ergopraxis 2020; 13(05): 28-31
DOI: 10.1055/a-1131-2996
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Aus der Ferne coachen – Elternberatung im Netz

Lisa Raß
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Publication Date:
04 May 2020 (online)

 

Die Warteliste für Therapieplätze ist lang, die Zeit für Elternberatung kurz und Kinder mit Bedarf bekommen keine Verordnung. Ergotherapeutin Elke Kumar wollte sich damit nicht abfinden und ging neue Wege. Sie entwickelte einen Online-Kurs, um Eltern von Vorschulkindern zu unterstützen. Ihre ersten Erfahrungen sind gut.


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Elke Kumar hat ein ganzes Jahr lang daran getüftelt, ihr Online-Präventionsangebot zu entwickeln. Davon profitiert sie jetzt. Abb.: E. Kumar

„Schau doch mal, wie gut dein Kind eine Form ausmalen kann. Wenn es Schwierigkeiten hat: Such eine größere Vorlage aus oder zeichne die Linie erst mit einem ganz dicken Stift nach. Oder lass dein Kind erst die Ränder punktieren, damit es die Form besser erfassen kann“, sagt Ergotherapeutin Elke Kumar freundlich. Das klingt wie eine ganz normale Elternberatung – ist es aber nicht: Elke Kumar hat diese Sätze in ihre Laptop-Kamera gesprochen und sie per Live-Video an ihre Zuhörer gesendet. Ihr Publikum, das in ganz Deutschland verstreut ist, besteht aus den Teilnehmern ihres fünftägigen Online-Kurses „Stiftmotorik und Malentwicklung im Vorschulalter“.

Für jeden Tag eine Aufgabe

Am Morgen hatten die Kursteilnehmer per Mail eine Agenda zum Thema des Tages bekommen. An den Vortagen ging es um Wissenswertes zu Händigkeit und Handmotorik, und heute sollen die Eltern beobachten, wie ihr Kind Formen ausschneidet, etwas ausmalt oder prickelt (= mit einer Nadel entlang einer Linie kleine Löcher stechen). Die Unterlagen bieten dazu Arbeitsmaterial, Beobachtungshilfen und Raum für Notizen. Elke Kumar ist es wichtig, dass die Teilnehmer nicht nur konsumieren, sondern auch in die Umsetzung kommen: „Der Kurs hat Workshop-Charakter. Es gibt für jeden Tag eine Aufgabe, die die Teilnehmer zu Hause ganz unkompliziert mit den Kindern umsetzen können.“ Am Abend wendet sich Kumar dann per Live-Video an die Teilnehmer, um zusätzliche Infos zu geben. In diesen 30 bis 60 Minuten beantwortet sie auch Fragen, die bei den Teilnehmern im Lauf des Tages aufkamen.

Es ist ein rein präventives Angebot, das die therapeutische Eins-zu-eins-Leistung keinesfalls ersetzt.

In der geschlossenen Facebook-Gruppe, die Elke Kumar exklusiv für den Kurs eingerichtet hat, ist einiges los. Nutzerin Anne postet: „Das Schneiden hat bei meinem Sohn sehr gut geklappt. Aber beim Prickeln konnte er die Linien überhaupt nicht einhalten und war dann ganz frustriert. Er weiß, dass er diese Sachen nicht gut kann, und meidet solche Aufgaben.“ Elke Kumar greift den Kommentar in ihrem Live-Video auf und antwortet: „Versuche mal, deinem Sohn zu helfen, indem du zum Beispiel vorpunktest beim Prickeln. Du kannst währenddessen auch seine Hand etwas führen. Die geprickelte Form zum Schluss abzutrennen, macht den meisten Kindern ganz viel Spaß.“

Damit sich auch Teilnehmer, die um 19 Uhr keine Zeit haben, das Video ansehen können, lädt Elke Kumar es zum späteren Abrufen in die Facebook-Gruppe hoch. Die Gruppe ist ein wichtiger, wenn auch kein zwingender Bestandteil ihres Kurses: Von 250 Teilnehmern meldete sich gut die Hälfte dort an und war aktiv. Sich untereinander zu vernetzen, um eigene Tipps und Erfahrungen auszutauschen, sei für viele Eltern ganz wichtig: „Da muss ich gar nicht permanent präsent sein, das ist ein Selbstläufer. Es reicht, wenn ich in der Videokonferenz Fragen aufgreife oder einzelne Posts kommentiere.“ Teilnehmer, die nicht bei Facebook angemeldet sind, können der Videositzung auch über die Software ZOOM beiwohnen.


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Aus der Not geboren

Wie ist Elke Kumar auf das Angebot gekommen? Sie nennt mehrere Gründe, darunter die ellenlange Warteliste in ihrer eigenen Praxis: „Täglich musste ich Eltern sagen: Sorry, kein Platz. Ich habe Wartezeiten für Nachmittagsplätze von bis zu einem Jahr. Damit geht es mir auch nicht gut.“ Hinzu kommt, dass sie in der Therapie darunter litt, so wenig Zeit für die Elternberatung zu haben: „Wenn ich die Zeit hätte, könnte ich den Eltern viel mehr an Hilfen mitgeben für zu Hause, damit sie bestimmte Dinge umsetzen können oder mehr Bewusstsein für ein bestimmtes Thema entwickeln.“

Ein weiteres Problem sieht sie darin, dass vielen Kindern der Zugang zur Ergotherapie als Ressource verwehrt bleibt: „Nur die Kinder, die so schlecht sind, dass eindeutig ein Therapiebedarf besteht, bekommen ein Rezept.“ Die „Sandwich-Kinder“ – die nicht so schlecht sind, dass sie eine Ergotherapie bekommen, aber trotzdem eine Förderung brauchen, um im Alltag zurechtzukommen – fallen durchs Raster. „Wenn die Erzieher im Kindergarten sagen, dass die Eltern noch etwas üben sollen, fragen die sich zu Recht: wie und was denn?“


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Das Internet bietet Vorteile

All das führte dazu, dass Elke Kumar überlegte, wie sie Eltern außerhalb ihrer Praxis unterstützen könnte. Da sie selbst vieles im Internet erledigt, entstand bald die Idee zu einem Online-Präventionsangebot. Es sollte Eltern ohne Therapieplatz das Gefühl von Ohnmacht nehmen, ihnen Handlungsmöglichkeiten geben und sie in den Austausch bringen mit anderen. Sie betont, dass es ein rein präventives Angebot ist, das die Therapie keinesfalls ersetzt: „Das geht auch gar nicht, Therapie bleibt immer eine Eins-zu-eins-Leistung.“ Auf mögliche therapeutische Interventionen geht sie daher in den Kursen nicht ein, sondern allein darauf, was Eltern wissen sollten und tun können, um ihrem Kind zu helfen: „Ich kann Informationen weitergeben und Impulse setzen für die Umsetzung zu Hause. Das ist für viele Leute hilfreicher, als allein ein Buch zu lesen.“

Als alleinerziehende Mutter und Praxisinhaberin sieht sie klar die Vorteile des Internets: Abends kann sie schlecht das Haus verlassen, und eine Fortbildung am Wochenende ist für sie so gut wie unmöglich. Deshalb nutzt sie viele Online-Angebote, auch Fortbildungen, und ist davon begeistert: „Es ist so viel Wissen online verfügbar. Man braucht nur die Zeit, es zu erwerben, und bei manchen Kursen natürlich auch Geld. Andererseits entfallen Betreuungskosten, Fahrtkosten, Übernachtungskosten – wenn man das alles gegeneinander aufrechnet, sind die meisten Online-Kurse günstig.“


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Hinweis

Datenschutz

Ein ergotherapeutisches Präventionsangebot in einer geschlossenen Facebook-Gruppe ist eine völlig neue Situation – auch rechtlich gesehen. Bevor Teilnehmer persönliche Informationen von sich oder ihren Kindern preisgeben, sollten sie fairerweise daran erinnert werden, dass Facebook eine Datenkrake ist. Wer sichergehen will, als Anbieter keine datenschutzrechtlichen Probleme zu bekommen, sollte vorher eine Rechtsberatung einholen.

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Per Video gibt Elke Kumar ihren Kursteilnehmern strukturierte Tipps und Informationen. Abb.: E. Kumar

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Anfängliche Pannen gehören dazu

Dass ihr Angebot einen Nerv trifft, zeigt die überwältigende Resonanz auf ihren ersten kostenlosen Kurs, für den sich gleich 250 Personen anmeldeten. Die Teilnehmer wurden ausschließlich über die Facebook-Seite der Praxis aufmerksam, die über 1.000 Abonnenten hat: „Ich bin internetaffin und nutze Facebook schon lange. Die Pflege der Seite ist für mich ein Klacks.“ Sie beobachtet viele andere, vor allem amerikanische Ergotherapie-Seiten. So bleibt sie auf dem Laufenden, und wenn sie etwas Interessantes findet, teilt sie es.

Leicht verdientes Geld war der Online-Kurs bisher nicht, sondern das Ergebnis eines langfristigen Engagements.

Gerade hat Kumar den Kurs zum zweiten Mal mit 80 Teilnehmern durchgeführt und ist zufrieden: Während sie in der Therapie in einer Einheit nur für ein Kind mit seinem Elternteil zuständig sein kann, erreicht sie jetzt in derselben Zeit viel mehr Menschen. Technisch gab es, abgesehen von kleinen Pannen, keine Probleme: Einmal sprach sie in einer Videokonferenz zehn Minuten lang, ohne zu merken, dass der Ton nicht angeschaltet war. Das gehöre dazu, findet sie: „Natürlich passieren solche Pannen am Anfang. In den Unterlagen, die ich versende, sind auch noch ein paar Rechtschreibfehler. Aber erstens ist dieser Kurs kostenlos, zweitens ist er eigentlich eine Testversion. Ich freue mich, dass die Teilnehmer das mit mir ausprobieren.“


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Neuland für den therapeutischen Bereich

Den fünftägigen Gratiskurs zur Malentwicklung möchte Elke Kumar gern weiter anbieten – obwohl es ihr Ziel ist, über ihr Online-Angebot auch Geld zu verdienen. Dafür hat sie den umfangreicheren Kurs „Fit für die Schule“ entwickelt, der über vier Wochen laufen soll und verschiedene Themen der Vorschulentwicklung behandelt, darunter Körpermotorik, sprachliche Entwicklung, Selbstständigkeit oder Spielfähigkeit. Der Kurs richtet sich an Eltern, die die Zeit vor der Schule bewusst gestalten möchten und Ideen brauchen, wie sie mit ihrem Kind üben können. Der Bedarf dafür sei vorhanden: „Im Kindergarten wird wenig Vorschularbeit gemacht, weil ganz oft die Zeit fehlt. Der Schwerpunkt des Kindergartens liegt eher im sozial-emotionalen Bereich: zusammen sein, gemeinsam etwas spielen oder unternehmen. Das ist auch total wichtig. Aber individuelle Defizite in der Entwicklung fallen oft unter den Tisch. Gerade für Kinder, die ganztägig in einer Einrichtung sind, ist das ein Problem.“

Der „große“ Kurs kostet je Teilnehmer rund 200 Euro. Für den ersten Durchlauf meldeten sich mehr als zehn Personen an – eine angenehme, gut zu überschauende Kursgröße für den Anfang, findet Kumar, denn so kann sie sich um jeden persönlich kümmern. Leicht verdientes Geld war die Idee mit den Online-Kursen bisher allerdings nicht. Dass mit dem ersten kostenpflichtigen Kurs jetzt auch Geld zu ihr zurückfließt, ist das Ergebnis eines langfristigen Engagements: „Was ich hier mache, ist sehr aufwendig. Von der ersten Idee bis zum jetzigen Stand habe ich sehr viel meiner freien Zeit hineingesteckt, neben der Arbeit und neben der Familie. Anders ging es nicht.“

Um Ideen zu bekommen und ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie man ein solches Angebot gestalten könnte, besuchte Elke Kumar selbst Kurse im Internet: „Online-Kurse sind schon in vielen Bereichen sehr verbreitet, zum Beispiel wenn es um Persönlichkeitsentwicklung, Schwangerschaftsvorbereitung oder Yoga geht. Für den medizinisch-therapeutischen Bereich scheint das aber Neuland zu sein.“


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Es geht nicht ohne finanzielle und zeitliche Investitionen

Um in diese Lücke zu stoßen, hat Elke Kumar nicht nur Zeit, sondern auch Geld investiert. Zum Beispiel für eine Fortbildung in Online-Marketing und eine einladende neue Webseite, auf der sie ihre Kurse erklärt und bewirbt. Hinzu kommen laufende Kosten für eine Verkaufsplattform, über die sie ihren kostenpflichtigen Kurs anbietet. Die Teilnehmer buchen und bezahlen dort online, anschließend können sie in einem passwortgeschützten Bereich auf hinterlegtes Material zugreifen. Für Elke Kumar bietet die Plattform den Vorteil, dass Inhalte nicht einfach kostenlos geteilt werden können. Und die automatische Abwicklung senkt den bürokratischen Aufwand: „Ich möchte nicht für jeden einzelnen Teilnehmer eine Rechnung ausstellen und dreimal nachschauen müssen, ob das Geld schon eingegangen ist. Das ist genau das, was mich in der Praxis total nervt, und das will ich hier vermeiden.“

Außerdem zahlt Elke Kumar monatliche Gebühren für den Videodienst Vimeo und einen Dienstleister für den Newsletter-Versand. Aus Gründen des Datenschutzes hat sie entschieden, YouTube zu meiden und den Kontakt zu den Teilnehmern nicht über ein privates Mailprogramm laufen zu lassen, was bei einer größeren Zahl von Adressen ohnehin nicht mehr praktikabel sei.

Jetzt schaut sie optimistisch ihrem ersten Bezahlkurs entgegen und hofft, dass das Online-Geschäft langfristig zu einem zweiten Standbein werden könnte: „Für mich ist das eine tolle Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten und trotzdem meine Tochter betreuen zu können. Und wenn das Ganze einmal eingerichtet ist und die Inhalte stehen, kann man die Kurse unkompliziert immer wieder anbieten.“ Sobald sie etwas mehr Erfahrung gesammelt hat, möchte Elke Kumar Werbung bei Ärzten machen und die Klienten von ihrer Praxis-Warteliste einladen. Auf diese Weise könnte die Warteliste immerhin zu etwas Gutem beitragen.


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Kontakt

www.elkekumar.de


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Nachgefragt – Bei einer Kursteilnehmerin

Frau Werner, wie haben Sie von Frau Kumars Kurs erfahren?

Ich bin über eine Freundin auf sie aufmerksam geworden, die mit ihrem Kind bei ihr in Behandlung war. Seitdem bin ich mit ihr über Facebook befreundet und habe so von dem Kurs erfahren. Ich dachte gleich: Das ist genau das Richtige für mich. Mein Sohn ist Vorschulkind und ich bin selbst Grundschullehrerin. Da kann man nie genug Infos haben.

Was hat Ihnen der Kurs gebracht?

Ich habe die Bestätigung bekommen, dass mein Sohn Linkshänder ist. Das war mir vorher nicht klar. Ich weiß jetzt auch, welche Dinge dadurch etwas komplizierter sein können und wie ich ihn unterstützen kann. Zum Beispiel mit einer leicht gedrehten Blattlage, damit er das Geschriebene gut sehen kann und damit die Hand nicht verkrampft.

Haben Sie auch als Lehrerin etwas mitgenommen?

Auf jeden Fall! Das Thema Stiftmotorik kam im Studium gar nicht vor. Wir bringen den Kindern zwar Lesen und Schreiben bei, aber den Stift sollten sie eigentlich schon halten können, wenn sie in die Schule kommen. Das ist aber längst nicht immer der Fall. Ich habe dazu viele Anregungen bekommen, zum Beispiel, dass manche Stifte schwergängig sind und daher für viele Kinder nicht geeignet. Ich kann jetzt auch manche Eltern besser beraten, deren Kinder Förderbedarf haben. Viele sagen mir, dass sie keine Verordnung bekommen. Jetzt weiß ich, welche Informationen der Arzt braucht, damit er das Problem erfasst und eher eine Therapie bewilligt.

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Abb.: A. Werner

Haben Sie sich mit anderen Teilnehmern vernetzt?

Ja, in der Facebook-Gruppe habe ich viele Tipps von anderen Teilnehmern bekommen, wie man die Stiftmotorik auch ohne Stifte fördern kann. Es gab eine ganze Fülle von Ideen, das hat mir sehr gut gefallen. Auch die Videos fand ich gut, in denen Frau Kumar Fragen beantwortet oder etwas erklärt hat. Es gab die ganze Zeit einen Austausch, man war nicht allein.

Können Sie sich auch vorstellen, für ein solches Angebot Geld auszugeben?

Ja, ich habe den Folgekurs für die gesamte Vorschulentwicklung schon gebucht.

Was versprechen Sie sich vom großen Kurs?

Ich habe Schüler, die in vielerlei Hinsicht Schwierigkeiten haben. Einige kommen aus prekären Verhältnissen. Ich möchte mit den Eltern dieser Kinder in einen besseren Austausch kommen und ihnen mehr anbieten können.

Das Gespräch führte Lisa Raß.


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Elke Kumar hat ein ganzes Jahr lang daran getüftelt, ihr Online-Präventionsangebot zu entwickeln. Davon profitiert sie jetzt. Abb.: E. Kumar
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Per Video gibt Elke Kumar ihren Kursteilnehmern strukturierte Tipps und Informationen. Abb.: E. Kumar
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Abb.: A. Werner