Ernährung & Medizin 2019; 34(04): 157
DOI: 10.1055/a-0979-0161
Editorial

Liebe Leserinnen, liebe Leser, …

Edmund A. Purucker

Fakten, Schätzwerte, Annahmen

In Zeiten emotionalisierter Argumentation – häufig zudem mit maximal 280 Zeichen – fällt es nicht selten schwer, den Aufmerksamkeitsfokus auf die Frage zu lenken, welche wissenschaftlichen Fakten oder Einschätzungen den jeweiligen Behauptungen zugrunde liegen.

Gerade auf dem Gebiet der Ernährung finden sich immer wieder Empfehlungen und Heilsversprechen, die einer wissenschaftlichen Grundlage entbehren bzw. sich in Studien nicht belegen lassen. Auf der anderen Seite stellt die Beantwortung der Frage, was eine „gesunde Ernährung“ denn sei, nationale und internationale Ernährungsorganisationen vor erhebliche Herausforderungen. Noch relativ einfach sind die Antworten, wenn es um die Vermeidung nährstoffspezifischer Mangelerkrankungen wie Rachitis oder Skorbut geht; hier können Referenzwerte zur Vorsorge vor einer Unterversorgung definiert werden. Schwieriger wird es, wenn es um die Frage geht, ob bestimmte Nährstoffe oder Nährstoffrelationen einen präventiven Effekt vor z. B. chronischen Erkrankungen und einer erhöhten Morbidität bewirken bzw. eine längere krankheitsfreie Zeit im Alter und letztlich ein längeres Leben begünstigen können. In den Beiträgen zum Schwerpunktthema in diesem Heft finden sich hierfür die Grundlagen zum Verständnis von Referenzwerten zur empfohlenen Zufuhr sowie von Schätzwerten und Richtwerten. Es ist für das Verständnis der Evidenz ernährungstherapeutischer Empfehlungen hilfreich, sich die jeweiligen Definitionen und deren Grundlagen vor Augen zu führen: Nur so kann man einerseits eine klare, experimentell ermittelte und gesicherte Zufuhrempfehlung, wie z. B. für essenzielle Aminosäuren und Proteine, verstehen und andererseits die international unterschiedlichen Empfehlungen für die Kohlenhydratzufuhr nachvollziehen.

Auch die vieldiskutierte PURE-Studie (Dehghan M et al. Associations of fats and carbohydrate intake with cardiovascular disease and mortality in 18 countries from five continents (PURE): a prospective cohort study. The Lancet 2017; 390: 2050–2062) hat letztlich keine Anhaltspunkte erbracht, die zu einer Änderung der bisherigen Richtwerte hätten führen müssen. Sie hat aber bestätigt, wie schwierig es ist, auf diesem Gebiet der optimalen Nährstoffzusammensetzung valide Studien zu etablieren, da gesunde Personen über Jahrzehnte beobachtet und ihre Ernährung klar beschrieben werden müssen.

Ich denke, der Informationsschwerpunkt dieser Ausgabe wird es Ihnen ermöglichen, bei den nächsten Diskussionen zum Thema „gesunde Ernährung“ Fakten einbringen zu können.

Ihr
Edmund Purucker



Publication History

Article published online:
04 December 2019

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Stuttgart · New York