Aktuelle Dermatologie 2019; 45(08/09): 373-376
DOI: 10.1055/a-0947-2715
Fehler und Irrtümer in der Dermatologie
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Akrolentiginöses Melanom unter der (Fehl-)Diagnose einer Onychomykose

Acrolentiginous Malignant Melanoma Misdiagnosed as Onychomycosis
P. Elsner
1   Klinik für Hautkrankheiten, Universitätsklinikum Jena
,
J. Meyer
2   Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern, Hannover
› Author Affiliations
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. P. Elsner
Klinik für Hautkrankheiten
Universitätsklinikum Jena
Erfurter Str. 35
07743 Jena

Publication History

Publication Date:
29 July 2019 (online)

 

Zusammenfassung

Ein Patient wurde unter der Diagnose einer Paronychie und Onychomykose des Mittelfingers rechts ohne mykologischen Pilznachweis langfristig topisch und systemisch antimykotisch behandelt. Bei Therapieresistenz erfolgte nach Vorstellung bei einem anderen Hautarzt eine Hautbiopsie, die ein akrolentiginöses malignes Melanom ergab, das unter Teilamputation des Fingers operativ versorgt werden musste. Nach Facharztstandard war die Verzögerung der letztlich zielführenden Diagnostik als Behandlungsfehler zu bewerten.

Unklare entzündliche Veränderungen oder Tumoren an den Akren sollten immer zur Differenzialdiagnose eines akrolentiginösen malignen Melanoms veranlassen, auch wenn prima vista viel häufigere Erkrankungen wie eine Onychomykose oder Verrucae vulgares wahrscheinlicher sind. Spätestens bei Nichtansprechen einer eingeleiteten Therapie sollte die Diagnose kritisch überprüft und ggf. eine dermatohistologische Befundsicherung durchgeführt werden.


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Abstract

A patient was diagnosed with paronychia and onychomycosis of the right middle finger and was treated with antifungals topically and systemically for a prolonged period although no dermatophytes had been identified neither by microscopy nor by culture. Since therapy was unsuccessful, the patient consulted another dermatologist who performed a skin biopsy which revealed an acrolentiginous malignant melanoma. Surgical treatment with partial amputation of the finger was performed. According to the medical specialist standard, the diagnostic delay was assessed to be a treatment error.

Unclear inflammatory changes or tumors at the fingers or toes should always include the differential diagnosis of acrolentiginous malignant melanoma, even if prima vista much more frequent diseases such as onychomycosis or verrucae vulgar may be more likely. At the latest in case of a non-response to an initiated therapy, the diagnosis should be critically reconsidered and, if necessary, a skin biopsy with dermatohistological workup should be carried out.


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Klinischer Fall

Ein Patient stellte sich bei einer Hautärztin mit einer Rosazea im Gesichtsbereich sowie einer Paronychie des Fingerendgliedes, dritter Finger rechts, vor. Wegen des klinischen Verdachts einer Mykose wurden diagnostisch eine Pilzkultur/ein Pilznativpräparat angelegt. Die Therapie wurde im Nagelbereich mit Ciclopirox-haltigem Nagellack eingeleitet. Aufgrund der Rosazea erfolgte zusätzlich die Verordnung von Doxycyclin 50 mg intern sowie einem 2 % Erythromycin enthaltenden Topikum. Die Kontrolluntersuchung 4 Monate später zeigte eine deutliche Besserung des Gesichtshautbefundes ohne Änderung des Fingerbefundes. Die Pilzdiagnostik hatte keinen Pilznachweis erbracht. Ohne weitere diagnostische Maßnahmen erfolgte die Verordnung von Terbinafin intern sowie einer Miconazol-haltigen Creme.

4 Monate später stellte sich der Patient erneut vor. Eine wesentliche Befundänderung im Fingerbereich wurde nicht dokumentiert. Terbinafin systemisch wurde erneut verordnet. Ein vereinbarter Kontrolltermin weitere 4 Monate später wurde vom Patienten nicht wahrgenommen.

Weitere 5 Monate später erfolgte eine Wiedervorstellung unter der Diagnose Rosazea des Gesichtes und Veränderungen des Nagels, dritter Finger rechts, sowie des Nagelbetts des gleichen Fingers. Eine Befundbesserung wurde nicht dokumentiert, und es wurde wiederholt Terbinafin verordnet. Die letzte Patientenvorstellung in der Praxis der Hautärztin erfolgte weitere 5 Monate später mit pustulösen Veränderungen des Nagelbettes und Rezeptur einer Gentamicin-haltigen Creme sowie eines Steroid-Externums.

Zwei Monate später stellte sich der Patient in einer anderen Hautarztpraxis vor, wo der Befund eines Nagelverlustes, dritter Finger rechts, sowie einer schmerzlosen Rötung und Schwellung mit Verdacht auf eine granulomatöse Hautveränderung erhoben und zur diagnostischen Einordnung eine Hautbiopsie entnommen wurde. Der dermatohistologische Befund ergab den Verdacht auf ein malignes Melanom und wurde durch ein Referenzlabor als ulzeriertes amelanotisches malignes Melanom bestätigt.

Nach Diagnosesicherung erfolgte in einer Hautklinik die stationäre Behandlung mit Exzision des Tumors mit 1 cm Sicherheitsabstand sowie offener Wundversorgung. Die Diagnose wurde erneut dermatohistologisch bestätigt. Aufgrund in der Tiefe nicht sicherer In-toto-Entfernung erfolgte in einer zweiten stationären Behandlung die Teilamputation des rechten Mittelfingers und eine Schildwächterlymphknotenbiopsie. Die endgültige diagnostische Einordnung ergab ein akrolentiginöses Melanom Mittelfinger rechts, Tumordicke 1,1 mm, Clark-Level IV mit Ulzeration, Stadium II a bei negativem Wächterlymphknoten axillär rechts. Die weiteren Nachkontrollen erfolgten über zweieinhalb Jahre ohne Hinweis auf ein Rezidiv.


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Konsequenzen für den Patienten

Der Patient bemängelte die Behandlung durch die erstbehandelnde Hautärztin. Durch die langzeitig antimykotische Therapie bei negativer Pilzkultur und Unterlassung weiterer diagnostischer Maßnahmen sei eine Hautkrebserkrankung nicht erkannt worden. Durch diese Falschbehandlung und Zeitverzögerung der Diagnosestellung seien zwei Operationen mit Amputation im Bereich des rechten Mittelfingers erforderlich gewesen. Er wandte sich zur Klärung an die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen.


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Sachverständigen-Gutachten und Stellungnahme der Schlichtungsstelle

Der Gutachter der Schlichtungsstelle stellte den diagnostischen Verlauf bis zur Erstdiagnose eines amelanotischen malignen Melanoms des Endgliedes, dritter Finger rechts, dar. Durch die Hautärztin sei die Hauterkrankung trotz negativer Pilzdiagnostik bei Erstvorstellung unter der Diagnose Paronychie mit Onychomykose über 18 Monate mit vergleichbaren Externawirkstoffen und intern mit Terbinafin-Wiederholungsbehandlungen therapiert worden.

Aus gutachterlicher Sicht sei bei dem aktenkundigen Verlauf der Erkrankung sowie negativer Pilzdiagnostik nach Fachstandard diese Diagnose zu überprüfen gewesen.

Bei langzeitiger interner antimykotischer Therapie ohne Überprüfung der Diagnose mit Wiederholung der mykologischen Diagnostik bzw. ohne Nachweis einer Besserung seien weitere diagnostische Maßnahmen zur Überprüfung der klinisch erstellten Diagnose nach Fachstandard erforderlich gewesen, wozu neben einer erweiterten Erregerdiagnostik eine Biopsie des Nagelbereiches zur histopathologischen Beurteilung indiziert gewesen sei. Diese Diagnostik hätte sehr wahrscheinlich zu einem früheren Zeitpunkt die Diagnose eines malignen Melanoms stellen lassen.

Das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei nachfolgenden Konsultationen bei klinischer Beurteilung des Fortbestandes des Hautbefundes hätte die Ausweitung der Diagnostik und veränderte therapeutische Maßnahmen nach sich ziehen müssen. Die Unterlassung dieser nach Fachstandard als erforderlich zu bewertenden Maßnahmen sei als Fehler ärztlichen Handelns einzuordnen.

Bei frühzeitigerer Erkennung der Diagnose Melanom sei mit einem weniger fortgeschrittenen Tumorstadium zu rechnen gewesen. Eine Nachexzision mit Sicherheitsabstand sei zwar in jedem Fall erforderlich gewesen; die Nachexzision hätte in dem früheren Stadium und bei geringerer Tumordicke jedoch weniger radikal, evtl. ohne Amputation und ohne Wächterlymphknotenbiopsie, die zu einem Lymphödem des rechten Armes geführt habe, erfolgen können.

Bei einer früheren Diagnose könne jedoch nicht davon ausgegangen werden, dass keine Komplikationen, u. a. mit möglicher späterer Metastasierung, hätten eintreten können.

Zu dem Gutachten wurde von der Hautärztin die Einwendung erhoben, dass nach ihrer Praxiserfahrung ein klinisch pilzverdächtiger Nagelbefund auch bei negativer mykologischer Diagnostik unter mehrmonatiger systemischer antimykotischer Therapie abheilen könne. Die interne antimykotische Therapie sei dem Patienten aufgrund anderer Erkrankungen nicht entsprechend der Verordnung möglich gewesen. Deshalb sei ihrerseits die Terbinafin-Behandlung fortgesetzt worden. Da ein amelanotisches Melanom diagnostiziert wurde, hätte ein schwer einzuordnender Tumor vorgelegen, der auch bei etwa 6 Monate früherer Diagnosestellung keine wesentliche Änderung des chirurgischen Vorgehens erbracht hätte. Die Schlichtungsstelle schloss sich dem Gutachter im Ergebnis an.

Aufgrund des klinischen Hautbefundes im Bereich des Endgliedes, dritter Finger rechte Hand, sei das Vorgehen bei den Konsultationen in den ersten 6 Monaten der Behandlung nach ärztlichem Standard nachvollziehbar gewesen. Eine negative mykologische Diagnostik bei Erstvorstellung spreche nicht mit Sicherheit gegen eine mykologische Verursachung. Unter erfolgter hausärztlicher Blutbefundkontrolle sei die Einleitung der internen Terbinafin-Therapie nicht als kontraindiziert zu bewerten. Die Konsultation nach 9 Monaten und spätestens die weiteren Wiedervorstellungen hätten bei fortbestehenden Hautveränderungen ohne Therapieerfolg jedoch Veranlassung zu einer Diagnoseüberprüfung durch eine weiterführende Diagnostik, u. a. mit histopathologischer Befunderhebung, geben müssen. Diese Unterlassung ab diesem Zeitpunkt entspreche nicht dem ärztlichen Fachstandard.

Die Fortführung bzw. Wiedereinleitung der antimykotischen Therapie ohne gesicherten mykologischen Nachweis entspreche nicht den Fachempfehlungen. Die langzeitige Erfolgslosigkeit der rezeptierten Wirkstoffe hätte zusätzlich als Hinweis für eine Diagnoseüberprüfung bewertet werden müssen. Durch die Unterlassung der diagnostischen Befunderhebungsmaßnahmen sei eine Zeitverzögerung der Diagnosestellung des malignen Melanoms von über 7 Monaten zu verzeichnen. Dies sei als Fehler ärztlichen Handelns zu bewerten.

Bei korrektem Vorgehen wäre nach ärztlicher Erfahrung ein in Ausmaß und Größe kleinerer operativer Eingriff bei in jedem Fall erforderlicher Exzision möglich gewesen. Mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wäre bei früherer Exzision der Erhalt des Fingerendgliedes möglich gewesen.


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Medizinische Interpretation

Klinisch und histologisch wird in der WHO-Klassifikation zwischen 4 Melanomtypen unterschieden (Lentigo-maligna-Melanom, superfiziell spreitendes Melanom, knotiges Melanom, akrolentiginöses Melanom) [1]. Das akrolentiginöse Melanom macht bei Kaukasiern 5 – 10 % aller Melanome aus; dunkelhäutige Populationen sollen an dieser Lokalisation häufiger betroffen sein [2], wobei ein systematisches Review dies nicht belegen konnte [3].

An Fingern und Zehen treten akrolentiginöse Melanome v. a. im peri- und subungualen Bereich auf ([Abb. 1]). Die Prognose von malignen Melanomen im Hand- und Fußbereich ist besonders ungünstig [3], was an der häufig verspäteten Diagnose und der dann häufig bereits vorhandenen größeren Tumordicke liegen kann [4].

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Abb. 1 Akrolentiginöses malignes Melanom (typischer Befund, nicht dem vorliegend präsentierten Fall entsprechend).

Sofern Melanome an diesen Lokalisationen pigmentiert sind, können sich Pigmentierungen im benachbarten Nagelfalz oder der periungualen Haut finden (Hutchinson-Zeichen) [5]. Amelanotische akrale Melanome manifestieren sich mit Tumorbildung, einer Zerstörung des Nagels und Ulzeration.

Differenzialdiagnostisch ist bei Pigmentierung an einen benignen akralen Naevuszellnaevus oder eine Hämorrhagie zu denken; oft werden akrale Melanoma allerdings lange als Onychomykose oder Verrucae vulgares verkannt. Die Dermoskopie des Nagels kann bei der Frühdiagnose eines subungualen malignen Melanoms hilfreich sein [6].

Eine dermoskopische Untersuchung sollte auch bei vordergründig nicht melanozytär erscheinenden akralen Tumoren zur Standarddiagnostik zählen [7]. Auch amelanotische Melanome können in der Dermoskopie hinweisgebende Kriterien, bspw. ein polymorphes Gefäßmuster ohne spezifische Gefäßanordnung, Punktgefäße oder einen zentralen weißlich-blassrosa-farbenen Schleier aufweisen [8] [9].

Eine Pigmentierung kann bei amelanotischen Melanomen jedoch auch vollständig fehlen, was dann eine rein klinische Diagnosestellung fast unmöglich und eine bioptische Untersuchung umso dringlicher macht.


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Rechtliche Interpretation

Die Diagnose von schwierig zu differenzierenden Hauterkrankungen ist eine tägliche Herausforderung des Dermatologen; das Fachgebiet der Dermatologie ist durch eine besonders große Zahl auch seltener Diagnosen ausgezeichnet, die in der Differenzierung auch für den Facharzt (und damit entsprechend dem rechtlich geforderten Facharztstandard nach Patientenrechtegesetz [§ 630a Abs. 2 BGB]) schwierig sein können. Ein Therapieversuch unter der Maßgabe einer diagnostischen Wahrscheinlichkeitserwägung ist daher medizinisch vertretbar; eine unsichere Diagnose ist aber regelmäßig neu zu evaluieren.

Rechtlich sind Diagnoseirrtümer nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler zu werten, weil Irrtümer bei der Diagnosestellung nicht zwingend die Folge eines vorwerfbaren Versehens des behandelnden Arztes sind [10]. Der Bundesgerichtshof führte in dem seinerzeit entschiedenen Fall aus: „Irrtümer bei der Diagnosestellung kommen nun in der Praxis häufig vor; sie sind oft nicht einmal die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome der Erkrankungen sind nicht immer eindeutig, sondern können auf die verschiedensten Ursachen hinweisen, selbst wenn Gelegenheit besteht, die vielfachen technischen Hilfsmittel zur Gewinnung von zutreffenden Untersuchungsergebnissen einzusetzen. Erst recht sind vorläufige Diagnosen, wie sie etwa alsbald zum Zwecke der Entscheidung darüber gestellt werden müssen, ob der Patient eine Spezialbehandlung braucht, mit hohen Unsicherheitsfaktoren belastet. Das entbindet den Arzt jedoch nicht von der Verpflichtung, sein Können und Wissen sorgfältig einzusetzen und die Risiken für den Patienten gewissenhaft abzuwägen. Hat er insoweit etwas versäumt, muß er für die Folgen seines dann möglicherweise vorwerfbaren Irrtums ebenso einstehen wie bei anderen Behandlungsfehlern. Indessen muß wegen der aufgezeigten Unsicherheiten die Schwelle, von der ab ein Diagnoseirrtum als schwerer Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst zu beurteilen ist, der dann zu einer Belastung mit dem Risiko der Unaufklärbarkeit des weiteren Ursachenverlaufs führen kann, hoch angesetzt werden. Es muß schon ein fundamentaler Diagnoseirrtum vorliegen.“

Auch wenn der Arzt in vertretbarer Weise eine bestimmte Diagnose getroffen hat, muss er sie jedoch im weiteren Behandlungsverlauf kritisch überprüfen, wenn die begonnene Therapie keine Wirkung zeigt [11]. Dies war im vorliegenden Fall nicht erfolgt.

Take Home Message

Unklare entzündliche Veränderungen oder Tumoren an den Akren sollten immer zur Differenzialdiagnose eines akrolentiginösen malignen Melanoms veranlassen, auch wenn prima vista viel häufigere Erkrankungen wie eine Onychomykose oder Verrucae vulgares wahrscheinlicher sind. Spätestens bei Nichtansprechen einer eingeleiteten Therapie sollte die Diagnose kritisch überprüft und ggf. eine dermatohistologische Befundsicherung durchgeführt werden.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.


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Interessenkonflikt

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


Korrespondenzadresse

Prof. Dr. P. Elsner
Klinik für Hautkrankheiten
Universitätsklinikum Jena
Erfurter Str. 35
07743 Jena


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Abb. 1 Akrolentiginöses malignes Melanom (typischer Befund, nicht dem vorliegend präsentierten Fall entsprechend).