Das Majeed-Syndrom ist eine sehr seltene genetische Erkrankung, die sich mit einer
kongenitalen dyserythropoetischen Anämie und Zeichen einer Osteomyelitis im Säuglingsalter
manifestiert. Krankheitsverursachend ist eine Mutation im LPIN2-Gen. Wir berichten
hier über die erste uns bekannte Patientin in Deutschland mit dieser Erkrankung.
Fallbericht
Anamnese
Es erfolgte die Einweisung eines 10 Monate alten weiblichen Säuglings türkischstämmiger
Eltern mit seit der Geburt auftretenden Unruhezuständen und erhöhten Entzündungswerten
im Blut.
Das Mädchen habe schon immer viel getragen werden müssen, ein Ablegen des Säuglings
war auch im schlafenden Zustand nur kurz möglich gewesen. Ab dem 4. Lebensmonat war
es kurzzeitig zu einer leichten Besserung der Symptomatik gekommen. Nun vermuteten
die Eltern erneut Schmerzen in den Beinen. Fieber war bisher nicht aufgetreten. In
den vom niedergelassenen Kinderarzt veranlassten Laboruntersuchungen wurde ein erhöhtes
C-reaktives Protein (CRP) von 8,7 mg/dl (Normwert < 0,3 mg/dk) und ein erniedrigtes
Hämoglobin (Hb) von 9,3 g/dl (Normwert 10,7–13,1 g/dl) festgestellt.
Untersuchungsbefund
Im klinischen Untersuchungsbefund bei Aufnahme zeigte sich ein Säugling in gutem Allgemein-
und zartem Ernährungszustand mit Mikrozephalie. Körpergewicht 7465 g (4. Perzentile),
Körperlänge 71,7 cm (21. Perzentile), Kopfumfang 43,2 cm (1. Perzentile), Körpertemperatur
37,5 °C. Der pädiatrisch-internistische Zustand war ohne pathologischen Befund. Es
zeigte sich eine diskrete Schonhaltung des linken Beines und eine Bewegungseinschränkung
des linken Hüftgelenks.
Labor
Folgende Laborwerte waren bei Aufnahme pathologisch: Hb 9,2 g/dl (Normwert 10,7–13,1
g/dl), MCV 68 fl (Normwert 73–101 fl), Thrombozyten 784/nl (Normwert 210–500/nl),
CRP 8,2 mg/dl (Normwert < 0,3 mg/dl), Blutsenkungsgeschwindigkeit 120 mm/h (Normwert
< 20 mm/h), Ferritin 121 ng/ml (Normwert 2–100 ng/ml). Normwertig waren: Differenzialblutbild,
MCH, GOT, GPT, Kreatinin, Albumin, LDH, AP, Lipase, Prokalzitonin, Kreatininkinase,
Vitamine C und D, Parathormon, ANA (IFT), ds-DNA-Antikörper (Blot).
Diagnostik
Die Magnetresonanztomografie (MRT) der unteren Extremitäten ergab Befunde vereinbar
mit einer Osteomyelitis des distalen Femur beidseits. Es erfolgten eine Knochenbiopsie
mit mikrobiologischer und histopathologischer Untersuchung und der Beginn einer kalkulierten
antibiotischen Therapie mit Cefuroxim intravenös. Die Histopathologie erbrachte ein
in Kortikalis, Fettmark und Muskulatur lokalisiertes, gemischt zelluläres, eosinophil
und lymphoplasmazelluläres Infiltrat, vereinbar mit dem Bild einer chronischen Osteomyelitis.
Mittels Kultur und eubakterieller PCR gelang kein Keimnachweis. Im kurzfristigen Verlauf
kam es unter der antibiotischen Therapie und Ibuprofen zu einer klinischen und laborchemischen
Besserung.
Sieben Wochen nach der Biopsie traten erneut Unruhephasen mit einer CRP-Erhöhung auf.
Daraufhin erfolgte eine Ganzkörper-MRT sowie – aufgrund der mikrozytären Anämie und
zum Ausschluss einer hämatologischen Grunderkrankung – eine Knochenmarksaspiration.
In der Ganzkörper-MRT ([
Abb. 1
]) zeigten sich medulläre und subperiostale, teilweise weichteilbetreffende Signalanhebungen
im distalen Femur rechts, im Humerus beidseits, in der Ulna – vor allem im Olekranon
– beidseits und im Radius beidseits. Der bildgebende Befund war somit vereinbar mit
einer chronisch nichtbakteriellen Osteomyelitis (CNO). Allerdings war das Alter für
diese Diagnose sehr untypisch.
Abb. 1 Ganzkörper-MRT mit Zeichen einer nichtbakteriellen Osteomyelitis: vorwiegend medulläre
und subperiostale, weniger weichteilbetreffende short-tau inversion recovery (STIR)
Signalanhebungen (Pfeile) im a Humerus beidseits (coronar), b Femur diametaphysär rechts (transversal), c Olekranon rechts (transversal).
Der Knochenmarksbefund zeigte eine deutlich gesteigerte dysplastische Erythropoese
passend zu einer kongenitalen dyserythropoetischen Anämie ([
Abb. 2
]).
Abb. 2 Knochenmarksausstrich mit gesteigerter Erythropoese, Doppel- (*) und Kleeblattkernformen
(**) und (***) Kernabsprengungen in den Normoblasten und vereinzelt Zytoplasmabrücken
in den polychromatischen Erythroblasten.
Diagnose und Verlauf
In Zusammenschau der Befunde mit einer multifokalen Osteomyelitis und dyserythropoetischen
Anämie wurde die Verdachtsdiagnose eines Majeed-Syndroms gestellt. In der Exomsequenzierung
im Rahmen des TRANSLATE-NAMSE Projekts (Standort Ludwig-Maximilians-Universität München)
wurde eine bisher nicht beschriebene homozygote splice site Deletionsvariante im LPIN2
Gen (c.2442 + 3_2442 + 6del) nachgewiesen. Die konsanguinen Eltern zeigten jeweils
eine heterozygote Trägerschaft dieser LPIN2-Variante. Somit konnte gut vereinbar mit
dem klinischen, laborchemischen, histologischen und bildgebenden Krankheitsbild die
Diagnose eines Majeed-Syndroms genetisch gesichert werden.
Mit Ibuprofen 30 mg/kg/d konnte zunächst klinisch ein gutes Ansprechen bei unserer
Patientin erzielt werden. Im Verlauf präsentierte sich das Mädchen aber weiter mit
anhaltenden Unruhezuständen und Erhöhung der Entzündungswerte, sodass eine Therapie
mittels IL-1-Rezeptor-Blockade (Canakinumab) eingeleitet wurde.
Diskussion
Das Majeed-Syndrom ist eine autosomal-rezessiv vererbte monogenetische autoinflammatorische
Erkrankung und wurde erstmalig 1989 von Majeed et al. beschrieben [8 ]. Es gehört zu den seltenen Erkrankungen, und bisher wurden nur wenige pädiatrische
Fallberichte publiziert (1, 3, 4, 6–12).
Betroffene Kinder entwickeln eine im Säuglings- oder Kleinkindalter auftretende chronische
nichtbakterielle Osteomyelitis (CNO) und eine kongenitale dyserythropoetische Anämie
(CDA). Zudem kann eine neutrophile Dermatose auftreten, wobei die Penetranz der Dermatose
im Gegensatz zur stets vorhandenen CNO und CDA inkomplett ist [11 ].
Die Erkrankung wird durch autosomal rezessive pathogene Varianten im LPIN2-Gen hervorgerufen
[2 ]. LPIN2 kodiert für die Phosphatase Lipin-2, welche im Lipidmetabolismus von Makrophagen
eine Rolle spielt. Dabei konnte Lipin-2 als wichtiger Akteur in der Regulierung des
NLRP3-Inflammasoms und der dadurch kontrollierten Produktion des proinflammatorischen
Zytokins Interleukin-1β (IL-1β) identifiziert werden [5 ].
Die Behandlung erfolgte meist empirisch mit NSAR und Kortikosteroiden. Hierunter konnte
bei den meisten Patienten allerdings keine komplette Symptomfreiheit erzielt werden.
Weitere Therapieversuche mit Colchicin, Methotrexat, Etanercept oder Bisphosphonat
– mit unterschiedlichen Ergebnissen – sind beschrieben. Bei unzureichender Therapie
traten im Verlauf auch eine ausgeprägte Gedeihstörung und Gelenkdeformationen auf
[6 ], [11 ], [12 ].
In 4 neueren Fallberichten wurde eine Therapie mit einem IL-1-Rezeptor-Blocker eingeleitet,
worunter ein sehr gutes Ansprechen zu verzeichnen war [1 ], [3 ], [4 ], [12 ].
Trotz monogenetischer Ätiologie des Majeed-Syndroms zeigten die bisher publizierten
Fälle eine ausgeprägte Variabilität in der Schwere der Erkrankung. So berichten Roy
et al. [12 ] über eine Familie bestehend aus konsanguinen Eltern und ihren 4 Kindern, die allesamt
homozygote Träger einer pathogenen LPIN2-Variante waren. Allerdings waren nur 3 der
Kinder klinisch schwer betroffen. Das 4. Kind und die Mutter wiesen leichte Symptome
auf, der Vater war symptomfrei. In einem anderen Fall wird über einen 8 Monate alten
Säugling berichtet, der unter rezidivierendem Fieber, leichter Anämie und ausgeprägter
Neutropenie litt. Eine Osteomyelitis lag klinisch nicht vor. Molekulargentisch wurde
eine compound heterozygote Mutation im LPIN2-Gen nachgewiesen [4 ].
Diese variable Penetranz und Expressivität wurde auch von Rao et al. [11 ] beschrieben. In ihrem Fallbericht aus Indien von 2 Cousins mit der gleichen pathogenen
LPIN2-Variante hatte nur einer der beiden eine früh auftretende CNO mit CDA. Der 2.
Patient hingegen wies einen milden Verlauf auf, passend zu einer nicht syndromalen
CNO.
Diese Variabilität in der klinischen Erscheinung des Majeed-Syndroms mit auch milden
Verlaufsformen ohne Fieber oder CNO lassen eine höhere Prävalenz eines gegebenenfalls
atypischen Majeed-Syndroms als bisher angenommen vermuten. Somit sollte klinisch das
Majeed-Syndrom nicht nur als Differenzialdiagnose einer multifokalen Osteomyelitis
im Säuglings- und Kleinkindalter mit Anämie, sondern auch bei therapierefraktären
Verläufen einer juvenilen CRMO und bei Fieber unklarer Genese Beachtung finden.
FAZIT FÜR DIE PRAXIS
Bei anhaltenden Unruhezuständen und erhöhten nicht infektionsbedingten Entzündungswerten
sollte im Säuglingsalter auch an eine aseptische Osteomyelitis gedacht werden.
Bei zusätzlich vorliegender dyserythropoetischer Anämie ist die Diagnose eines Majeed-Syndroms
zu erwägen. Eine „klassische“ CRMO tritt nicht vor dem 6. Lebensjahr auf.
Diagnoserelevant ist die genetische Untersuchung des LPIN2-Gens.
Bei schweren Verläufen ist eine Therapie mit IL-1-Rezeptor-Blockern vielversprechend.
Bei Verdacht auf eine autoinflammatorische Störung kann grundsätzlich eine frühzeitige
(Trio-)Exomsequenzierung bei der Diagnosestellung helfen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Die Autorinnen und Autoren bestätigen, dass eine schriftliche Einwilligung der Eltern
der Patientin zur Publikation dieses Fallberichts vorliegt.