Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2021; 56(04): 232-245
DOI: 10.1055/a-1118-7461
Topthema
CME-Fortbildung

Flüssigkeits- und Volumentherapie mit kristalloiden und kolloidalen Lösungen

Fluid and Volume Therapy with Crystalloid and Colloidal Infusion Solutions
Jan Jedlicka
,
Matthias Jacob
,
Daniel Chappell
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Zusammenfassung

Bevor eine Infusionstherapie initiiert wird, ist zu unterscheiden, was therapiert werden soll: ein intravasaler Volumenmangel oder ein Flüssigkeitsmangel des gesamten Extrazellulärraumes. Danach richten sich die therapeutische Strategie der Flüssigkeits- und Volumentherapie sowie die Auswahl der zu verabreichenden Infusionslösungen, die dieser Beitrag vorstellt.

Abstract

A rational infusion therapy orchestrates fluid- and volume therapy based on the individual indication and situation. The principle of fluid replacement is to substitute ongoing fluid losses such as insensible perspiration and urine output or to treat dehydration with balanced crystalloid solutions. Volume therapy in contrast is the quick restoration of intravascular losses such as an acute blood loss through application of balanced colloids or crystalloids. The goal of volume therapy is to maintain normal cardiac output and oxygen delivery by restoring intravascular normovolemia and cardiac preload. Whether colloid or crystalloid infusions are most suitable for volume therapy remains unclear. Most trials in this field are either underpowered or used colloids in inadequate situations, patients and amounts. Two major trials from the European Society of Anaesthesiology and Intensive Care (ESAIC) are underway that seem promising to provide evidence in this emotional debate.

Kernaussagen
  • Volumentherapie dient der Wiederherstellung des intravasalen Volumens zum Erhalt der Vorlast nach akut einsetzender intravasaler Hypovolämie.

  • Über eine Flüssigkeitstherapie werden Flüssigkeits- und Elektrolytverluste des Extrazellulärraumes ausgeglichen.

  • Ein funktionierendes Blutgefäßsystem ist – ebenso wie eine intakte vaskuläre Barriere – essenziell für den Erfolg einer Flüssigkeits- und Volumentherapie. Die endotheliale Glykokalyx (EG) der Gefäßwand scheint in diesem Kontext ein Key Player zu sein.

  • Die EG ist ein hochdynamisches Konstrukt mit vornehmlich negativer Ladung. Die Degradation der EG führt zur Aktivierung der plasmatischen Gerinnung, der Thrombozyten und initiiert die Leukozytenmigration.

  • Balancierte Elektrolytlösungen mit Malat- oder Acetat-Puffer sind die aktuell empfohlenen kristalloiden Infusionslösungen. Laktat-gepufferte Infusionslösungen sollten nicht mehr routinemäßig verwendet werden.

  • Wegen negativer Effekte auf den Säure-Basen- und Elektrolyt-Haushalt sollten isotone Kochsalzlösungen weder im OP noch auf Intensivstationen zur Flüssigkeits- und Volumentherapie eingesetzt werden.

  • Kolloidale Infusionslösungen haben, eine intakte vaskuläre Barriere vorausgesetzt, eine 4- bis 5-mal bessere intravasale Volumenpersistenz als Kristalloide. Ihr Effekt ist zusätzlich vom Volumenstatus des Patienten abhängig.

  • Nach aktuellem Wissensstand können HES-Präparate sicher zur Volumentherapie in der perioperativen Situation verwendet werden.

  • Die Annahme, dass Gelatinepräparate bezüglich Nierenfunktion ein besseres Nutzen-Risiko-Profil haben als HES-Präparate, ist nicht wissenschaftlich belegt worden.

  • Zur Evaluation der Anwendungssicherheit der aktuell verfügbaren kolloidalen Infusionslösungen sind weitere klinische Untersuchungen notwendig.



Publication History

Article published online:
22 April 2021

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