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DOI: 10.1055/a-1121-1652
„Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte“ – Öffentlichkeitsarbeit für Ergotherapie in Großbritannien
Publication History
Publication Date:
06 April 2020 (online)
Mit der Kampagne „Occupational Therapy: Improving Lives, Saving Money” stellte der britische Berufsverband den einzigartigen Wert und Nutzen der Ergotherapie für die breite Öffentlichkeit und die Politik dar. Aktionen zeigten, wie Ergotherapeuten das Leben der Bürger verbessern und dem Gesundheitssystem Geld einsparen. Karin Bishop war maßgeblich an der Kampagne beteiligt und sicherte damit Ergotherapeuten ihren rechtmäßigen Platz im britischen Gesundheitsversorgungssystem.
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Die Kampagne „Occupational Therapy: Improving Lives, Saving Money“ (Deutsch: Ergotherapie verbessert Leben und spart Geld) stellt den Wert der Ergotherapie in Großbritannien dar. Was war der Anlass dafür?
Die meisten Ergotherapeuten wissen, wie oft wir erklären müssen, was wir tun. Und trotzdem verstehen die meisten Menschen nicht, was Ergotherapie ist, warum dieser Beruf wichtig ist oder welchen Unterschied er im Leben unserer Klienten macht. Im Grunde sind wir eine eher versteckte, wenig sichtbare, unauffällige Berufsgruppe. Daher ging es in der Kampagne darum, zu zeigen, wer wir sind, was wir machen und warum wir in der Gesundheitsversorgung unentbehrlich sind. Wir wollten unsere Sichtbarkeit bei Entscheidungsträgern wie Politikern und natürlich unseren Klienten erhöhen.
Wie bist du bei der Kampagne vorgegangen?
Als Erstes mussten wir uns auf ein Motto einigen und eine einprägsame Botschaft formulieren. Mit „Occupational Therapy: Improving Lives, Saving Money“ wollten wir zeigen, dass Ergotherapie nicht nur einen Mehrwert hat, sondern auch rentabel ist. Das heißt, wenn Entscheidungsträger im Gesundheitswesen Geld in ergotherapeutische Dienstleistungen investieren, sparen sie auf lange Sicht Kosten.
Dann fokussierten wir uns auf einen Bereich, der bei unseren Interessenvertretern ankommt. Wir wählten eine Schwierigkeit aus, mit der die Gesundheitsversorger jeden Tag konfrontiert sind und bei der wir glaubten, dass Ergotherapie einen Unterschied macht. Man muss nur täglich die Nachrichten verfolgen, um die Antwort zu finden: Unsere Krankenhäuser stecken in einer Krise – zu wenige Betten und zu viele Patienten, die nur darauf warten, nach Hause entlassen zu werden. Wir wussten, dass Ergotherapie unnötige Einweisungen verhindern und den Entlassungsprozess beschleunigen kann. Im Grunde will niemand länger im Krankenhaus bleiben als unbedingt nötig. Und natürlich sparen sichere und schnelle Entlassungen Ressourcen im Gesundheitswesen.
Als Nächstes brauchten wir handfeste Beweise dafür, an welchen Stellen ergotherapeutische Leistungen innovativ Einweisungen und Entlassungen verhindern bzw. beschleunigen. Also befragten wir unsere Verbandsmitglieder. Wir wollten herausfinden, was sie wo, wann und wie tun. Doch vor allem benötigten wir echte Daten und Statistiken, um die Wirkung von Ergotherapie zu verdeutlichen. Wir boten Workshops an und entwickelten Online-Instrumente, damit Ergotherapeuten in Großbritannien ihre Beispiele dokumentieren konnten. Ihr fantastisches Engagement führte dazu, dass wir mittlerweile über eine Datenbank von über 250 Beispielen verfügen!
Ihr habt auch sehr viel Infomaterial erstellt.
Es war ein Lernprozess. Zunächst hatten wir lediglich eine umfangreiche Broschüre. Uns wurde schnell klar, dass unsere Botschaft bei den vielbeschäftigten Interessenvertretern und Politikern nur ankommen kann, wenn wir eine kurze, prägnante Aussage haben – und natürlich Beispiele, wie Ergotherapie das Leben von Menschen verbessert und gleichzeitig Geld für öffentliche Kassen spart.
Wir wollten eine unvergessliche Kampagne und entwickelten knallbunte Postkarten mit den Schlüsselbotschaften bezüglich unserer Wirkung (S. 42). Sie bieten einen guten Einstieg in Gespräche. Der Hashtag #ValueofOT (Deutsch: Wert der Ergotherapie) ermöglicht es uns, die Kommunikation auch mit Kraft der sozialen Medien sicherzustellen.
Die Reaktionen auf unsere Postkarten, Broschüren und Videos waren toll! Unsere realen Lebensgeschichten, die davon handelten, wie sich das Leben von Klienten durch Ergotherapie verbessert, halfen wirklich, dass die Menschen verstanden und sich daran erinnerten, was unseren Beruf ausmacht.
Heißt das, die Kampagne hat sich auf das Ansehen der Ergotherapie ausgewirkt?
Die Wahrnehmung und das Bewusstsein für Ergotherapie sind signifikant gestiegen. Wir haben unsere Broschüren an die Stakeholder geschickt und zeigten ihnen damit, dass unser Beruf dabei helfen kann, aktuelle Probleme im Gesundheitswesen zu lösen. Die Politiker beteiligten sich rege. Regierungsminister baten beispielsweise darum, ergotherapeutische Einrichtungen zu besuchen, und erwähnten diese Besuche auch in ihren Reden.
Die Kampagne bewirkte darüber hinaus die Entwicklung neuer Dienstleistungen. Beispielsweise arbeiten Ergotherapeuten mittlerweile mit Notdiensten zusammen, wenn jemand zu Hause gestürzt ist und den Notarzt ruft.
Die Kampagne konnte nicht nur den wahrgenommenen Wert der Ergotherapie steigern, sondern ihn auch mit Fakten belegen! Therapiegeführte Stroke Units verringerten zum Beispiel den durchschnittlichen Aufenthalt nach Schlaganfall von 55 auf 28 Tage, da sie anstelle eines traditionellen medizinisch-konsultatorischen Ansatzes einen personenzentrierten Rehabilitationsansatz übernahmen. Dieses Modell wird mittlerweile auch in andere Bereiche übertragen.
Das Ansehen von Ergotherapie ist signifikant gestiegen.
Wie lange sollte die Kampagne laufen?
Wir gingen ursprünglich von einem Jahr aus, mussten aber feststellen, dass es viel länger dauert, bis die Message bei allen Interessenvertretern und Mitgliedern ankommt. Nach vier Jahren sind wir nun an einem Punkt angelangt, an dem die Inhalte verankert sind. Zeit, mit etwas Neuem zu starten.
Was nimmst du persönlich aus der Kampagne mit?
Der Zeitpunkt unserer Berichtsveröffentlichung zur „Reduzierung des Drucks auf die Krankenhäuser“ war maßgeblich. Darin haben wir gezeigt, wie Ergotherapeuten arbeiten, um Patienten nicht in ein Krankenhaus zu überweisen. Den Bericht veröffentlichten wir im Winter, eine Zeit, in der der Bedarf an Krankenhausbetten am höchsten ist. Das war aufsehenerregend, aktuell und berichtenswert.
Und: Unterschätze niemals die Kraft einer guten Geschichte! Echte Erfahrungen haben nicht nur gezeigt, wie sich das Leben durch Ergotherapie verbessert, sondern halfen den Menschen auch, zu verstehen, was wir tun. Die Wahrheit besteht aus Zahlen, Fakten und Daten. Sie sind wichtig, um ein wirtschaftliches Argument anzuführen, werden aber auch leicht vergessen – eine gute Geschichte bleibt.
Die Schlüsselbotschaften werden inzwischen in der gesamten Kommunikation mit Interessenvertretern verwendet, und das Motto ist zu übergreifenden Empfehlungen für unseren Beruf geworden.
Trotzdem müssen auch gute Dinge ein Ende haben. Deshalb war es nach vier Jahren Zeit für eine neue Kampagne. Sie steht unter dem Motto „Small Change, Big Impact“ (Deutsch: Kleine Veränderung mit großer Wirkung). Damit unterstreichen wir die Wirkung, die Ergotherapie auf das Leben von Klienten, Leistungsnutzern und ihr Umfeld hat. Wir wollten keine „von oben aufgesetzte“, also vom Berufsverband ausgehende Kampagne, sondern eine, die die Stimmen unserer professionellen Gemeinschaft nutzt. Sie sollte auf dem Engagement der Mitglieder aufbauen und Ergotherapeuten in allen Spezialgebieten ermutigen, Best-Practice-Beispiele und Erfolgsgeschichten zu teilen und zu zeigen, wie sie mit Herausforderungen umgehen. Die Kampagne startete während der „Occupational Therapy Week 2019“ (Deutsch: Ergotherapiewoche 2019) und ist schon jetzt ein großer Erfolg. Bis dato haben über 600 Ergotherapeuten ihre Geschichten auf einer Online-Pinnwand auf unserer Webseite gepostet. Während der Occupational Therapy Week wurde sie über 15.000 Mal angeklickt, der Hashtag #SmallChangeBigImpact wurde über 28.000 Mal angesehen. Die visuelle Pinnwand zeigt durch ihren vielfältigen und maßgeschneiderten Ansatz, welchen nachhaltigen Unterschied Ergotherapie für die Gesellschaft macht. Dadurch wird ganz pragmatisch verständlich, welche Vielfältigkeit und welchen Umfang unser Beruf abdeckt.
Das Interview führte Christina Janssen.
Internet – Kampagnen
Improving Lives, Saving Money:
www.rcot.co.uk/promoting-occupational-therapy/occupational-therapy-improving-lives-saving-money
Small Change, Big Impact:
www.rcot.co.uk/small-change-big-impact
> Einfach auf das Bild einer Ergotherapeutin/eines Ergotherapeuten klicken und im Statement lesen, was sie/er bewirkt hat.
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