Allgemeine Homöopathische Zeitung 2020; 265(01): 36-37
DOI: 10.1055/a-1069-6721
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Leserbriefe

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Friedrich Witzig: Pathogenese von Campylobacter. AHZ 2019; 264(3): 5–14

In der Einleitung zum o. g. Artikel schreibt der Autor, dass Hahnemann die Arbeitshypothese vertreten habe, die Ursache chronischer Krankheiten sei auf Infektionen mit Mikroorganismen zurückzuführen, und die klinischen Daten seiner Zeit ließen kein anderes Ergebnis als die 3 von ihm „entdeckten“ Infektionskrankheiten (Psora, Syphilis, Sykose) mit chronischen Folgen zu. Dazu möchte ich Folgendes anmerken: Die Bedeutung des damals gebräuchlichen, von Hahnemann gepflegten Miasmenbegriffs beinhaltete meines Wissens keine Mikroorganismen (Krankheitserreger) im heutigen Sinne, sondern ging von immateriellen „geistartigen“ Ansteckungskräften (Potenzen) aus. Gemäß Hahnemann führt deren „Unterdrückung“ zu einer Aktivierung chronischer Krankheitsprozesse (Schmidt, Taschenatlas der Homöopathie, 2001). Da Hahnemann Selbstheilungskräften nur einen geringen Stellenwert zugesteht (ORG VI, § 22, Anm.), persistiert die chronische Krankheit. In seinen CK (1828) lassen sich keine Textstellen finden, die auf die Existenz von Mikroorganismen hindeuten. Im Jahr 1831 vermutet Hahnemann als Ursache der Cholera „Kleinstlebewesen“, die er mithilfe „heroischer“ Kampfer-Gaben abzutöten gedachte, was im Übrigen eher einer Art antibiotischer als homöopathischer Behandlung gleichkommt. (Scheible, Hahnemann und die Cholera, 1994). Hätte er „Kleinstlebewesen“ (Mikroorganismen) als Arbeitshypothese für die Entstehung chronischer Krankheiten angenommen, so verwundert es, dass er dies trotz erfolgreicher, „antibiotischer“ Cholerabehandlung in seiner 4 Jahre später folgenden 2. Auflage der CK (1835) unerwähnt lässt. Zudem muss man sich fragen, warum Hahnemann, neben seinen 3 Miasmen, nicht auch andere grassierende Erkrankungen wie die „Schwindsucht“ (TBC) mit ihren allgemein bekannten chronischen Folgen in seine Hypothesen aufnahm? Klinische Angaben zur Schwindsucht gab es damals schon in Hülle und Fülle. Lag es etwa daran, dass die schon seit dem Altertum bekannte TBC nicht in Hahnemanns Unterdrückungskonzept passte, da hier keine „Primärausschläge“ zu beobachten sind? Kernpunkt der Miasmentheorie ist der Unterdrückungsgedanke und keine Erregertheorie durch Mikroorganismen. Dies belegt auch die von Hahnemann geforderte „Auslöschung“ einer auf „dynamischem“ Wege erworbenen „Verstimmung“ der – zu seiner Zeit populären – „Lebenskraft“, mittels „geistartiger“ Arzneikräfte (Potenzen; ORG VI, § 16). Auf die hinlänglich bekannten Falsifizierungen dieser Hypothesen braucht an dieser Stelle nicht näher eingegangen zu werden (Waisse, Die historische Entwicklung des Hahnemann’schen Hochpotenzkonzepts, AHZ 2013; 258(3): 18–21). Allerdings zeigt das Beispiel, wie problematisch, missverständlich und verwirrend die Übernahme alter Nomenklaturen und ihr Uminterpretieren in neue Begrifflichkeiten sein kann. Zweifelsohne hat Hahnemann im Rahmen seiner Epoche Hervorragendes geleistet. Dennoch war er weder allwissend noch unfehlbar. Manche seiner angeblichen Pionierleistungen fußen schlicht auf der Übernahme zeitgenössischer Trends und Erkenntnisse. Legendenbildungen und Glorifizierungen helfen nicht dabei, die Grundlagen der Homöopathie an den heutigen medizinischen Kenntnisstand anzupassen, einen angemessenen, neuzeitlichen Sprachgebrauch zu pflegen, und sich endlich von obsoleten Begrifflichkeiten zu trennen.

Hp. Thomas P. Peplowski



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Article published online:
24 January 2020

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