Handchir Mikrochir Plast Chir 2019; 51(03): 207-210
DOI: 10.1055/a-0900-4062
Der interessante Fall
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Offene, palmare Luxation des Os scaphoideum bei posttraumatischer Radiusfehlstellung: Ein Fallbericht

Open, palmar dislocation of the carpal scaphoid in posttraumatic deformity of the wrist: A case report
Stefan Meuser
Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie
,
Martin Richter
Malteser Krankenhaus Seliger Gerhard Bonn/Rhein-Sieg Klinik für Hand- und Plastische Chirurgie
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Publication Date:
05 June 2019 (online)

Einleitung

Im Mai 2018 verletzte sich der 68-jährige Patient bei der Arbeit mit einer hydraulischen Holzspaltmaschine an der linken Hand. Ein Holzstück hatte sich verkeilt und beim Versuch dieses zu lösen klemmte der Patient sich die Hand zwischen Holzstück und einem Blech ein. Es erfolgte die umgehende Vorstellung in der Notfallambulanz eines regionalen Krankenhauses. Von dort wurde der Patient nach primärer klinischer und nativradiologischer Diagnostik umgehend per Rettungswagen an unsere Abteilung überwiesen.

Der Unfallverletzte ist Rechtshänder und Nichtraucher. Bezüglich des linken Handgelenks besteht Zustand nach distaler Radiusextensionsfraktur im Jahre 1968, welche konservativ therapiert wurde. Hier war eine deutliche Extensionsfehlstellung mit entsprechender Bewegungseinschränkung verblieben. Ansonsten bestanden keine relevanten Vorerkrankungen.

Bei der Aufnahmeuntersuchung zeigte sich palmar über der Thenarregion eine deutliche Schwellung mit begleitendem Hämatom und Druckschmerzhaftigkeit. Dorsal imponierte lediglich eine moderate Schwellung am Handgelenk, allerdings fand sich hier eine ca. 4 cm lange, quer verlaufende Wunde, in der die distalen Stümpfe der ECRB- und ECRL-Sehne zu sehen waren. Die proximalen Stümpfe waren retrahiert.

Der aktive Faustschluss gelang problemlos. Die Handgelenksbeweglichkeit war schmerzbedingt eingeschränkt. Radialduktion und Extension gegen Widerstand waren nicht möglich. Die periphere Durchblutung war intakt. Die Sensibilität, insbesondere im Versorgungsgebiet des N. medianus war mit einer 2-Punkt-Diskrimination von < 5 mm unbeeinträchtigt.

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Abb. 1 Präoperativer Befund: Dorsal querverlaufende Wunde auf Höhe des Handgelenks mit sichtbaren distalen Stümpfen der ECRB- und ECRL-Sehnen.
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Abb. 2 Konventionelle präoperative Röntgenbilder des Handgelenks in 2 Ebenen: Palmare, partielle Luxation des Kahnbeins bei vorbestehender Extensionsfehlstellung des distalen Radius bei fehlverheilter Radiusextensionsfraktur.
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Abb. 3 Konventionelle Röntgenbilder des Handgelenks in 2 Ebenen 2 Tage postoperativ: Regelrechte Stellung der Karpalia bei einliegendem Osteosynthesematerial. Insbesondere die Gilula-Bögen sind harmonisch.
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Abb. 4 Konventionelle Röntgenbilder des Handgelenks in 2 Ebenen 7 Monate postoperativ: weiterhin regelrechte Stellung der Karpalia. Beginnende Radiokarpalarthrose.
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Abb. 5 Postoperativer klinischer Befund nach 7 Monaten: Im Seitenvergleich zeigt sich die deutlich verminderte Flexion im Handgelenk, welche durch die vorbestehende Radiusfehlstellung zu erklären ist.

Die auswärtig gefertigten nativradiologischen Aufnahmen des linken Handgelenkes zeigten eine isolierte, palmare Skaphoidsubluxation. Das luxierte Kahnbein stand in hyperextendierter Stellung mit dem proximalen Pol über der palmaren Radiuslippe. Der distale Kahnbeinpol artikulierte regelhaft mit Trapezium und Trapezoideum. Am Kopfbein bestand zusätzlich eine kleine Knochenabscherung. Die Speichengelenkfläche war bei fehlverheilter Radiusfraktur fast 60° nach dorsal verkippt.

In Allgemeinnarkose und Blutleere erfolgte nach winkelförmiger Verlängerung der Wunde nach proximal-ulnar ein Débridement. Die Sehnenstümpfe des ECRB und ECRL wurden dargestellt und beiseite gehalten. Die quer eingerissene Gelenkkapsel wurde T-förmig weiter eröffnet. Unter Längszug und Druck von palmar auf das luxierte Kahnbein gelang problemlos die manuelle Reposition, allerdings drohte das Kahnbein sofort wieder zu luxieren. Der dorsale Anteil des skapholunären Bandes war knöchern am Kahnbein ausgerissen. An der dorsoproximalen Gelenkfläche des Kapitatums fand sich eine osteochondrale Fraktur von 1 × 1 cm Größe. Das freie Fragment wurde zunächst geborgen.

Skaphoid und Lunatum wurden mittels Joystick-Drähten gegeneinander reponiert mit anschließender skaphokapitaler und skapholunärer Transfixation. Die anschließende Durchleuchtungskontrolle zeigte ein regelrechtes Repositionsergebnis mit korrekter Lage des Osteosynthesematerials. Danach erfolgten noch die Refixation des osteochondralen Fragmentes am Kapitatum mit einem 1,0 mm K-Draht, die knöcherne Reinsertion des SL-Bandes mittels Nahtanker (MicroCorkScrew, Fa. Arthrex, München) am Skaphoid sowie die Sehnennähte der ECRB- und ECRL-Sehnen in 4-Strang-Technik.

Postoperativ erfolgte die Ruhigstellung für 2 Wochen in einer palmaren Schiene mit Daumengrundgliedeinschluss, welche nach Fadenentfernung auf einen zirkulierten Gipsverband gewechselt wurde. Röntgenkontrollen erfolgten am 2. postoperativen Tag sowie 3, 9 und 12 Wochen postoperativ.

3 Wochen nach Erstversorgung stellte der Patient sich mit Verlust der Streckfähigkeit des Daumens aufgrund einer sekundären EPL-Ruptur vor. Es erfolgte die operative Revision mit Extensor-Indices-Plastik. Die Gipsruhigstellung wurde auf einen „Auto-Stopp-Gips“ für weitere 4 Wochen umgestellt. Neun Wochen nach dem Ersteingriff wurden die transfixierenden Drähte entfernt. Über die folgenden 6 Wochen erfolgten der langsame Bewegungs- und Belastungsaufbau.

In den postoperativ durchgeführten Röntgenuntersuchungen zeigte sich eine korrekte Artikulation der Handwurzelknochen, insbesondere die Gilula-Bögen waren wieder harmonisch. Anzeichen für eine verbliebene karpale Instabilität bestanden nicht. Somit konnte das linke Handgelenk 15 Wochen nach der Verletzung zur Vollbelastung freigegeben werden.

Bei der Nachuntersuchung 7 Monate nach dem Unfall betrugen Extension/Flexion des linken Handgelenkes 70/0/15°, Radial-/Ulnarduktion 15/0/30° und Pro-/Supination 70/0/70°. Die deutlich reduzierte Flexion lässt sich zumindest teilweise durch die vorbestehende dorsale Verkippung der Radiusgelenkfläche bei fehlverheilter Radiusfraktur erklären. Der Faustschluss war komplett. Bei der Fingerstreckung verblieb ein Fingernageltischabstand von 1–1-1–1 cm. Die Grobkraft, gemessen mit dem JAMAR-Dynamometer, betrug rechts 43 und links 13 kg bei Rechtshändigkeit. Der DASH-Score betrug 17. Schmerzen wurden mit einem Ruheschmerz von 0 und einem Belastungsschmerz von 3–4 auf der 10stelligen visuellen Analogskala angegeben.

 
  • Literatur

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