Neonatologie Scan 2020; 09(03): 208-209
DOI: 10.1055/a-1078-3786
Aktuell
Zentralnervensystem

Neugeborenenkrämpfe: Wie zuverlässig gelingt die Diagnose mittels aEEG?

Rakshasbhuvankar AA. et al.
Inter-rater reliability of amplitude-integrated EEG for the detection of neonatal seizures.

Early Hum Dev 2020;
143: 105011
DOI: 10.1016/j.earlhumdev.2020.105011.
 

    In keinem anderen Lebensabschnitt ist die Inzidenz zerebraler Krampfanfälle höher als in der Neonatalperiode. Da viele Anfälle subklinisch verlaufen oder schlecht von anderen neonatalen Bewegungsmustern zu unterscheiden sind, nutzen viele Zentren zur Detektion das amplitudenintegrierte EEG (aEEG). Wie hoch ist die Interrater-Reliabilität bei diesem Diagnostikverfahren?


    #

    Diese Fragestellung untersuchte ein australisches Wissenschaftlerteam im Rahmen einer prospektiven Studie. Teilnehmer waren 35 Neugeborene, die im Gestationsalter von mindestens 35 Schwangerschaftswochen sowie innerhalb der ersten 28 Lebenstage aufgrund einer klinisch vermuteten oder eindeutigen Krampfaktivität, einer mäßigen oder schweren hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie oder einer unklaren Apnoe intensivmedizinisch behandelt werden mussten. Alle Neugeborenen wurden simultan mittels aEEG sowie – dem Goldstandard bezüglich der Anfallsdiagnostik – Video-EEG (vEEG) überwacht. Anschließend werteten 5 erfahrene Neonatologen unabhängig voneinander die aEEG-Aufzeichnungen aus. Sie nutzten dabei zusätzlich einen automatisierten Software-Algorithmus und dokumentierten jeweils den Beginn und das Ende der einzelnen Anfallsepisoden. Den Referenzstandard bildeten die vEEG-Aufzeichnungen, welche ein Neuropädiater auswertete. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler prüften die Interrater-Reliabilität bezüglich der Detektion der einzelnen Anfälle, der Identifikation von Neugeborenen mit einem Krampfanfall sowie der Dauer der einzelnen Episoden bzw. der Gesamtdauer aller Episoden pro Patient.

    16 Neugeborene litten an einer hypoxisch-ischämischen Enzephalopathie, 3 an einem Hirninfarkt, 2 an einer Ventrikelblutung und eines an benignen familiären Neugeborenenkrämpfen. In 13 Fällen blieb die Krampfursache unklar. Insgesamt flossen 855 Stunden simultaner vEEG- und aEEG-Registrierung in die Analyse ein. Mittels vEEG diagnostizierten die Forscher bei 7 Neugeborenen 169 einzelne Anfallsepisoden. Die Gesamt-Anfallsdauer betrug 14,7 Stunden. Die 5 Neonatologen erkannten anhand der aEEG-Aufzeichnungen zwischen 31 und 65 der 169 gesicherten Anfälle, was einer Sensitivität zwischen 18 und 38 % entsprach. Den Grad der Übereinstimmung der Untersucher bewerteten die Forscher diesbezüglich als „ausreichend“. 4 Neonatologen identifizierten alle 7 Anfallspatienten. Die Anzahl der fälschlicherweise als „Anfall-positiv“ eingestuften Neugeborenen variierte zwischen 3 und 13. Die Sensitivität bzw. Spezifität bezüglich dieses Endpunkts betrug 85 bis 100 % bzw. 53 bis 85 %. Den Grad der Übereinstimmung der Untersucher bewerteten die Forscher hier als „mäßig“. Sowohl im Hinblick auf die Dauer der einzelnen Krampfepisoden als auch im Hinblick auf die Gesamt-Anfallsdauer eines Neugeborenen attestierten sie den aEEG-Befundern eine „schlechte“ Übereinstimmung untereinander.

    Fazit

    Die Interrater-Reliabilität des aEEG bezüglich der Detektion von Neugeborenenkrämpfen ist nicht optimal, schlussfolgert das Autorenteam. Selbst erfahrenen und in der aEEG-Auswertung geübten Ärzten gelingt es offenbar nicht, alle Anfallsepisoden zu erkennen und ihre Dauer exakt zu bestimmen. Zudem müsse mit einer hohen Falsch-Positiv-Rate gerechnet werden. Das Fazit von Rakshasbhuvankar et al.: Das aEEG ist kein zuverlässiges Instrument zur Anfallsdetektion bei Neugeborenen.

    Dr. Judith Lorenz, Künzell

    Zoom Image
    aEEG eines reifen Neugeborenen mit Apnoen und V. a. Krampfanfall am 2. Lebenstag. Das seitengetrennte aEEG zeigt deutliche hypersynchrone Aktivität auf der linken Seite. Quelle: Roll C, Jorch G. Zerebrale Anfälle. In: Jorch G, Hrsg. Fetoneonatale Neurologie. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2013. doi:10.1055/b-002-57155

    #

    Publication History

    Article published online:
    21 August 2020

    © Georg Thieme Verlag KG
    Stuttgart · New York


    Zoom Image
    aEEG eines reifen Neugeborenen mit Apnoen und V. a. Krampfanfall am 2. Lebenstag. Das seitengetrennte aEEG zeigt deutliche hypersynchrone Aktivität auf der linken Seite. Quelle: Roll C, Jorch G. Zerebrale Anfälle. In: Jorch G, Hrsg. Fetoneonatale Neurologie. 1. Auflage. Stuttgart: Thieme; 2013. doi:10.1055/b-002-57155