Jeder kennt das Gemüse Brokkoli (syn. Sprossen-, Bröckel-, oder Spargelkohl) als wohlschmeckende
Delikatesse in der Küche. Botanisch handelt es sich bei der Pflanze um eine Art aus
der Familie der Kreuzblütler (Brassicaceae), die sich formal als ontogenetische Fortentwicklung
des Blumenkohls (Brassica oleracea L. convar. botrytis (L.) Alef. var. botrytis L.) verstehen lässt [1]. Die exakte botanische Bezeichnung des Brokkolis verdeutlicht diese enge Verwandtschaft:
Brassica oleracea convar. botrytis (L.) Alef. var. italica Plenck und zeigt gleichzeitig seine ursprüngliche mediterrane Herkunft auf [1],[2],[3].
Bei dem als Gemüse verwendeten Pflanzenteil handelt es sich um einen noch nicht voll
entwickelten terminalen Blütenstand, der in dem Zustand der Präfloration geerntet
wird. An der dickfleischigen Blütenstandsachse und ihren gestauchten Verzweigungen
befinden sich eine Vielzahl von Blütenknospen, die zwar noch nicht vollständig ausdifferenziert,
bei denen aber die Einzelblüten oft schon gut erkennbar sind [Abb. 1]. Ernährungsphysiologisch ist Brokkoli ein wertvolles Gemüse aufgrund der recht hohen
Gehalte an Ascorbinsäure (ca. 115 mg / 100 g), Vitamin K1 (170 μg / 100 g) und β-Carotin [1].
Abb. 1 Brokkoli-Infloreszenz, Arznei- und Nutzpflanzengarten der WWU. Quelle: Lars Krüger
(IPBP)
Wie bei vielen Vertretern der Brassicaceae finden sich auch bei Brokkoli größere Mengen
an Glucosinolaten (GSL, auch „Senfölglucoside“ genannt). GSL sind nichtflüchtige,
wasserlösliche, optisch aktive, meist als Salze in der Pflanze vorliegende Sekundärstoffe,
die sich biogenetisch aus dem Aminosäurestoffwechsel ableiten. Formal sind sie C-substituierte
S-(β-D-Glucopyranosyl)-methanthiohydroximsäure-O-sulfate [Abb. 2], [Abb. 3], wobei eine sehr große Bandbreite an möglichen Substituenten und damit auch an unterschiedlichen
GSL bekannt ist [4],[5],[6].
Abb. 2 Enzymatischer Abbau von Glucoraphanin, katalysiert durch Myrosinase. Der Abbau zu
Sulforaphan beschreibt den physiologischen Hauptabbauweg, drei weitere bekannte Nebenwege
sind angegeben.
Abb. 3 In Brokkoli mengenmäßig dominierende Glucosinolate. Typisch für junge Pflanzen und
Samen sind die sog. „young broccoli marker“ (YBM): GR, GI, GE und 4OH-GB, in älteren
Pflanzen (z. B. auch in der vollentwickelten Brokkoli-Infloreszenz) dominieren GB
und neo-GB. Als Beispiel für ein typisches Brokkoli-Isothiocyanat („Senföl“) ist SFN
abgebildet, das beim enzymatischen Abbau aus GR entsteht.
GSL-haltige Pflanzen enthalten in der Regel spezifische Thioglucosidasen (syn. Myrosinasen),
die nach Gewebeverletzung und daraus resultierender Dekompartimentierung der Zellen
die Spaltung der thioglykosidischen Bindungen der GSL katalysieren. Daraus entstehen
instabile Aglyka, welche sich unter physiologischen Bedingungen hauptsächlich zu den
entsprechenden Isothiocyanaten (ITC) umlagern. Der enzymatische Abbau der GSL zu den
ITC, die in der Literatur teilweise auch „Senföle“ genannt werden, vollzieht sich
in einigen Fällen schlagartig („mustard oil bomb“) [7]. Die Bildung von Nitrilen, Thiocyanaten und Epithionitrilen wird (je nach pH-Wert,
der Anwesenheit von Metallionen oder bestimmter „specifier proteins“) ebenfalls beobachtet
[8], [9]
[Abb. 2].
[Abb. 3] gibt einen Überblick über einige für Brokkoli typische GSL. In den letzten Jahren
erwies sich insbesondere das Glucoraphanin (GR) als pharmakologisch beachtenswert,
da es enzymatisch durch Myrosinase zu dem bioaktiven Sulforaphan (SFN) umgebaut werden
kann [Abb. 2]. Die SFN-Bildung kann auch nach Aufnahme von GR durch die Fäkalflora im humanen
Kolon erfolgen. SFN wird im Intestinum absorbiert und ist systemisch bioverfügbar
[10], [11]. Nach dem Verzehr roher Brokkolisprossen, insbesondere aber auch nach Gabe von SFN,
wird eine erhöhte Expression von detoxifizierenden Phase-II-Enzymen sowie antioxidativ
wirkenden Faktoren in der Leber beobachtet [12],[13],[14]. Hieraus sollen sich antioxidative, antiinflammatorische und zellschützende Eigenschaften
ableiten lassen. SFN werden in vitro antiproliferative Effekte gegenüber Krebszellen zugeschrieben [15], wobei pleiotrope Mechanismen auf die molekulare Regulation der Zellproliferation,
der mitochondrialen Stoffwechselregulation und der potenziellen Suppression inflammatorischer
Prozesse beschrieben werden [10]. Diese Zusammenhänge haben mittlerweile sogar Eingang in Lehrbücher gefunden [16]. Brokkoli haftet inzwischen der Nimbus eines „Superfoods“ an: Die einfache Internetsuche
ergibt viele Millionen Treffer[
1
].
Die klinische Studienlage belegt den Einsatz von SFN, GR oder Brokkoliextrakten bei
Krebs oder anderen schweren Erkrankungen keinesfalls hinreichend. Dessen ungeachtet
werden GR-angereicherte Produkte auf Basis von Brokkoli häufig mit der gesundheitsbezogenen
Aussage[
2
] „Chemoprävention“ oder „Chemoprotektion“ angeboten. Arzneimittelzulassungen für
solche Präparate bestehen zurzeit nicht. Alle Anträge zu Brokkoli-, GR- oder SFN-enthaltenden
Lebensmitteln, die gesundheitsbezogene Aussagen („Health Claims“) bei der Europäischen
Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) beantragt hatten, wurden bisher abgelehnt
(beantragte Claims sind z. B. „helps maintain a healthy immune system“, „helps to protect cells from oxidation“, „natural defense against free radicals“, „protects cells and DNA from oxidative damage“, „helps to eliminate toxic compounds“, „boosts the elimination of free radicals“, „verbessert die Prostatafunktion“ etc.) [17]. Trotzdem findet sich im Internethandel, in Drogerien, Reformhäusern, aber auch
in Apotheken, eine nicht zu unterschätzende Anzahl an Brokkoli-basierten Produkten,
die als Nahrungsergänzungsmittel (NEM) mit zum Teil eindrücklichen Werbeaussagen vermarktet
werden. Unabhängig von Aussagen zu möglichen Wirkungen ist aber für den Verbraucher
auch die Qualität der entsprechenden NEM intransparent.
Produkte, die Brokkoli enthalten, stellen prinzipiell hochkomplexe Vielstoffgemische
dar. Als wertbestimmend werden in der Regel die GSL [Abb. 3] und die daraus resultierenden ITC angesehen, aber auch andere pflanzliche Sekundärstoffe,
wie z. B. das Sinapin (der Cholinester der Sinapinsäure) können enthalten sein. Zur
Absicherung der notwendigen Qualität solcher NEM, die gemäß Deklaration meist auf
Brokkoliextrakt oder -konzentrat aufbauen, erschien es sinnvoll, eine analytische
Untersuchung durchzuführen, um so einen Überblick über die momentan im „Brokkoli-NEM-Markt“
kommerzialisierten Produkte zu erhalten.
Samen, Spross oder Infloreszenz?
Kompliziert wird die Situation durch die Tatsache, dass in den NEM unterschiedliche
Pflanzenteile verwendet werden, wie z. B. Samen, Sprossen oder auch die Infloreszenz.
Bezogen auf die Trockenmasse enthält ein durchschnittlicher Brokkolikopf nach eigenen
Untersuchungen ca. 6 mg GR pro g, junge Sprossen und Samen sind mit ca. 25–27 mg / g
GR deutlich gehaltvoller [18]. Die von uns ermittelten Werte passen gut zu verfügbaren Literaturdaten [19],[20],[21],[22].
Analytische Aspekte
Ein nicht zu unterschätzendes Problem bei der Analytik komplexer GSL-Gemische ist
die teilweise hohe Polarität dieser Analyten, bedingt zum einen durch den Zuckeranteil
im Molekül, aber zum anderen auch durch die Sulfatgruppe. U(H)PLC-Methoden zeigen
deshalb häufig unzureichende chromatographische Auflösungen (speziell für GR und GI)
oder wenig akzeptable Peakformen. Andere analytische Verfahren desulfatieren die GSL
und bestimmen nachfolgend die daraus entstehenden Produkte [23], jedoch sind solche Methoden zeit- und arbeitsintensiv. Kürzlich konnte eine analytische
Methode für Brokkoliprodukte entwickelt und validiert werden, bei der mittels Kapillarzonenelektrophorese
(CZE) 4 repräsentative GSL (GR Glucoraphanin, GI Glucoiberin, GE Glucoerucin, 4OH-GB
4-Hydroxyglucobrassicin) zur Identitäts- und Gehaltskontrolle verwendet wurden [18]. Zusätzlich wurde die Summe dieser 4 Markersubstanzen als YBM-Wert („young broccoli marker“) in die spätere Beurteilung mit aufgenommen. Die Fokussierung auf YBM begründet
sich damit, dass diese Verbindungen typisch für Brokkolisprossen und -samen sind und
auch in größeren Mengen dort vorkommen [21], [24]. Im Gegensatz dazu dominieren in adulten Infloreszenzen die Indolderivate Glucobrassicin
und Neoglucobrassicin [Abb. 3]. Ein repräsentatives Elektropherogramm zeigt [Abb. 4]. Zusätzlich wurde eine U(H)PLC / MS-Methode etabliert, um die durch die CZE erarbeiteten
Ergebnisse qualitativ abzusichern und weitere GSL sowie SFN nachzuweisen.
Abb. 4 Elektropherogramm (Ausschnitt 10–20 min, λ=225 nm) einer typischen Brokkoliprobe
(NEM), Heißwasserextrakt; 1 interner Standard, YBM: 2 4OH-GB, 3 GE, 4 GR, 6 GI; Peaks 5 und 7: weitere GSL (nicht zugeordnet).
Ergebnisse
Innerhalb der ersten Untersuchungsserie konnten 14 Brokkoli-basierte NEM-Produkte
analysiert werden, die allesamt aus dem Internethandel stammten (nachfolgend #01 –
#14 genannt). Die ermittelten Datensätze zu diesen Präparaten wurden 2019 in einem
Fachjournal veröffentlicht [18] und damit (theoretisch) auch den Herstellern zur Kenntnis gebracht. Um zu untersuchen,
inwieweit bei einigen problematischen Präparaten diese Publikation mögliche Änderungen
bewirkte, und darüber hinaus auch einen Einblick in mögliche Unterschiede zwischen
unterschiedlichen Produktionschargen zu erhalten, wurden im Februar / März 2020 erneut
Muster von 6 bereits untersuchten Präparaten erworben und analysiert.
Die ausführliche Deklaration und Zusammensetzung jeder untersuchten Probe sowie die
Ergebnisse und Beurteilungen aller qualitativen und quantitativen Untersuchungen sind
inklusive der relevanten Versuchsparameter, Rohdaten („Fingerprints“) und Bilder der
mikroskopischen Untersuchung online verfügbar (http://go.wwu.de/280v9).
Aus diesen Datensätzen wurde zur einfacheren Gesamtbeurteilung eine auf die jeweilige
Deklaration bezogene Bewertung nach dem Ampelprinzip („grün-gelb-rot“) durchgeführt.
Diese ist in [Tab. 1] zusammengefasst dargestellt.
Tab. 1
Zusammenfassung der Untersuchung und Beurteilung von 14 NEM auf Brokkolibasis. Vereinfachte
Beurteilung nach dem „Ampelprinzip“: Grün: Die Ergebnisse entsprechen der Deklaration und damit der Verbrauchererwartung. Gelb: Die Ergebnisse entsprechen zwar nicht vollständig der Deklaration, entsprechen aber
u. U. trotzdem der Verbrauchererwartung. Rot: Die Ergebnisse entsprechen nicht der Deklaration und damit auch nicht der Verbrauchererwartung.
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Nr.
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Produkt
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Gehalt pro Tagesdosis
I. deklariert, II. gemessen
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Beurteilung Analyse 2019
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Beurteilung Nachanalyse 2020
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#01
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Sulforaphan aus Broccoli 400 µg
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I. 0,4 mg SFN (≙ 1,0 mg GR)
II. 5,5 mg GR
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#02
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Brocco®Max
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I. 90 mg GR
II. 55 mg GR[*]
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#03
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Lebepur Brokkoli Superfood
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I. keine Angabe
II. ca. 2,4 mg GR / 2 Teelöffel (3 g)
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#04
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LLS - Broccoli Sprout Extract
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I. 5 mg SFN (≙ 12,3 mg GR)
II. GR nicht nachweisbar, auch in Nachanalyse
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#05
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Mein Vita Brokkoli Extrakt - Bioaktives Sulforaphan
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I: 5 mg SFN (≙ 12,3 mg GR)
II. GR nicht nachweisbar, in Nachanalyse nur 2,5 mg GR
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#06
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Vitalingo - Brokkoli Extrakt
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I. keine Angabe
II. GR nicht nachweisbar, auch in Nachanalyse
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#07
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Green Line - Broccoli
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I. keine Angabe
II. 31 mg GR
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#08
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Basis© Vitalstoff - Broccoli Sulforaphan Kapseln
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I. 18 mg SFN (≙ 45 mg GR)
II. < 2,5 mg GR, auch in Nachanalyse
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#09
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Broccoli - Bios Kapseln
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I. keine Angabe
II. 25,6 mg GR
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#10
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Broccoli GPH Kapseln
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I. keine Angabe
II. 29,2 mg GR
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#11
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Extra Strength Broccoli Extract
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I. 24 mg Glucosinolate
II. nur 1,7 mg YBM (+ Sinalbin), in Nachanalyse ca. 30 mg YBM (+ Sinalbin)
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#12
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Sulphoraphane from Broccoli Sprout Extract
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I. 0,4 mg SFN (≙ 1 mg GR)
II. 6,7 mg
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#13
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Wildkohl Brassica Nr. 2
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I. 84 mg GR
II. ca. 12 mg
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#14
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Deiters Broccoraphan®
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I. 48,7 mg SFN (≙ 120 mg GR)
II. GR nicht nachweisbar, auch in Nachanalyse
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Abkürzungen: SFN = Sulforaphan, GR = Glucoraphanin, YBM = young broccoli marker (Glucosinolate,
die typisch sind für junge Pflanzen und Samen)
* höchster gemessener Gehalt an GR pro Tagesdosis im Test
Nur 5 sind in Ordnung
Von den 14 Untersuchungsmustern erwiesen sich lediglich 5 als spezifikationsgerecht
– „grüne Ampel“. Dies bedeutet, dass die qualitative Untersuchung das Vorliegen von Brokkoliinhaltsstoffen
tatsächlich bestätigte und die deklarierten Gehaltsangaben (sofern vorhanden) nicht
unterschritten (wohl aber in einigen Fällen überschritten) wurden. In den meisten
Fällen wird für diese Präparate eine „Standardisierung“ auf Sulforaphan SFN, also
auf das ITC, deklariert. Hierbei ist aber zu beachten, dass SFN in der Regel nur in
kleinen Mengen vorliegt und erst sekundär aus dem genuinen GR enzymatisch gebildet
wird.
Präparat #01 ist spezifikationsgerecht, aber relativ niedrig dosiert (gemessen wurden
5–6 mg GR / Kps.). Die deklarierte Verzehrempfehlung ist angegeben mit einer Kapsel
pro Tag. #01 ist damit eines der wenigen Präparate, bei dem der Gehalt von SFN pro
Kapsel (0,4 mg) klar angegeben ist, entsprechend ca. 1 mg GR. Diese Menge wird allerdings
um mehr als das 5-Fache überschritten.
Extrakte & Konzentrate
In der Deklaration des Präparates #01 ist angegeben, dass die Kapseln einen Brokkoli-Sprossen-Extrakt
(Markenname: BroccoPhane®) enthalten. Hier (wie auch den Präparaten #04, #06, #08, #11, #12) wird der Begriff
„Extrakt“ verwendet. Dieser Begriff wird hier offensichtlich sehr weit interpretiert
und ist nicht unbedingt identisch mit der pharmazeutischen Extrakt-Definition. Er
beschreibt vielmehr eine Anreicherung der wertbestimmenden Inhaltsstoffe durch Gewinnung
eines trockenen, fein gemahlenen Pflanzenpulvers. Zum Teil sind für diese „Extrakte“
auch Markennamen registriert worden: BroccoPhaneTM (#01, #12), BroccoMax® (#02) oder BroccoSinolateTM (#11). Die Aufkonzentrierung wertbestimmender pflanzlicher Sekundärstoffe wird also
offensichtlich durch den Trocknungsvorgang erreicht und ist nicht Folge einer Extraktion
mit einem geeigneten Auszugsmittel. Im Falle von Brokkolisamen kann eine solche Aufkonzentrierung
auch durch eine Entfettung erzielt werden (Beispiel: Präparat #02). Man könnte diese
„Extrakte“ also vielleicht eher mit dem pharmazeutischen Begriff „Droge“ vergleichen.
Untermauert wird diese These durch die Tatsache, dass in fast allen Präparaten im
Mikroskop zelluläre Bestandteile gefunden werden konnten.
In anderen Fällen wird nicht von „Extrakt“, sondern von „Konzentrat“ (#02, #07, #09,
#10) oder einfach von einem „Pulver“ (#03, #08, #13) gesprochen, gemeint ist aber
auch hier offensichtlich das getrocknete bzw. entfettete Pflanzenpulver. Im Lichte
dieser Betrachtung macht auch die Auslobung eines SFN-Gehaltes wenig Sinn, da das
fachgerecht getrocknete Pflanzenpulver in jedem Fall durch die genuin vorhandenen
GSL (speziell GR) und nicht durch die Produkte der enzymatischen Umsetzung (speziell
SFN) charakterisiert sein sollte. Alle durchgeführten Analysen bestätigen dies eindrucksvoll:
Nur in den Fällen, in denen eine nennenswerte Menge an GR quantifiziert werden konnte,
war qualitativ auch SFN (per U(H)PLC / MS) nachweisbar. In keinem Fall war der SFN-Nachweis
positiv bei gleichzeitiger Abwesenheit von GR.
Dies bedeutet einerseits, dass die Bildung von SFN in geringen Mengen aus GR bei der
Trocknung nicht vermeidbar ist (dies entspricht auch unseren eigenen Erfahrungen beim
Herstellen gefriergetrockneter Pflanzenpulver), und andererseits, dass offensichtlich
in keinem Fall von Herstellerseite ein gezieltes Verfahren zur enzymatischen Bildung
von SFN aus GR, z. B. durch fermentative Bedingungen bzw. Einmaischen des zerkleinerten
Pflanzenmaterials, durchgeführt wurde.
#07 ist ebenfalls spezifikationsgerecht und relativ hochdosiert (ca. 30 mg GR / Kps.).
Die empfohlene Einnahme ist eine Kapsel pro Tag, bei vollständiger Umsetzung des GR
würde das ca. 12 mg SFN entsprechen.
Eine ähnliche Situation liegt bei #09 und #10 vor. Beide Präparate scheinen, betrachtet
man die fast wortgleiche Deklaration, identisch zu sein. Aus den ermittelten Gehalten
an GR kann eine Tagesaufnahme von > 25 mg errechnet werden. Wenig aussagekräftig erscheint
allerdings die Deklaration „enthält 250 mg auf SFN standardisiertes Broccolisprossen-Konzentrat“. Dies klingt zwar auf den ersten Blick gut, bedeutet allerdings lediglich, dass
eine Kapsel 250 mg eines nicht definierten Sprossenproduktes enthält, welches SFN
enthält. Was „Konzentrat“ bedeutet, ist unklar (vgl. auch Exkurs „Extrakte & Konzentrate“),
wieviel SFN es enthält, ist nicht angegeben. Eine sinnvollere Angabe wäre in diesem
Zusammenhang z. B. das Droge-Extrakt-Verhältnis. Die in der Deklaration gemachten
Angaben von #09 und #10 sind somit nicht aussagekräftig.
Probe #12 entspricht sowohl hinsichtlich qualitativer als auch der quantitativen Untersuchung
der Deklaration, wobei die gefundenen GR-Gehaltswerte den deklarierten Gehalt um das
ca. 6-Fache übersteigen. Das Präparat weist eine aussagekräftige Deklaration auf,
es enthält (wie Probe #01) als Brokkolibestandteil den markenrechtlich geschützten
Sprossen-Extrakt „BroccoPhane®“.
Zwei kritische Präparate
Zwei der 14 untersuchten Präparate werden als kritisch angesehen („gelbe Ampel“). #02 weist eine verwirrende Deklaration auf. Interessanterweise wird angegeben,
dass unter In-vitro-Bedingungen aus einer Kapsel unter Einwirkung der im Produkt vorhandenen aktiven
Myrosinase 8 mg SFN freigesetzt werden, weiterhin wird ein Gehaltswert für „SulforaphanGlucoSinolat“ von 90 mg in 3 Kapseln angegeben. Dies ist in zweierlei Hinsicht bemerkenswert.
Zum einen ist der Begriff „SulforaphanGlucoSinolat“ eine wissenschaftlich wenig gebräuchliche Bezeichnung. Hier werden die Trivialbezeichnungen
für das 4-Methylsulfinylbutyl-glucosinolat (Glucoraphanin) und das korrespondierende
ITC (Sulforaphan) zu einem Kunstwort verknüpft. Es werden 90 mg aus 3 Kapseln spezifiziert,
was ungewöhnlich ist, da man entweder bezogen auf die Tagesdosis (= 3 Kapseln) angibt
oder die Gehaltsangabe pro einzelne Kapsel deklariert. Zum anderen würden aus den
spezifizierten 30 mg GR (pro Kapsel) theoretisch ca. 12 mg SFN resultieren, dies stimmt
nun nicht mit den deklarierten 8 mg pro Kapsel überein. Die quantitativen Untersuchungen
ergeben deutlich geringere Gehalte als die deklarierten, nämlich lediglich 18 mg / Kps.
Dies entspricht rein rechnerisch der Bildung von ca. 7 mg SFN, was wiederum der Aussage
des Herstellers zur freisetzbaren Menge des ITC besser entspricht. Zusammengefasst
also ein Präparat mit eigentümlicher Deklaration, aber ggf. ordnungsgemäßem Inhalt.
Positiv muss festgehalten werden, dass #02 den insgesamt höchsten Gehalt aller untersuchten
Proben bezogen auf GR pro Tagesdosis liefert und auch die ausgelobte Myrosinaseaktivität
in Kaltwasserextrakten nachgewiesen werden konnte.
Das getrocknete Brokkolipulver #03 (1–2 Teelöffel / Tag) enthält keine weitere Spezifikation
von Inhaltsstoffen, sondern wird lediglich als „Superfood“ bezeichnet. Die Identität
von Brokkoli (wahrscheinlich adulte Infloreszenzen) wird analytisch über die geringen
Gehalte der YBM (ca. 0,3 g / 100 g) bestätigt, der Gehalt an GR liegt ebenfalls im
unteren Konzentrationsbereich (0,08 g / 100 g). Im Vergleich dazu enthält ein selbst
hergestelltes, gefriergetrocknetes Brokkolipulver ca. 0,6 g / 100 g GR. Das Produkt
wirbt nicht explizit mit einem hohen Gehalt an GR (oder YBM). Der Begriff „Superfood“
könnte aber beim Verbraucher die Erwartung wecken, ein Lebensmittel mit einem besonders
hohen Gehalt an bioaktiven GSL zu erwerben.
Sieben sind ungenügend
Sieben der 14 untersuchten Präparate werden als ungenügend angesehen („rote Ampel“). #04 enthält nach den Kapillarzonenelektrophorese- und U(H)PLC-Untersuchungen weder
YBM, GR noch SFN. Die Analyse einer weiteren Produktcharge führte zum gleichen Ergebnis.
Auch #05 ist sehr kritisch zu bewerten: Innerhalb der Untersuchung der ersten Charge
konnten weder YBM, GR noch SFN nachgewiesen werden. In einer später erworbenen weiteren
Charge waren die Analyten zwar nachweisbar, allerdings in sehr geringen Konzentrationen
(ca. 1,3 mg GR / Kps., äquivalent zu ca. 0,5 mg SFN). Die deklarierte Menge an 2,5 mg
SFN / Kps. wird damit deutlich unterschritten.
Im Präparat #06 waren in 2 unterschiedlichen Chargen weder YBM, GR noch SFN nachweisbar.
Bei 2 untersuchten Chargen des Präparates #08 werden die Gehalte an deklariertem SFN
(18 mg SFN) deutlich unterschritten. Beide Untersuchungen ergaben GR-Gehalte von 0,7–0,8 mg
GR / Kps. (äquivalent zu ca. 0,3 mg SFN). Ungenau ist auch ein Punkt in der Deklaration:
Der Einnahmehinweis wird mit „1–3 Kapseln / Tag, entsprechend 18 mg SFN“ angegeben. Hierbei bleibt unklar, ob sich die spezifizierten 18 mg SFN nun auf eine,
2 oder 3 Kapseln beziehen.
Probe #11 wird als kritisch bewertet. In beiden untersuchten Chargen wurde ein dominanter
Peak gefunden, der dem GSL Sinalbin zugeordnet werden konnte (Absicherung über U(H)PLC
und MS). Sinalbin ist kein typischer Bestandteil von Brokkoli, sondern wird in Zubereitungen
aus Weißem Senf gefunden. Ein Hinweis auf die Zumischung von Sinapis alba L. fehlt allerdings. Die Quantifizierung von GR und YBM in der ersten Charge zeigte
nicht spezifikationsgerechte Ergebnisse, die Gehalte erscheinen deutlich zu niedrig.
Der Hersteller deklariert pro Kapsel 24 mg Glucosinolate, GR wurde in dieser Charge
aber lediglich mit 1,5 und die YBM mit 1,7 mg/Kps. bestimmt. Hier macht es den Eindruck,
als wenn die Zumischung von Weißem Senf dem rechnerischen Gesamtglucosinolatgehalt
zugerechnet werden soll. Die Produktdeklaration spricht aber eindeutig von einem „Extra Strength Broccoli Extract“, der Verbraucher erwartet hier also berechtigterweise Brokkoli-typische GSL. Die
Analyse einer weiteren Charge des Produktes zeigt erneut das Vorliegen des (nicht
deklarierten) Sinalbins, diesmal aber spezifikationskonforme Gehaltswerte für GR und
die YBM. Insgesamt wird dieses Produkt negativ bewertet, da nicht deklarierte Beimischungen
enthalten sind und die Chargenkonformität nicht gegeben ist.
Produkt #13, ein „Naturprodukt aus 25.000 Kohlkeimlingen und Blattsprossen von Brassica Nr. 2“ enthält nach qualitativer Analyse YBM, zusätzlich aber noch die Glucosinolate Sinigrin
und Gluconapin (Identitätsbestätigung über U(H)PLC-MS), welche nicht Hauptbestandteile
von Brokkoli sind. Die deklarierten GR-Gehaltswerte von 84 mg pro 6 Kapseln Tagesdosis
werden deutlich nicht erreicht (gefunden wurden nur ca. 12 mg / 6 Kps.). Anmerkung:
Das Präparat wird nicht als Brokkoliprodukt ausgelobt, sondern als „Wildkohl-Kapseln“,
dennoch wird auf das Vorhandensein von „Glucosinolat-SFN“ (damit kann nur GR gemeint
sein) ausdrücklich hingewiesen.
Präparat #14 soll ein durch Trocknung konzentriertes und gemahlenes Granulat aus jungen
Brokkolipflanzen enthalten. Die Tagesdosis (2 Dosierlöffel = 3 g) ist mit 35–55 mg
SFN angegeben. Auf dem Deckel ist zusätzlich das Ergebnis einer Analyse abgedruckt:
1622,8 mg[
3
] / 100 g. Hiermit ist wahrscheinlich der GR-Gehalt gemeint, umgerechnet einem Gehalt
von ca. 50 mg SFN / Tagesdosis entsprechend. Deklaration und abgedruckte Analyse passen
also zusammen, leider aber nicht zur Tatsache, dass weder GR noch weitere YBM per
CE und U(H)PLC nachgewiesen werden konnten. Lediglich 2 zusätzliche GSL-Signale waren
in der CE detektierbar und konnten per U(H)PLC / MS verifiziert werden: Gluconapin
und Glucobrassicanapin. Beide GSL sind eher untypisch für junge Brokkolipflanzen.
Die Nachanalyse einer zweiten Produktcharge brachte identische Ergebnisse.
Fazit
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass von 14 untersuchten Präparaten 7 (50 %)
eine nicht akzeptable Qualität aufwiesen, 5 Präparate der Deklaration entsprachen
(36 %), und 2 Präparate (14 %) eher kritisch zu bewerten sind, aber u. U. noch den
Verbrauchererwartungen entsprechen könnten (vor allem bei Präparat #02). Massive Unterdosierungen,
Unterschiede zwischen einzelnen Chargen, fremde Beimischungen und unpräzise oder falsche
Deklarationen stellen die am häufigsten festgestellten Mängel dar. Auch die Sinnhaftigkeit
mancher Begriffe sollte kritisch überdacht werden (siehe auch Exkurs „Extrakte und
Konzentrate“). Insgesamt wirft diese Untersuchung kein gutes Licht auf die Qualität
der untersuchten Präparate.
Es stellt sich grundsätzlich die Frage, ob es sinnvoll ist, sich das chemoprotektive
SFN (bzw. seinen Präkursor GR) über Brokkoli-NEM zuzuführen. Würde es nicht auch reichen,
Brokkoligemüse (Infloreszenzen) zu essen, um vergleichbare Mengen an GSL aufzunehmen
– zumindest, wenn man die „Grüne-Ampel-NEM“ auswählt? Die Präparate unserer kleinen
Marktübersicht mit den höchsten GR-Gehalten sind #02, #07, #09 und #10. Mit ihnen
führt man sich ca. 25–55 mg an GR pro Tag zu. Betrachtet man frische Brokkoli-Sprossen,
die naturgemäß in Bezug auf GR deutlich gehaltvoller sind als Brokkoliköpfe (siehe
oben), so kann man hier einen Gehalt an GR von etwa 1,6 mg/g Frischgewicht, entsprechend
ca. 27 mg / g Trockengewicht erwarten. Dies bedeutet, dass man mit etwa 15–35 g frischen
bzw. 1–2 g der getrockneten Sprossen (ca. ½–1 TL) in etwa gleiche Mengen an GR zu
sich nehmen würde, wie mit den Spitzenreitern unserer Untersuchungsreihe. Betrachtet
man die GR-Gehaltswerte im Brokkolikopf, also der adulten Infloreszenz, so betragen
diese nach eigenen Untersuchungen nur ca. 0,1 mg / g Frischgewicht. Somit müsste man
für vergleichbare Tagesdosen an GR etwa 250–500 g frischen Brokkoli / Tag essen. Dies
mag möglich sein, ist aber sicherlich nicht jedermanns Sache.
Aus diesen Betrachtungen heraus erscheint die Verwendung von Brokkoli-Präparaten als
Alternative zum Verzehr größerer Menge des Frischmaterials nachvollziehbar. Auf der
anderen Seite muss gefordert werden, dass im Falle des Inverkehrbringens solcher Präparate
die notwendige Qualität gemäß den rechtlichen und wissenschaftlichen Vorgaben einzuhalten
ist. Dies ist auch unabhängig von den häufig in begleitenden Informationen im Internet
oder in der Laienpresse ausgelobten – aber nicht schlüssig belegten – Wirkungen und
gesundheitsfördernden Effekten zu beurteilen. Es bleibt also noch viel zu tun: für
die Hersteller zur Verbesserung der Qualitätsstandards im Segment der Brokkoliprodukte,
für die klinische Forschung zur klaren Bewertung möglicher gesundheitsfördernder Effekte
von GR und SFN, für die Lebensmittelüberwachung und für die verantwortlichen Politiker,
um dem offensichtlichen Qualitätschaos und Wildwuchs im Bereich NEM wirksam zu begegnen.
Bisher haben die gesundheitsbewussten Verbraucher das Nachsehen.
Danksagung
Wir danken Frau Klara Grell (B.Sc. Geowissenschaften und Stud. Pharm.) für ihre sehr
wertvolle Hilfe bei der quantitativen Nachuntersuchung aller Brokkolipräparate im
Februar / März 2020 und Frau Bettina Quandt-Rusch (BTA) für ihre ebenfalls sehr wertvolle
Hilfe bei der mikroskopischen Analyse aller Proben.