Phlebologie 2019; 48(05): 325-328
DOI: 10.1055/a-0947-3355
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Phlebologische Funktionsdiagnostik: Praktische Anwendung

Teil 3: VenenverschlussplethysmographieVenous Functional Diagnostics: Hands-On ApproachPart 3: Venous Occlusion Plethysmography
S. Kahl
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG, Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie
,
G. Bruning
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG, Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie
,
J. Woitalla-Bruning
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG, Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Dr. med. Sebastian Kahl
Facharzt im Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG
Kösterbergstraße 32
22587 Hamburg
Phone: 040/86692–200   

Publication History

29 May 2019

31 May 2019

Publication Date:
17 July 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Trotz der Dominanz der farbkodierten Duplexsonographie in der Diagnostik der Phlebologie gibt es weiterhin Fragestellungen, bei denen klassische Verfahren der phlebologischen Funktionsdiagnostik eine wichtige Rolle bei der Therapieentscheidung spielen.

Während die farbkodierte Duplexsonographie detallierten Aufschluss über die Kaliber und die Refluxsituation des Venensysthems liefern kann, ist sie jedoch nicht in der Lage, eine abschließende Aussage zur Hämodynamik zu treffen. Hierzu dient die venöse Funktionsdiagnostik und als Referenzverfahren insbesondere die invasive Phlebodynamometrie (PDM).

Das Ziel dieses dreiteiligen Artikels besteht darin, die praktische Anwendung der klassischen Verfahren zur phlebologischen Funktionsdiagnostik im klinischen Rahmen zu demonstrieren und die Aussagekraft der entsprechend erhobenen Daten zu erläutern. In diesem dritten Teil wird entsprechend die Venenverschlussplethysmographie (VVP) beschrieben. Sie spielt aufgrund der Möglichkeit der Bestimmung von venöser Kapazität, venösem Ausstrom und arteriellem Einstrom eine Rolle in der Diagnostik der Varikosis, der tiefen Beinvenenthrombose und der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Direkte Aussagen zur Hämodynamik können mit Hilfe dieser Methode jedoch nicht getroffen werden.

In vorherigen Ausgaben der „Phlebologie“ wurden bereits die digitale Photoplethysmographie (D-PPG) und die PDM vorgestellt.

Die praktische Anwendung der D-PPG, der PDM und der VVP ist prinzipiell nicht schwer. Für die Durchführung wird jedoch geschultes Personal benötigt, um Anwendungs- und Messfehler zu vermeiden.


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Abstract

Duplex ultrasound (DUS) is currently the most important method concerning the assessment of venous disease. In many cases it has replaced conventional methods that where designed for venous functional diagnostics. But still, there are some medical questions that can only be answered by data collected in connection with classic tests of venous functional diagnostics. For example, DUS can give you detailed information about venous diameter and venous reflux. But it cannot give you adequate information about venous pressure. So when it comes to questions concerning venous pressure, you depend on venous functional diagnostics. Within this context, direct venous pressure measurement (DVPM) is the most important method. The aim of this three-part article is to demonstrate the practical use of all classic methods of venous functional diagnostics in a clinical setting and to point out what conclusions can be made based on collected data. In this third part, we present venous occlusion plethysmography (VOP). By the use of VOP you can quantify venous capacity, venous drainage and arterial inflow.

So this method plays a role in the diagnostic algorithm of varicose veins, deep vein thrombosis and peripheral obstructive arterial disease.

Previous issues focused on digital photoplethysmography (D-PPG) and DVPM.

D-PPG, DVPM and VOP can be performed easily by trained medical staff and despite the dominance of DUS, these classic methods still play a role in the assessment of venous disease.


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Einleitung

Mit Einführung der farbkodierten Duplexsonographie in die phlebologische Diagnostik sind die klassischen Verfahren der venösen Funktionsdiagnostik im Alltag etwas in den Hintergrund getreten [1], [2]. Bezüglich ihrer Anwendung mag somit der eine oder andere jüngere Kollege auf dem Gebiet der Phlebologie nur wenig praktische Erfahrung aufweisen.

Wir möchten mit diesem dreiteiligen Artikel daher die Anwendung der entsprechenden phlebologischen Untersuchungsmethoden mit Hilfe von anschaulichen Bildern aus dem klinischen Alltag beschreiben. In diesem dritten Teil wird die Venenverschlussplethysmographie (VVP) vorgestellt. Mit Hilfe der VVP können die venöse Kapazität, der venöse Ausstrom und der arterielle Einstrom gemessen werden. Die beiden zuerst genannten Parameter spielen eine Rolle in der Diagnostik der Varikosis und der tiefen Beinvenenthrombose. Der arterielle Einstrom wird im Rahmen der Diagnostik der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) bestimmt.

In vorherigen Ausgaben dieses Journals haben wir uns bereits der digitalen Photoplethysmographie (D-PPG) und der Phlebodynamometrie (PDM) gewidmet.

Für die genannten Verfahren gibt es mobile Komplettsysteme inkl. verschiedener Mess-Sonden und Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und Manschetten-Halterung ([ Abb. 1 ]).

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Abb. 1 Mobiles Komplett-System inkl. verschiedener Mess-Sonden und Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und Manschetten-Halterung

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Venenverschlussplethysmographie (VVP)

Untersuchungsablauf

Die VVP wird am liegenden Patienten durchgeführt. Dabei sollten die Kniegelenke des Patienten leicht gebeugt sein. Die Fersen werden daher durch eine Stütze fixiert ([ Abb. 2 ]). Der Oberkörper des Patienten wird flach gelagert. An jeden Unterschenkel wird medial ein Sensor angegklebt ([ Abb. 3 ]). Dann befestigt man an den Sensoren sog. Quecksilberdehnungsstreifen ([ Abb. 3 ]), welche einmal um den Unterschenkel im Bereich der größten Wadenzirkumferenz herumgeführt werden. Die Dehnungsstreifen müssen dabei an der Haut anliegen. Anschließend werden Blutdruckmanschetten an die Oberschenkel angelegt ([ Abb. 2 ]) [2], [3].

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Abb. 2 Lagerung des Patienten und Anbringen von Blutdruckmanschetten an den Oberschenkeln im Rahmen der VVP
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Abb. 3 Anbringen von Sensoren und Quecksilberdehnungsstreifen an den Unterschenkeln im Rahmen der VVP

Nun wird durch die Manschetten ein konstanter Druck oberhalb des venösen Verschlußdruckes (etwa 80 mmHg) aufgebaut und für eine Zeitdauer von 180 Sekunden gehalten. Dadurch wird der venöse Abstrom aus den Beinen unterbrochen und somit eine Stauung angelegt, was zu einer Umfangsvermehrung der Beine distal der Manschetten führt [2], [3].

Nach 180 Sekunden werden die Blutdruckmanschetten schlagartig entleert, sodass das venöse Blut wieder aus den Beinen abfließen kann [2], [3].


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Funktionsprinzip

Bei der VVP werden indirekt Volumenänderungen im venösen Gefäßsystem der Beine gemessen. Zu diesem Zweck werden die o. g. Quecksilberdehnungsstreifen an den Unterschenkeln befestigt. Volumenänderungen in den Beinvenen führen dann über eine Volumenänderung der Unterschenkel zu einer zunehmenden Dehnung der Quecksilberstreifen. Die Dehnung der Quecksilberstreifen kann wiederum über die Änderung ihres elektrischen Wiederstandes vom Messsystem registriert werden [2], [3].


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Indikationen

Die PDM wid vor allem im Rahmen der Diagnostik der Varikosis und bei V. a. proximale tiefe Beinvenenthrombose eingesetzt. Weiterhin kann sie Hinweise auf eine möglicherweise vorhandene pAVK liefern (s. u.) [2], [3].


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Messparameter und Interpretation

Die [ Abb. 4 ] zeigt die primären Parameter, welche bei der VVP dargestellt werden. Diese beziehen sich hier auf das rechte Bein eines untersuchten Patienten.

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Abb. 4 Untersuchungsbefund der VVP

Auf der x-Achse ist der zeitliche Verlauf dargestellt, auf der y-Achse die Volumenveränderung des Unterschenkels (im prozentualen Verhältnis zum Ausgangswert).

Anhand der dargestellten Parameter kann abgelesen werden, wie viel Volumen das venöse Gefäßsystem der unteren Extremität nach Verschluss des venösen Abstroms aus dem Bein innerhalb von 180 Sekunden aufnehmen kann. Die entsprechende Kapazität wird als venöse Kapazität bezeichnet und in ml% (= ml pro 100 ml Gewebe) angegeben (Normalwert: 2,5–5 ml/100 ml Gewebe). Die venöse Kapazität stellt eine entscheidende Variable dar, die bei der VVP berechnet wird. Eine weitere ist der sog. venöse Ausstrom, angegeben in ml%/min (Verschiedene Angaben für Normalwerte in der Literatur: 35–100 ml % pro Minute [1] oder 40–80 ml % pro Minute [6]). Der venöse Ausstrom ist ein Maß dafür, wie viel venöses Blut innerhalb einer bestimmten Zeit passiv aus dem untersuchten Bein heraustransportiert wird [2], [3].

Eine erhöhte venöse Kapazität mit erhöhtem venösen Ausstrom im Rahmen der VVP lässt sich zum Beispiel bei einer Varikosis finden. Im Gegensatz dazu findet sich ein reduzierter venöser Ausstrom kombiniert mit einer reduzierten venösen Kapazität bei einem proximalen Strömungshindernis (z. B. bei einer proximalen tiefen Beinvenenthrombose) [2], [3].

Aus den erhobenen Daten kann außerdem der sog. arterielle Einstrom (auch arterielle Ruhedurchblutung genannt) bestimmt werden. Graphisch entspricht der Wert der Steigung der Tangente, welche sich bei Messbeginn in [ Abb. 4 ] an den Graphen legt. Die arterielle Ruhedurchblutung wird für einen Zeitraum von 5 Sekunden am Anfang der Stauung bestimmt und repräsentiert ein Maß für das pro Zeiteinheit einströmende Volumen in den Unterschenkel am Anfang der Messung (Maß für die Steigung des Graphen bzw. für die Geschwindigkeit der Volumenzunahme des Unterschenkels zu Beginn des Stauvorgangs). Bei einer pAVK würde sich entsprechend ein verminderter arterieller Einstrom zeigen (Graph mit geringer Steigung) [2], [3].


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Potentielle Fehlerquellen

Vor allem Ödeme oder ausgeprägte Gewebeverhärtungen im Bereich der angelegten Quecksilberdehnungsstreifen können zu falschen Messwerten führen [2].

Es ist zu beachten, dass das Verfahren standardisiert ist für eine Zimmertemperatur von ca. 20° Celsius, so dass eine Hauttemperatur des Patienten von 20–24° C vorliegt.

FAZIT

Die praktische Anwendung der VVP ist prinzipiell nicht schwer. Für die Durchführung wird jedoch geschultes Personal benötigt, um Anwendungs- und Messfehler zu vermeiden.

Trotz der Dominanz der farbkodierten Duplexsonographie in der Diagnostik der Phlebologie gibt es weiterhin einige Fragestellungen, bei denen klassische Verfahren der phlebologischen Funktionsdiagnostik eine wichtige Rolle bei der Therapieentscheidung spielen [1], [2], [3], [4], [5].

Denn während die farbkodierten Duplexsonographie detallierten Aufschluss über die Gefäßkaliber und die Refluxsituation des Venensystems leifert, ist sie jedoch nicht in der Lage, eine exakte Aussage zur venösen Kapazität, zum venösen Ausstrom und zum arteriellem Einstrom zu treffen. Hierzu dient die VVP, welche einen Pfeiler der venösen Funktionsdiagnostik bildet [1], [2], [3].


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Interessenkonflikte

S. Kahl: Der Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

G. Bruning: Reisekostenübernahme im Rahmen von Kongressbesuch durch die Firma Bauerfeind AG.

J. Woitalla-Bruning: Reisekostenübernahme im Rahmen von Kongressbesuch durch die Firma Bauerfeind AG. Vortragshonorar von der SIGVARIS GmbH

  • Literatur

  • 1 Mühlberger D, Reich-Schupke S, Mumme A. et al. Funktionsdiagnostik in der Phlebologie. vasomed 2018; 30: 283-287
  • 2 Rabe E, Gerlach HE. Praktische Phlebologie, Empfehlung zur differenzierten Diagnostik und Therapie phlebologischer Krankheitsbilder. 2. vollständig überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag; Stuttgart, New York: 2006
  • 3 Gerlach HE, Rabe E, Stücker M. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/014 Entwicklungsstufe. 1 Zuletzt aktualisiert: Mai 2012 Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Venenverschlussplethysmographie mittels Dehnungsmessstreifen.
  • 4 Pannier F, Gerlach H. Stücker. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/008 Entwicklungsstufe: 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012 Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Licht-Reflexions-Rheographie/Photoplethysmographie.
  • 5 Rabe E, Hartmann K, Gerlach H. et al.. AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 037/013 Entwicklungsstufe: 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012 Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Phlebodynamometrie.

Korrespondenzadresse

Dr. med. Sebastian Kahl
Facharzt im Zentrum für Venen- und Dermatochirurgie
Krankenhaus Tabea GmbH & Co. KG
Kösterbergstraße 32
22587 Hamburg
Phone: 040/86692–200   

  • Literatur

  • 1 Mühlberger D, Reich-Schupke S, Mumme A. et al. Funktionsdiagnostik in der Phlebologie. vasomed 2018; 30: 283-287
  • 2 Rabe E, Gerlach HE. Praktische Phlebologie, Empfehlung zur differenzierten Diagnostik und Therapie phlebologischer Krankheitsbilder. 2. vollständig überarbeitete Auflage. Georg Thieme Verlag; Stuttgart, New York: 2006
  • 3 Gerlach HE, Rabe E, Stücker M. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/014 Entwicklungsstufe. 1 Zuletzt aktualisiert: Mai 2012 Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Venenverschlussplethysmographie mittels Dehnungsmessstreifen.
  • 4 Pannier F, Gerlach H. Stücker. et al. AWMF-Leitlinien-Register -Nr. 037/008 Entwicklungsstufe: 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012 Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Licht-Reflexions-Rheographie/Photoplethysmographie.
  • 5 Rabe E, Hartmann K, Gerlach H. et al.. AWMF-Leitlinien-Register-Nr. 037/013 Entwicklungsstufe: 1. Zuletzt aktualisiert: Mai 2012 Leitlinie: Venöse Diagnostik mit der Phlebodynamometrie.

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Abb. 1 Mobiles Komplett-System inkl. verschiedener Mess-Sonden und Sensoren, zentraler Rechen-Einheit, Display, Drucker und Manschetten-Halterung
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Abb. 2 Lagerung des Patienten und Anbringen von Blutdruckmanschetten an den Oberschenkeln im Rahmen der VVP
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Abb. 3 Anbringen von Sensoren und Quecksilberdehnungsstreifen an den Unterschenkeln im Rahmen der VVP
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Abb. 4 Untersuchungsbefund der VVP