Schlüsselwörter
Liposuktion - Lipödem - Lipolymphödem - Lipohyperthrophie - Chirurgie
Key words
lipedema - lipolymphedema - lipohypertrophy - liposuction, surgery
Definition
Beim Lipödem handelt es sich um eine chronische, progrediente Erkrankung, die durch eine übermäßige Fettgewebsvermehrung der Extremitäten bei Frauen gekennzeichnet ist [1]. Charakteristisch sind Berührungs-, Druck- und Spannungsschmerzen, Ödeme, die durch Orthostase verstärkt werden, sowie eine Hämatomneigung nach Bagatelltraumen [2]
[3]
[4].
Die Daten der ambulant durchgeführten Studien zeigen eine Häufigkeit der Erkrankung von 7–9,7 % [6]
[7]
[8]. Insgesamt geht man angesichts der weitverbreiteten Unsicherheit bezüglich der Diagnosestellung von einer hohen Dunkelziffer aus [9]. Die Ursache des Lipödems ist unbekannt. Eine Rolle in der Pathogenese spielen sicher hormonelle Aspekte, da das Lipödem nahezu ausschließlich bei Frauen auftritt und in der Regel in einer Phase hormoneller Veränderungen wie Pubertät, Schwangerschaft, Hormoneinnahme oder Klimakterium beginnt oder manifestiert [2]. Der Progress ist nicht vorhersehbar und individuell unterschiedlich. Außer den hormonellen Aspekten ist von einer genetischen Disposition auszugehen, da häufig mehrere weibliche Mitglieder einer Familie betroffen sind ([Abb. 1]).
Abb. 1 Die 3 Schwestern leiden am Lipödem.
Pathophysiologisch bedeutsam ist eine nachgewiesene erhöhte Kapillarpermeabilität, die zu orthostatischen Ödemen führt. Diese sind für die erhöhte Berührungs- und Druckempfindlichkeit des Gewebes verantwortlich, nicht die Fettmenge. Eine gleichzeitig bestehende erhöhte Kapillarfragilität erklärt die bei allen Patientinnen bestehende Hämatomneigung.
Diagnosestellung
Die Diagnosestellung erfolgt klinisch, wobei das Lipödem insbesondere von der Lipohypertrophie und dem Lymphödem abzugrenzen ist. Man unterscheidet einen Ganzbein-, Oberschenkel- und Unterschenkel-Typ. In etwa 30 % der Fälle sind auch die Arme betroffen [4] ([Abb. 2], [3]). Die Stadieneinteilungen des Lipödems sind mit dem morphologischen Bild und nicht zwangsläufig mit dem Ausmaß der klinischen Schmerzsymptomatik verknüpft ([Tab. 1]).
Abb. 2 Ausgeprägte Umfangsvermehrung, grobe, deformierende Fettlappen an den Innenseiten der Oberschenkel bei Lipödem Stadium III, häufig findet sich das subpatellare Fettpolster.
Abb. 3 Sonomorphologische Darstellung des Lipödems anhand der gemeinsamen Dicke von Kutis und Subkutis 6–8 cm oberhalb des Malleolus medialis.
Tab. 1
Einteilung des Lipödems nach Morphologie.
Stadium
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Charakteristik
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I
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Subkutis gleichmäßig verdickt und weich mit kleinen Knötchen, Haut glatt
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II
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Subkutis verdickt und weich mit größeren Knoten, unebene wellenartige Hautoberfläche
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III
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Subkutis verdickt und induriert, große Knoten, Wammen-artige, deformierende Fettlappen an den Innenseiten von Oberschenkeln und Knien
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Sonografisch kann eine homogene Verbreiterung der Subkutis mit gleichmäßig vermehrter Echogenität und echoreichen Septen dargestellt werden [10].
Therapie
Ziel der Therapie ist die Beseitigung oder Besserung der Beschwerden (Schmerzen, Ödem und Disproportion) sowie die Verhinderung von dermatologischen, lymphatischen und orthopädischen Komplikationen. Eine kausale Therapie ist nicht bekannt. Die kombinierte physikalische Entstauungstherapie (KPE) ist gegen die Ödemkomponente wirksam. Lediglich ein Teil der Patientinnen erfährt dadurch eine Besserung der Beschwerden [4]
[11]
[12]. KPE beinhaltet Kompressionstherapie, manuelle Lymphdrainage, Bewegungstherapie und Hautpflege.
Liposuktion
Zur dauerhaften Reduktion des krankhaften Unterhautfettgewebes an Extremitäten und zur Minderung der Leidenssituation der betroffenen Patientinnen wird die Liposuktion eingesetzt. Sie ist insbesondere dann angezeigt, wenn trotz konsequent durchgeführter konservativer Therapie noch Beschwerden bestehen [5]
[13].
Der Eingriff kann ambulant oder stationär erfolgen [5]
[14]
[15]. Die Indikation und der Therapieplan müssen – unter Berücksichtigung von Patientenfaktoren – jeweils individuell gestellt werden. Für die Liposuktion beim Lipödem der unteren Extremitäten kommen folgende Areale in Betracht: Oberschenkelinnenseite, Oberschenkelaußenseite, Unterschenkel ([Abb. 4], [5]). Zwischen der Absaugung zweier Areale soll ein zeitlicher Abstand von mindestens 4–6 Wochen liegen.
Abb. 4 Markierung der Behandlungsareale an der Oberschenkelinnenseite vor Liposuktion.
Abb. 5 Markierung der Behandlungsareale am Unterschenkel vor Liposuktion.
Seit der Einführung der Tumeszenz-Lokalanästhesie (TLA) Ende der 1980er-Jahre wird die „trockene“ Liposuktion aufgrund möglicher Lymphgefäßverletzungen nicht mehr angewendet [16]. Die Liposuktion sollte in örtlicher Betäubung mittels TLA und mit stumpfen Mikrokanülen durchgeführt werden [14]
[17]
[18]
[19]
[20]
[21] ([Abb. 6]). Der erfahrene Operateur kann in TLA die Körperkonturen mit zunehmender Entleerung des Lipödems realistisch beurteilen und ggf. sofort Korrekturen vornehmen. Die Liposuktion wird mittels gewebeschonenden Techniken wie Vibration oder Wasserstrahl mit stumpfen Mikrokanülen durchgeführt [22] ([Abb. 7], [8], [9], [10], [11], [12], [13], [14]).
Abb. 6 Setzen der Tumeszenz-Lokalanästhesie.
Abb. 7 Lagerung auf dem OP-Tisch.
Abb. 8 Patientin hat ihre Lage selbstständig verändert.
Abb. 9 Liposuktion mithilfe einer stumpfen Vibrationskanüle.
Abb. 10 Kanüle – heute kommen hauptsächlich vibrierende Kanülen mit 2–5 mm Durchmesser, mit einem stumpfen Ende und verschiedenen Ausführungen zum Einsatz.
Abb. 11 Die Autoren bevorzugen die 4 mm-Kanüle.
Abb. 12 Ein Motor im Handstück versetzt die Absaugsonde in Längsrichtung in eine Vibration von 4000 bis 5000 Schwingungen pro Minute.
Abb. 13 Der Operateur bewegt mit 1 Hand die Kanüle in verschiedene Richtungen fächerförmig vor und zurück, um die Fettdepots möglichst gleichmäßig zu reduzieren.
Abb. 14 Das Aspirat setzt sich aus dem oben schwimmenden Fett und der darunter liegenden Mischung aus Tumeszenzlösung und Blutspuren zusammen. Gelbes Aspirat ist ein Indikator für geringen Blutanteil und die atraumatische Methode.
Die maximale Gesamtdosis von Lidocain liegt bei 55 mg/kg bei Frauen < 60 Jahren und bei 45 mg/kg bei Frauen über 60 Jahren [21].
Der Eingriff führt zu ausgeprägten Verbesserungen von Spontanschmerz, Druckschmerz, Ödem und Hämatomneigung mit signifikanten Unterschieden prä- und postoperativ [5]
[14]
[19] ([Abb. 15]). Es wird eine Verminderung der konservativen Therapie, z. T. sogar eine Therapiefreiheit erzielt [5]
[14]
[15]. Die Befundbesserungen bleiben mehrheitlich über viele Jahre bestehen [5]
[14]
[23]. Weiterhin werden durch die Reduktion der Fettgewebsdepots an den Oberschenkel- und Knieinnenseiten die mechanisch und okklusiv bedingten Hautschäden reduziert bzw. beseitigt. Die Korrektur der Beinfehlstellung bewirkt eine Besserung der Beweglichkeit und des Gangbildes [24] sowie eine Reduktion des Risikos für weitere orthopädische Komplikationen infolge des Lipödem-assoziierten pathologischen Gangbildes (z. B. Gon- und auch Coxarthrosen).
Abb. 15 Lipödem-Patientin 2 Tage und 20 Tage nach Liposuktion.
Durch die Beschwerdeminderung, die vermehrte Mobilität, den geringeren Zeitaufwand für die konservative Therapie und das wieder gesteigerte Selbstbewusstsein bessert sich die Lebensqualität der Betroffenen deutlich. In der Liposuktion erfahrene Operateure raten zu einer kritischen Indikationsstellung bei einem Körpergewicht > 120 kg oder einem BMI > 32 kg/m2 [13]. Eine begleitend zum Lipödem bestehende morbide Adipositas sollte vor einer Liposuktion therapeutisch angegangen werden. Letztlich liegt die Indikationsstellung bzw. Durchführung der Liposuktion im Ermessen des Operateurs. Die Liposuktion ist keine Methode zur Gewichtsreduktion [13]. Nach einer umfassenden Fettabsaugung bei ausgeprägtem Lipödem kann das resultierende überschüssige Hautgewebe die langfristige Beschwerdereduktion beeinträchtigen. Die Daten der klinischen Studien legen nahe, dass die Fettabsaugung bei Lipödemen im Stadium I und II die Beeinträchtigung der Lebensqualität nachhaltiger verringert und den Bedarf an konservativer Therapie stärker verringert als die Fettabsaugung bei Lipödemen im Stadium III [14]
[25] ([Abb. 16]).
Abb. 16 Überschüssiges Hautgewebe am Oberschenkel bei Z. n. Liposuktion bei Lipödem Stadium III.
Die früh postoperative Nachbehandlung bei Liposuktion mittels KPE wird solange durchgeführt, wie eine Schwellung nachweisbar ist (Dellbarkeit). Im Stadium I benötigen fast alle Patientinnen nur 3–6 Wochen eine postoperative Nachbehandlung, dann nicht mehr. Je weiter fortgeschritten wird die postoperative KPE länger benötigt, manchmal auf Dauer, dann aber oft in geringerer Intensität und Frequenz [5]
[8]
[21]
[26].
Die Studiendaten zeigen, dass die Liposuktion eine wirksame Behandlung für Lipödeme mit guten Langzeitergebnissen ist, zu einer signifikanten Verringerung des Bedarfs an konservativer Therapie führt und auch die Lebensqualität dieser Patientinnen deutlich verbessert [14]
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[26]
[27]. Das Risiko einer Komplikation im Rahmen einer Liposuktion kann als sehr gering bezeichnet werden, mit < 5 % der gesamten unerwünschten Ereignisse [14]
[25]
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[27]
[28] und postoperativen Infektionsraten von 1–2 % [5]
[25] sowie einzelnen Thrombosefällen [14].
Zusammenfassung
Die Liposuktion beim Lipödem ist bisher die einzige Therapie, die es ermöglicht, langfristig Beschwerden zu lindern, die Lebensqualität deutlich zu verbessern und den Bedarf an konservativer Therapie stärker zu reduzieren, weil sie nicht nur das Ödem, sondern auch das pathologisch veränderte Fettgewebe reduziert. Da es sich um ein chronisches Krankheitsbild handelt, ist der Verlauf – ausgehend vom verbleibenden Fettgewebe – möglicherweise weiter progredient.
Die Ergebnisse sind in Frühstadien bei jungen Patientinnen besser als bei ausgeprägten Befunden in höherem Alter. Die prä- und postoperative KPE hat im Rahmen einer Therapiekombination einen hohen Stellenwert.
Die Qualität der aktuell verfügbaren Evidenz ist begrenzt. Es fehlen randomisierte und kontrollierte Studien. Weitere Validierungen der Ergebnisse und Definition eines minimal klinisch wichtigen Unterschieds für die Erkrankung können ebenfalls erforderlich sein, um den Nutzen der Fettabsaugung für die Behandlung von Lipödemen in eine klinische Perspektive zu rücken.