Schlüsselwörter Gehirnerschütterung - vestibuläre Rehabilitation - manualtherapeutische Techniken
Key words brain concussion - vestibular rehabilitation - manualtherpeutic techniques
Einleitung
Sportbedingte Gehirnerschütterungen (Sport-Related Concussions, SRC) gehören zu den
häufigsten Sportverletzungen, besonders bei Kontaktsportarten [1 ]. Inzidenzdaten zu leichten Schädelhirntraumata (SHTs) sind nicht eindeutig feststellbar,
da nicht alle leichten SHTs in Krankenhäusern behandelt werden. In den USA wird jährlich
etwa eine Million Patienten aufgrund von Hirnverletzungen in einer Notaufnahme behandelt.
In über 80 Prozent dieser Fälle handelt es sich um leichte Verletzungen, z. B. eine
Gehirnerschütterung. Prävalenzschätzungen für Gehirnerschütterungen, die in Notaufnahmen
in Deutschland behandelt werden, liegen zwischen 40 000 und 120 000 jährlich [2 ]. In Österreich wird laut der Österreichischen Gesellschaft für Schädelhirntraumata
von etwa 800 SHTs pro 100 000 Personen ausgegangen. Das entspricht einer jährlichen
Inzidenz von etwa 64 000 SHTs – etwa die Hälfte davon wird als leichtes SHT klassifiziert
[3 ].
Eine SRC wird definiert als eine Verletzung, die durch einen direkten Schlag oder
eine auf den Kopf übertragene Kraft verursacht wird, einem akuten Symptombeginn und
einer Beeinträchtigung, die von kurzer Dauer ist und spontan abklingt [4 ]. Typischerweise werden funktionelle, jedoch keine strukturellen Veränderungen beobachtet
und eine Reihe von Symptomen, die sich in der Regel selbstständig und spontan auflösen
[4 ]. Eine Gehirnerschütterung führt in der Regel zu einem raschen Auftreten neurologischer
Symptome, wie Kopfschmerzen, Schwindel und Schläfrigkeit, die bei den meisten Patienten
innerhalb von 10 bis 14 Tagen spontan abklingen [5 ]. Dennoch erholen sich etwa 15 bis 35 Prozent innerhalb dieser Zeit nicht spontan
[6 ]
[7 ]
[8 ]. Halten die Symptome über diesen Zeitraum hinaus an und umfassen emotionale Störungen,
Schlafstörungen sowie somatische und kognitive Symptome, handelt es sich um ein sogenanntes
Post-concussion syndrome (Postkommotionelles Syndrom) [9 ]. Nach einer Gehirnerschütterung wird gemäß dem Protokoll für abgestufte Belastungssteigerung
eine kognitive und körperliche Ruhephase empfohlen, bis die akuten Symptome abgeklungen
sind, gefolgt von einer schrittweisen Rückkehr zur Aktivität [5 ]
[10 ]
[11 ]. Die Symptome nach einer Gehirnerschütterung können jedoch erheblich variieren,
es kann zusätzlich zu Verletzungen, beispielsweise der Halswirbelsäule (HWS) oder
des peripheren Vestibularsystems kommen [12 ]
[13 ].
Bei Personen mit anhaltenden Symptomen von Schwindel, Nackenschmerzen und/oder Kopfschmerzen
nach einer Gehirnerschütterung konnten in Studien Veränderungen des Gleichgewichts
und der Funktionalität der HWS klinisch nachgewiesen werden [14 ]
[15 ]
[16 ]. Die richtige Orientierung im Raum erfordert konsistente visuelle, vestibuläre und
propriozeptive Reize. Eine Fehlfunktion der sensorischen Eingaben aus einem dieser
Systeme kann zu Schwindel und/oder Gleichgewichtsdefiziten führen [17 ]. Wenn die propriozeptiven Signale der oberen HWS verändert werden, kann die Orientierung
im Raum verlangsamt oder unvollständig erfolgen [14 ]. Die Behandlung der Funktionsstörung der HWS ist somit ein wichtiger Faktor zur
positiven Beeinflussung von anhaltendem Schwindel und/oder Kopf- und Nackenschmerzen
[14 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]. Somit ist ein umfassender Therapieansatz notwendig, um die Symptome eines Post-concussion
syndrome adäquat behandeln zu können. Der bislang empfohlene Ansatz der vollständigen
Ruhe bis zur Symptomfreiheit wird inzwischen neu bewertet [19 ]
[20 ]
[21 ]. Aufgrund der biomechanischen und neurophysiologischen Gewebebeeinflussung wird
angenommen, dass manualtherapeutische Techniken bei Patienten mit persistierenden
Symptomen nach SRC schmerzlindernd und funktionssteigernd wirken [16 ]
[22 ]
[23 ]
[24 ]. Darunter werden gezielte Handgriffe von Physiotherapeuten verstanden, durch die
Reize am muskuloskelettalen System des Patienten gesetzt werden, um Funktionsstörungen
zu verbessern und positiv auf Schmerzmechanismen einzuwirken. Dazu zählen Mobilisationen
der Wirbel-, Facetten- und Rippengelenke, Manipulationen, Traktionen, Weichteiltechniken
wie Massage oder Dehnungen der umliegenden Muskulatur sowie Triggerpunktbehandlungen.
Vestibuläre Behandlungsansätze haben bei Personen mit peripheren vestibulären Störungen
nach SRC bereits positive Behandlungseffekte gezeigt [25 ]
[26 ]. In einer aktuellen Studie von Yorke et al. [27 ] wurden 775 Physiotherapeuten, die mindestens einen Patienten mit Gehirnerschütterung
pro Jahr behandeln, befragt, welche therapeutischen Techniken sie in ihrer Therapie
anwenden. Dabei gaben 54,1 Prozent stufenweise gesteigertes Ausdauertraining, 48,6
Prozent vestibuläres Gleichgewichtstraining und 43,5 Prozent manualtherapeutische
Techniken an [27 ]. Die Häufigkeit der Anwendung manualtherapeutischer Techniken in der Praxis unterstreicht
die Notwendigkeit weiterer Forschung zur Untersuchung der Wirksamkeit dieser Techniken,
da bislang eine Evidenz aus klinischen Studien fehlt.
Ziel dieser Arbeit ist eine Analyse und Zusammenfassung vorhandener RCTs zur Untersuchung
der Wirksamkeit manualtherapeutischer Techniken in Kombination mit vestibulärer Rehabilitation
auf Symptomfreiheit und Wiedererlangung der sportlichen Belastbarkeit bei Patienten
nach sportbedingten Gehirnerschütterungen.
Methode
Die systematische Literaturrecherche sowie die Darstellung der Resultate erfolgte
in Anlehnung an das Schema „Preferred Reporting Items for Systematic Reviews and Meta-Analyses“
(PRISMA) [28 ]. Die Recherche nach klinischen Studien bzw. deren Publikationen in den Datenbanken
ClinicalTrials.gov und WHO International Clinical Trials Registry Platform (WHO-ICTRP)
bzw. in EBSCO, PEDro und PubMed erfolgte von Oktober 2019 bis April 2020. Die inkludierten
Studien wurden anhand der PEDro-Skala [29 ] bewertet [Tab. 1 ].
Tab. 1
Bewertung der inkludierten Studien nach den PEDro-Kriterien [29 ].
Kriterium
PEDro-Kriterium
Reneker et al. [31 ]
Schneider et al. [30 ]
#1
Ein- und Ausschlusskriterien[
1
]
+
+
#2
randomisierte Zuteilung
+
+
#3
verborgene Zuordnung
+
+
#4
Ähnlichkeit der Gruppen
+
+
#5
Verblindung der Probanden
–
–
#6
Verblindung der Therapeuten
–
–
#7
Verblindung der Untersucher
–
+
#8
Intention-to-Treat-Analyse
+
+
#9
adäquates Follow-up
+
+
#10
Gruppenvergleich
+
+
#11
Punkt- und Streuungsmaße
+
+
Gesamtpunkte
7/10
8/10
+ = Kriterium erfüllt, – = Kriterium nicht erfüllt.
1 nicht für Gesamtpunktezahl gewertet.
Datensuche
Es wurden ausschließlich englische Suchbegriffe verwendet, da die Literatur zu diesem
Thema größtenteils in englischer Sprache verfasst ist. Mit den folgenden Schlagwörtern
wurde mit Hilfe der Booleschen Operatoren AND und OR recherchiert: concussion, physiotherapy,
manual therapy und mild traumatic brain injury.
Ein- und Ausschlusskriterien
Eingeschlossen wurden RCTs, welche sich mit manualtherapeutischen Techniken wie manueller
Mobilisation und Manipulationen der HWS und BWS sowie Weichteiltechniken nach sportbedingten
Gehirnerschütterungen oder milden Formen eines SHTs beschäftigen.
Ausgeschlossen wurden sämtliche andere Verletzungen und degenerative Veränderungen
des Gehirns sowie Studien zur Untersuchung von Ausdauertraining, kognitiver Verhaltenstherapie
und Übungsprogrammen sowie invasive und präventive Interventionen. 2 unabhängige Beurteilerinnen
screenten die Studien unter Berücksichtigung der Ein- und Ausschlusskriterien. Bei
Uneinigkeit wurde eine weitere Beurteilerin konsultiert.
Datenextraktion
Folgende Daten wurden aus den inkludierten Studien extrahiert und in [Tab. 2 ] übersichtlich dargestellt: Studiendesign und Institution der Durchführung, Population,
Diagnose, Interventionen, Outcome-Parameter und Ergebnisse. In der Spalte „Kommentare“
werden bei 2 Studien [30 ]
[31 ] die Drop-outs sowie zusätzliche Informationen zu den Interventionen angeführt.
Tab. 2
Qualitative Zusammenfassung der Ergebnisse der eingeschlossenen Studien.
Studie/Studiendesign/
Institution
Studienpopulation/
Diagnose/Anzahl
Interventionszeitraum/
Interventionen
Primäre Outcome-Parameter
Sekundäre Outcome-Parameter
Ergebnisse
Kommentare
Reneker et al. [31 ]
RCT
Walsh University
akute, sportbedingte Gehirnerschütterung mit Schwindel
≥ 3 Pkt. auf der Likert-Skala für Schwindel od. ≥ 10 Pkt. beim Migräne-Cluster und
einem Wert ≥ 1 bei Schwindel od. vestibuläre, okuläre, zervikale Beteiligung
n = 41 (10–23 Jahre)
KG: n = 19 (18)
IG: n = 22 (21)
25 m und 16 w aus 11 Sportarten, inkl. 12 Footballspielern
4 Wochen
KG: Heimübungsprogramm, Bewegungsübungen, isometrische Übungen für Halswirbelsäule,
vestibulookuläre Reflexübungen, unspezifische nicht progressive Scheinbehandlungen.
Bei Symptomverschlechterung minimale Techniken zur Symptomlinderung (30–60 Min./Einheit)
IG: individuelles Heimübungsprogramm, progressiver Behandlungsplan inkl. manueller
Techniken, Weichteiltechniken, Mobilisation und Manipulationen, vestibuläre Techniken,
Übungen zur okulo- und neuromotorischen Kontrolle und Gleichgewichtsübungen (30–60 Min./Einheit (2 ×/Woche))
RTP
Symptomfreiheit:
RTP erreicht nach (Median in Tagen):
RTP nicht erreicht (Anzahl der Probanden):
Symptomfreiheit (PCS) erreicht nach (Median in Tagen):
Symptomfreiheit (PCS) erreicht (Anzahl Probanden):
direkt nach Erstuntersuchung; je ein Drop-out in KG und IG
4 Teilnehmer aus KG schlossen Studie nicht ab.
Dosierung und Progression in der IG wurde in den Einheiten angepasst.
Übungsauswahl orientiert an Sportarten, aus denen Teilnehmer kamen.
Schneider et al. [30 ]
RCT
University of Calgary
8 Wochen
KG: Protokoll aus Ruhe und anschließender, stufenweiser Belastungssteigerung
IG: 1 ×/Woche Behandlung der Hals- und Brustwirbelsäule (manuelle Mobilisation der
Wirbelgelenke), physiotherapeutische Übungen; Blickstabilisierung, Gleichgewichtsübungen
im Stehen, dynamische Übungen und Epley-Manöver
in beiden Gruppen: 1 ×/Woche Bewegungs- und Dehnübungen, Übungen der posturalen Kontrolle
RTP
11 Punkte NPRS
BCS
DHI
SCAT2
JPE-Test
Schneider et al. [32 ]
Follow-up von [30 ]
Cross-over-Design
University of Calgary
n = 11
KG: n = 2
IG: n = 9
RTP
BCS = Balance Confidence Scale, DHI = Dizziness-Handicap-Index, IG = Interventionsgruppe,
JPE-Test = Joint-Position-Error-Test, KG = Kontrollgruppe, NPRS = Numeric Pain Rating
Scale Score, PCS = Postconcussion Scale, RTP = Return-to-Play, SCAT2 = Sport Concussion
Assessment Tool 2.
Datenanalyse
Die Datenanalyse erfolgte deskriptiv. Eine qualitative Zusammenfassung der Studienergebnisse
([Tab. 2 ]) sowie eine Bewertung der methodischen Qualität der Studien anhand der PEDro-Skala
([Tab. 1 ]) wurden in Form von Tabellen übersichtlich dargestellt. Die PEDro-Datenbank-Bewertung
der RCTs wurde von den Autorinnen dieser Arbeit überprüft und übernommen.
Ergebnisse
Studienauswahl
Die Ergebnisse der Recherche in den Datenbanken ClinicalTrials.gov und WHO-ICTRP sind
in [Abb. 1 ] dargestellt. Insgesamt wurden 6 relevante RCTs identifiziert. Davon waren 4 abgeschlossen,
eine war abgebrochen worden und eine weitere wird aktuell noch durchgeführt. Die abgeschlossenen
RCTs umfassen eine Zeitspanne von 8 Jahren (2010–2018) und wurden in 3 Publikationen
veröffentlicht, wobei 2 RCTs (NCT-Nr. 02299128 und 02344446) gemeinsam in einer Publikation
erfasst wurden [31 ] und die Studie von Schneider et al. 2018 [32 ] die Folgestudie von Schneider et al. 2014 [30 ] (NCT-Nr. 01860755) ist. Eine vertiefende Literaturrecherche in 3 weiteren Datenbanken
(PEDro, PubMed und EBSCO) ergab keine zusätzlichen Treffer.
Abb. 1 Flowchart zur Darstellung der Rechercheergebnisse nach Prisma [28 ]. (Quelle: C. Wiederin; graf. Umsetzung: Thieme Gruppe).
Charakteristika der eingeschlossenen Studien
Die wichtigsten Charakteristika und eine qualitative Zusammenfassung der Ergebnisse
aus den inkludierten Studien sind in [Tab. 2 ] dargestellt. Die Stichprobengröße variiert zwischen n = 11 [32 ], n = 31 [30 ] und n = 41 [31 ], das Alter der Probanden betrug 12 bis 30 Jahre [30 ]
[32 ] bzw. 10 bis 23 [31 ] Jahre. In der Studie von Schneider et al. 2014 [30 ] wurden Probanden mit einem prolongierten, sportbedingten Post-concussion syndrome,
bestehend aus Schwindel, Nackenschmerzen und/oder Kopfschmerzen, untersucht. In der
zweiten Studie [31 ] wurden Teilnehmer mit akuten, sportbedingten Gehirnerschütterungen inkludiert. Bei
Schneider et al. 2018 [32 ] handelt es sich um ein Follow-up der Studie von 2014 [30 ] im Cross-over-Design. Die 11 Teilnehmer aus der Originalstudie, die keine Symptomfreiheit
erlangten, nahmen anschließend an dieser Folgestudie teil. Dabei wurden die Teilnehmer
aus der ursprünglichen Kontrollgruppe (KG) (n = 9) der Interventionsgruppe (IG) zugeteilt
und die Teilnehmer der ursprünglichen IG wurden der KG zugeteilt (n = 2). Die Maßnahmen
der beiden Gruppen waren identisch mit denen der ursprünglichen Studie [30 ].
Interventionen
Manualtherapeutische Techniken waren in allen Studien Bestandteil eines multimodalen
physiotherapeutischen Behandlungsprogramms. In beiden Studien von Schneider et al.
[30 ]
[32 ] führten alle Probanden 1 × wöchentlich Bewegungs- und Dehnübungen sowie Übungen
für die posturale Kontrolle durch. Vorab wurde in den KG ein Protokoll aus Ruhe und
anschließender stufenweiser Belastungssteigerung durchgeführt. Die Intervention in
den IG inkludierte zudem eine wöchentliche Behandlung der HWS und BWS (manuelle Mobilisation
der Wirbelgelenke), physiotherapeutische Übungen zur Blickstabilisierung, Gleichgewichtsübungen
im Stehen sowie dynamische Übungen und das Epley-Manöver (Methode zur Behandlung des
benignen Lagerungsschwindels). Bei Reneker et al. [31 ] erhielt die KG ein standardisiertes Heimübungsprogramm mit Bewegungsübungen, isometrischen
Übungen für die HWS und vestibulookulären Reflexübungen. Zudem wurden die Teilnehmer
mit unspezifischen, nicht progressiven Scheinbehandlungen behandelt. Bei einer Symptomverschlechterung
wurden zusätzlich minimalprogressive Techniken zur Symptomlinderung angewandt. Probanden
der IG erhielten ein individuelles Übungsprogramm und wurden anhand eines progressiven
Behandlungsplans 2 × wöchentlich mit manualtherapeutischen Techniken, darunter Weichteiltechniken,
Mobilisationen und Manipulationen der HWS und BWS behandelt. Je nach Indikation wurden
zudem vestibuläre Techniken angewandt sowie Übungen zur okulo- und neuromotorischen
Kontrolle und für das Gleichgewicht.
Outcome-Parameter
Als primärer Outcome-Parameter wurde in allen Studien der Zeitraum bis zur ärztlichen
Freigabe zur Rückkehr zum Sport (Return-to-Play, RTP) definiert. Alle Autoren bezogen
sich dabei auf das Graduated Return to Play Protocol [1 ]
[5 ] und ließen diese Entscheidung bei jedem Sportler individuell von einem Arzt treffen.
Das Protokoll beginnt mit Inaktivität, gefolgt von leichtem Ausdauertraining, sportspezifischen
Übungen, kontaktfreiem Training bis hin zum Vollkontakttraining und endet mit einer
ärztlichen RTP-Freigabe für den Sportler [1 ]. Zusätzlich wurde in den RCTs die Symptomfreiheit evaluiert und weitere klinische
Outcome-Assessment-Instrumente zur Beurteilung der neurokognitiven Fähigkeiten und
des Gleichgewichts verwendet: Postconcussion Scale (PCS) [31 ], Numeric Pain Rating Scale (NPRS) [30 ]
[31 ]
[32 ], Balance Confidence Scale (BCS) [30 ]
[31 ]
[32 ], Dizziness-Handicap-Index (DHI) [30 ]
[31 ]
[32 ], Sport Concussion Assessment Tool 2 (SCAT2) [30 ]
[31 ]
[32 ], Joint-Position-Error-Test (JPE-Test) [30 ]
[32 ]. Die Interventionen erfolgten über einen Zeitraum von 4 [31 ] respektive 8 Wochen [30 ]
[32 ].
Methodische Qualität der Studien
Die qualitative Bewertung durch PEDro wird in [Tab. 1 ] dargestellt. Die methodische Qualität der Studien war gut (8/10 [30 ]) und moderat (7/10 [31 ]). Keine erfüllte die Kriterien #5 und #6. Eine Studie [31 ] erfüllte zudem Kriterium #7 nicht. Da die PEDro-Skala auf der Delphi-Liste [33 ] basiert, welche nur für die qualitative Bewertung der Methodik von RCTs anzuwenden
ist, wurde das Follow-up [32 ] von den Autoren nicht bewertet.
Ergebnisse der einzelnen Studien
Die Ergebnisse aller analysierten Studien zeigen signifikante Unterschiede zwischen
den IG und den KG ([Tab. 2 ]) zugunsten der IG. Die Studie von Schneider et al. 2014 [30 ] zeigt, dass 73 Prozent der Probanden (n = 11/15) aus der IG und 7 Prozent der Probanden
aus der KG (n = 1/16) innerhalb der 8 Wochen eine RTP-Freigabe erreichen konnten.
Alle zum Sport zurückgekehrten Sportler erzielten völlige Symptomfreiheit bezüglich
Kopfschmerzen und Schwindel, 64 Prozent gaben an, frei von Nackenschmerzen zu sein.
Die Teilnehmer der IG mit RTP-Freigabe erzielten signifikant bessere Ergebnisse auf
dem SCAT2 (p = 0,009) und signifikant bessere Ergebnisse auf dem DHI (p = 0,019) als
die Teilnehmer aus der KG mit RTP-Freigabe. Die Ergebnisse der Follow-up-Studie [32 ] zeigen ebenfalls, dass ein Drittel der Teilnehmer der IG (n = 3/9) eine RTP-Freigabe
erreichen konnte im Vergleich zu keiner Freigabe in der KG. In dieser Studie [31 ] erhielten 17 von 21 Probanden der IG versus 10 von 18 Probanden eine RTP-Freigabe,
wobei das Erreichen der RTP-Bedingungen in der IG deutlich früher gelang (IG: median
15,5 Tage, KG: median 26 Tage) als in der KG. Symptomfreiheit auf der PCS wurde im
Median nach 13,5 Tagen in der IG bzw. nach 17 Tagen in der KG erreicht. In Bezug auf
Design, Methodik und Auswahl der Techniken sind die inkludierten Studien jedoch heterogen,
was einen direkten Vergleich erschwert.
Diskussion
Die Ergebnisse der RCTs deuten auf einen positiven Effekt von manualtherapeutischen
Techniken als Teil des multimodalen Rehabilitationsprogramms auf Symptomfreiheit und
Wiedererlangung der sportlichen Belastbarkeit bei Patienten nach SRC hin. Die Studien
ergaben signifikante Unterschiede zwischen den IG und KG zugunsten der IG in allen
gemessenen Outcome-Parametern. Die RCTs waren jedoch in Bezug auf Design, Methodik
und Auswahl der Techniken sehr heterogen, wodurch eine spezifische Empfehlung physiotherapeutischer
Techniken nicht zulässig ist.
Methodische Qualität
Die Studie von Schneider et al. 2014 [30 ] weist mit 8/10 Punkten auf der PEDro-Skala eine gute methodische Qualität auf. Eine
Bewertung mit 7/10 Punkten [31 ] spricht für eine eher moderate methodische Qualität. Bei Schneider et al. 2018 [32 ] handelt es sich um eine Follow-up-Studie im Cross-over-Design, die nicht bewertet
werden konnte. Dadurch sind Aussagekraft und externe Validität der Ergebnisse beeinträchtigt.
Population
Hinsichtlich des medizinischen Status der Probanden herrschte große Heterogenität
innerhalb der inkludierten Studien. Schneider et al. [30 ]
[32 ] untersuchten Patienten mit einem prolongierten Post-concussion syndrome bei einer
medianen Zeitspanne vom Unfall bis zum Beginn der Studie von 47 (KG) bzw. 53 Tagen
(IG), während in der Studie von Reneker et al. [31 ] Patienten mit akuter SRC und bestehendem Schwindel bei einer Baseline-Messung auf
der PCS nach 14 Tagen inkludiert wurden. Dieser Unterschied hinsichtlich der bestehenden
Wundheilungsphase macht die Ergebnisse der Studien schwer vergleichbar, es lässt sich
jedoch daraus schließen, dass eine physiotherapeutische Intervention sowohl in der
akuten Phase als auch bei länger andauernder Symptomatik zu einer Unterstützung der
Regeneration beitragen kann. Diesen Schluss bestätigt eine frühere Studie von Ellis
et al. [34 ]. Bezüglich der Wundheilungsphasen ist zudem zu beachten, dass die vorliegende Arbeit
ausschließlich Gehirnerschütterungen im Sinne von leichten SHTs untersucht. Die Symptome
bei mittelgradigen bis schweren SHTs betreffen vermehrt die kognitiven Funktionen
und weisen zu den funktionellen auch strukturelle Schädigungen im Verletzungsareal
auf [35 ]. Eine generalisierte Empfehlung von aktiver Übungstherapie scheint in diesen Fällen
schwierig bis kontraindiziert [36 ]
[37 ]
[38 ].
Fallzahlen der Studien
Die Anzahl untersuchter Patienten in den Studien ist mit n = 31 [30 ] und n = 41 [31 ] als gering zu bewerten. Ob sich die Ergebnisse auf eine Gesamtpopulation übertragen
lassen, ist aufgrund der untersuchten Altersgruppen (12–30 Jahre [30 ] und 10–23 Jahre [31 ]) fraglich. Zudem bleibt unklar, ob die Auswirkungen einer Gehirnerschütterung bei
Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren andere sind als bei jungen Erwachsenen
zwischen 18 und 30 Jahren.
Interventionen
Sowohl Anzahl als auch Zeitraum der Interventionen unterscheiden sich innerhalb der
inkludierten Studien. Die Interventionen beliefen sich in der Studie von Reneker et
al. [31 ] auf 2 physiotherapeutische Einheiten/Woche für einen Zeitraum von 4 Wochen. Bei
den Studien von Schneider et al. [30 ]
[32 ] wurden die Patienten hingegen nur 1 × wöchentlich über 8 Wochen behandelt. Bei den
angewandten physiotherapeutischen Maßnahmen handelte es sich um manuelle Mobilisationen
der HWS und BWS Gleichgewichtsübungen [30 ]
[31 ]
[32 ], Übungen zur Blickstabilisierung und das Epley-Manöver [30 ]
[31 ]
[32 ] sowie Manipulationen der Wirbelsäule, Weichteiltechniken, vestibuläre Techniken
und Übungen zur okulo- und neuromotorischen Kontrolle [31 ]. Die genaue Durchführung der Übungen wird in keiner der Studien beschrieben, es
fehlt an detaillierten, replizierbaren Interventionsbeschreibungen. Eine klare Empfehlung
darüber, welche Interventionen effektiv sind, lässt sich daher nicht treffen. Um die
Ergebnisse von Studien sowohl für die Praxis als auch für aufbauende Forschungsarbeiten
replizierbar zu machen, kann die Verwendung der Template for Intervention Description
and Replication (TIDieR) Checklist ein geeignetes Instrument darstellen. In dieser
Checkliste werden 12 Items beschrieben, um Interventionen möglichst vollständig und
nachvollziehbar darzulegen [39 ].
Zusammenfassung der Ergebnisse
Bei beiden RCTs [30 ]
[31 ] konnte die RTP-Freigabe in den IG signifikant schneller erfolgen als in den KG.
Auch im Follow-up [32 ] konnte innerhalb des Interventionszeitrahmens lediglich Teilnehmern der IG wieder
für ihre Sportart die Freigabe erteilt werden. Diese Ergebnisse bestätigen die Annahme,
dass sowohl eine frühzeitige physiotherapeutische Intervention als auch eine Intervention
zu einem späteren Zeitpunkt deutlich stärker zur Erholung beitragen als Ruhe alleine
[19 ]
[21 ]
[40 ]. Patienten, die in der ursprünglichen Studie durch die Intervention keine Symptomfreiheit
erreichen konnten, erzielten auch mit dem später angewandten Ruheprotokoll keine signifikanten
Verbesserungen und erhielten daher keine RTP-Freigabe [32 ]. Trotz der klaren Überlegenheit der Ergebnisse in den IG konnte nicht nachvollziehbar
dargelegt werden, dass diese Effekte allein auf die manualtherapeutischen Techniken
der behandelnden Physiotherapeuten zurückzuführen sind, da in allen Studien manualtherapeutische
Techniken mit vestibulären Behandlungsansätzen kombiniert wurden bzw. physiotherapeutische
Behandlungen im Rahmen eines multimodalen Therapieprogramms stattfanden. In keiner
Studie wurde die Auswirkung von manualtherapeutischen Techniken bei SRC isoliert untersucht,
wodurch eine Zuordnung der erzielten Auswirkungen nicht zulässig ist.
Bestehende Studien, in denen die Patienten innerhalb der ersten 4 Wochen nach einer
Gehirnerschütterung ein isoliertes, leichtes bis moderates Ausdauertraining ohne Kontakt
absolvierten, konnten bislang keine reduzierte Symptomdauer belegen [41 ]
[42 ]
[43 ]. Die positive Symptombeeinflussung von angepasstem, vestibulärem Training sowie
von Übungen zur Verbesserung der posturalen Kontrolle nach leichtem Hirntraumata konnte
hingegen gezeigt werden [44 ]
[45 ]. In einer Studie von Han et al. [46 ] konnte bei Patienten mit milden bis schweren Hirnschädigungen eine Neuorganisation
von modularen Netzwerken über das gesamte Gehirn mittels einer Magnetresonanztomografie
(MRT) nachgewiesen werden. Aufgrund dieser Plastizität des Gehirns verbessern vestibuläre
Trainings sowie Übungen zur posturalen Kontrolle persistierende Symptome nach SHTs.
Zahlreiche RCTs untersuchten den Effekt von manualtherapeutischen Techniken auf Nackenschmerzen,
zervikogenen Kopfschmerz, Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei Patienten mit
akuten und chronischen Schmerzen ohne vorangegangene Gehirnerschütterung [47 ]
[48 ]
[49 ]. Durch einen multimodalen Behandlungsansatz mit manualtherapeutischen Techniken
und vestibulärer Rehabilitation wurde eine moderate Symptomverbesserung nachgewissen.
Die Ergebnisse dieser Studien können jedoch nicht auf die alleinige Anwendung manualtherapeutischer
Techniken zurückgeführt werden [47 ]
[48 ]
[49 ].
Limitationen
In allen inkludierten RCTs wurden manualtherapeutische Techniken nicht isoliert, sondern
im Zuge eines multimodalen Therapieprogramms untersucht. Eine Aussage über die Wirksamkeit
manualtherapeutischer Techniken kann daher nicht getroffen werden. Die in den Studien
erzielten Effekte könnten ebenso auf die anderen Komponenten des multimodalen Behandlungskonzeptes
zurückzuführen sein. Zudem wurden die Techniken hinsichtlich ihrer Durchführung, Intensität
und Ausgangsstellung in keiner der Studien genauer beschrieben. Outcome-Parameter
inkludierten die RTP-Freigabe, die Symptomfreiheit sowie weitere Assessments zur Beurteilung
der neurokognitiven Fähigkeiten und des Gleichgewichts. Weitere Instrumente zur Evaluierung
der Health-Related Quality of Life (HRQOL) wurden nicht berücksichtigt [50 ].
Diese Arbeit berücksichtigt nur englischsprachige RCTs, die in ClinicalTrials.gov,
WHO-ICTRP, PEDro, PubMed und EBSCO gefunden wurden. Potenziell relevante Studien,
die in keiner dieser Databanken registriert sind, wurden nicht berücksichtigt. Dadurch
kann es zu Verzerrungen der Ergebnisse gekommen sein. Aufgrund der geringen Anzahl
wurde keine metaanalytische Auswertung vorgenommen.
Schlussfolgerungen
Abgeschlossene klinische Studien deuten darauf hin, dass manualtherapeutische Techniken
in Kombination mit vestibulärer Rehabilitation als Teil eines multimodalen Rehabilitationsprogramms
nach einer Gehirnerschütterung von Vorteil sein können. Zusätzliche Studien sind für
die Weiterentwicklung der physiotherapeutischen Behandlungsempfehlungen erforderlich.
Eine klare Einordnung von physiotherapeutischen Hands-on-Techniken in den aktuellen
Forschungsstand zur Behandlung von Gehirnerschütterungen lässt sich hinsichtlich der
Wirksamkeit im Vergleich zu anderen Behandlungsmaßnahmen nicht treffen. Weitere qualitativ
hochwertige RCTs, in denen manualtherapeutische Techniken isoliert untersucht werden,
sind erforderlich. Es kann jedoch angenommen werden, dass die Verordnung einer vollständigen
Ruhephase als alleinige Therapieform nach einer SRC nicht ausreicht.
Eine vielversprechende Studie wird derzeit von Langevin et al. [51 ] durchgeführt. In dieser werden die Interventionen deutlich genauer und somit replizierbar
beschrieben. Dennoch werden auch dort manualtherapeutische Ansätze mit aktiven Bewegungsübungen
und vestibulären Trainings kombiniert. Diese Kombination kann laut aktueller Literaturlage
zielführend für die praktische Behandlung sein, doch selbst bei einem Nachweis von
signifikanten Verbesserungen der Symptome kann im Zuge eines solchen Vergleichs keine
Aussage darüber getroffen werden, ob und welche spezifischen manualtherapeutischen
Techniken die beschriebenen Verbesserungen erbracht haben.
Physiotherapeuten spielen eine wichtige Rolle bei der Behandlung, vor allem von persistenten
Symptomen nach einer Gehirnerschütterung. Vielfältige Symptome wie Kopfschmerzen,
Schwindel, Nackenschmerzen, Blickinstabilität, Gleichgewichtsstörungen und Müdigkeit
sollten dementsprechend durch einen multimodalen Ansatz behandelt werden.