die vollständigen Leitlinien für spezifische Empfehlungen
unter verschiedenen spezifischen Bedingungen, die im Zusammenhang mit COVID-19 auftreten
können. Das Vorhandensein von mindestens 2 chronischen Krankheiten bei derselben Person
kann als Polymorbidität definiert werden und ist auch durch ein hohes Ernährungsrisiko
gekennzeichnet. Ältere Erwachsene sind einem höheren Risiko ausgesetzt, da Kombinationen
aus höherer Prävalenz von Komorbiditäten, altersbedingten Veränderungen der Körperzusammensetzung
mit allmählichem Verlust der Skelettmuskelmasse und -funktion (Sarkopenie) und zusätzlichen
Risikofaktoren wie Mund- und Kauprobleme, psychosoziale Probleme, kognitive Beeinträchtigungen
und Altersarmut vermehrt auftreten. Übergewichtige Personen mit chronischen Krankheiten
und höherem Alter sind ebenfalls einem Risiko für eine Verringerung der Skelettmuskelmasse
und -funktion ausgesetzt und sollten daher vollständig in die obigen Empfehlungen
aufgenommen werden. Restriktionsdiäten, die die Nahrungsaufnahme einschränken können,
sollten vermieden werden. Bei COVID-19-Patienten könnte die Ernährungsberatung ggf.
per Videokonferenz, Telefon o. Ä. durchgeführt werden, um das Risiko einer Infektion
der Beraterungsperson zu minimieren, die zur Infektion weiterer Patienten führen könnte.
Der Energiebedarf kann mithilfe der indirekten Kalorimetrie ermittelt werden, wenn die Messung unter
entsprechenden hygienischen Voraussetzungen sicher verfügbar ist, oder alternativ
mittels validierter Formeln abgeschätzt werden wie:
27 kcal pro kg Körpergewicht und Tag; Gesamtenergieverbrauch für polymorbide Patienten
ab 65 Jahren (Empfehlung 4.2 in [7 ])
30 kcal pro kg Körpergewicht und Tag; Gesamtenergieverbrauch für stark untergewichtige
polymorbide Patienten (Empfehlung 4.3 in [7 ])[* ]
30 kcal pro kg Körpergewicht und Tag; Richtwert für die Energieaufnahme bei älteren
Menschen, dieser Wert sollte individuell in Bezug auf Ernährungsstatus, körperliche
Aktivität, Krankheitsstatus und Toleranz angepasst werden (Empfehlung 1 in [8 ])
Der Proteinbedarf wird normalerweise anhand folgender Formeln geschätzt:
1 g Protein pro kg Körpergewicht und Tag bei älteren Personen; die Menge sollte individuell
in Bezug auf Ernährungsstatus, körperliche Aktivität, Krankheitsstatus und Toleranz
angepasst werden (Empfehlung 2 in [8 ]).
≥ 1 g Protein pro kg Körpergewicht und Tag bei stationären polymorbiden Patienten,
um einen Gewichtsverlust des Körpers zu verhindern, das Risiko von Komplikationen
und die Rückübernahme in ein Krankenhaus zu verringern und das funktionelle Ergebnis
zu verbessern (Empfehlung 5.1 in [7 ]).
Der Fett- und Kohlenhydratbedarf wird an den Energiebedarf angepasst, wobei ein Energieverhältnis von Fett und Kohlenhydraten
zwischen 30:70 (Probanden ohne Atemmangel) und 50:50 (beatmete Patienten, s. u.) Prozent
empfohlen wird.
Bei Patienten mit Mangelernährung sollte eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen
und Mineralstoffen sichergestellt werden.
Ein Teil der allgemeinen Ernährungsempfehlungen zur Prävention von Virusinfektionen
ist die angemessene Versorgung, ggf. auch Supplementierung, von Vitaminen, um potenziell
die negativen Auswirkungen von Krankheiten zu verringern [15 ].
Als Beispiel wurde ein Vitamin-D-Mangel mit einer Reihe verschiedener Viruserkrankungen
in Verbindung gebracht, darunter Influenza [16 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ], Human Immunodeficiency Virus (HIV) [20 ] und Hepatitis C [21 ], während andere Studien einen solchen Zusammenhang für Influenza infrage stellten
[22 ]
[23 ]. COVID-19 wurde erstmals im Winter 2019 entdeckt und betraf hauptsächlich Erwachsene
mittleren bis höheren Alters. In zukünftigen Studien sollte geklärt werden, ob ein
unzureichender Vitamin-D-Status bei COVID-19-Patienten typisch ist und mit dem Schweregrad
zusammenhängt. Die Hypothese, dass ein solcher Zusammenhang existieren könnte, wird
unterstützt durch Berichte, dass verringerte Vitamin-D-Spiegel bei Kälbern das Risiko
für eine Rinder-Coronavirus-Infektion erhöhen [24 ].
Als weiteres Beispiel wurde Vitamin A als „antiinfektiöses“ Vitamin tituliert, da
viele Abwehrmechanismen des Körpers gegen Infektionen von einer ausreichenden Versorgung
mit Vitamin A abhängen. Beispielsweise ist ein Vitamin-A-Mangel assoziiert mit Masern
und Durchfallerkrankung, und der Verlauf der Masernerkrankung kann bei Kindern mit
Vitamin-A-Mangel eher schwerwiegend werden. Im Tiermodell war die Wirkung einer Infektion
mit dem infektiösen Bronchitis-Virus (IBV), einer Art von Coronaviren bei Hühnern,
die mit einer an Vitamin A leicht defizitären Diät gefüttert wurden, stärker ausgeprägt
als bei Hühnern, die eine Diät mit ausreichend Vitamin A erhielten [25 ]. Darüber hinaus wurde berichtet, dass eine Vitamin-A-Supplementierung beim Menschen
die Morbidität und Mortalität bei verschiedenen Infektionskrankheiten wie Masern,
Durchfallerkrankungen, masernbedingter Pneumonie, Malaria und HIV/AIDS-Infektionen
verringert. In diesem Zusammenhang hat die COVID-19-Pandemie die Frage aufgeworfen,
wie sich die Infektion auf Menschen mit HIV/AIDS auswirken kann. Wenn HIV/AIDS angemessen
behandelt wird, steigt das Risiko von Komplikationen mit COVID-19 nicht an. In vielen
Teilen der Welt werden Menschen mit HIV/AIDS jedoch nicht optimal behandelt und haben
mit größerer Wahrscheinlichkeit schwerwiegende Komplikationen. Es gibt Hinweise darauf,
dass die Gewährleistung von Ernährungssicherheit für alle, insbesondere aber für Menschen
mit HIV/AIDS, die Resistenz gegen andere Infektionen erhöht, indem sie ihre Immunität
stärken [26 ]. Daher sollte eine gesunde Ernährung ohne Mikronährstoffdefizite eines der Hauptziele
sein, um Menschen mit HIV/AIDS vor den potenziell tödlichen Folgen von COVID-19 zu
schützen.
Im Allgemeinen wurden eine geringe Aufnahme oder niedrige Spiegel von Mikronährstoffen
wie Vitamin A, E, B6 und B12 , Zink und Selen mit nachteiligen klinischen Ergebnissen bei Virusinfektionen in Verbindung
gebracht [27 ]. Diese Annahme wurde kürzlich in einer Übersicht von Lei Zhang und Yunhui Liu [15 ] bestätigt, die vorschlugen, dass neben den Vitaminen A und D auch B-Vitamine, Vitamin
C, mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren sowie Selen, Zink und Eisen berücksichtigt
werden sollten bei der Beurteilung des Mikronährstoffstatus bei COVID-19-Patienten.
Obwohl es wichtig ist, Mikronährstoffmangel zu verhindern und zu behandeln, gibt es
keine Belege dafür, dass die routinemäßige Supplementierung mit supraphysiologischen
oder supratherapeutischen Dosen von Mikronährstoffen präventiv oder therapeutisch
wirksam ist hinsichtlich COVID-19. Basierend auf den genannten Überlegungen schlagen
wir vor, dass die Zufuhr des täglichen Bedarfs an Vitaminen und Spurenelementen bei
unterernährten Patienten, bei denen ein Risiko für COVID-19 besteht oder bereits eine
COVID-19-Erkrankung vorliegt, sichergestellt wird, um die allgemeine Abwehr gegen
Infektionen zu maximieren.
Patienten in Quarantäne sollten sich regelmäßig körperlich betätigen und dabei Vorsichtsmaßnahmen
treffen.
Eine Verringerung des Infektionsrisikos wird am besten durch eine häusliche Quarantäne
erreicht, die derzeit allen Angehörigen der Risikogruppen und auch Erkrankten mit
einem eher moderaten Krankheitsverlauf dringend empfohlen wird. Ein längerer Aufenthalt
zu Hause kann jedoch vermehrt zu Bewegungsmangel führen, wenn beispielsweise übermäßig
viel Zeit im Sitzen, Liegen oder mit Bildschirmaktivitäten (Computerspiele, Fernsehen,
Verwenden mobiler Geräte) verbracht wird. Dadurch verringert sich die regelmäßige
körperliche Aktivität und damit auch der Energieverbrauch. Eine Quarantäne kann somit
zu einem erhöhten Risiko und einer möglichen Verschlechterung chronischer Erkrankungen,
einer Gewichtszunahme, dem Verlust von Skelettmuskelmasse und Muskelkraft und möglicherweise
auch zum Verlust der Immunkompetenz führen, da einige Studien über positive Auswirkungen
eines aeroben Trainings auf die Immunfunktion berichten. In ihrem kürzlich erschienenen
Artikel kommen Chen et al. [28 ] zu dem Schluss, dass es gute Gründe dafür gibt, sich auch zu Hause körperlich zu
betätigen, um unter den gegenwärtigen Umständen gesund zu bleiben und die Funktionalität
des Immunsystems aufrechtzuerhalten. Ein häusliches Fitnessprogramm mit verschiedenen
sicheren, einfachen und leicht umsetzbaren Übungen ist gut geeignet, um eine Ansteckung
mit dem durch Tröpfcheninfektion übertragenen Coronavirus zu vermeiden und den Fitnesslevel
aufrechtzuerhalten. Das häusliche Fitnessprogramm kann u. a., aber nicht ausschließlich,
Kraftübungen, Gleichgewichtsübungen, Dehnübungen oder eine Kombination dieser Übungen,
umfassen. Mögliche Übungen sind beispielsweise gehen im Haus oder einkaufen zu Fuß,
das Heben und Tragen von Einkäufen, wechselseitige Ausfallschritte, Treppensteigen,
wiederholtes Aufstehen und Hinsetzen von einem Stuhl oder vom Boden aus, Stuhlkniebeugen,
Sit-ups und Liegestützen. Darüber hinaus sollten traditionelle Taijiq
uan-, Qigong-Übungen und Yoga in Betracht gezogen werden, da diese Übungen keine Ausrüstung
und wenig Platz erfordern und jederzeit praktiziert werden können. Die Verwendung
von eHealth und Trainingsvideos, die zu Fitnessübungen anleiten und über das Internet,
mobile Technologien und das Fernsehen verfügbar sind, sind weitere Möglichkeiten,
um die körperliche Funktion und die mentale Gesundheit in dieser kritischen Situation
aufrechtzuerhalten. Unter Einhaltung gewisser Vorsichtsmaßnahmen können auch Aktivitäten
im Freien in Betracht gezogen werden, z. B. Gartenarbeit (wenn ein eigener Garten
vorhanden ist), Übungen im Garten (z. B. Badminton) oder Gehen/Laufen im Wald (allein
oder in kleinen, familiären Gruppen bei einem Mindestabstand von 2 m zu anderen Personen).
Ein tägliches Training von > 30 min oder Training mit einer Dauer von > 1 h jeden
zweiten Tag wird empfohlen, um die Fitness, die mentale Gesundheit, die Muskelmasse
und damit den Energieverbrauch und die Körperzusammensetzung zu erhalten.
Orale Nahrungsergänzungssupplemente (ONS) sollten nach Möglichkeit verwendet werden,
um den Nahrungsbedarf des Patienten zu decken, wenn Ernährungsberatung und Lebensmittelanreicherung
nicht ausreichen. Um die Nahrungsaufnahme zu erhöhen und die Ernährungsziele zu erreichen,
sollten die ONS mindestens 400 kcal/Tag Energie inkl. 30 g/Tag Protein bereitstellen
und mindestens einen Monat lang eingenommen werden. Die Wirksamkeit und der erwartete
Nutzen von ONS sollten monatlich bewertet werden.
Die allgemeinen Leitlinien zur Prävention und Therapie von Mangelernährung mittels
ONS sind uneingeschränkt auch im Kontext einer COVID-19-Infektion anwendbar (s. a.
Empfehlungen 2.1–2.3 in [7 ] und Empfehlungen 23, 26 und 27 in [8 ]). Mit SARS-CoV-2 Infizierte, die nicht intensivpflichtig sind, sollten daher entsprechend
behandelt werden, um eine Mangelernährung zu verhindern oder eine bereits bestehende
zu verbessern. Die orale Route wird, wenn möglich, immer bevorzugt. Zur Optimierung
von Kalorienzielen verweisen wir auf individuelle Leitlinien. Die Ernährungstherapie
sollte zu einem frühen Zeitpunkt während des Krankenhausaufenthalts beginnen (innerhalb
von 24–48 Stunden). Insbesondere bei älteren und multimorbiden Patienten, deren Ernährungszustand
möglicherweise bereits eingeschränkt ist, sollten die Ernährungstherapie und die definierten
Ziele schrittweise gesteigert werden, um ein Refeeding-Syndrom zu verhindern. ONS
bieten energiedichte Alternativen zu normalen Mahlzeiten und können angereichert werden,
um den Bedarf an Protein sowie Mikronährstoffen (Vitamine und Spurenelemente) zu decken,
wobei der geschätzte Tagesbedarf regelmäßig gedeckt werden sollte. Wenn die Compliance
fraglich ist, wird eine engmaschigere Überprüfung der Therapie (z. B. wöchentlich)
und damit eine mögliche Indikationsstellung zur Änderung der ONS angeraten. Die Ernährungstherapie
sollte nach der Entlassung aus dem Krankenhaus mit ONS und individuellen Ernährungsplänen
fortgesetzt werden. Dies ist besonders wichtig, da bereits vorhandene Ernährungsrisikofaktoren
weiterhin bestehen und akute Krankheiten und Krankenhausaufenthalte das Risiko für
oder eine bereits vorhandene Mangelernährung wahrscheinlich verschlechtern.
Bei polymorbiden stationären Patienten und bei älteren Personen mit guter Prognose,
deren Ernährungsbedarf nicht oral gedeckt werden kann, sollte eine enterale Ernährung
(EE) verabreicht werden. Die parenterale Ernährung (PE) sollte in Betracht gezogen
werden, wenn die EE nicht angezeigt ist oder die Ziele dadurch nicht erreicht werden.
Eine EE sollte verordnet werden, wenn der Nährstoffbedarf nicht über die orale Route
gedeckt werden kann, z. B. wenn zu erwarten ist, dass die orale Nahrungszufuhr länger
als 3 Tage unmöglich sein wird oder länger als 1 Woche weniger als die Hälfte des
Energiebedarfs abdeckt. In diesen Fällen ist die Verwendung von EE gegenüber der PE
aufgrund des geringeren Risikos für infektiöse und nicht infektiöse Komplikationen
überlegen (s. a. Empfehlung 3.1 in [7 ] und Empfehlung 29 in [8 ]). Eine Überwachung der EE auf mögliche Komplikationen sollte durchgeführt werden.
Es gibt keine Einschränkungen für die Verwendung von EE/PE hinsichtlich des Alters
oder der Diagnosen des Patienten, wenn eine Verbesserung des Ernährungszustands voraussehbar
ist.
Ernährungsmanagement bei Intensivpatienten mit SARS-CoV-2-Infektion
Unsere Empfehlungen basieren auf den jüngsten ESPEN-Leitlinien zur Ernährungstherapie
bei Intensivpatienten [6 ] und auf Atemtherapiestadien, die sich am Zustand des Patienten orientieren [4 ]. Bei den Überlegungen zur Ernährungstherapie sollte die Art des respiratorischen
Supports berücksichtigt werden, die der Intensivpatient erhält, wie in [
Tab. 2
] gezeigt.
Tab.
2
Ernährungstherapie in Abhängigkeit vom respiratorischen Support bei Intensivpatienten.
Setting
Normalstation
Intensivstation Tag 1–2
Intensivstation Tag 2–
stationäre Rehabilitation
Sauerstofftherapie und mechanische Beatmung
nein; allenfalls O2 -Unterstützung in Betracht ziehen über FNC
FNC, gefolgt von mechanischer Beatmung
mechanische Beatmung
Mögliche Extubation und Verlegung auf Normalstation
Organversagen
bilaterale Lungenentzündung, Thrombopenie
Verschlechterung des Atemstatus; ARDS; möglicher Schock
Multiorganversagen möglich
schrittweise Erholung nach Extubation
Ernährungstherapie
Screening auf Mangelernährung; orale Ernährung/ONS, enterale oder parenterale Ernährung,
falls erforderlich
Energie- und Proteinziel definieren;
bei FNC oder NIV Energie/Protein oral oder enteral verabreichen; wenn dies nicht möglich
ist, dann parenteral
Bevorzugt frühe enterale Ernährung verwenden;
hohe Proteinaufnahme und Mobilisierung
Dysphagie beurteilen und wenn möglich orale Ernährung anstreben; wenn nicht möglich:
enterale oder parenterale Ernährung; hohe Proteinaufnahme und Bewegungstherapie
Entsprechend der Progression der Infektion wird eine medizinische Ernährungstherapie
in Verbindung mit der Unterstützung der Atemwege auf der Intensivstation vorgeschlagen. FNC: Flow-Nasenkanüle; ARDS: akutes Atemnotsyndrom; ONS: orales Nahrungssupplement;
NIV: nicht invasive Ventilation
Präintubationsphase
Bei nicht intubierten COVID-19-Intensivpatienten, die das Energieziel mit einer oralen
Diät nicht erreichen, sollte zuerst ONS und dann eine EE eingesetzt werden. Wenn es
Einschränkungen für den enteralen Weg gibt, kann eine periphere PE verschrieben werden,
sofern das Energie-Protein-Ziel nicht durch orale oder enterale Ernährung erreicht
wird.
Noninvasive ventilation (NIV): Im Allgemeinen wird nur einer Minderheit (25–45 %) der Patienten, die zur Überwachung,
NIV und Beobachtung nach Extubation auf der Intensivstation aufgenommen wurden, eine
orale Ernährung verschrieben, wie eine Umfrage auf Intensivstation zum „Nutrition
Day“ gezeigt hat [29 ]. Reeves et al. [30 ] berichteten auch, dass die Aufnahme von Energie und Protein bei ARDS-Patienten,
die mit NIV behandelt wurden, unzureichend war. Erwähnenswert ist, dass bei NIV-Patienten,
die mit EE behandelt werden, mit einer längeren nicht-invasiven Beatmungsdauer vermehrt
Atemwegskomplikationen auftreten können [31 ]. Die Empfehlung, mit der EE zu beginnen, könnte durch die Tatsache beeinträchtigt
werden, dass die Platzierung der nasogastralen Ernährungssonde zu 1) Luftleckagen
führen kann, die die Wirksamkeit der NIV beeinträchtigen können, und 2) Magendilatation
bewirken kann, welche die Zwerchfellfunktion und die NIV-Wirksamkeit beeinträchtigen
kann [32 ]. Die obigen Beobachtungen können zumindest ein Grund für eine unzureichende Umsetzung
der EE sein, die insbesondere in den ersten 48 Stunden des Aufenthalts auf der Intensivstation
zu einem Energiedefizit und folglich einem höheren Risiko für Mangelernährung und
damit verbundene Komplikationen führen kann [33 ]. Unter diesen Bedingungen kann daher eine periphere PE in Betracht gezogen werden.
Flow nasal cannula
(FNC) und high FNC (HFNC): Patienten, die durch eine Nasenkanüle mit Sauerstoff versorgt werden, sind im Allgemeinen
in der Lage, die orale Ernährung wieder aufzunehmen [34 ]. Nur wenige Studien haben von einer Notwendigkeit einer EE oder PE bei dieser Form
der respiratorischen Therapie berichtet. Allerdings gibt es etwas Evidenz dafür, dass
die Kalorien- und Proteinaufnahme unzureichend bleibt, um Mangelernährung bei HFNC-Patienten
zu verhindern oder zu behandeln ([35 ] und eigene unveröffentlichte Daten). Eine unzureichende Versorgung mit Energie und
Protein zu übersehen, kann zu einer Verschlechterung des Ernährungszustands mit Mangelernährung
und damit verbundenen Komplikationen führen. Ein angemessenes Monitoring der Nährstoffaufnahme
wird bei Behandlung mit ONS bzw. EE empfohlen, wenn der orale Weg nicht ausreicht.
Beatmungsphase
Wenn die HFNC oder die NIV länger als 2 Stunden durchgeführt wurde, ohne dass eine
adäquate Oxigenierung erreicht werden konnte, besteht eine Indikation zur Intubation
und maschinellen Beatmung. Die ESPEN-Empfehlungen [6 ] gelten uneingeschränkt mit dem gleichen Ziel, eine Verschlechterung des Ernährungszustands
und Mangelernährung mit damit verbundenen Komplikationen zu verhindern. In Übereinstimmung
mit den ESPEN-Leitlinien zur Ernährung auf der Intensivstation [6 ] fassen wir die Vorschläge für COVID-19-intubierte und -beatmete Patienten wie folgt
zusammen:
Bei intubierten und beatmeten Intensivpatienten mit COVID-19 sollte die EE über eine
nasogastrale Sonde begonnen werden. Eine postpylorische Applikation sollte bei Patienten
mit Magenentleerungsstörung trotz prokinetischer Behandlung oder bei Patienten mit
hohem Aspirationsrisiko erfolgen. Die Bauchlage stellt an sich keine Einschränkung
oder Kontraindikation für eine EE dar.
Energiebedarf: Zur Energiebedarfsabschätzung sollte der Energieverbrauch des Patienten mithilfe
der indirekten Kalorimetrie ermittelt werden, sofern diese verfügbar ist. Eine isokalorische
Ernährung anstelle einer hypokalorischen Ernährung kann dann nach der frühen Phase
einer akuten Erkrankung schrittweise implementiert werden. Wenn keine Kalorimetrie
verfügbar ist, erlauben VO2 (Sauerstoffverbrauch) aus dem Lungenarterienkatheter oder VCO2 (Kohlendioxidproduktion) aus dem Beatmungsgerät eine bessere Abschätzung des Energieverbrauchs
als prädiktive Gleichungen.
Energieverabreichung: In der frühen Phase einer akuten Erkrankung sollte eine hypokalorische Ernährung
(nicht mehr als 70 % des Energieverbrauchs) verabreicht werden, die ab Tag 3 schrittweise
auf 80–100 % gesteigert wird. Wenn prädiktive Gleichungen zur Abschätzung des Energiebedarfs
verwendet wurden, wird eine hypokalorische Ernährung (unter 70 % des geschätzten Bedarfs)
in der 1. Woche des Aufenthalts auf der Intensivstation bevorzugt, da Berichten zufolge
der Energiebedarf nach Formeln oft überschätzt wird.
Proteinbedarf: Während der kritischen Erkrankungsphase können schrittweise Proteinäquivalente im
Umfang von 1,3 g/kg Körpergewicht/Tag verabreicht werden. Es wurde gezeigt, dass diese
Menge das Überleben v. a. bei gebrechlichen Patienten verbessert. Intensivpatienten
mit Adipositas werden ohne Messung der Körperzusammensetzung Proteinäquivalente im
Umfang von 1,3 g/kg „angepasstes Körpergewicht“/Tag empfohlen. Das angepasste Körpergewicht
wird berechnet als ideales Körpergewicht + (tatsächliches Körpergewicht – ideales
Körpergewicht) * 0,33 [6 ]. (Anmerkung des Übersetzers: Ideales Körpergewicht ist das Körpergewicht, das einem
Body-Mass-Index von 25 kg/m2 entspricht bzw. nach der Formel zu berechnen 2,2 × BMI + 3,5 × BMI × [Körpergröße
in m – 1,5]). In Anbetracht der Bedeutung des Erhalts von Skelettmuskelmasse und -funktion
sowie der katabolen Situation durch Krankheit und Intensivtherapie, sind zusätzliche
Strategien zur Steigerung des Muskelaufbaus zu überlegen. Insbesondere die kontrollierte
körperliche Aktivität und die Mobilisierung können die positiven Effekte der Ernährungstherapie
verbessern.
Für Intensivpatienten, die in der 1. Woche auf der Intensivstation die erforderliche
Menge an EE nicht tolerieren, sollte eine zusätzliche PE von Fall zu Fall erwogen
werden. PE sollte erst dann gestartet werden, wenn alle Strategien zur Optimierung
der Toleranz für EE ausgeschöpft wurden.
Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen: Bei Patienten, die eine maschinelle Beatmung und Stabilisierung benötigen, sollte
die Steigerung auf vollständige Nährstoffversorgung mit Bedacht durchgeführt werden.
Allgemeine Bemerkungen: Wenn die Patienten stabilisiert sind und sogar, wenn sie sich in Bauchlage befinden,
kann die EE – idealerweise nach Durchführung der indirekten Kalorimetrie – mit 30 %
des ermittelten Energieverbrauchs gestartet werden. Die Energiezufuhr wird anschließend
schrittweise erhöht. In Notfällen kann die Formel 20 kcal/kg Körpergewicht/Tag zur
Ermittlung des Energieverbrauchs verwendet werden. An Tag 2 kann dann auf 50–70 %
des ermittelten Energieverbrauchs, bis Tag 4 auf 80–100 % erhöht werden. Das Proteinziel
von 1,3 g/kg Körpergewicht/Tag sollte auch bis Tag 3–5 erreicht sein. Die Magensonde
wird bevorzugt, aber bei großem Magenrestvolumen (über 500 ml) sollte eine Duodenalsonde
verwendet werden. Die Verwendung von Omega-3-Fettsäuren in der EE kann die Sauerstoffversorgung
verbessern, es fehlt jedoch die klare Evidenz dafür. Wenn eine Unverträglichkeit gegenüber
EE vorliegt, sollte eine PE in Betracht gezogen werden. Der Blutzucker sollte auf
einem Zielwert zwischen 6 und 8 mmol/l gehalten werden, zusammen mit der Überwachung
von Bluttriglyzeriden und Elektrolyten, einschließlich Phosphat, Kalium und Magnesium
[6 ].
Postmaschinelle Beatmungsphase und Dysphagie
Patienten, die keine maschinelle Beatmung mehr benötigen, haben eine hohe Inzidenz
von Dysphagie, welche die orale Nährstoffaufnahme gerade in der Phase der Rekonvaleszenz
stark einschränken kann. Die folgenden Überlegungen gelten deshalb auch für Patienten
mit COVID-19 nach Extubation.
Bei Intensivpatienten mit Dysphagie kann eine texturangepasste Nahrung nach der Extubation
in Betracht gezogen werden. Wenn sich das Schlucken als unsicher herausstellt, sollte
EE verabreicht werden. Bei hohem Aspirationsrisiko kann eine postpylorische EE oder,
falls dies nicht möglich ist, eine vorübergehende PE, auch während des Schlucktrainings
nach Entfernung der nasalen Ernährungssonde, durchgeführt werden.
Die Schluckstörung nach Extubation kann v. a. bei älteren Menschen und nach längerer
Intubation bis zu 21 Tage anhalten [36 ]
[37 ], was diese Komplikation für COVID-19-Patienten besonders relevant macht. Es wurde
berichtet, dass 24 % der älteren Patienten 3 Wochen nach der Extubation auf Sondenkost
angewiesen waren [38 ]. Das Vorhandensein einer ausgeprägten Dysphagie nach Extubation war mit schweren
Komplikationen verbunden wie Lungenentzündung, Reintubation und Krankenhaussterblichkeit.
In einer neueren Studie hatten 29 % von 446 Intensivpatienten nach der Extubation
eine anhaltende Schluckstörung bis zur Entlassung, und bei vielen war auch 4 Monate
danach die Schluckstörung noch immer nachweisbar [39 ]. Die Autoren haben empfohlen, Patienten, bei denen Schluckprobleme vermutet werden,
zu einer Evaluation der Schluckstörung zu überweisen, um Komplikationen bei der oralen
Ernährung zu vermeiden [40 ]
[41 ]. Nach Tracheotomie können die meisten Patienten wieder auf orale Ernährung umstellen,
allerdings kann eine lange Trachealkanülierung den Beginn einer angemessenen oralen
Nährstoffaufnahme verzögern [42 ]. Die Option supplementäre PE wurde bei diesen Patienten nicht ausführlich untersucht,
könnte jedoch in Betracht gezogen werden, wenn die Energie- und Proteinziele nicht
erreicht werden.
Erworbene Muskelschwäche des kritisch Kranken (ICU-acquired weakness , ICUAW)
Die Langzeitprognose von Patienten, welche die Intensivstation überleben, wird durch
körperliche, kognitive und geistige Beeinträchtigungen beeinflusst, die nach dem Aufenthalt
auf der Intensivstation auftreten [43 ]. Der Verlust der Skelettmuskelmasse und der Muskelfunktion können zu einem großen
Problem für die Überlebenden werden [44 ]. Dies gilt insbesondere für ältere und multimorbide Personen, bei denen ein vorbestehender
Katabolismus und eine Beeinträchtigung der Skelettmuskelmasse und -funktion wahrscheinlicher
sind. Besonders lange Aufenthalte auf Intensivstation über 2 Wochen bedeutet für viele
COVID-19-Patienten zusätzliches Risiko für Muskelkatabolismus. Eine angemessene Energiezufuhr
bei Vermeidung von Hyperalimentation und eine bedarfsgerechte Proteinzufuhr sind entscheidend,
um den drohenden Verlust an Muskelmasse und -funktion zu verhindern (s. a. Aussage
2 mit Kommentar).
Obwohl keine definitiven Empfehlungen für zusätzliche spezifische Therapieoptionen
gegeben werden können – aufgrund des Mangels an qualitativ hochwertigen Studien –
deuten neuere Daten darauf hin, dass körperliche Aktivität kombiniert mit Supplementen
von Aminosäuren bzw. deren Metaboliten positive Auswirkungen haben könnten [45 ]
[46 ].
Schlussbetrachtungen
Ernährungsinterventionen und -therapien müssen als integraler Bestandteil der Behandlung
von COVID-19-Patienten auf der Intensivstation, auf der internistischen Normalstation
oder in der hausärztlichen Versorgung verstanden werden. Zehn Empfehlungen zur Ernährungstherapie
bei COVID-19-Patienten werden vorgeschlagen ([
Abb. 1
]). Bei jedem Schritt der Behandlung sollte die Ernährungstherapie Teil der Patientenversorgung
sein, insbesondere für ältere, gebrechliche und multimorbide Personen. Das Ergebnis
kann durch die Einhaltung der Empfehlungen verbessert werden, in dem zum Überleben
dieser lebensbedrohlichen Krankheit sowie zu einer besseren und schnelleren Genesung
beigetragen wird, insbesondere, aber nicht ausschließlich, für die Zeit nach der Intensivstation.
Ein umfassender Ansatz, der Ernährung mit lebenserhaltenden Maßnahmen kombiniert,
kann die Ergebnisse insbesondere in der Erholungsphase verbessern.
Abb.
1 Ernährungsmanagement bei Personen mit einem Risiko für schweren COVID-19 Verlauf,
bei Patienten mit COVID-19 Erkrankung und bei Intensivpatienten mit COVID-19-Erkrankung,
die eine Beatmung benötigen. Einzelheiten siehe im Text.
Während die Verantwortlichen im Gesundheitswesen damit beschäftigt sind, ihren Mitarbeitern
persönliche Schutzausrüstung (PSA) zur Verfügung zu stellen und deren korrekte Verwendung
zu vermitteln oder die Anzahl der Beatmungsgeräte zu erhöhen, ist es auch wichtig,
die Mitarbeiter darin zu schulen, wie sie den Ernährungsbedürfnissen der Patienten
gerecht werden. Wir regen an, dass Interessengruppen wie die WHO, das Gesundheitsministerium,
Ernährungsfachkräfte und Experten für öffentliche Gesundheit sicherstellen, dieses
Wissen mit relevanten Mitarbeitern des Gesundheitswesens zu teilen. Auch die Zuständigen
für den Krankenhausbeschaffungsbereich und andere Entscheidungsträger könnten Ernährungsbedürfnisse
als wesentliche Angelegenheit im Zuge der Ressourcenzuweisung betrachten. Patienten
mit Mangelernährung kommen eher aus schwächeren sozioökonomischen Gruppen, deshalb
ist die Bekämpfung von Mangelernährung ein wesentlicher Schritt, bei dem im Kampf
gegen die COVID-19-Pandemie niemanden zurückgelassen werden sollte.