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DOI: 10.1055/a-1019-8018
Die deutsche S3-Kinderschutzleitlinie – Bildgebung bei Verdacht auf Kindesmisshandlung
Artikel in mehreren Sprachen: English | deutschCorrespondence
Publikationsverlauf
31. Juli 2019
13. September 2019
Publikationsdatum:
20. November 2019 (online)
- Einleitung
- Methoden
- Ergebnisse
- Schlussfolgerung (wurde auf Anweisung des Thieme-Verlags vor die Diskussion gesetzt)
- Diskussion
- References
Zusammenfassung
Ziel Erstellung einer interdisziplinären, evidenzbasierten Leitlinie (S3) zur Vorgehensweise bei Verdacht auf Kindesmisshandlung.
Methoden Fallbasierte Leitlinienerstellung. Extraktion von 144 primären PICO-Fragen aus 476 durch Fachgesellschaften eingereichten Kinderschutzfällen. Die Literaturrecherche erfolgte in 5 Datenbanken (Pubmed, CINHAL, Embase, PsycInfo, Eric) und in der Cochrane-Library, die Literaturbewertung nach SIGN und AGREE II.
Ergebnisse Es wurden 137 Handlungsempfehlungen erarbeitet. Die die Bildgebung betreffenden Empfehlungen sollen hier vorgestellt und diskutiert werden.
Schlussfolgerung Es liegt erstmals eine vollständig evidenzbasierte deutsche Leitlinie zur Vorgehensweise bei Kindesmisshandlung vor. Für die Bildgebung ergeben sich einige bedeutsame Neuerungen.
Kernaussagen:
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Für das Gesamtkollektiv der betroffenen Kinder resultiert eine erhebliche Reduktion der Strahlenexposition.
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Becken- und Wirbelsäulenaufnahmen werden nur noch als Ergänzungsaufnahmen bei positivem Skelettscreening durchgeführt.
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Thorax-Schrägaufnahmen und ggf. eine Wiederholung des Skelettscreenings sollen bei negativem Skelettstatus und begründetem Verdacht auf Kindesmisshandlung erfolgen.
Zitierweise
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Born M, Schwier F, Stoever B et al. The German Evidence-Based Child Protection Guideline – Imaging in Suspected Child Abuse. Fortschr Röntgenstr 2020; 192: 343 – 348
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Einleitung
In Deutschland wurden im Jahr 2018 Gewaltanwendungen gegen 42 435 Kinder im Alter unter 14 Jahren aktenkundig [1]. Es ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Da eine körperliche Misshandlung insbesondere bei Säuglingen gravierende Folgen für die Gesundheit der betroffenen Kinder haben kann, bis hin zu verletzungsbedingten schweren zerebralen Defekten mit gravierenden Entwicklungsstörungen und lebenslanger Pflegebedürftigkeit oder gar Todesfolge, kommt der Bildgebung bei der Abklärung einer körperlichen Misshandlung eine entscheidende Rolle zu. Es müssen durch sie in einer Akutsituation behandlungsrelevante Verletzungen zum einen rasch und vollständig erkannt werden. Da sich die Konstellationen, in denen es zu einer Misshandlung gekommen ist, im Umfeld der betroffenen Kinder in der Regel wiederholen, kommt es häufig zu repetitiven Misshandlungen, sodass durch die Bildgebung andererseits auch zurückliegende Verletzungen erkannt werden müssen, die zum Zeitpunkt der Vorstellung des Kindes aufgrund des einsetzenden Heilungsprozesses klinisch okkult geworden sind. Durch die Bildgebung lässt sich daher im Idealfall eine Reviktimisierung der betroffenen Kinder mit Eskalation der Gewaltanwendung verhindern. Die Befunde der Bildgebung sind häufig eine wichtige Grundlage für die Entscheidungen der Behörden zum Schutz des Kindes, die bis zu einer Herausnahme eines betroffenen Kindes aus seiner Familie führen können. Auch für sich anschließende Gerichtsverfahren liefert die bildgebende Diagnostik eine wesentliche Entscheidungsgrundlage in der Rechtsprechung.
Der Vorgehensweise in Auswahl und Durchführung bildgebender Diagnostik bei Verdacht auf eine Kindesmisshandlung kommt somit in verschiedener Hinsicht eine entscheidende Bedeutung zu. In der interdisziplinären S3-Kinderschutzleitlinie wurden evidenzbasierte Empfehlungen für alle Bereiche des Kinderschutzes getroffen. Im Folgenden werden die die Bildgebung betreffenden Handlungsempfehlungen dieser Leitlinie vorgestellt.
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Methoden
Die Leitlinie entstand unter der Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinderschutz in der Medizin (DGKIM) in Zusammenarbeit von 79 Fachgesellschaften, Organisationen, Bundesbeauftragten und Bundesministerien aus den Bereichen Gesundheitswesen, Jugendhilfe und Pädagogik und wurde durch das Bundesministerium für Gesundheit finanziell gefördert. Zu den herausgebenden Fachgesellschaften der Kinderschutzleitlinie gehört die Gesellschaft für Pädiatrische Radiologie (GPR).
Die Leitlinie wurde aufgrund ihrer Komplexität in Absprache mit der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) als fallbasierte Leitlinie durch das Kinderschutzleitlinienbüro erstellt [2]. Aus 476 von den Fachgesellschaften eingereichten Kinderschutzfällen wurden 20 Fallvignetten gebildet, aus denen die Fragestellungen extrahiert und 144 primäre PICO[1]-Fragen [3] generiert wurden. Diese Fragen wurden auf 33 PICO-Fragen verdichtet, zu denen eine Literaturrecherche in 5 Datenbanken (Pubmed, CINHAL, Embase, PsycInfo, Eric) und in der Cochrane-Library erfolgte. Die Literatur wurde nach SIGN [4] bzw. AGREE II [5] durch jeweils 2 Mitarbeiter des Leitlinienbüros bewertet. Unter Berücksichtigung der bereits existierenden 4 Leitlinien zur Bildgebung bei Verdacht auf Kindesmisshandlung wurden hieraus in einem mehrzeitigen Delphi-Verfahren die Handlungsempfehlungen entwickelt und konsentiert [6] [7] [8] [9].
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Ergebnisse
Die S3-Leitlinie Kinderschutz wurde durch die AWMF am 5.2.2019 mit der Registrierungsnummer 027–069 veröffentlicht [10]. Die Handlungsempfehlungen (HE) zur Bildgebung lassen sich einteilen in Empfehlungen zur Untersuchung des zentralen Nervensystems, des Skeletts und der inneren abdominellen und thorakalen Organe.
Untersuchung des zentralen Nervensystems bei Verdacht auf Kindesmisshandlung
Die entscheidende Modalität mit der höchsten Sensitivität und Spezifität zur Abklärung von Verletzungen des zentralen Nervensystems (ZNS) ist auch beim Verdacht auf Kindesmisshandlung die MRT. Nur bei akuter, vitaler Gefährdung des Kindes soll, entsprechend der Vorgehensweise beim unfallbedingten Trauma, zunächst eine CT des Kopfes durchgeführt werden (CCT). Die Sonografie des Hirns bei noch offener Fontanelle hat keine ausreichende Aussagekraft und SOLL daher nicht als einzige bildgebende Untersuchung des ZNS bei Verdacht auf Kindesmisshandlung durchgeführt werden (HE 76) [11].
Folgende Vorgehensweise wird durch die Leitlinie empfohlen ([Abb. 1]):
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Besteht bei Verdacht auf eine misshandlungsbedingte Schädelhirnverletzung keine vitale Gefährdung, so SOLL eine MRT des Hirns durchgeführt werden (HE 73). Finden sich hierbei Hinweise auf eine Misshandlung, so SOLL eine MRT der Wirbelsäule angeschlossen werden (HE 73).
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Ist das Kind vital bedroht, so SOLL eine zerebrale CT-Untersuchung erfolgen (HE 74). Finden sich hierbei Hinweise auf eine Verletzung, so SOLL eine MRT von Kopf und Myelon angeschlossen werden (HE 75).
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Die MRT-Untersuchungen SOLLEN hierbei eine Sequenz mit Diffusionswichtung enthalten.
Die Anwendung einer suszeptibilitätsgewichteten Sequenz ist ebenfalls sinnvoll, konnte aber in der Leitlinie aufgrund bislang nicht vorliegender Evidenz nicht als (starke) Empfehlung formuliert werden. Da bei pathologischen Befunden im MRT des Hirns sinnvollerweise direkt die MRT der Wirbelsäule angeschlossen wird, um einen zweiten Untersuchungstermin für das Kind mit erneutem Transport und evtl. erneuter Narkose oder Sedierung zu vermeiden, empfiehlt es sich, dass ein erfahrener (Kinder-) Radiologe bei der Anfertigung der MRT unmittelbar zugegen ist, und die entsprechende Spule für die Untersuchung der Wirbelsäule bereits bei der Untersuchung des Schädels mit angewählt bzw. aktiviert wird.
Als einen Misshandlungsverdacht begründende Konstellationen werden Kombinationen von mindestens 2 der folgenden Punkte genannt (HE 81):
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kein akzidentelles Trauma und zweifelhafte Anamnese,
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subdurale Blutung,
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zerebrale Diffusionsstörung,
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Schädelfraktur mit oder ohne intrakranielle Verletzung,
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Rippenfraktur/en,
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(metaphysäre) Fraktur/en der langen Röhrenknochen,
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zerebraler Krampfanfall und
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Apnoe.
Treffen 2 oder mehr der genannten Punkte zu, so SOLL die weitergehende Bildgebung erfolgen. Werden in der zerebralen bzw. spinalen Bildgebung pathologische Veränderungen (wie z. B. subdurale Hämatome oder Diffusionsstörungen) gefunden, die vereinbar mit einer stattgehabten körperlichen Misshandlung sind, so SOLL eine weitergehende Abklärung, insbesondere die Anfertigung eines Skelettscreenings, erfolgen (HE 79).
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Untersuchung des Skeletts bei Verdacht auf Kindesmisshandlung
Skelettscreening
Voraussetzung zur Durchführung einer radiologischen Diagnostik ist der begründete Verdacht oder der Beweis einer körperlichen Misshandlung des betroffenen Kindes oder der Beweis einer Misshandlung eines im gleichen Haushalt betreuten Kindes. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen soll durch ein interdisziplinäres Team, darunter zumindest 2 ÄrztInnen, festgestellt werden. Einen Anhalt geben u. a. die oben genannten Indikationen der HE 81.
Zur Beurteilung einer Skelettbeteiligung bei Verdacht auf körperliche Kindesmisshandlung bzw. bei bewiesener Misshandlung wird in der Leitlinie ein Skelettscreening definiert. Dieses unterscheidet sich von dem bei der AWMF als S1-Leitlinie der GPR bisher empfohlenen Screening in mehreren Punkten. Zum einen gehören die strahlenintensiven Becken- und Wirbelsäulenaufnahmen nicht mehr grundsätzlich zum Skelettscreening. Auf beide Aufnahmen wird verzichtet, wenn im Skelettscreening keine Frakturen gefunden werden. Lediglich im Falle einer oder mehrerer Frakturen SOLLEN sie als ergänzende Aufnahmen angefertigt werden (starke Empfehlung). Zum anderen SOLLEN Schrägaufnahmen des Thorax ergänzend zur ap-Aufnahme angefertigt werden, wenn im Skelettscreening keine Frakturen gefunden werden. Schrägaufnahmen des Thorax waren bisher fakultativ. Als dritter wesentlicher Unterschied SOLL das Skelettscreening bei negativem Befund und fortbestehendem Verdacht einer Kindesmisshandlung nach 11 bis 14 Tagen (bis auf die Schädelaufnahmen) wiederholt werden. Auch dies war bislang fakultativ. Die hier beschriebene Vorgehensweise beim Skelettscreening ist in [Abb. 2] skizziert.
Den Altersbereich der Kinder, bei denen bei Misshandlungsverdacht ein Skelettscreening erfolgen SOLL, legt die Leitlinie grundsätzlich auf 0 bis 24 Monate fest (HE 83), wie dies in der bisherigen deutschen S1-Leitlinie und in den aktuell gültigen Leilinien anderer Länder ebenfalls empfohlen wird. In der zur Leitlinienerstellung herangezogenen Literatur gibt es jedoch Evidenz dafür, dass auch bei Kindern über 24 Monate ein Skelettscreening sinnvoll sein kann [12]. So berichten Lindberg et al. in einer umfangreichen Studie an 2036 Kindern, bei denen wegen Misshandlungsverdacht ein Skelettscreening durchgeführt wurde, dass bei den 12 bis 24 Monate alten Kindern in 15,2 % der Fälle (57/374) und bei den 24 bis 36 Monate alten Kindern in 15,9 % der Fälle (33/207) durch das Skelettscreening okkulte Frakturen gefunden wurden [12].
Daher wird der Altersbereich für das Skelettscreening in der vorliegenden neuen S3-Leitline in bestimmten Fällen auf 36 Monate erweitert, z. B. im Falle nachgewiesener Frakturen, eines Schädel-Hirn-Traumas, thermischer Verletzungen oder misshandlungsbedingter Hämatome (HE 67, 85), wobei die Empfehlung hier auf eine „SOLLTE“-Empfehlung abgeschwächt ist.
Das primäre Skelettscreening umfasst folgende Röntgenaufnahmen (HE 82, [Tab. 1]):
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Schädel ap und seitlich,
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Thorax ap
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jeweils beide Oberarme, Unterarme, Oberschenkel, Unterschenkel, Hände, Füße ap.
Es handelt sich somit um 15 Aufnahmen. Bei kleinen Kindern erlaubt die Leitlinie Ober- und Unterschenkel bzw. Ober- und Unterarm jeweils auf 1 Aufnahme gemeinsam zu erfassen.
Auch können beide Hände und beide Füße nebeneinander jeweils auf 1 Aufnahme abgebildet werden.
Die GPR weist in der Leitlinie darauf hin, dass Frakturen und fragliche Befunde durch eine zusätzliche Aufnahme in einer zweiten Ebene zu erfassen sind.
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Frakturen
Häufig begründet sich der Verdacht auf eine körperliche Misshandlung durch den Nachweis einer Fraktur, für die kein adäquates Trauma bezeugt ist oder angegeben werden kann. Grundsätzlich SOLL beim Vorliegen mehrerer Frakturen, bei zweifelhafter Anamnese oder wenn kein bezeugtes, adäquates Trauma angegeben werden kann unabhängig vom Alter dem Verdacht auf eine körperliche Misshandlung, nachgegangen werden (HE 89). Es können aber auch Einzelfrakturen wie Schädel-, Rippen-, Wirbelsäulen- und Beckenfrakturen und bei den Extremitäten-Frakturen insbesondere metaphysäre Frakturen Anlass für eine weitere Abklärung (SOLL-Empfehlung) sein (HE 90–99). Da die herangezogene Literatur als Evidenz für die Empfehlungen der Leitlinie dient, müssen die ausgesprochenen Handlungsempfehlungen die Altersgruppen der in den jeweiligen Studien untersuchten Kinder berücksichtigen. Für andere Altersgruppen existiert keine durch Studien belegte Evidenz. Dies hat zur Folge, dass für verschiedene Frakturarten in der Leitlinie unterschiedliche Altersangaben für die Indikation zur weiteren Abklärung genannt werden. Liegt das Alter eines Kindes, bei dem einem Misshandlungsverdacht nachgegangen werden soll, außerhalb dieser Altersangaben, so ist individuell über die Vorgehensweise interdisziplinär, mindestens durch 2 ÄrztInnen zu entscheiden. Grundsätzlich SOLLTEN Alter und Entwicklungsstand des Kindes berücksichtigt werden (HE 88).
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Geschwister
Im Falle einer körperlichen Misshandlung eines Kindes SOLLTE bei im selben Haushalt lebenden unter 2-jährigen Geschwistern oder dort betreuten anderen Kindern mit einem Alter bis zu 2 Jahren ebenfalls ein Skelettscreening durchgeführt werden (HE 86). Bei im selben Haushalt lebenden Zwillings- oder Mehrlingsgeschwistern SOLL ein Skelettscreening erfolgen (HE 87). In der Literatur unterscheidet sich die Häufigkeit, mit der eine Misshandlungsfolge bei solchen Kindern angegeben wird: Nach Lindberg war eine Misshandlung von Geschwistern oder anderen im Haushalt eines misshandelten Kindes betreuten Kindern in 11,9 % der untersuchten Fälle nachweisbar (16/134), bei Zwillings-/Mehrlingsgeschwistern war die Häufigkeit demgegenüber auf 56 % erhöht (9/16). Daher der unterschiedliche Empfehlungsgrad dieser beiden Handlungsempfehlungen [13] [14] [15].
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Szintigrafie
Zwar liefert die Literatur Evidenz dafür, dass die Skelettszintigrafie zur Detektion von misshandlungsbedingten Frakturen komplementär zum Skelettscreening eingesetzt werden kann, jedoch wird sie in der Leitlinie aufgrund der mit ihr verbundenen Strahlenexposition und ihrer mangelnden Spezifität im Bereich der Wachstumsfugen nicht empfohlen (HE 72).
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Ganzkörper-MRT
Die Sensitivität der Ganzkörper-MRT im Nachweis misshandlungstypischer Frakturen an Rippen und Metaphysen ist gering [16] [17]; sie kann allerdings traumatische Knochenmarködeme sensitiv nachweisen. Eine Empfehlung für den Einsatz der Ganzkörper-MRT zur Fraktursuche wurde nicht ausgesprochen.
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Organverletzungen bei Verdacht auf Kindesmisshandlung
Finden sich Verletzungen innerer Organe bei Kindern bis zu einem Alter von 48 Monaten, ohne dass ein Trauma bezeugt ist, so SOLL dem Verdacht auf eine körperliche Misshandlung nachgegangen werden (HE 100) [13].
Über die zu verwendende Untersuchungsmodalität bei der Suche nach Organverletzungen im Rahmen einer Kindesmisshandlung liegt keine ausreichende Evidenz vor, sodass in der Leitlinie hierzu keine Empfehlung gegeben wurde. Die Wahl der Untersuchungsmodalität ist somit individuell zu entscheiden. Die primäre Modalität zur Untersuchung der abdominellen Organe bei Kindern im Rahmen einer Trauma-Abklärung ist in Europa und insbesondere in Deutschland die Sonografie. Für die Abklärung thorakaler, insbesondere pulmonaler Verletzungen wird jedoch auch in Deutschland zur Trauma-Abklärung in der Akutsituation primär die Computertomografie eingesetzt. Vergleichende Studien zu Sensitivität bzw. Stellenwert von Sonografie und Computertomografie in der Abklärung misshandlungsbedingter Verletzungen der inneren Organe bei Kindern liegen nicht vor. Auch der Stellenwert der Ganzkörper-MRT in diesem Zusammenhang ist nicht hinreichend evaluiert.
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Schlussfolgerung (wurde auf Anweisung des Thieme-Verlags vor die Diskussion gesetzt)
Die S3-Leitlinie zum Kinderschutz liefert dezidierte, evidenzbasierte Handlungsempfehlungen zur Vorgehensweise bei Verdacht auf körperliche Kindesmisshandlung. Sie ist auf den Internetseiten der AWMF als Kurz- und als Langfassung einzusehen. Neuerungen ergeben sich gegenüber der bisher gültigen S1-Leitlinie und auch gegenüber den Leitlinien anderer Staaten insbesondere beim Skelettscreening, das Röntgenaufnahmen des Beckens und der Wirbelsäule nur als Ergänzung vorsieht im Falle eines Frakturnachweises auf den übrigen Aufnahmen. Auch die starke Empfehlung zur Anfertigung von Thorax-Schrägaufnahmen und zur Wiederholung des Skelettscreenings nach 11–14 Tagen bei negativem Befund, jedoch interdisziplinär begründetem und im Verlauf fortbestehendem Verdacht auf eine körperliche Misshandlung, ist neu. Insgesamt wird durch den neuen Algorithmus des Skelettscreenings in den Fällen, in denen keine Fraktur vorliegt, ein erheblicher Anteil der bisher erforderlichen Strahlendosis eingespart. Die Leitlinie klärt die Bedeutung der MRT in dieser sensiblen Fragestellung und liefert Empfehlungen zum dezidierten Vorgehen bei ZNS-Verletzungen und zur eventuell erforderlichen Erweiterung der Bildgebung auf die Untersuchung der spinalen Achse. Die CCT bleibt der Akutsituation vorbehalten.
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Diskussion
Der Verzicht auf die Aufnahmen von Wirbelsäule und Becken wird durch die Literatur gestützt. Wirbelsäulen- und Beckenfrakturen bedürfen einer erheblichen Gewalteinwirkung. Sie sind daher fast nie als isolierte, d. h. einzige Fraktur eines Skelettscreenings zu finden und ebenso wenig als okkulte, also klinisch nicht zu vermutende Fraktur [18] [19] [20]. Andererseits machen diese beiden Aufnahmen nach Literaturangaben bis zu knapp 75 % der Strahlendosis eines Skelettscreenings aus [21]. Durch den Verzicht auf diese beiden Aufnahmen kann also einem Großteil der Kinder, bei denen ein Skelettscreening durchgeführt wird, ohne dass eine Fraktur gefunden wird, ein erheblicher Teil der Strahlendosis erspart bleiben. Diese Einsparung wird auch durch die zusätzliche Anfertigung von Thorax-Schrägaufnahmen nicht wieder rückgängig gemacht, da eine Thorax-Aufnahme eine erheblich niedrigere Dosis erfordert als eine Röntgenaufnahme des Beckens oder eine seitliche Wirbelsäulenaufnahme [21]. Die ergänzenden Schrägaufnahmen und die Wiederholung des Skelettscreenings bei negativem Ergebnis sind andererseits gerechtfertigt angesichts der Häufigkeit von Rippenfrakturen bei der Kindesmisshandlung und den Konsequenzen, die aus einer übersehenen Misshandlung für das betroffene Kind erwachsen können. Generelle Voraussetzung für die Durchführung der Bildgebung ist, dass durch ein interdisziplinäres Team, z. B. eine Kinderschutzgruppe, der begründete Verdacht auf eine körperliche Misshandlung gestellt wurde. Nach der Literaturanalyse der ROCPH (Royal College of Paediarics and Child Health) erhöhte sich die Sensitivität im Nachweis von Rippenfrakturen durch zusätzliche Schrägaufnahmen um bis zu 17 % [14]. Nach einer Metaanalyse von Maguire wurden durch eine Wiederholung des Screenings in 8,4 bis 37,6 % der Fälle neue Frakturen gefunden, und nach Harper (ebenfalls Metaanalyse) waren durch ein 2. Skelettscreening in 8 bis 28 % der Fälle neue Frakturen detektierbar. 7,1 % der Kinder mit im 2. Skelettscreening neu entdeckten Rippenfrakturen hatten beim ersten Screening einen unauffälligen Befund [13] [22] [23].
Angesichts der großen Bedeutung, die ein Skelettscreening für betroffene Kinder und deren Familien haben kann, empfiehlt die GPR als Mitherausgeberin der S3-Kinderschutzleitlinie grundsätzlich eine Doppelbefundung des Skelettscreenings durch 2 Kinderradiologen oder in der Diagnostik der Kindesmisshandlung erfahrene Radiologen. Die Bedeutung der kinderradiologischen Spezialisierung wird in der Literatur beschrieben [24]. Im Schwerpunkt arbeitende Kinderradiologen stehen für diese Aufgabe zur Verfügung und sind über die zuständigen Landesärztekammern bzw. über die Homepage der GPR zu erfragen.
Das Alter, für das die Leitlinie im Misshandlungsverdacht ein Skelettscreening vorsieht, ist, wie oben ausgeführt, auf 24 bzw. 36 Monate beschränkt. Da eine Leitlinie immer nur eine grundsätzliche Handlungsempfehlung abgeben kann, und im Einzelfall individuell zu entscheiden ist, inwieweit die Empfehlungen einer Leitlinie einzuhalten sind, gibt die oben zitierte Literatur [12] die Berechtigung, in der entsprechenden Konstellation im Einzelfall ein Skelettscreening auch jenseits von 3 Jahren durchzuführen. Diese Entscheidung sollte jedoch interdisziplinär getroffen werden.
Anmerkungen
Die Worte SOLL oder SOLLTE werden in dieser Arbeit in Großbuchstaben und fett geschrieben, wenn sie dem Empfehlungsgrad einer Handlungsempfehlung entsprechen oder diesen wiedergeben sollen.
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Bei Verdacht auf Kindesmisshandlung mit zerebraler Beteiligung ist eine MRT des Hirns obligat, ergänzt um eine MRT der Wirbelsäule im Falle pathologischer Befunde (starke Empfehlung).
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Röntgenaufnahmen der Wirbelsäule und des Beckens gehören nicht mehr zum primären Skelettscreening, sondern werden nur ergänzend im Falle von Frakturen angefertigt.
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Schrägaufnahmen des Thorax SOLLEN ergänzend durchgeführt werden, wenn der begründete Verdacht auf eine Misshandlung besteht, aber im Skelettscreening keine Fraktur nachweisbar ist.
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Das Skelettscreening SOLL (ohne Schädelaufnahmen) nach 11 bis 14 Tagen wiederholt werden, wenn keine Frakturen nachweisbar sind, aber weiterhin der begründete Verdacht auf eine Kindesmisshandlung besteht.
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Conflict of Interest
The authors declare that they have no conflict of interest.
1 PICO = Patient Intervention Comparison Outcome.
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References
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