Wir wissen alle, dass pathetische Begriffe wie „der einzig Wahre“ oder „die einzig
Richtige“ im Privatleben oftmals Tücken haben. Anfängliche Begeisterung hat sich nach
dem ersten oder zweiten Anschein schon des Öfteren in Luft aufgelöst – nicht zuletzt
durch eine emotionale Verklärung oder aus der Angst heraus, sonst allein zu bleiben.
Bei der Stellenbesetzung in unseren Praxen oder Abteilungen in großen Einrichtungen
ist dies nicht viel anders. Ich habe gerade in den Zeiten des Fachkräftemangels schon
häufig erlebt, dass Stellen hauptsächlich deshalb mit einer bestimmten Bewerberin
besetzt wurden, weil „ja sonst keiner da ist“.
Vor wenigen Wochen hat mich ein großes Team um Hilfe gebeten, da dort einfach gar
nichts mehr rund lief. In der ambulanten Pflege ist der Mangel an Mitarbeitern verglichen
mit Therapiepraxen deutlich dramatischer. Die Arbeitgeberin dort hatte sich – aus
der Not heraus – für eine neue Mitarbeiterin entschieden, die, wie sich herausstellte,
weder zu dem anstehenden Arbeitspensum noch zu den Teamstrukturen passte. Was folgte,
waren Missstimmungen, Brüche in den eigentlich gut abgestimmten Arbeitsabläufen und
schließlich auch finanzielle Verluste durch eine Kündigung.
Bauchgefühl gepaart mit Vernunft und Struktur
Bauchgefühl gepaart mit Vernunft und Struktur
Natürlich sind wir nie wirklich zu einhundert Prozent auf der sicheren Seite, wenn
es um das Einstellen neuer Mitarbeiter geht. Es wäre eine große Hybris gepaart mit
Kristallkugelschauerei, zu behaupten, eine Fehlbesetzung könne man immer ausschließen.
Die Risiken lassen sich jedoch minimieren.
Gerade wir Therapeuten neigen dazu, vor allem Bauchgefühl und Empathie für eine neue
Mitarbeiterin oder einen neuen Mitarbeiter entscheiden zu lassen. Auch wenn ich in
meinen vielen Jahren der Selbstständigkeit meinem inzwischen gut trainierten Bauchgefühl
so einiges an erspartem Ärger verdanke, lohnt es sich, dem Gefühl auch noch Struktur
und Vernunft an die Seite zu stellen. Gemeinsam sind diese drei Musketiere ein sehr
verlässliches Team, mit dem Sie Ihre Führungs- und Arbeitgeberkompetenz auf sichere,
verantwortungsbewusste Füße stellen.
Sympathie ist nicht alles
Sympathie ist nicht alles
Für unsere privaten Freundschaften, Beziehungen und sogar für die Jogginggruppe ist
es toll, wenn wir einen ähnlichen Charakter finden. Es ist super, wenn wir vielleicht
den gleichen Musikgeschmack oder Lieblingsfriseur haben oder der gleiche Ernährungstyp
sind. Das ist auch bei weltanschaulichen Themen sicherlich prima, genau wie bei politischen
oder religiösen Überzeugungen – aber eben für den privaten Lebensbereich.
Für Ihre Praxis ist es – jetzt werde ich mal ganz direkt, bitte verzeihen Sie mir
– überhaupt nicht wichtig, ob Sie das neue Teammitglied „total sympathisch“ finden.
Sicherlich ist das gut, aber eben nicht entscheidend! Wirklich entscheidend ist: Passt
der/die Neue zum Team, zum Arbeitsaufkommen, zu den Arbeitsstrukturen und schlussendlich
zu den Patienten? Ihre Praxis ist ein eigener Organismus, und für diesen suchen Sie,
sozusagen stellvertretend, ein neues Organ.
Den Praxisorganismus richtig besetzen
Den Praxisorganismus richtig besetzen
Es ist wunderbar, wenn Sie im übertragenen Sinne mit Nieren hervorragend auskommen.
Wenn Ihr Praxisorganismus jedoch eine Leber benötigt, wäre jede Niere eine Fehlbesetzung
und kein guter Ersatz. Wenn Sie für die offene Stelle einen ruhigen, empathischen,
sanften Menschen benötigen, ist genau dieser gesucht und eben nicht eine quirlige
One-Man-Show, auch wenn Sie selbst eine sind und damit viel Spaß und Freude hätten.
Wenn Sie dies nicht beachten, haben Sie später möglicherweise eine Sammlung mehrerer
Ausgaben Ihrer selbst, und notwendige Lebensbereiche des Praxisorganismus bleiben
unbesetzt.
Ich bin zum Beispiel ein sehr optimistischer, tatkräftiger und manchmal auch spontaner
Mensch. Ich liebe das Planen, kreatives Erfinden neuer Projekte und bin sehr begeisterungsfähig.
Meine Kraft liegt im Um-die-Ecke-denken, in humorvollen Lösungen in scheinbar völlig
verfahrenen Situationen. Ich übernehme sehr gern Verantwortung und bin bereit, mit
viel Kraft und Engagement zu lernen, zu durchdenken und umzusetzen. Ich kann 378 Dinge
gleichzeitig im Kopf haben, ohne dass etwas herunterfällt, jedoch weiß das keiner,
denn sie sind ja in meinem Kopf … Ich kann spontan eine Planung umwerfen, ohne Schnappatmung
zu bekommen, und kann gut mit Veränderungen, die ich auch selbst initiiere, umgehen.
Die Mischung macht‘s
Ganz ehrlich: Noch mehr solcher Menschen wie mich kann kein Team ertragen, und es
wäre eine vollkommene Fehlbesetzung, wenn etwa meine Rezeptionsheldin genauso ticken
würde. Sie bringt die Struktur mit, die mir manchmal fehlt, die Treue in der Umsetzung,
das Abarbeiten und die ruhige, beharrliche Kraft. Eine meiner Mitarbeiterinnen hat
das sanfteste Wesen, das mir je begegnet ist. Sie ist liebevoll ordentlich in der
Umsetzung ihrer Arbeit, macht sich manchmal etwas zu viele Sorgen, ist dadurch aber
äußerst pingelig und beständig. Durch die ruhige Art und das wortlose Kommunizieren
ist sie auch eine perfekte Therapeutin für alle Patienten, für die ich viel zu laut
wäre. Wir sind ein Dreamteam, weil sie eben nicht genauso ticken wie ich. Durfte ich
aber auch erst lernen … Und Sie brauchen meine Besetzungsfehler nicht zu wiederholen.
Übereinstimmungen, genauso wie lange Freundschaften oder eine gemeinsame Ausbildung
sollten nie die Entscheidung für oder gegen eine Einstellung sein.
Zu viel Nähe bedeutet Stress
Zu viel Nähe bedeutet Stress
Bedenken Sie bitte Ihre Position! Sie sind als Arbeitgeber die Führungsperson, diejenige,
die auch mal unangenehme Entscheidungen treffen muss. Eventuell müssen Sie ermahnen
und Prozedere durchsetzen. Dann kann eine zu große Nähe eine wirkliche Herausforderung
sein. Diese ist durch Klarheit absolut lösbar, benötigt jedoch von Ihnen ein großes
Maß an Kommunikationsfähigkeit und Reflexionsvermögen. Sie glauben gar nicht, wie
viele kritische Mitarbeitergespräche schon nicht stattgefunden haben, weil man sich
ja morgen im Sportverein oder beim Kindergeburtstag sieht. Wenn es dann nach all den
anderen Kriterien eben doch solche Übereinstimmungen, Freundschaften und so weiter
gibt – prima! Aber eben erst danach. Wie können Sie also nun möglichst passende Bewerber
für eine offene Stelle herausfiltern? Mit vier Schritten kommen Sie zum Ziel.
In vier Schritten den passenden Bewerber wählen
In vier Schritten den passenden Bewerber wählen
1. Definieren Sie die Bedürfnisse der Praxis
Um sich selbst ein wenig herauszunehmen, ist es recht sinnvoll, die Situation dissoziiert
zu betrachten. Schauen Sie sich die Praxis „von außen“ an. Welche Bedürfnisse hat
sie an die neue Person? Aus den Bedürfnissen erstellen Sie eine Liste und priorisieren
diese (zum Beispiel: innovativ, spezielle Fähigkeiten, berufserfahren, kommunikativ,
Stundenumfang).
Dem ersten Anschein nach wirken diese Kriterien gleichwertig. Betrachten Sie jedoch
genau die Einsatzgebiete, wird schnell deutlich, dass es unterschiedliche Gewichtungen
gibt. Wenn Sie etwa eine Heimbetreuung neu besetzen wollen, mit der die Zusammenarbeit
in puncto Verordnungen, Absagen, Einhalten der Termine etc. schwierig ist, ist es
wichtig, einen Menschen dorthin zu schicken, der sich gut organisieren kann, der flexibel
Lösungen findet und der sich auch durchsetzen kann. Ob dieser Bewerber in den letzten
Jahren auf einer außergewöhnlichen Fortbildung war, kann dann sekundär sein.
2. Bereiten Sie das Vorstellungsgespräch sorgfältig vor
Allein zu diesem Thema kann man Bücher füllen. Das Wichtigste zusammengefasst: Legen
Sie vor den ersten Gesprächen eine Struktur fest, um ein möglichst rundes Bild über
den potenziellen Mitarbeiter zu erhalten und um die zu besetzende Position bestmöglich
darzustellen. Was möchten Sie auf jeden Fall erfahren? Was ist Ihnen wichtig zu berichten?
Ganz klassisch nutzt man zu Beginn den Smalltalk, um die Situation zu entspannen,
und geht dann zum Lebenslauf des beruflichen Werdegangs über. Auch, was die Person
dazu bewogen hat, sich zu bewerben, ist eine spannende Frage.
In der Kürze einer Stellenanzeige können Sie immer nur einen groben Überblick über
die tatsächliche Arbeit geben. Deswegen sollten Sie schon im Vorhinein so genau wie
möglich klären, welche Arbeits- und Einsatzbereiche zur Disposition stehen. Wenn sich
herausstellt, dass zum Beispiel doch mehr geriatrische Patienten zu behandeln sind
als gewünscht, ist dies nicht zuletzt für die Patienten eine ungünstige Situation.
Vermeiden Sie den Irrtum: „Der neue Mitarbeiter muss genau wie ich ticken.“
Ich – und das ist wirklich eine ganz persönliche Sache – stelle sehr gern Menschen
ein, die Brüche in ihrem Lebenslauf haben. Mir ist klar, dass eigentlich jeder genau
dies zu verbergen sucht und diese auch in der freien Wirtschaft oft das Knock-out-Kriterium
sind. Inzwischen erlaube ich mir aber, genau dies zu bevorzugen. Wenn ein Mensch im
Laufe seines Lebens wegen einer Krise, persönlicher Umstände oder auch seiner Reiselust
keinen schlüssigen Arbeitgeberverlauf hat, kann dies durchaus viele Vorteile haben!
Dieser Mensch hat ganz offensichtlich die zwei wichtigsten Dinge im Leben bereits
trainiert: seine Stehauf-Fähigkeit und den Durchhaltemuskel. Wunderbar! Was kann mir
als Chefin für mich und meine Patienten Besseres passieren?
3. Strukturieren Sie die Ergebnisse
Nach ein paar Vorstellungsgesprächen und Telefonaten haben Sie eine Fülle von unterschiedlichen
Eindrücken gesammelt. Da geht schon mal die eine oder andere Information unter oder
wird erst gar nicht vollständig aufgenommen. Erstellen Sie sich eine Tabelle mit den
wichtigsten Kriterien, damit Sie einen Vergleich anstellen können ([TAB]., S. 41).
TAB. Eine Tabelle hilft, um zwischen mehreren Bewerbern zu entscheiden.
|
Bewerber
|
Unterlagen vollständig
|
Erfahrungen/Fortbildungen
|
gewünschter Stundenumfang im Vergleich zur Stelle (20 Std./Wo.)
|
Gehalts-vorstellung
|
Soft Skills, Bauchgefühl
|
Reaktion Team
|
|
Frau X
|
ja
|
wenig
|
20
|
1.800 Euro
|
ruhig, motiviert, noch unerfahren
|
sehr positiv, entspannt
|
|
Frau Y
|
ja
|
nein
|
34
|
?
|
freundlich, souverän
|
angespannt
|
Sie sehen in der letzten Spalte, dass ich die Reaktion des Teams als Entscheidungskriterium
miteinbeziehe. Hospitationstage finden in meiner Praxis immer an den Tagen statt,
an denen auch Teamsitzung ist. Hier kann ich erleben, wie sich das Team verhält. Selbstverständlich
treffe ich die verantwortliche Einstellungsentscheidung, aber mein bestehendes Team
muss ab Einstellungsdatum mit dem/der Neuen zusammenarbeiten. Da ich sehr viel Wert
auf die Stimmung und das Vertrauen in meinem Team lege, ist das Zusammenspiel ein
wichtiger Faktor für mich. Ähnlich einem Orchester genügt es nicht, sein Instrument
zu beherrschen. Das gemeinsame Spiel, das Aufeinander-Hören macht die Noten auf dem
Blatt erst zu einem Hörgenuss.
4. Schlafen Sie drüber
Diesen alten Tipp meiner Oma beherzige ich noch heute, und haben Sie keine Angst,
dass Ihnen etwas entgeht. Sollte sich ein Bewerber nun innerhalb von 24 Stunden für
eine andere Stelle entscheiden, obwohl Sie vereinbart haben, dass Sie beide beispielsweise
übermorgen miteinander sprechen, dann ist dies vermutlich auch gut so. Zügiges und
entschlossenes Handeln ist gut – überhastetes Zusagen eines Arbeitsvertrags, weil
er/sie sich sonst woanders bewirbt, ist keine gute Idee für eine doch bitte möglichst
langfristige und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Demonstrieren Sie lieber Verlässlichkeit,
dass Sie sich auch wirklich an dem vereinbarten Termin mit Ihrer Entscheidung melden.
In Verkaufstrainings wird mit einem uralten Trick gearbeitet: künstliche Verknappung.
„Nur heute erhalten Sie diese wundervolle Pfanne mit Griff, ab morgen bekommen Sie
die niiiiie wieder! Entscheiden Sie sich jetzt!“ Obwohl ich dies als Coach schon vor
20 Jahren als überaltert erlebt habe, wird dies immer noch eingesetzt. Und immer noch
lassen sich Menschen dadurch zu Entscheidungen beeinflussen. Sollte Sie also ein potenzieller
Mitarbeiter durch künstliche Verknappung unter Druck setzen, kann ich Ihnen nur empfehlen,
sich zurückzulehnen, tief durchzuatmen und zu lächeln. Keine wirklich gute Pfanne
muss so angepriesen werden. Ebenfalls kein wirklich guter Mitarbeiter.
Sich in der Probezeit beschnuppern
Sich in der Probezeit beschnuppern
Wenn Sie nun hoffentlich aus der Fülle von Bewerberinnen und Bewerbern neue Mitarbeiter
herausgefiltert haben, beginnt die wichtige Phase der Probezeit, in der sich nun herausstellen
wird, ob Sie beide auch langfristig zueinander passen werden und ob die Stelle Ihrer
beiden Anforderungen entspricht. Dafür wünsche ich Ihnen sehr viel Klarheit, Besonnenheit
und auch eine große Portion Fröhlichkeit, denn nicht nur nach Hermann Hesse wohnt
jedem neuen Anfang ein Zauber inne.