Gesundheitswesen 2020; 82(03): 267-273
DOI: 10.1055/a-1010-6248
Originalarbeit
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die WHO-Strategie Aktiv Altern aus kommunaler Sicht – Eine qualitative Befragung im Landkreis Konstanz

The WHO Concept of Active Aging from the Local Perspective: A Qualitative Survey in the District of Constance
Anja Schulz
1   Forschungsmethoden, Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg im Breisgau
,
Mareike Lederle
2   Public Health and Health Education, Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg im Breisgau
,
Eva Maria Bitzer
2   Public Health and Health Education, Pädagogische Hochschule Freiburg, Freiburg im Breisgau
› Author Affiliations
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 October 2019 (online)

Zusammenfassung

Ziel der Studie Die Strategie Aktiv Altern der Weltgesundheitsorganisation (WHO) umfasst die Bereiche Gesundheit, Teilhabe am sozialen Leben sowie Sicherheit im Alter. Als politischer Aktionsrahmen unterstützt die Strategie die zukünftige Alterspolitik der Kommunen. Wie kommunale Akteurinnen und Akteure selbst die WHO-Strategie beurteilen, ist Gegenstand dieser Befragung.

Methodik Wir haben 5 Expertinnen und Experten aus dem Landkreis Konstanz mittels systematisierenden, leitfadengestützten Interviews befragt. Grundlage des Leitfadens bildete eine selbst konzipierte Indikatorenliste, die die 102 Handlungsempfehlungen strukturiert bündelt. Die Bekanntheit der WHO-Strategie und eine gegebenenfalls kurze Einführung in die 3 Bereiche bildeten den Intervieweinstieg, anschließend erfolgte der Abgleich kommunaler Aktivitäten mit der Indikatorenliste, die Erhebung des kommunalen Handlungsbedarfes sowie die Identifikation bislang unberücksichtigter Aspekte. Im Sinne einer Triangulation führten wir eine quantitative Befragung in weiteren Landkreisen durch. Die Auswertung erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Gläser und Laudel mit dem Extraktionsprogramm MIA.

Ergebnisse Keine der interviewten Personen kannte die WHO-Strategie Aktiv Altern. Nach einer kurzen Erläuterung zur WHO-Strategie und Indikatorenliste, stuften die Interviewpersonen die Strategie jedoch als praktikabel ein. Als gut umsetzbar schätzten sie v. a. Handlungsempfehlungen aus den Teilbereichen Teilhabe in der Gesellschaft (z. B. Schaffung von Seniorenbeiräten), sowie aus dem Bereich Sicherheit im öffentlichen Raum und Verkehr (z. B. Schutzmaßnahmen für ältere Fußgänger/innen) ein. In einzelnen Bereichen, wie der medizinischen Versorgung und der formellen Pflege, vermissten die Interviewpersonen Indikatoren, sodass wir die Neuaufnahme zusätzlicher Handlungsempfehlungen empfehlen.

Schlussfolgerung Die Bekanntheit der WHO-Strategie Aktiv Altern sollte in Richtung der Kommunen, der eigentlichen Zielgruppe, verbessert werden. Aktiv Altern ist, unter Berücksichtigung des hier festgestellten Weiterentwicklungsbedarfes, eine praktikable Orientierungshilfe und bietet mehrere Chancen für die Alterspolitik im kommunalen Feld.

Abstract

Background The WHO strategy for active aging comprises maintenance of health, participation in social life as well as integration and social security for the aged. As a political framework for action, the strategy supports the future aging policy of municipalities. This survey examines how local actors assess the WHO strategy of active aging.

Methods The study consists of 5 guided interviews of experts from the rural district of Constance. The interview was based on a previously coordinated list of indicators that summarize 102 recommendations for action. The awareness of the WHO strategy as well as a brief introduction to the 3 main areas provided the start of the interviews, followed by the comparison of municipal activities with the list of indicators, the identification of the need for action and of previous unrecognized aspects. In the sense of a data triangulation, we conducted a quantitative survey in further districts. The data of the interviews were analyzed by using the method of Gläser and Laudel, referred to as qualitative content analysis.

Results None of the interviewed experts knew the WHO strategy of active aging. However, after a short explanation of the WHO strategy and indicator list, they classified the strategy as practicable. All of them rated the recommendations for action from the sub-areas of participation in society (e.g. creation of advisory councils for seniors) and security in public space and transport (e.g. protection measures for older pedestrians) as feasible. In some areas, such as medical care and formal care, they missed indicators. Hence, we recommend adding new recommendations for action.

Discussion The awareness of local authorities regarding the WHO strategy of active aging should be improved. Taking into account the specified further development needs, active aging is a viable orientation aid and offers several opportunities for aging policy for municipalities.

 
  • Literatur

  • 1 MASFS. Gesundheitsstrategie Baden-Württemberg. Stuttgart: MASFS; 2009
  • 2 Mayer K, Baltes P. Vorwort zur Erstauflage. In Lindenberger U. Hrsg Die Berliner Altersstudie. 3. Aufl. Berlin: Akad.-Verl; 2010: 7-16
  • 3 BMFSFJ.. Sorge und Mitverantwortung in der Kommune. Erkenntnisse und Empfehlungen des Siebten Altenberichts. 1. Aufl . Berlin: BMFSFJ; 2016
  • 4 WHO. Aktiv Altern. Rahmenbedingungen und Vorschläge für politisches Handeln; 2002
  • 5 UNECE.. Aktives Altern. UNECE Kurzdossier zum Thema Altern 2012; 1-16
  • 6 Ausschuss der Regionen, Europäische Kommission, AGE Plattform Europe Maßnahmen zur Förderung des aktiven Alterns in Europa. EU-Unterstützung für lokale und regionale Akteure. Brüssel; 2011
  • 7 Europäische Kommission Der EU-Beitrag für aktives Altern und Solidarität zwischen den Generationen. Luxemburg: Amt für Veröff. der Europ. Union; 2012
  • 8 Mendes FR. Active ageing: A right or a duty?. Health Sociology Review 2013; 22: 174-185
  • 9 Taghvaei M, Moharamzadeh M, Khan Aghai A. et al. An Analysis of Healthy City Criteria Case Study. District 6 of Isfahan-Iran. EMSD 2015; 4: 120
  • 10 Flick U. Triangulation. Eine Einführung. 3. Aufl. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH Wiesbaden; 2011
  • 11 Dresing T, Pehl T. Praxisbuch Interview, Transkription & Analyse. Anleitungen und Regelsysteme für qualitativ Forschende. 6. Aufl. Marburg: Dresing; 2015
  • 12 Kowal S, O´Connell D. Zur Transkription von Gesprächen. In: Flick U. Hrsg Qualitative Forschung. Ein Handbuch. 10. Aufl. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt;. 2013: 437-447
  • 13 Gläser J, Laudel G. Experteninterviews und qualitative Inhaltsanalyse. Als Instrumente rekonstruierender Untersuchungen. 4. Aufl Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwiss; 2010
  • 14 BMFSFJ. Runter Tisch „Aktives Altern - Übergänge gestalten (2017)“. Online: https://www.bmfsfj.de/blob/117360/51d4f9b4b365930e77901fed25184b70/runder-tisch-aktives-altern-ergebnispapier-data.pdf letzter Zugriff: 25.07.2017
  • 15 Bundesministerium des Innern. Jedes Alter zählt „Für mehr Wohlstand und Lebensqualität aller Generationen“. Weiterentwicklung der Demografiestrategie der Bundesregierung. Berlin: BMI; 2015
  • 16 LGA BW Übersicht Kommunale Gesundheitskonferenzen in Baden-Württemberg.Online: http://www.gesundheitsdialog-bw.de/fileadmin/media/Download/Downloads_Publikationen/Buergerdialoge_-_alle/2017_KGK-UEbersicht.pdf letzter Zugriff: 26.01.2018
  • 17 Hollederer A, Eicher A, Pfister F. et al. Vernetzung, Koordination und Verantwortung durch Gesundheitsregionenplus. Neue gesundheitspolitische Ansätze und Entwicklungen in Bayern. Das Gesundheitswesen 2017; 79: 613-616
  • 18 Hollederer A. Gesundheitskonferenzen in Deutschland. Ein Überblick. Das Gesundheitswesen 2015; 77: 161-167
  • 19 Hollederer A. Regionale Gesundheitskonferenzen und Gesundheitsregionenplus in Deutschland. Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualitäten. Public Health Forum 2016; 24: 1
  • 20 Kuckartz U. Einführung in die computergestützte Analyse qualitativer Daten. 3. Aufl. Wiesbaden: VS, Verl. für Sozialwiss; 2010