Die Wirbelsäule 2020; 04(03): 165-166
DOI: 10.1055/a-1139-6105
Leitlinien

Zusammenfassung der S3 Leitlinie „Axiale Spondyloarthritis inklusive Morbus Bechterew und Frühformen“ (Stand 10/2019)

Summary of the S3 guidelines “Axial Spondyloarthritis including ankylosing spondylitis and early manifestations” Leitlinienkomssion der DWG,
Florian Geiger
,
Marc Dreimann
,
Markus Quante
,
Rene Hartensuer
,
Sven Eicker
,
Florian Ringel
,
Tobias Schulte (Komissionsvorsitzender)

Die moderne Pharmakotherapie bei Erkrankungen aus dem rheumatischen Formenkreis führt zu einem signifikanten Rückgang an notwendingen Operationen am Stammskelett dieses Patientenklientels. War die arkuäre Kyphose mit Verlust der horizontalen Blickachse in der Vergangenheit eine häufig durchgeführte Korrekturoperation beispielsweise bei M. Bechterew-Patienten, gehört diese heute zu den Ausnahmen, sofern die medikamentöse Therapie im frühen Stadium und konsequent Anwendung findet. Dennoch sollten alle am Bewegungsorgan tätigen Kollegen soweit informiert sein, um die Krankheit zu erkennen, Basisdiagnostik einzuleiten und zu wissen, wann ein Rheumatologe hinzugezogen werden sollte. Hierzu und zu den aktuellen Behandlungsstandards bietet die nun vorgelegte S3-Leitlinie einen hervorragenden Überblick.

Unterteilen kann man die Spondylarthritiden in die peripheren, die Gelenke betreffenden und die häufigeren prädominant axialen SpA, die für uns Wirbelsäulentherapeuten von Interesse sind. Nach der „Assessment of SpondyloArthritis International Society“ (ASAS)- unterteilt man die axiale SpA weiter in solche mit nativ-radiologischen Auffälligkeiten ( = röntgenologische axSpA), zu denen auch der M. Bechterew zählt, und solche ohne (nr-axSpA). Radiologische Auffälligkeiten können sich im Verlauf erst entwickeln, was die Diagnose erschwert, so dass die Diagnose oft erst mit einer Verzögerung von bis zu 10 Jahren bei Männern und 14 Jahren bei Frauen gestellt wird. Ein Problem stellt die Differenzierung zwischen unspezifischem und entzündlichen Rückenschmerz dar. Hilfreiche Fragen bei Patienten < 45 Jahren und mit Rückenschmerzen seit länger als 3 Monaten waren: Morgensteifigkeit > 30 Minuten, Aufwachen in der 2. Nachthälfte, Besserung durch Bewegung, keine Verbesserung durch Ruhe, schleichender Beginn, gutes Ansprechen auf NSAR. Hierbei ist zu beachten, dass nur zirka 75 % der Patienten mit SpA diese typischen Charakteristika aufweisen. Typisch sind auch Entzündungen der Sehnenansätze, chronische Müdigkeit, extraskelettale Manifestationen und ein erhöhtes Frakturrisiko, weshalb bei verändertem Schmerz eine radiologische Abklärung empfohlen wird.

Patienten mit chronischen, vor allem entzündlichen Rückenschmerzen (≥ 3 Monate), einem Alter bei Beginn der Rückenschmerzen < 45 Jahre und mindestens einem weiteren Parameter, der für eine SpA spricht, sollen rheumatologisch abgeklärt werden. Zunächst wird eine Bestimmung des HLA-B27 empfohlen. HLA-B27 hat eine hohe Sensitivität (83 – 96 %) und Spezifität (90 – 96 %) und korreliert gut mit der Erkrankungsschwere. Ist der Wert negativ, ist die Wahrscheinlichkeit, innerhalb der nächsten 2 Jahre an einer Sakoiliitis zu erkranken < 5 %. HLA-B27 negative Patienten haben häufig Assoziationen mit Psoriasis oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen.

Ein positiver HLA – B27 Nachweis allein sichert jedoch nicht die Diagnose , eine Testwiederholung ist nicht sinnvoll. Zusätzlich wird eine Bildgebung der SI-Gelenke empfohlen, entweder als Beckenübersichtsaufnahme oder als MRT der Sakroiliakalgelenke in schräg koronarer Schicht mit Entzündungssequenz (STIR und/oder T1 nach Kontrastmittelgabe). Gerade bei jüngeren Patienten können so schon frühzeitig Sacroiliitiden entdeckt werden, während im Röntgenbild Veränderungen der SIG erst im fortgeschrittenen Stadium auftreten. Eine Szintigraphie wird nicht empfohlen. Mit dem CT können Strukturveränderungen (Erosionen, Fusionen) dargestellt werden, sie dient aber nicht zur Primärdiagnostik. Röntgenkontrollen der WS sollten nicht routinemäßig, sondern bedarfsorientiert erfolgen, wenn z. B. die Funktionseinschränkung zunimmt und geklärt werden soll, ob zunehmende Syndesmophyten die Ursache sind.

Die Diagnose setzt sich aus einer Vielzahl von Einzelkriterien zusammen, wobei häufig auf die ASAS Kriterien verwiesen wird. Die ASAS Klassifikation wurde jedoch zur Einteilung von Patienten für Studien entwickelt und nicht primär für die Diagnosestellung dieser Patienten. Zur Verlaufsbeurteilung können Entzündungswerte, vor allem aber verschiedene Scores (BASDAI, ASDAS) herangezogen werden. Die Behandlung wird in der Regel von Rheumatologen vorgenommen und kombiniert eine medikamentöse Therapie mit Schulungsmaßnahmen und Bewegungstherapie. Sollten NSAR und lokale Corticoidinjektionen über 4 Wochen nicht ausreichend wirksam sein, wird bei hoher Krankheitsaktivität der Einsatz von Biologika (TNF- und IL-17-Hemmer) empfohlen. Die Therapie sollte nach 12 Wochen überprüft werden. Es sollte eine Verbesserung des BASDAI Scores um mindestens 2 Punkte erreicht werden. Das Basistherapeutikum Sulfasalazin wird bei peripherer Manifestation oder begleitendem M. Crohn oder Colitis ulcerosa eingesetzt, MTX und die Langzeitgabe von systemischen Kortikoiden werden nicht empfohlen. Jedoch kann bei symptomatischer florider Sakroiliitis eine Glukokortikoidinjektion in oder an das Sakroiliakal-Gelenk erfolgen. Für die Wirksamkeit kurzfristiger Kortikoidgaben gibt es geringe Evidenz.

Dank dem frühzeitigen Einsatz von Basistherapeutika sind progressive Verläufe heute seltener. Dennoch gibt es Patienten, welche achsenkorrigierendeWirbelsäulenosoperationen zur Wiederherstellung der Sichtachse benötigen. Die Möglichkeit einer Wirbelsäulen-Aufrichtungs-Operation sollte dem Patienten bei Vorliegen einer Hyperkypose mit Verlust der horizontalen Sichtachse angeboten werden. Bei einer raschen Verschlimmerung oder Veränderung der Schmerzsymptomatik der Wirbelsäule sollte neben einer Entzündung auch nach geringfügigem Trauma an eine Fraktur gedacht werden. Eine entsprechende Diagnostik inklusive Bildgebung (Rö/CT/MRT) sollte zeitnah veranlasst werden. In der Regel sollte eine Schnittbilddiagnostik durchgeführt werden. Bei Wirbelsäulenverletzungen (Frakturen) sollte aufgrund des höheren Instabilitätspotenzials nur in Ausnahmefällen eine konservative der operativen Therapie vorgezogen werden. Aufgrund der besonderen Problematiken, der Osteopenie und höhere Komplikationsraten sollten Operationen in einem Zentrum erfolgen.

Allen, die Wirbelsäulenpatienten behandeln, kann die S3-Leitline, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie (DGRh) entstanden ist, ans Herz gelegt werden.



Publication History

Article published online:
13 August 2020

© Georg Thieme Verlag KG
Stuttgart · New York