Zeitschrift für Palliativmedizin 2019; 20(05): 222-224
DOI: 10.1055/a-0976-7874
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Eine Phänomenologie der Sorge

Giovanni Maio
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Publication Date:
16 August 2019 (online)

Die gesamte Medizin wird heute begriffen als eine Verrichtungsdisziplin, deren Leistung in der Addition vorgefertigter Vollzüge aufzugehen hat. Der Vollzug, die dokumentierbare Aktion, die strategische Herangehensweise, das zweckrationale Anwenden einer Technik, das manipulative Herbeiführen einer Veränderung am Körper – damit meint man, die eigentliche Essenz der Medizin erfassen zu können. Nichts ist einzuwenden gegen eine zweckrationale Aktion. Das Tätigsein, die Manipulation, die Korrektur, die Reparatur – all das sind integrale Bestandteile der Medizin. Es kann nicht darum gehen, diese in ihrer Bedeutsamkeit herunterzuspielen. Und doch geht die Identität der Medizin in einem zweckrationalen Verrichten nicht auf, weil darin nicht zum Ausdruck gebracht werden kann, worauf es in der Medizin unabdingbar ankommt: die Sorge. Medizin wird erst dann zur Medizin, wenn sich in ihr eine Kultur der Sorge manifestiert. Wo die Sorge fehlt, verkommt die Medizin zu einer anonymen Durchschleusungsmaschinerie, zu einem kühlen Reparaturbetrieb. Daher ist es notwendig, vertieft darüber nachzudenken, was aus einer Verrichtung eine Sorgehandlung macht. Wovon hängt es ab, ob wir von einer Medizin der Sorge sprechen können?