Wissenschaftler haben herausgefunden, dass wir tagtäglich rund 20.000 Entscheidungen
treffen. Bei dieser enormen Anzahl sind natürlich auch kleine „Mini“-Entscheidungen
inbegriffen. Stehen wir beim ersten Klingeln des Weckers auf oder drücken wir auf
die Snooze-Taste? Tee oder Kaffee? Marmelade, Wurst oder vegan, Low Carb? Wir haben
schon Unmengen an Dingen ausgewählt und entschieden, bevor wir überhaupt an unserem
Arbeitsplatz angekommen sind – aber dann geht es erst richtig los mit dem Abwägen
und sich Festlegen.
Da wir alle, die wir dies hier lesen können, es irgendwie geschafft haben, durch Schule,
Ausbildung oder Studium zu kommen, scheinen wir mit der kleinen alltäglichen Auswahl
der Varianten zurechtzukommen. Wir waschen uns, ziehen uns an, ernähren uns. Vieles
ist längst Gewohnheit geworden oder wir haben es einfach nie hinterfragt. Es gibt
unendlich viele Regeln und Normen, die uns das Nachdenken, Überlegen und nachstehende
Entscheiden abnehmen. Das dient der Vereinfachung des Lebens, aber auch der Sicherheit.
Es ist durchaus sinnvoll, dass wir nicht jeden Tag neu entscheiden können, ob für
uns heute der Links- oder der Rechtsverkehr gilt.
Was uns hindert, zügige Entscheidungen zu treffen, ist entweder mangelnde Information
oder Angst
Wir Praxisinhaber haben zusätzlich zu Ernährungsform, Lebensstil und Familienstand
auch noch die Entscheidung getroffen, uns selbstständig zu machen, also die eigene
Chefin, der eigene Chef zu sein. Dies beinhaltet unglaublich viele kleinere und größere
Wahlmöglichkeiten. Privat oder Kasse? Mitarbeiter oder im Solotanz? Fokussierung auf
eine Fachrichtung oder die ganze Bandbreite? Dahinter stecken viele Überlegungen,
Pro-Kontra-Listen und Grübeleien. Aber schließlich haben wir es hinbekommen – der
eine einfacher, der andere mit mehr Geburtswehen. Das Treffen von Entscheidungen ist
allerdings geblieben. Tagtäglich. Wenn Sie auch noch Mitarbeiter beschäftigen, ist
die Zahl noch größer.
Mit dieser Vorgeschichte und Übung sollte es uns doch nun wirklich leichtfallen, uns
bei einer neu auftretenden Situation auf eine von vielen Möglichkeiten festzulegen.
Natürlich, es gibt die Souveränen, die auch im größten Trubel ein zielsicheres Votum
abgeben, sich daran halten, „es“ durchziehen und dabei auch noch entspannt aussehen
können. Die Mehrheit ist aber anders. In meinen Coachings rangiert das Thema „Entscheidungen“
stets auf Platz eins – und dies sowohl im privaten wie im beruflichen Bereich. Welche
Mitarbeiter stelle ich ein? Wo werbe ich überhaupt? Wie viele Urlaubstage gewähre
ich? Was mache ich mit dem wirklich respektlosen Patienten, was mit der unpünktlichen
Mitarbeiterin? Und warum ist es eigentlich so schwierig, solche Entscheidungen zu
treffen? Warum fallen uns manche so leicht und andere nicht?
Angstfrei Entscheidungen treffen
1. Atmen!
Das hört sich so lax an, ist es aber gar nicht. In Stresssituationen (und unangenehme
Aufgaben im Nacken sind Stress!) neigen wir dazu, nur noch sehr flach und kurz zu
atmen. Das führt zu Verspannungen, Unterversorgungen, Schmerzen – aber das muss ich
Therapeuten ja nicht erklären. Entschließt sich ein Mensch zu einer Herausforderung,
sei es Stabhochsprung bei den Olympischen Spielen oder ein Kündigungsgespräch, kommt
es völlig natürlich zu dem großen tiefen Atemzug, dem Kraftschöpfen.
2. Jetzt!
Stehen Sie jetzt auf und machen Sie jetzt den ersten Schritt! Legen Sie die Zeitschrift
beiseite, gehen Sie rüber in den Pausenraum und vereinbaren Sie jetzt einen Termin
zu einem Mitarbeitergespräch. Rufen Sie jetzt bei der Bank, dem Vermieter oder dem
Berufsverband an. Machen Sie den ersten Schritt, ruhig einen kleinen, aber den wichtigsten!
3. Formulieren Sie Ihr Kopfkino!
Das diffuse Sorgenvolle im Hirn ist maximal zeit- und kraftraubend! Lassen Sie doch
mal Ihre Angst sprechen. Nehmen wir das Beispiel des herausgeschobenen Konfliktgesprächs.
Was soll den wirklich schlimmstenfalls passieren? Dass Sie nicht mehr als nett und
locker wahrgenommen werden? Dass Sie ohne diese Therapeutin dastehen? Dass sie sich
krankmeldet? Ja, das kann geschehen. Und gibt es dafür keine Lösungen oder Veränderungen,
auf die Sie dann reagieren können? Ganz sicher ist, dass Ihr Herz nicht stehen bleiben
wird, wenn Sie nicht mehr „everybody’s darling“ sind.
4. Formulieren Sie Ihr Kopfkino!
Das kennen Sie bestimmt inzwischen aus dem Effeff: Schreiben Sie auf, welche Dinge
in der Warteschleife Ihres Hirnflughafens kreisen und skalieren Sie diese nach Dringlichkeit.
5. Schreiben Sie Ihre Not-to-do-Liste!
Listen Sie auf, welche Dinge, Handlungen und Einstellungen sie beim Abarbeiten Ihrer
To-do-Liste NICHT tun werden, zum Beispiel:
-
Zeitfressern wie Handy und Internet nachgeben
-
Alles wieder umwerfen
-
Meinen Ängsten Raum geben
-
Ablenkungsjobs annehmen
-
Mit einer bestimmten Freundin sprechen, die immer alles hinterfragt und mich so verunsichert
6. Belohnungen vertagen!
Ich bin ja ohnehin kein großer Verfechter von Smiley-Listen, aber in diesem Fall rate
ich Ihnen dringend, eine Belohnung nach getaner Arbeit zu vertagen. Wenn nun also
diese Aufgabe endlich, endlich, endlich erledigt ist, halten Sie bitte einen langen
Moment lang inne. Fühlen und horchen Sie mal in sich hinein, wie es sich anfühlt:
geschafft! Was spüren Sie in Ihrem Körper? Wie ist es im Kopf? Wie genau fühlen sich
bei Ihnen Erleichterung und Stolz an? Nehmen Sie es bitte ganz bewusst wahr, denn
das ist die größte Belohnung. Erst wenn Sie dies komplett verinnerlicht haben, gönnen
Sie sich, was auch immer Sie sich als Belohnung zuvor ausgedacht haben.
Erfahrung gibt Sicherheit
Erfahrung gibt Sicherheit
Besonders leicht fallen uns Entscheidungen, wenn wir Erfahrungswissen haben, Experte
sind. Wenn wir also zuvor – entweder an uns selbst oder aus verlässlicher Quelle –
gefühlt, gesehen oder gehört haben, welche Konsequenz auf unsere Wahl folgt. Dieses
Erfahrungswissen schafft Sicherheit, und wir nehmen die einzelnen Handlungsschritte
nicht mehr als eine Summe von Entscheidungen wahr, zum Beispiel, wenn wir eine Verordnung
zur Abrechnung vorbereiten. Das sah am Anfang ganz anders aus! Inzwischen lässt es
unseren Blutdruck nicht mehr steigen, wenn wir unseren Autogrammschnörkel in das vorgesehene
Kästchen setzen. Ich erinnere mich gut an meine erste „eigene“ Verordnung. Hab ich
alles richtig ausgefüllt? Nichts vergessen? Noch mal kontrollieren … vielleicht noch
mal? Inzwischen machen wir dies intuitiv, erfahren und routiniert.
Schwieriger ist es bei Entscheidungen, deren Konsequenzen wir nicht genau kennen.
Ist es besser, Bewerber A oder B einzustellen? Wird die neue Mitarbeiterin ins Team
passen? Soll ich mit den Praxisräumen umziehen? Wäre es besser, die Hausbesuche einzuschränken
oder auszubauen?
Was uns hindert, zügige Entscheidungen zu treffen, ist entweder mangelnde Information
oder Angst. Gegen mangelnde Information kann man schnell etwas tun: Fragen Sie sich,
wenn Sie eine Entscheidung immer wieder aufschieben, ob Ihnen eine konkrete Information
fehlt, um sich festlegen zu können. Sie könnten beispielsweise die potenziell neue
Mitarbeiterin zu einer Teamsitzung einladen, damit Ihre bisherigen Mitarbeiter sie
kennenlernen können und Ihnen hinterher ein Feedback geben. Auch das ist natürlich
keine Garantie, aber eine zusätzliche Information, die vielleicht ihre eigene Tendenz
bestärkt.
Sie müssen nicht alles selbst wissen
Sie müssen nicht alles selbst wissen
Sie brauchen nicht immer selbst das Erfahrungs- oder Expertenwissen zu haben, um eine
gute Entscheidung zu treffen. Finden Sie Menschen, Websites, Bücher und Dateien, die
zu den wichtigen Themen des (Berufs-)Lebens eine Koryphäe darstellen, und stellen
Sie diese zu Ihrem persönlichen „Rat der Weisen“ zusammen. In meinem persönlichen
„Rat der Weisen“ gibt es neben ein paar ausgewählten Büchern und Dateien einen Schreiner,
einen Neurologen, eine Mitarbeiterin des Berufsverbands, einen Architekten, einen
Autor und Coach, eine Physiotherapeutin, eine OP-Schwester und eine wundervolle alte
Dame, deren großartige Kompetenz für mich allein darin besteht, mich wann immer ich
mich völlig busy im Gedankenkarussell verloren habe in ihren Garten zu holen, Tee
zu kochen und zwischen den Pflanzen werkeln zu lassen. Ohne zu reden. Wunderbar!
Manche dieser Menschen wissen gar nichts von ihrer Ehrenmitgliedschaft in meinem „Rat
der Weisen“. Das ist auch nicht unbedingt erforderlich. Wichtig ist – und ich empfehle
Ihnen wirklich, diese Liste schriftlich anzulegen –, dass SIE wissen, auf wen und
was Sie als Ressource zurückgreifen können. Erstellen Sie diese Liste, BEVOR Sie sie
brauchen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass ein von Schreck und Sorgen gebeuteltes Hirn
nicht wirklich gut in der Lage ist, konstruktive Lösungen zu finden.
Angst führt zu Aufschieberitis
Angst führt zu Aufschieberitis
Eine diffuse Angst ist jedoch sicherlich der gewichtigste Grund dafür, Entscheidungen
zu vermeiden. Das unbestimmte Gefühl, sich nicht sicher zu sein, nicht zu wissen,
was die einzig wahre und richtige Entscheidung ist, einen Fehler zu machen. So werden
dann Entscheidungen und Handlungen immer weiter aufgeschoben und wabern als unangenehmer
Nebel in unserem Nacken hinter uns her. Es entsteht das, wogegen sich sicherlich die
halbe Menschheit liebend gern impfen lassen würde: Prokrastination oder Aufschieberitis!
Statt das Konfliktgespräch mit dem Mitarbeiter überlegt und strukturiert anzugehen,
sich auf eine Auseinandersetzung einzulassen, verharren wir oftmals lieber in der
Situation, halten aus und sind mit anderen Dingen, die uns urplötzlich einfallen,
entsetzlich beschäftigt. Wollten Sie nicht dringend einmal den Bestand an Büroklammern
erfassen? Das Sommerfest im nächsten Jahr planen? Im Internet nach einer neuen Fortbildung
suchen? So schlimm ist das Verhalten von XY ja nicht … Erst muss ich noch … – aber
dann! Aus dem Dann wird allzu oft ein Nie, und Unangenehmes türmt sich auf.
Stellen Sie sich einen persönlichen „Rat der Weisen“ zusammen
Sich nicht zu entscheiden ist allerdings auch eine Entscheidung. Sie entscheiden sich
dann, mal mehr, mal weniger bewusst, zum Beibehalten genau des Zustands, den Sie jetzt
haben. Sie sagen ja zu dem respektlosen Patienten, der unpünktlichen Mitarbeiterin
oder einem anderen Umstand, den Sie aushalten. Dabei wäre es gerade Ihre Aufgabe als
Arbeitgeber, genau diese Dinge anzugehen. Es liegt in Ihrer Verantwortung. In dem
Moment, als Sie den ersten Arbeitsvertrag eines Mitarbeiters unterschrieben haben,
haben Sie die Verantwortung übernommen, sich auch um die Konflikte zu kümmern. Nicht
nur Ihr Mitarbeiter hat einen Job angenommen – Sie auch! Wenn Sie also diese Aufgabe
nicht annehmen, sind Sie – verzeihen Sie mir – eventuell genauso unzuverlässig wie
der kritisierte Mitarbeiter.
Seien Sie mutig!
Überwinden Sie die Aufschieberitis und die dahinterstehenden Ängste und Sorgen. So
gewinnen Sie nicht nur Erfahrungswissen, sondern auch eine gehörige Portion Selbstvertrauen
und Führungskompetenz. Ja, Sie benötigen dazu vielleicht Mut. Aber beachten Sie bitte,
dass es Mut ohne Angst gar nicht geben kann! Wenn jemand alles macht, was ihm leichtfällt,
wirkt das vielleicht souverän, aber mutig ist es nicht. Mut ist Handeln TROTZ Angst
und Sorgen!
Wie kann ich nun diese Ängste, eine falsche Entscheidung zu treffen, mich festzulegen
oder zu positionieren, überwinden? Es hat mal ein paar psychologische Forscher gegeben,
die eine Formel entwickelt haben, um mögliche negative Konsequenzen einer persönlichen
Entscheidung zu berechnen. Das Ergebnis ist ein Punktwert, der anzeigen soll, wie
dringlich eine Entscheidung zu treffen ist. Ich erspare Ihnen den Vorgang der Berechnung.
Stattdessen sollten Sie aktiv werden. In der Arbeit an und mit mir und meinen Klienten
hat sich eine Herangehensweise bewährt, die sechs Punkte berücksichtigt (INFO).
Schöne Nebenwirkungen
Die Kraft und Erfahrung, etwas Unangenehmes erledigt zu haben, zu einer Entscheidung
zu stehen, sich zu positionieren, macht Sie zu einer Führungspersönlichkeit, auf die
man sich gern verlässt und der man vertrauen kann. So werden Sie selbst zu einem Experten
und sitzen, ohne es vielleicht selbst zu wissen, in irgendeinem anderen „Rat der Weisen“.