Masern kommen ubiquitär vor. Sie sind extrem infektiös (Kontagionsindex nahe 100 %)
und haben einen hohen Manifestationsindex (nahe 100 %) (RKI). Die Erkrankung zeigt
einen 2-gipfligen Krankheitsverlauf mit primärem Fieber und katarrhalischen Symptomen
(Konjunktivitis, Rhinitis, Halsschmerzen, Husten), lytischer Entfieberung und erneutem
Fieberanstieg mit Exanthem. Häufige Komplikationen betreffen das Zentralnervensystem
(Enzephalitis) und weitere Organsysteme (u. a. Myokarditis, Pneumonie) ([
Tab. 1
]). Schlimmste und praktisch immer tödlich verlaufende Komplikation ist die subakute
sklerosierende Panenzephalitis (SSPE).
Tab. 1
Komplikationen im Rahmen von Wildmasern (modifiziert nach [1], [25]).
Komplikation
|
Ungefähre Häufigkeit pro Fallzahl
|
Gastroenteritis
|
1/12
|
Otitis media
|
1/14
|
Pneumonie
|
1/20
|
Krampfanfälle (mit und ohne Fieber)
|
6–7/1000
|
Todesfälle
|
2/1000
|
Primäre Masern-Enzephalitis
|
1–3/1000
|
Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)
|
4/100 000 bis 1:1700
|
Ein Charakteristikum der Masernwildinfektion – nicht aber der Masernimpfung – ist
eine viral induzierte transiente Immunsuppression („immunologische Amnesie“, u. a.
Verlust von erregerspezifischen Antikörpern, Verlust von B-Gedächtniszellen), die
mit einer bis zu Jahren andauernden erhöhten Empfänglichkeit gegenüber verschiedenen
opportunistischen Erregern einhergeht [18], [19], [23]. Dies führt u. a. zu einer erhöhten Empfänglichkeit für bakterielle Superinfektionen
(u. a. Otitis media, Bronchitis, Pneumonie und Diarrhö). Wildmasern verlaufen in 1–2/1000
Fällen tödlich. Nach überstandener Krankheit besteht lebenslange Immunität. Ein Masern-Serum-Titer
von 120–300 mIU/mL gilt bei Experten häufig als Korrelat für Protektion vor Masern
[3].
Masern sind keine harmlose Kinderkrankheit. Sog. „Masernparties“ (= aktive Zusammenführung
nicht gegen Masern geimpfter Kinder mit Kindern, die akut an Masern erkrankt sind)
erfüllen den Tatbestand der Kindeswohlgefährdung. Bei 500 betroffenen Kindern würde
man hier ca. einen Todesfall „in Kauf nehmen“.
Masernenzephalitis
Zu den schweren akuten Komplikationen von Masern zählen die primäre Masern-Enzephalitis
(PME) sowie die akute postinfektiöse Masern-Enzephalitis (APME). PME und APME treten
während der Exanthemphase bzw. in den ersten 2 bis 4 Wochen nach akuter Masern-Erkrankung
mit einer Häufigkeit von ca. einem von 1000 Masern-Fällen auf. Die Letalität der PME
beträgt ca. 10 %. Bei 20–30 % der Betroffenen kommt es zu bleibenden Schäden. Der
Verlauf der APME ist etwas günstiger [30]. Beide Komplikationen lassen sich durch frühzeitige MMR-Impfung komplett verhindern.
Die subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE) ist eine chronische praktisch immer
tödlich verlaufende Wildmasern-induzierte Enzephalitis. Nur geschätzte 5 % der SSPE-Patienten
haben eine spontane Remission [7]. Betroffen sind vor allem Kinder, die sich im Säuglingsalter angesteckt haben, nachdem
ihr Nestschutz aufgebraucht war und bevor sie selbst geimpft werden konnten. Die SSPE
tritt meist 1–10 Jahre nach einer Wildmaserninfektion auf. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand
ist sie ausschließlich mit einem genetisch veränderten Masern-Wildvirus (Mutationen
in den Genen für die Masernproteine M, F und H) assoziiert [7]. Noch nie wurde bei einem an SSPE verstorbenen Patienten Masern-Impfvirus nachgewiesen.
In Deutschland liegt das Risiko für eine SSPE bei Kindern mit Masern unter 5 Jahren
bei ≤ 1:1700 [25].
Die rechtzeitige Masern-Impfung schützt vor einer SSPE (allerdings nur, wenn diese
tatsächlich bereits vor einer Masern-Wildinfektion gegeben wurde). Es wird vermutet,
dass Masern-geimpfte Kinder, die „trotzdem“ eine SSPE entwickeln, bereits vor der
Impfung Kontakt mit dem Masernwildvirus gehabt haben müssen [7]. Es gibt weiterhin Hinweise dafür, das bestimmte genetische Prädispositionsfaktoren
(angeborene Immunität: u. a. Toll-like-Rezeptoren, Zytokine) mit der SSPE assoziiert
sind [7].
Die Masernimpfung
Derzeit sind in Deutschland 2 Masern-Kombinationsimpfstoffe (Dreifachimpfstoff MMR
(M-M-RVaxPro®, Priorix®) oder Vierfachimpfstoff MMRV (Priorix-Tetra®, ProQuad®) verfügbar. Beide Impfstoffe sind bei 2-maliger Gabe ähnlich wirksam, immunogen und
reaktogen. Beide Impfungen können problemlos zusammen mit Totimpfstoffen (z. B. 6-Fachimpfstoff
DTaP-IPV-HB-Hib, Pneumokokken- und Meningokokken-Impfstoffe) verabreicht werden. Ein
monovalenter Masernimpfstoff ist derzeit in Deutschland nicht verfügbar.
Zeitpunkt der Masernimpfung
Zeitpunkt der Masernimpfung
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfielt, die erste Masernimpfung in der Regel
im Alter von 11–14 Monaten. Bis zum Ende des 2. Lebensjahres soll möglichst auch die
2. Impfung erfolgt sein. Die SIKO (Sächsische Impfkommission) orientiert sich an dem
amerikanischen Impfschema (https://www.cdc.gov/mmwr/pdf/rr/rr6204.pdf) und empfiehlt derzeit die Masern-Erstimpfung ab dem 13. Lebensmonat, die Zweitimpfung
um den 4. Geburtstag, frühestens zur U8 (46.–48. Lebensmonat), bis spätestens/oder
zur Schulaufnahmeuntersuchung (https://www.slaek.de/media/dokumente/02medien/Patienten/gesundheitsinformationen/impfen/E1_2018_Druck.pdf).
Eine Masern-Impfung ab einem Alter von 9 Monaten (in Sachsen und in den USA in Ausnahmefällen
bereits ab dem 6. Lebensmonat) kann unter Berücksichtigung der gegebenen epidemiologischen
Situation insbesondere in folgenden Situationen erfolgen:
Sofern vor dem Alter von 11 Monaten geimpft wird, muss die 2. Impfung bereits zu Beginn
des 2. Lebensjahrs erfolgen, da persistierende maternale Antikörper im 1. Lebensjahr
die Impfviren neutralisieren können (https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Impfen/MMR/FAQ-Liste_Masern_Impfen.html). In diesen Fällen (bei Impfalter unter 1 Jahr) ist eine zusätzliche Masernimpfdosis
im Alter von 12–15 Monaten erforderlich. Diese 2 Dosen gelten zusammen als Erstimpfung
(SIKO). Die Impfung erfolgt in diesen Fällen außerhalb der Zulassung, es handelt sich
also um einen Off-label-Einsatz.
Mütterlich übertragener Masernschutz bei jungen Säuglingen
Mütterlich übertragener Masernschutz bei jungen Säuglingen
Die Wirksamkeit einer Masern-Impfung vor dem 6.–9. Lebensmonat ist durch das Vorhandensein
mütterlicher (neutralisierender) Antikörper und durch die „relative“ Unreife des kindlichen
Immunsystems vermindert. Die alleinige passive Masern-Immunität bei Säuglingen, deren
Mütter Masern durchgemacht haben, hält bis zu 6 Monate lang an, bei Säuglingen von
Masern-geimpften Müttern dagegen lediglich 3 Monate [26]. Ein Masern-Antikörpertiter von 120–300 mIU/mL wird häufig als Surrogatmarker für
Masernschutz angenommen.
Verbessern ließe sich die Situation durch Steigerung der Herdenimmunität (Durchimpfungsquoten
von > 95 %). Dass eine zusätzliche 3. Masernimpfung bei Frauen im gebährfähigen Alter
die masernspezifische passive Immunität des Neugeborenen verbessern könnte, ist unwahrscheinlich.
In einer kürzlich publizierten amerikanischen Studie konnte gezeigt werden, dass eine
3. Masern-Impfung bei Erwachsenen längerfristig zu keiner Zunahme der Masern-spezifischen
Immunität führt [6]. [
Abb. 1
] zeigt, dass von 2018–2019 in Deutschland tatsächlich zahlreiche (meist nicht geimpfte)
Kinder < 1 Jahr an Masern erkrankt sind.
Besonders problematisch dabei ist, dass eine Wildmaserninfektion (z. B. via ein nicht-geimpftes
Kind mit floriden Masern) im ersten Lebensmonat bis -jahr mit einem stark erhöhten
Risiko für eine SSPE einhergeht. Verbessert werden könnte die Situation derzeit nur
durch Steigerung der Masern-Herdimmunität.
Abb. 1 Masern-Fälle in Deutschland. Die untere Abbildung zeigt, dass derzeit überwiegend
(ungeimpfte) Personen im Erwachsenenalter an Masern erkranken (braune Balken). Auch
regulär 2-mal (also „komplett“) geimpfte Personen können in einem geringen Prozentsatz
an Masern erkranken (grüne Farbe, V. a. doppelte Impfversager). Die rechtsseitige
Tabelle zeigt, dass in den letzten Jahren bis über 2000 Personen/Jahr (gilt für das
Jahr 2015) in Deutschland an Masern erkrankt sind. Der obere Teil der Abbildung zeigt
die schwankende Masern-Inzidenz seit 2017 (ID: 285428 Permission authorization for
WHO copyrighted material, E-Mail vom 25.4.2019).
Wie werden die Masernimpfungen verabreicht
Wie werden die Masernimpfungen verabreicht
Priorix-Tetra® und ProQuad® können sowohl subkutan als auch intramuskulär verabreicht werden (siehe auch Beipackzettel).
Dabei konnte gezeigt werden, dass hinsichtlich Immunogenität und Reaktogenität (z.
B. Schmerzen, Fieber, Lokalreaktion) kein Unterschied besteht, ob der Impfstoff subkutan
oder intramuskulär gegeben wird. Die intramuskuläre Gabe wird wahrscheinlich von den
meisten Patienten und Kinderärzten bevorzugt.
Sind frisch Masern-geimpfte Personen für andere ansteckend?
Sind frisch Masern-geimpfte Personen für andere ansteckend?
Die Übertragung von Masernviren (nach MMR-Impfung) vom Impfling auf empfängliche Kontaktpersonen
ist bisher klinisch nicht beschrieben worden. Das betrifft natürlich auch Kinder mit
sog. Impfmasern. Selbst bei Kontakt zu immunsupprimierten Personen bestehen nach derzeitigem
Kenntnisstand keine Bedenken (RKI).
Masern-Impfung bei Erwachsenen
Masern-Impfung bei Erwachsenen
Die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt seit 2010 allen Erwachsenen, die nach
1970 geboren sind und nicht bzw. in der Kindheit nur einmal gegen Masern geimpft wurden,
eine einmalige Impfung gegen Masern. Die STIKO empfiehlt die Impfung vor allem auch
allen, die im Gesundheitsdienst, in Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Kindergarten)
oder in der Betreuung von Personen mit stark geschwächtem Immunsystem arbeiten. [
Abb. 1
] zeigt, dass bei Ausbrüchen überwiegend (nicht oder unzureichend geimpfte) Erwachsene
an Masern erkranken.
Akzidentelle Masern-Impfung in der Schwangerschaft
Akzidentelle Masern-Impfung in der Schwangerschaft
Grundsätzlich sind Lebendimpfungen in der Schwangerschaft kontraindiziert. Die versehentliche
Impfung mit Masern-Impfstoff in oder kurz vor einer Schwangerschaft stellt jedoch
keine Indikation zur Interruptio dar (CDC-Empfehlung). Bei zahlreichen „versehentlichen“
MMR-Impfungen während bzw. kurz vor einer Schwangerschaft wurde bis heute kein erhöhtes
Risiko für kongenitale Fehlbildungen festgestellt [31].
Fieberkrämpfe und MMRV-Impfung
Fieberkrämpfe und MMRV-Impfung
Aufgrund eines leicht erhöhten Risikos von Fieberkrämpfen nach der Erstimpfung mit
einem quadrivalenten MMRV-Kombinationsimpfstoff im Vergleich zu einer simultanen aber
getrennten Gabe von MMR- und Varizellen (V)-Impfstoff wird nach dem jetzigen Kenntnisstand
empfohlen, für die 1. Impfung im Alter < 5 Jahren die getrennte MMR- und Varizellen
(V)-Impfung zu verwenden (Epidemiologisches Bulletin 24. 8. 2017/Nr. 34). Die 2. Impfung
gegen MMR und V kann dagegen mit dem MMRV-Kombinationsimpfstoff (oder simultan mit
einem MMR- und V-Impfstoff) erfolgen. Diese Regelung führte allerdings bei der ersten
Impfung zu einer Abnahme der Impfquote der Varizellen-Komponente (V mono oder MMRV)
um 4–12 %. Bei der 2. MMRV-Impfung konnten in einer kürzlichen Studie keine Assoziationen
mit Fieberkrämpfen mehr nachgewiesen werden.
Insgesamt ist es aber auch durchaus legitim, nach entsprechender Aufklärung und frühzeitiger
und ausreichender Antipyrese bereits bei der 1. Impfung den MMRV-Impfstoff zu geben.
Komplikationen im Rahmen der Masernimpfung
Komplikationen im Rahmen der Masernimpfung
Die MMR-Impfung wird sehr gut vertragen, Fieberkrämpfe und Lokalreaktion an der Einstichstelle
sowie Impfmasern sind vergleichsweise häufig. Eine Masernimpfung-assoziierte Enzephalitis
ist extrem selten (< 1/1 000 000). Möglicherweise führt hierbei erst eine zusätzliche
genetische Disposition zu dem Krankheitsbild ([
Tab. 2
]).
Tab. 2
Komplikationen im Rahmen einer Masernimpfung (modifiziert nach [27], [31]).
Komplikation
|
Häufigkeit
|
Lokale Rötung und Schwellung an der Einstichstelle
|
5/100
|
Impfmasern
|
5–15/100
|
Gastroenteritis
|
0
|
Otitis media
|
0
|
Pneumonie
|
0
|
Krampfanfälle
|
1/3000 (Fieberkrämpfe)
|
Thrombozytopenie
|
1/30 000
|
Todesfälle
|
0
|
Masern-Enzephalitis
|
< 1/1 000 000
|
Subakute sklerosierende Panenzephalitis (SSPE)
|
0
|
Masern-Impfung bei Hühnereiweißallergie
Masern-Impfung bei Hühnereiweißallergie
Kinder mit bekannter Hühnereiweißallergie können ambulant mit Masern-Impfstoff (MMR,
MMRV) geimpft werden. Dies belegen zahlreiche internationale Studien. Wenigstens 99
% von Kindern mit nachgewiesener Hühnereiweißallergie zeigen nach einer subkutanen
Dosis Masernimpfstoff keine schwere anaphylaktische Reaktion (KI = 99–100 %) (14).
Eine Hauttestung vor Impfung wird nicht empfohlen (5). Die sehr seltenen, beschriebenen
schweren allergischen Reaktionen nach MMR-Impfung sind wahrscheinlich nicht durch
Hühnereiweißallergene, sondern durch andere Komponenten des Impfstoffs verursacht
(z. B. Gelatine).
Merke: Die Hühnereiweißallergie wird mittlerweile in internationalen und nationalen
Leitlinien nicht mehr als Kontraindikation gegen die Masernimpfung genannt (CDC, https://www.cdc.gov/vaccines/pubs/pinkbook/genrec.html). Ausschließlich Kinder mit klinisch bereits früher sehr schwer verlaufender, klar
definitiver Hühnereiweißallergie (z. B. anaphylaktischer Schock nach Genuss von geringsten
Mengen von Hühnereiweiß) sollten sicherheitshalber noch unter besonderen Schutzmaßnahmen
geimpft werden (u. a. STIKO, August 2019).
Besteht zwischen der Masernimpfung ein kausaler Zusammenhang mit frühkindlichem Autismus?
Besteht zwischen der Masernimpfung ein kausaler Zusammenhang mit frühkindlichem Autismus?
Andrew Wakefield war eine der prominentesten Fake-news-Vertreter unter den Impfskeptikern,
der in großem Stil u. a. die absurde These verbreitete, dass die MMR-Impfung vermehrt
zu Autismus führt [29]. Die damalige Publikation wurde später aufgrund grober Fälschungen zurückgezogen.
Zahlreiche internationale große Studien konnten die unhaltbaren Behauptungen wissenschaftlich
immer wieder klar widerlegen [12].
Vor welchen schwerwiegenden Komplikationen durch Wildmasern schützt die rechtzeitige
MMR- oder MMRV-Impfung?
Vor welchen schwerwiegenden Komplikationen durch Wildmasern schützt die rechtzeitige
MMR- oder MMRV-Impfung?
Aufgrund mangelnder Durchimpfungsquoten treten in Deutschland immer wieder regionale
Ausbrüche von Masern auf. Häufigste Komplikationen sind bakterielle Sekundärinfektionen
(Bronchopneumonien, Otitis media und Diarrhö). Zu den Komplikationen des zentralen
Nervensystems gehören die akute Masernenzephalitis mit einer Häufigkeit von 1:500–1:2000.
Die Masernenzephalitis hat auch heute noch eine Letalität von 30 % und eine Defektheilungsrate
von ca. 20 %. Die Masernimpfung schützt praktisch vor allen bekannten Komplikationen
der Wildmaserninfektion.
Bei Patienten mit schwerem Immundefekt kann das Exanthem völlig fehlen (sogenannte
weiße Masern). Es kann sich eine Masern-Einschlusskörper-Enzephalitis (MIBE) entwickeln,
die fast immer tödlich verläuft oder mit bleibenden Schäden einhergeht. Bei immunsupprimierte
Patienten ist die MMRV-Impfung daher kontraindiziert. Dieser Personenkreis kann allerdings
indirekt von einer Herdimmunität profitieren, vorausgesetzt, die Durchimpfungsquote
ist ausreichend hoch (möglichst ≥ 95 %).
Wie gehe ich vor bei Kindern, die aus verschiedenen Gründen nicht gegen Masern geimpft
werden können oder dürfen (sog. Masern-Postexpositionsprophylaxe)
Wie gehe ich vor bei Kindern, die aus verschiedenen Gründen nicht gegen Masern geimpft
werden können oder dürfen (sog. Masern-Postexpositionsprophylaxe)
Personen mit einem erhöhten Risiko für Masernkomplikationen (Kleinkinder unter 1 Jahr,
immunsupprimierte Personen) und ohne bestehende Masernimmunität können innerhalb von
6 Tagen nach Erstexposition Immunglobuline erhalten. Durch einmalige Gabe von 400
mg/kg KG eines i. v. zu verabreichenden Standardimmunglobulins innerhalb von 2–3 Tagen
nach Kontakt lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit vermeiden, dass diese Patienten
an Masern erkranken, Bei späterer Gabe bis zum 6. Tag ist zumindest noch die Mitigierung
der Krankheit möglich (www.rki.de/DE/Content/Infekt/EpidBull/Archiv/2017/Ausgaben/02_17.pdf?__blob=publicationFile).
Dabei sollte Folgendes beachtet werden: Nach einer Immunglobulin-Gabe ist die MMR-Impfung
für 5–6 Monate nicht sicher wirksam.
Versehentliche (akzidentelle) Masernimpfung bei (vorher nicht bekannten) Immundefekten
Versehentliche (akzidentelle) Masernimpfung bei (vorher nicht bekannten) Immundefekten
Zelluläre Immundefekte
Bei akzidenteller Masernimpfung von Kindern mit schweren zellulären Immundefekten
(z. B. SCID) kann es zu schwerwiegenden und letalen Komplikationen kommen (z. B. Riesenzell-Pneumonie,
„measles inclusion-body encephalitis“ (MIBE) [2], [17], [21].
Bei partiellem DiGeorge-Syndrom (Mikrodeletion 22q11.21, T-Zellen sind nur leicht
erniedrigt, siehe auch Artikel von S. Ehl und N. Wagner in diesem Heft) dagegen ist
die Masernimpfung meist gut verträglich und wirksam [13], [22].
Defizienzen in der angeborenen antiviralen Immunität (Interferon-Signalweg) (20)
Bei sehr wenigen Patienten mit spezifischen Störungen der angeborenen antiviralen
Immunität traten nach MMR-Impfung schwere neurologische und z. T, tödliche Komplikationen
auf. Bei diesen Patienten konnten Mutationen im Interferon-Signalweg in den Genen
IRF3, IRF7, IRF9, STAT1, STAT2, IFNAR1 und IFNAR2 nachgewiesen werden [11]. Möglicherweise gibt es darüber hinaus noch weitere entsprechende Prädispositionsfaktoren.
Die sehr wenigen betroffenen Patienten sollten unbedingt molekulargenetisch untersucht
werden (u. a. Trio-Exom-Sequenzierung, Interferon-Signatur). Sollte sich dabei eine
krankheitsverursachende Mutation finden, sollten – möglichst noch vor einer Masernimpfung
– auch kleine Geschwister diesbezüglich untersucht werden. Im positiven Fall dürfen
diesbezüglich gefährdete Kinder selektiv nicht gegen Masern geimpft werden. Sie erhalten
bei Masernkontakt schnellstmöglich Immunglobuline.
Reine B-Zell-Defekte (z. B. Bruton Agammaglobulinämie)
Betroffene Kinder zeigen keine vermehrte Empfänglichkeit gegenüber Maserninfektionen,
da die zelluläre Immunität intakt ist. Sie erhalten frühzeitig regelmäßig Immunglobuline
(subkutan oder intravenös), eine Masernimpfung ist daher nicht mehr sinnvoll (Neutralisierung
durch Immunglobuline).
Masernimpfung bei erworbener Immunsuppression
In einem Review von 2015 [8] zeigten Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis (JIA) unter Therapie mit niedrig
dosiertem Methotrexat (10–15 mg/m2), TNFα- sowie IL1R-Antagonisten nach einer MMR-Booster-Impfung keine Verschlechterung
der klinischen Symptomatik. Die Impfung war dabei ausreichend immunogen [10]. Insgesamt ist die Datenlage bei pädiatrischen Patienten noch dürftig. In diesem
Zusammenhang verweisen wir auf den Artikel von Ehl und Wagner: „Impfen bei Primären
Immundefekten, Autoimmunkrankheiten und anderen chronisch entzündlichen Erkrankungen
unter immunmodulatorischer Therapie“, in diesem Heft.
Epidemiologische Besonderheiten von Masern in Europa und in Deutschland
Epidemiologische Besonderheiten von Masern in Europa und in Deutschland
Aus verschiedenen Gründen steigt in einigen Europäischen Ländern – trotz Impfprogrammen
– die Zahl der Masern-Erkrankungen z. T. stark an (v. a. seit 2017). Der größte Anstieg
der Erkrankungszahlen findet sich in der Ukraine (dunkelbraun), in Kasachstan (rot)
und in Georgien (dunkelblau). In allen Fällen ist dies auf die niedrige Impfbereitschaft
bzw. Probleme im Gesundheitssystem (u. a. Impfstoffmangel) zurückzuführen ([
Abb. 2
]).
Abb. 2 Masernerkrankungen in Europa (2015 bis Mai 2019). Der größte Anstieg der Erkrankungszahlen
findet sich aktuell in der Ukraine (dunkelbraun), in Kasachstan (rot) und in Georgien
(dunkelblau). In den meisten Fällen ist dies auf die niedrige Impfbereitschaft bzw.
Probleme im Gesundheitssystem (u. a. Impfstoffmangel) zurückzuführen (ID: 285428 Permission
authorization for WHO copyrighted material, E-Mail vom 25.4.2019).
Die WHO registrierte in den ersten 6 Monaten im Jahr 2019 in 48 europäischen Ländern
sogar mehr als doppelt so viele Masernfälle (89 994) als im Vorjahresvergleichszeitraum
(44 175). 2018 starben in der Europäischen Region 72 Kinder und Erwachsene an Masern,
in den ersten 6 Monaten 2019 waren es 37 Todesfälle (Spiegel online v. 29.08.2019;
http://www.euro.who.int/de/media-centre/sections/press-releases/2019/measles-in-europe-record-number-of-both-sick-and-immunized).
Wie sieht es bezüglich des Masern-Impfverhaltens in Deutschland aus?
Wie sieht es bezüglich des Masern-Impfverhaltens in Deutschland aus?
Bei der 1. Masern-Impfung bei Kindern im Alter von 15 Monaten lag die Durchimpfungsquote
in Deutschland insgesamt nur bei 87,3 % (im Alter von 36 Monaten bei 98 %; Geburtsjahrgang
2013), bei der 2. Impfung im Alter von 36 Monaten bei 86,1 % (Geburtsjahrgang 2013)
(RKI).
Nach einer aktuellen Studie durch die Barmer Krankenkasse lag die Masern-Durchimpfungsquote
hier nach 2 Jahren sogar nur bei 78, 9 % (2015), nach 4 Jahren bei 87,4 % (2013) und
nach 6 Jahren bei nur 87,4 % (2013), also weiterhin deutlich unter den von der WHO
angestrebten 95 % Durchimpfungsrate (Arzneimittelreport 2019. Impfungen bei Kindern
und Jugendlichen, 2019).
Aufgrund der niedrigen Durchimpfungsquoten kommt es seit vielen Jahren in Deutschland
immer wieder zu Masernausbrüchen mit schweren Komplikationen und Todesfällen (bis
maximal zu 2383 Erkrankungen im Jahr 2015, [
Abb. 1
]). Der untere Teil von Abbildung 1 zeigt, dass überwiegend (nicht geimpfte) Erwachsene
an Masern erkranken (braune Balken, Altersgruppe 15–40 +). Dies zeigt, dass diese
Altersgruppe mehr in das „Masern-Impfprogramm“ einbezogen werden muss.
Auch regulär 2-mal geimpfte Personen (bei denen die Impfung 2-mal nicht „angegangen“
ist, können in einem geringen Prozentsatz an Masern erkranken (grün). Die rechtsseitige
Tabelle ([
Abb. 1
]) zeigt, dass in den letzten Jahren bis über 2000 Personen/Jahr (gilt für das Jahr
2015) an Masern erkrankt sind. Der obere Teil der Abbildung zeigt die schwankende
Masern-Inzidenz in Deutschland seit 2017.
Merke: Bei einer Masern-Impfquote mit 2 Impfungen von jeweils ≥ 95 % ist es generell
möglich, eine endemische Virusübertragung in einer definierten Region zu unterbrechen
(WHO).
Das Ziel der Elimination der Masern und Röteln in der Europäischen WHO-Region sollte
ursprünglich bis Ende 2015 erreicht werden. Auch Deutschland hat sich wiederholt zu
diesen Zielen bekannt. Im »Interventionsprogramm Masern, Mumps, Röteln (MMR)« des
Bundes und der Länder aus dem Jahr 1999 wurden erstmals Leitziele für eine Elimination
der Masern festgelegt. Das Programm sah langfristig eine Senkung der Maserninzidenz
auf < 1 Fall pro 100 000 Einwohner pro Jahr durch konsequente Impfungen mit Kombinationsimpfstoffen
gemäß STIKO-Empfehlungen vor. Der Nationale Impfplan, der von den Ländern und vom
Bund sowie von weiteren im Impfwesen Verantwortlichen Anfang 2012 veröffentlicht wurde,
unterstreicht insbesondere das WHO-Ziel der Masern- und Röteln-Elimination bis 2015
und regt eine Aktualisierung des deutschen Interventionsprogramms an. Mittlerweile
wurde das Ziel der Elimination der Masern und Röteln in Deutschland auf 2020 verschoben
(Nationaler Aktionsplan 2015–2020).
Eine Masern-Impfpflicht besteht derzeit in 10 Europäischen Ländern (Frankreich, Italien,
Lettland, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Kroatien und Bulgarien, Polen und Ungarn).
Dieses Vorgehen ist allerdings nicht zwingend ein Erfolgsrezept. So haben die Niederlande
die Masern auch ohne Impfpflicht weitgehend eliminiert (Ausnahme: Masernausbrüche
im „Bibelgürtel“), während andere Länder trotz Impfpflicht noch gegen Masern kämpfen
(Quelle: ZDFcheck19, Mai 2019).
Am 14.11.2019 hat der Deutsche Bundestag eine Impfpflicht für Masern für Deutschland
beschlossen. Sie gilt unter anderem in Kitas, Schulen und Flüchtlingsunterkünften.
Verweigerern drohen Bußgelder. Die Regelung trat am 01.03.2020 in Kraft. Der deutsche
Ethikrat empfiehlt aus verschiedenen Gründen eine Impfpflicht nur für Berufsgruppen
in besonderer Verantwortung (Personal im Gesundheits-, Sozial- und Bildungswesen),
nicht hingegen für alle Erwachsenen oder Kinder (https://www.ethikrat.org/fileadmin/Publikationen/Stellungnahmen/deutsch/stellungnahme-impfen-als-pflicht.pdf.) Erst in den nächsten Jahren wird sich zeigen, ob die Masern-Impfstrategie letztlich
erfolgreich war.
Das Nutzen-Risikoprofil der Masern-Lebendimpfung (meist MMR oder MMRV) ist hervorragend.
Schwere Nebenwirkungen sind extrem selten (< 1 000 000).
Auch bei Hühnereiweißallergie kann mit Masernlebendimpfstoff (z. B. MMR) geimpft werden
(Ausnahme: anamnestisch frühere Anaphylaxie nach Hühnerweißverzehr).
Um eine ausreichende Herdimmunität zu erreichen, ist eine Masern-Durchimpfungsquote
von mind. 95 % anzustreben. Ob dies nur durch eine Impfpflicht (seit 01.03.2020) zu
erreichen ist, bleibt abzuwarten.
Säuglinge von Müttern, die früher Wildmasern durchgemacht haben, haben einen längeren
Immunschutz als Säuglinge von Masern-geimpften Müttern.
Die Masernimpfung darf nicht bei schweren Immundefekten (z. B. SCID) und bekannten
Störungen im Interferon-Signalweg gegeben werden.
In Ländern mit einer konsequenten Impfpolitik und somit einem drastischen Rückgang
der natürlichen Masern ist die SSPE fast verschwunden.
Wissenschaftlich verantwortlich
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbedingungen für diesen Beitrag
ist Prof. Dr. med. Volker Schuster.