Abb. 1 Treten im Wochenbett depressive Verstimmungen der Mutter auf, können diese die Mutter
und die Bindung zum Kind beeinflussen. Die Hebamme kann der Frau in der Krise eine
bedeutsame Hilfe zur Selbsthilfe sein. (Foto: Alexandr Vasilyev – stock.adobe.com)
Die Rolle der Hebamme bei einer Wochenbettdepression
Die Rolle der Hebamme bei einer Wochenbettdepression
Symptome für eine Wochenbettdepression bei der Frau können schwerwiegende Folgen für
die ganze Familie nach sich ziehen. In dieser empfindsamen Zeit der Schwangerschaft,
Geburt und des Wochenbetts ist keiner Berufsgruppe so ein tiefer Einblick in das Befinden
der Frau möglich wie uns Hebammen. Wir begleiten Frauen und Männer, wenn die Geburt
ihres Kindes sie zu einer Familie macht. Und wir haben hier die Möglichkeit, gezielt
Hilfestellung zu bieten. Aus diesem Privileg erwächst gleichsam eine Pflicht: Es gilt,
depressive Episoden zu erkennen, zu begleiten und eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
zu generieren, um die Familie zu schützen.
In meiner Hebammentätigkeit erlebe ich eine deutliche Zunahme psychischer Vorerkrankungen
und Depressionen nach der Geburt. Die Gründe dafür sind aus meiner Sicht vielschichtig.
So führte u.a. eine vermehrte Aufklärung in den vergangenen Jahren dazu, dass dieses
Thema medial bearbeitet wird. Prominente erzählen öffentlich von ihren Depressionen
und Printmedien enthalten immer häufiger Artikel zu diesem Thema. Die Depression wird
sozusagen gesellschaftsfähig. Die Aufklärung trägt positiver Weise dazu bei, dass
sie als ernstzunehmende Krankheit wahrgenommen wird. Gleichzeitig ist zu beobachten,
dass ein enormer gesellschaftlicher Druck auf Müttern und jungen Familien lastet.
Häufig erlebe ich Frauen, die zweifeln, ob sie die mit der Mutterschaft verbundenen
Erwartungen und Anforderungen erfüllen können. Der persönliche Leistungsdruck, einem
gesellschaftlichen Idealbild zu entsprechen, ist nie höher gewesen als heute. Gleichzeitig
fällt vielfach der familiäre Rückhalt weg, den in früheren Zeiten etwa die Großeltern
boten. Familien wohnen oft nur im engsten Kreis beieinander und die komplette Verantwortung
für die Kinder und deren Erziehung wird bei den Eltern gesehen. In einer Gesellschaft,
in der Leistungsbereitschaft die höchste Maxime darstellt, liegen die Erwartungen
an eine Mutter sehr hoch. Viele Mütter, die ich als Beleghebamme betreue, haben zusätzlich
psychische Vorerkrankungen.
Es stellt sich die Frage, wie wir Hebammen diese Frauen und Familien an dieser Stelle
unterstützen können: Welche Frühwarnsysteme und welche Möglichkeiten der Hilfestellung
können wir nutzen?
Sorgfältige Anamnese und engmaschige Betreuung
Postpartale Depressionen sind aufgrund des schleichenden Verlaufs meist schwierig
zu erkennen. Die Symptome einer PPD, z. B. das Gefühl von Wertlosigkeit und Interessenlosigkeit
[7]
[3], treten oft erst nach Verlassen des Krankenhauses auf. In den folgenden Wochen sehen
die Frauen den Kinderarzt oft nur einmal und den ambulanten Gynäkologen nur noch zur
Abschlussuntersuchung. Das birgt ein gewisses Risiko zu übersehen, dass eine Frau
eine PPD entwickelt hat, wenn sie die Veränderung nicht direkt selbst anspricht. Ich
beobachte, dass betroffene Frauen oft ihre Gefühle zu verschweigen versuchen, um in
ihrer Mutterrolle zu funktionieren. Wenn ihnen die Traurigkeit bewusst ist, empfinden
sie ein großes Scham- und Schuldgefühl oder es machen sich Versagensängste breit.
Das soziale Umfeld bemerkt Veränderungen der Wöchnerin häufig nicht. Und dem Partner
fällt es schwer, seine Beobachtungen in Worte zu fassen. Häufig gelingt das erst,
wenn ich ihn direkt auf Veränderungen bei seiner Frau anspreche.
Hier haben wir Hebammen eine Ressource: Wir sehen die Frauen während der Wochenbettbetreuung
sehr regelmäßig und können die Zeit nutzen, um neben körperlichen Veränderungen die
Emotionen der Frau zu verbalisieren. Bei Frauen, die ich schon in der Schwangerschaft
betreuen konnte, habe ich bis zum Wochenbett ein Gefühl für die Person entwickelt.
Dies ist besonders hilfreich, um schon kleine Veränderungen der psychischen Verfassung
zu bemerken. Im Idealfall versuche ich, eine engmaschige Betreuung besonders im ersten
Monat nach der Geburt zu gewährleisten.
Für Hebammen ist es wichtig, sich ausreichend Zeit für eine ausführliche Anamnese
zu nehmen, um klassische Risikofaktoren für eine PPD zu analysieren. Vor allem eigene
und familiäre psychische Vorerkrankungen oder ein erlebtes Trauma können statistisch
häufiger zu einer PPD führen [7]
[3].
Die Frau und den Partner aufklären
Das Mutterwerden wird in der heutigen Zeit mehr denn je zu einem besonderen Ereignis.
Viele Paare zelebrieren die Schwangerschaft. In Verbindung mit dem wachsenden Hebammenmangel
hat das zur Folge, dass Frauen sich heute oft schon sehr früh um Kontakt zu einer
Hebamme bemühen. Daraus ergibt sich die Chance einer langfristigen individuellen Hebammenbetreuung.
Für eine umfassende Beratung in der Schwangerschaft habe ich mir einen Leitfaden mit
wichtigen Themen rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett erstellt (vgl. [1]). Neben den körperlichen Prozessen im Wochenbett skizziere ich den Schwangeren auch
die psychischen Veränderungen, die sie erwarten könnten. Dabei ist es mir wichtig,
keine Ängste zu schüren, sondern sachlich zu informieren. Jeder Frau biete ich im
Beratungstermin Informationen darüber an, was Babyblues, Wochenbettdepression und
Wochenbettpsychose bedeuten und mit welcher Wahrscheinlichkeit Frauen davon betroffen
sind. Ich versuche die Schwangere für dieses Thema zu sensibilisieren und gebe Hinweise,
woran die Frauen selbst erkennen können, dass sie sich in einer Depression befinden.
Darüber hinaus gestalte ich zwei Stunden meines Geburtsvorbereitungskurses zum Thema
Wochenbett. Zu diesem Kursteil empfehle ich allen Frauen, ihren Partner mitzubringen.
Ich ermutige die Männer, auf ihre Frauen achtzugeben und beobachtete psychische Veränderungen
ihrer Frauen zum Wohle der ganzen Familie offen anzusprechen. Seitdem ich für das
Thema schon in der Schwangerschaft sensibilisiere, sind es in der Wochenbettbetreuung
eher die Partner, die das Gespräch zu mir suchen, weil ihnen depressive Veränderungen
an ihrer Partnerin auffallen.
Die Einbeziehung des Partners stellt einen elementaren Faktor in der Früherkennung
einer PPD dar.
Zum Abschluss des Geburtsvorbereitungskurses bekommen die Frauen von mir ein Handout,
in dem gebündelte Informationen zu allen besprochenen Themen nachzulesen sind. Hier
sind u. a. Kontaktadressen zu Notfallseelsorger, Selbsthilfegruppen und Psychologen
vermerkt, damit auch Frauen, die ich nicht im Wochenbett betreue, einen Notfallplan
haben.
Ergeben sich in der Anamnese bei der Schwangeren Symptome für eine psychische Erkrankung,
nutze ich die deutschsprachige Version des Edingburgh Postnatal Depression Scale (EPDS)
schon in der Vorsorge als Gesprächsleitfaden, um ggf. depressive Verstimmungen möglichst
früh zu erkennen. Damit spreche ich Fragen an, wie z. B.: „Sind Sie in letzter Zeit
oft gereizt oder wütend?“ – „Haben Sie negative Gefühle im Hinblick auf die Schwangerschaft
oder das Baby?“ – „Weinen Sie oft und fühlen sich unglücklich?“ In der Gesprächssituation
vermittele ich der Frau, sich auch mit negativen Gefühlen öffnen zu können. Je nach
Ergebnis unterstütze ich die Schwangere im Erstellen eines Selbsthilfeplans bzw. in
der Kontaktaufnahme mit einem Arzt oder Psychologen.
Gemeinsam einen Selbsthilfeplan erstellen
Werden in der Wochenbettbetreuung depressive Verstimmungen deutlich, ist es zunächst
wichtig, herauszufinden, inwieweit diese die Mutter und die Bindung zum Kind beeinflussen.
Ein individuell entworfener Selbsthilfeplan kann helfen, die Bedürfnisse der Beteiligten
zu visualisieren und somit der Frau Verständnis und Entlastung zukommen zu lassen.
Hierbei ist es mir wichtig, die Frau in der Ideenfindung zu unterstützen. Selbst entwickelte
Ideen lassen sich oft besser und schneller umsetzen als vorgegebene Ziele. Hierbei
bietet das Buch „Psychologie und Pathopsychologie“ eine gute Vorlage [2].
Zusätzlich suche ich mit der betroffenen Frau nach einem Notfallkontakt. Dies sollte
eine enge Vertrauensperson sein, der es möglich ist, rund um die Uhr für die Frau
erreichbar zu sein. In Situationen, die sie zu überwältigen drohen, ist es oft hilfreich,
wenn die Möglichkeit besteht, sich durch vertraute Menschen Unterstützung einzuholen.
Auch wenn ich dieses Instrument oft sehr erfolgreich einsetzen konnte, ist es wichtig,
die Grenzen der Selbsthilfe rechtzeitig zu erkennen:
Bessert sich die Situation der Frau innerhalb weniger Tage nicht oder Verschlimmern
sich die Symptome, ist die Frau nicht gewillt oder in der Lage die selbst erarbeiteten
Schritte umzusetzen oder kommen suizidale Gedanken hinzu, ist ein schnelles Reagieren
seitens der Hebamme wichtig und eine professionelle Unterstützung unabdingbar.
Mutter-Kind-Bindung und -Interaktion fördern
Aus einer PPD resultiert in der Regel eine Beziehungsstörung zwischen Mutter und Kind.
Die Mütter ziehen sich zurück, reden wenig bis gar nicht mit dem Säugling und zeigen
kaum körperliche Zuwendung. Dazu zeigen sie eine geringe Sensitivität für die kindlichen
Signale. Neugeborene von depressiven Müttern zeigen oft ein gereiztes Verhalten, weinen
häufig und heftiger, können sich nur schlecht selbst regulieren oder wirken passiv.
Es gilt, diese Kaskade zu unterbrechen, da eine lang anhaltende gestörte Interaktion
bei Nichtbehandlung der Mutter zu Entwicklungsstörungen bis hin zu psychischen Erkrankungen
des Kindes führen kann [6]
[7].
Die Unterstützung in der Mutter-Kind-Interaktion habe ich bei meinen bisherigen Fällen
von Wochenbettdepressionen als wichtigsten, grundlegenden Baustein einer erfolgreichen
Therapie erlebt. Ein sehr einfaches und schnell anzuwendendes Instrument zum Bindungsaufbau
ist die Unterstützung des direkten Körperkontakts zwischen Mutter und Kind. Besonders
bei Frauen, die eine traumatische Geburt als Auslöser für die PPD zeigen, ist ein
Bondingbad [5] sinnvoll. Der enge Körperkontakt hierbei und die oft liebevoll gestaltete Umgebung
des Bads sorgen für einen sehr innigen und privaten Moment. Oft habe ich erlebt, dass
Frauen sich bei diesen Bädern öffnen und ihre Ängste formulieren können. In Verbindung
mit (angeleiteter) Babymassage ist eine intensive körperliche Nähe zu erwarten. Hier
ist es wichtig, der Frau mit maximalem Respekt und einer hohen Wertschätzung gegenüber
ihrer Leistung als Mutter zu begegnen und auch Tränen Raum zu geben.
Die Mutter beim Stillen unterstützen
Darüber hinaus sollte eine Frau, die während einer PPD stillen möchte, unbedingt in
diesem Vorhaben unterstützt werden. Neben den zahlreichen positiven Faktoren der Muttermilch
ist kaum eine andere Begegnung zwischen Mutter und Kind inniger. Hier erlebt die Mutter
deutlich, dass sie eine elementare Rolle für ihr Kind spielt. Viele Mütter mit einer
PPD leiden unter Insuffizienzgefühlen. Sie denken, dass sie nicht ausreichend für
ihr Kind sind und dass sie dieses nicht adäquat versorgen können.
Durch Unterstützung beim Stillen und die Ermutigung zu engem Körperkontakt mit dem
Säugling kann die Hebamme der Frau ohne viele Worte zeigen, wie wichtig sie als Mutter
für ihr Kind ist.
Zu gemeinsamen Aktivitäten motivieren
Ist der Genesungsprozess vorangeschritten, habe ich gute Erfahrungen damit gemacht,
Mutter und Kind gemeinsame Aktivitäten zu ermöglichen. So kann zum Beispiel die Teilnahme
an einem DELFI-Kurs oder das Babyschwimmen die gemeinsame Zeit positiv besetzen und
der Mutter die Möglichkeit geben, in Interaktion mit dem Kind zu kommen. Zusätzlich
erfährt hierbei die Mutter eine Etablierung im Mütterkreis. Sie lernt andere junge
Familien kennen und findet dort Verbindungen, die wiederum eine Entlastung mit sich
bringen können. Hat das Kind Gefallen an solchen Aktivitäten, stärken sie zusätzlich
das Selbstbewusstsein der Frau, der dabei ihre mütterlichen Fähigkeiten erneut bewusst
vor Augen geführt werden.
Wann professionelle Unterstützung wichtig ist
Wann professionelle Unterstützung wichtig ist
Mit Hilfe der EPDS kann die Hebamme die depressiven Symptome der Frau und die Bedeutung
von professioneller Begleitung verbalisieren. Bei einem Wert ab 13 sollte die Frau
darin unterstützt werden, zur weiteren Abklärung einen Arzt aufzusuchen (Marcé Gesellschaft
für Peripartale Psychische Erkrankungen e. V.). Entwickelt sich eine akute psychische
Krise, ist eine professionelle Unterstützung elementar. Hebammen können hier interdisziplinäre
Strukturen schaffen, um der Familie möglichst schnell helfen zu können. Nachdem ich
meine ersten Mütter mit akuten Depressionen betreut hatte, habe ich Kontakt zu Therapeuten
und Neurologen gesucht, die im Notfall Erste Hilfe bei akut gefährdeten Frauen leisten
können. Durch diese interdisziplinäre Vernetzung ist es mir inzwischen möglich, innerhalb
weniger Tage einen ersten Beratungs-
termin für die Frauen zu generieren und im Akutfall sogar sofort eine medikamentöse
Einstellung einzuleiten. Zwar versichern die Krankenkassen einen Beratungstermin innerhalb
der ersten vier Wochen nach Kontaktaufnahme mit einem Therapeuten, allerdings kann
im Akutfall diese Zeit nicht überbrückt werden und die Situation kann eskalieren.
Hebammen sollten selbst in die Kommunikation mit wohnortnahen Psychologen gehen und
ein Netzwerk mit behandelnden Praxen bzw. Organisationen aufbauen, um für ihre betreuten
Frauen die Beratungsschwelle und die Wartezeit bis zum Erstkontakt herabzusetzen.
Oft gibt es in den Städten Beratungseinrichtungen, die ihrerseits mit Psychologen
zusammenarbeiten und schnell und unbürokratisch Hilfe leisten können. So ist z. B.
der Paritätische Wohlfahrtsverband eine erste Anlaufstelle für jegliche Notsituation
rund um die Schwangerschaft. Das dortige Team besteht aus geprüften Notfallseelsorger / -innen
und verfügt über ein gut ausgebautes Netz an psychologischen Mitarbeitern.
Geeignete Klinik zur stationären Behandlung finden
Ist eine stationäre Behandlung nötig, da die Depression z. B. eine sichere Versorgung
des Kindes im Alltag nicht mehr zulässt, sollte möglichst eine Klinik gewählt werden,
die das Kind mit aufnehmen kann. Das bietet die Chance, die Störung in der Mutter-Kind-Beziehung
effektiv mit zu behandeln [8]
[9]. Leider gibt es deutschlandweit sehr wenig kombinierte Behandlungsplätze und die
Wartezeit ist oft sehr lang. Ist eine akute Deeskalation wie im Fallbeispiel nötig,
sollte zumindest eine nahe gelegene Frauenklinik eine Wiederaufnahme gewährleisten
und das Kind dort als Begleitperson (im Idealfall auch den Partner im Rahmen eines
Familienzimmers) mit aufnehmen. Lässt sich in naher Zukunft kein Mutter-Kind-Therapieplatz
in einer geeigneten Einrichtung finden, ist die Therapie in einer Tagesklinik eine
Option. Wichtig ist auch hier die Einbeziehung des Säuglings.
Das Umfeld stabilisieren
Neben dem therapeutischen Ansatz zur Behandlung einer Wochenbettdepression ist die
Stabilisierung des Umfelds von Frau und Kind ein wichtiger Faktor. Hierbei geht es
vor allem um die Entlastung der Frau und um die Etablierung einer Alltagsstruktur.
Dafür ist es hilfreich, wenn der Partner während der Akutzeit der Depression an der
Seite der Frau sein kann. Kurzfristig ist dies über die Beantragung von Urlaub möglich.
Ratsam ist dazu die Inanspruchnahme von Elternzeit für den Partner. Die Hebamme kann
mit der betroffenen Familie im nahen Umfeld der Frau nach weiteren geeigneten Vertrauenspersonen
suchen. Vielleicht können die Eltern einen Teil der Hausarbeit übernehmen oder die
beste Freundin kann zu festen Zeiten den Kinderwagen schieben? Sind schon größere
Kinder in der Familie, sollte nach geeigneten Betreuungsmöglichkeiten gesucht werden.
Oft ist ein auf sich allein gestellter Vater mit der Situation und der Fülle von Aufgaben
überfordert. Neben der Hilfe von Familie und Freunden ist die Rezeptierung einer Haushaltshilfe
durch die behandelnden Ärzte möglich und sollte in jedem Fall genutzt werden. Darüber
hinaus kann die Hebamme mit dem Paar einen Alltagsplan erstellen. Hierbei gibt die
Hebamme Unterstützung, alle anfallenden Aufgaben aufzulisten und einem Verantwortlichen
zuzuordnen. Dies schafft Übersicht und vor allem Struktur. Mit zunehmendem Behandlungserfolg
kann die Frau langsam immer mehr Alltagsaufgaben zurückgewinnen.
Schlussbetrachtung
Bei der wachsenden Zahl psychischer Vorerkrankungen und dem wachsenden Druck, der
auf Müttern lastet, wird die Zahl der Frauen, die an einer PPD leiden, stetig zunehmen.
Daher ist es wichtig, dass besonders Hebammen, die in dieser empfindlichen Phase Zugang
zu den Frauen und deren Familien haben, ein individuelles System entwickeln, welches
depressive Symptome frühzeitig erkennt. Hebammen sollten die Grenzen ihrer Möglichkeiten
bewusst sein und sie sollten möglichst schnell die interdisziplinäre Zusammenarbeit
suchen. Gut entwickelte Netzwerke helfen, gezielte Hilfestellungen zu geben, um die
Frauen optimal zu betreuen.
Rat und Hilfe
-
Die Stiftung Deutsche Despressionshilfe bietet kompakte Artikel rund um Depressionen in der Schwangerschaft und nach der
Geburt: www.deutsche-depressionshilfe.de/depression-infos-und-hilfe/depression-in-verschiedenen-facetten/in-der-schwangerschaft-und-nach-der-geburt
-
Schatten & Licht e. V. ist eine 1996 von betroffenen Frauen gegründete Selbsthilfe-Organisation. Sie befasst
sich u. a. mit peripartaler Depression, Angst- oder Zwangsstörung und peripartaler
Psychose: www.schatten-und-licht.de
-
Der Verein Postnatale Depression Schweiz stellt auf seiner Website unter der Rubrik Fachhilfe verschiedene Therapieformen zur Behandlung dieser Krankheit vor. In der Rubrik Selbsthilfe gibt es anschauliche Präventionstipps, zudem steht die Edinburgh-Postnatal-Depressions-Skala
(EPDS) zum Download bereit: www.postnatale-depression.ch
-
Die Initiative Frauen Gesundheit Familien Zukunft e. V. hat sich die Prävention peripartaler psychischer Erkrankungen zum Ziel gesetzt und
organisiert u. a. Schulungen für Hebammen und andere Fachpersonen, die mit Schwangeren,
Gebärenden, Wöchnerinnen und jungen Müttern arbeiten. Auch Betroffene und Angehörige
finden Tipps, wie sie mit Krisen umgehen, Stabilität erhalten, Hilfe annehmen und
Veränderung ermöglichen können: www.fgfz-online.de
-
Die Marcé Gesellschaft für Peripartale Psychische Erkrankungen e. V. ist die deutschsprachige Sektion der International Marcé Society for Psychaitric Disorders of Childbearing. Sie bietet ebenfalls Fortbildungen für Fachpersonal an und setzt sich für die Verbesserung
der Versorgungsangebote und die Entstigmatisierung der Erkrankungen ein: www.marce-gesellschaft.de
Fallbeispiel: PPD in der Wochenbettbetreuung
Fallbeispiel: PPD in der Wochenbettbetreuung
Das Kennenlerngespräch
Ich lerne die 28-jährige Anna* (alle mit* markierten Namen sind redaktionell verändert)
in der 8. SSW kennen. Sie und ihr Partner Niklas* erwarten ihr erstes gemeinsames
Kind. Niklas* hat aus einer früheren Beziehung einen 5-jährigen Sohn, zu dem er und
Anna* regelmäßigen und guten Kontakt haben. Leon* besucht das Paar jedes zweite Wochenende
und hat in Anna* eine enge Bezugsperson gefunden. Beim Kennenlerngespräch mit dem
Paar berichtet Anna* detailliert über ihre Lebenssituation: Sie arbeitet Vollzeit
als Gymnasiallehrerin und unterrichtet ihre erste eigene Klasse als Klassenleiterin.
Sie möchte möglichst lange in der Schwangerschaft arbeiten, um das Schuljahr mit der
Klasse beenden zu können. Niklas* äußert schon im ersten Gespräch Zweifel an diesem
Plan. Er arbeitet als Berufssoldat 500 km entfernt und sieht Anna nur am Wochenende.
Dadurch werde er Anna* deutlich weniger unterstützen können. Er verweist darauf, dass
Anna* hohe Ansprüche an sich selbst habe. Seine Zweifel wirken aufrichtig. Im weiteren
Gespräch wird klar, dass Anna* einen genauen Plan von ihrer Schwangerschaft und der
ersten Zeit als Mutter hat. Sie wirkt auf mich perfektionistisch und euphorisch. Sie
wünscht sich eine engmaschige Betreuung von Hebammenseite und eine Beleggeburt, da
es für sie nicht vorstellbar ist, jemandem Fremden in einer so sensiblen Phase Vertrauen
zu schenken. Wir vereinbaren eine Hebammenbetreuung zur Vorsorge, Beleggeburt, Geburtsvorbereitung
und Wochenbettbetreuung. Die Vorsorge erfolgt gemeinsam mit dem Gynäkologen.
Die Betreuung in der Schwangerschaft
In den folgenden Wochen sehe ich Anna* fast jede zweite Woche zu Einzelterminen aufgrund
allgemeiner Schwangerschaftsbeschwerden und ab der 22. SSW zudem zum wöchentlichen
Geburtsvorbereitungskurs. Anna* plagen viele Fragen und Sorgen. Durch aktives Zuhören
und Nachfragen unterstütze ich Anna*, ihre Gefühle und Bedürfnisse zu verbalisieren
und eigene Lösungen für ihre Probleme zu finden. Wichtig ist mir, dass sie in Kontakt
mit ihrem Kind bleibt.
Je weiter die Schwangerschaft voranschreitet, desto mehr habe ich das Gefühl, dass
Anna* wenig Vertrauen in sich und ihren Körper hat. Sie möchte jede Veränderung im
Detail bereden und wird zunehmend unsicherer, was ihre Rolle als Mutter angeht. Bei
jedem Termin begrüßt sie mich mit den Worten: „Ich bin so froh, dass du da bist. Ich
habe die Kleine heute nicht gespürt. Kannst du die Herztöne hören?“ Schon bei der
palpatorischen Untersuchung spüre ich deutliche Kindsbewegungen, die Anna* selbst
aber nicht wahrzunehmen scheint. Ich bitte sie daher, jeden Abend Kontakt mit dem
Kind aufzunehmen. Sie stimmt zu und wird täglich mithilfe von Wahrnehmungsübungen
in die Kommunikation mit dem Ungeborenen gehen. Schon beim nächsten Termin berichtet
sie, dass sie die Kindsbewegungen jetzt deutlicher spürt, und sie wirkt beruhigter.
Dennoch habe ich das Gefühl, ihre Gedanken und der Zwang zum Planen lassen sie nicht
zur Ruhe kommen. Sie hat massive Schwierigkeiten, sich auf die Schwangerschaft einzulassen,
da sie „nicht alles unter Kontrolle“ hat. Aus diesem Grund möchte sie den Geburtsvorbereitungskurs
sehr früh beginnen. Sie braucht für sich die Sicherheit, alles zu wissen und nichts
Elementares zu vergessen.
In der 29. SSW meldet sich Niklas* nachts bei mir, da Anna* sehr regelmäßig und in
kurzen Abständen krampfartige Bauchschmerzen hat. Ich höre sie im Hintergrund schwer
atmen und bitte beide, mich in der Klinik zu treffen. In der Klinik bestätigen sich
regelmäßige Kontraktionen. Die Zervix ist auf 1 cm verkürzt und der Muttermund ist
fingerdurchgängig. Anna* erhält somit eine Bolustokolyse, Lungenreife-Behandlung und
strenge Bettruhe. Unter der Tokolyse ist sie wehenfrei. Allerdings ist ihre psychische
Verfassung desolat. Anna* ist am Boden zerstört, dass sie jetzt nicht mehr arbeiten
kann und die Sorge um ihr Kind lässt sie nicht mehr los. Immer wieder fallen Sätze
wie: „Ich wusste, dass mein Plan nicht funktioniert.“ oder „Mein Kind will einfach
nicht bei mir bleiben.“ Während des stationären Aufenthalts war ich regelmäßig bei
ihr, um auf ihre umfangreichen Sorgen und Ängste einzugehen. Niklas* war sehr hilflos
und kam nach eigenen Angaben überhaupt nicht mehr an sie heran. Um Anna* professionell
zu unterstützen, organisierten wir Kontakte mit der Klinikpsychologin. Anna* suchte
in den Gesprächen immer wieder die Bestätigung, eine gute Mutter zu sein. Nach und
nach konnte ihr Selbstbewusstsein wieder aufgebaut werden. In der 35. SSW konnte sie
ins häusliche Milieu entlassen werden. Anna* freute sich die letzten Wochen mit Niklas*
das Nest vorzubereiten und war stolz, die Situation gemeistert zu haben.
Die Geburt und die ersten Tage pp.
6 Tage vor dem errechneten Geburtstermin meldete sich Anna* mit regelmäßigen Wehen
bei mir. 7 Stunden später brachte sie ein gesundes Mädchen zur Welt. Die Geburt war
komplikationslos und ohne Interventionen. Anna* und Niklas* durch ausgiebiges Bonding
mit ihrer Tochter intensiv in Kontakt treten und das erste Stillen verlief erfolgreich.
Anna* wirkte nach der Geburt gelöst und unendlich Stolz auf ihre Leistung. Sie verbrachte
die nächsten 3 Tage mit Niklas* und Mia* im Familienzimmer der Wochenstation und benötigte
kaum Unterstützung. Beim Wochenbettbesuch im Krankenhaus erlebte ich sie gelöst und
voller Elan.
Literatur- und Surftipps für Eltern
-
Anke Rohde: Postnatale Depressionen und andere psychische Probleme – ein Ratgeber
für betroffene Frauen und Angehörige. Kohlhammer, 2014
-
Tanja Sahib: Darauf waren wir nicht vorbereitet. Books on Demand, 2018
-
Stephanie Herrmann: Postpartale Depressionen – Wege zu einer sicheren Mutter-Kind-Bindung,
Diplomica-Verlag, 2014
-
Petra Wiegers: Nur die Liebe fehlt – von Depressionen nach der Geburt und Müttern,
die ihr Glück erst finden müssen. Patmos, 2016
-
Stefanie Bunjes: Tränen, Liebe, Freiheitsdrang – Mein schwerer Start ins Mutterdasein.
Independently published, 2019
-
Techniker Krankenkasse, Landesvertretung Bayern (Hg.): Depression nach der Geburt
– Ratgeber für Betroffene und Angehörige. lv-bayern@tk.de, München 2014
-
www.gesundheitsinformation.de – Depression nach der Geburt – was kann helfen?
Der Wochenbettverlauf
Am 4. Tag postpartum besuchte ich die Familie zu Hause. Anna* berichtete mir von einer
eher unruhigen Nacht. Mia* hätte ganz gut geschlafen, sie selbst sei aber irgendwie
nicht zur Ruhe gekommen. Sie öffnete sich und berichtete von ihren Ängsten, dass Mia*
etwas passieren würde und sie dann nicht richtig würde handeln können. Niklas* und
ich versicherten ihr, dass ihre mütterliche Intuition auf die Kleine aufpassen würde
und sie in Ruhe zu Hause ankommen kann. Auch wenn ich Anna* nach dem ersten Hausbesuch
gefestigter wahrnahm, plante ich, in den täglichen Wochenbettbesuchen besonders auf
ihre psychische Verfassung zu achten.
In den nächsten Tagen baute Annas* psychischer Zustand merklich ab. Am 7. Tag post
partum öffnete sie mir mit tiefen Augenringen und merklich gedrückter Stimmung die
Tür. Im Gespräch behauptete sie allerdings, es ginge ihr sehr gut und sie fühle sich
sehr wohl in ihrer neuen Rolle als Mutter. Ganz untypisch, da sie sonst jeden Stolperstein
ausdiskutiert. Mir war es kaum möglich, mit ihr normal zu kommunizieren. An diesem
Tag wollten wir Mia* zum ersten Mal baden. Anna* stand anteilnahmslos daneben und
ließ sich auch nach Aufforderung kaum animieren. Ich versuchte, ihr ein paar Tipps
für die tägliche Körperpflege zu geben, sie schien mir aber kaum zuzuhören. Sie wirkte
desinteressiert, was ich bei ihr nie erlebt hatte. Auf meine Nachfrage, was es bei
den beiden zum Mittag gebe, antwortete sie nur: „Nichts, ich habe keinen Hunger.“
Ich suchte nun das Gespräch mit Niklas*. Auch er tat es mit dem Schlafmangel durch
das Stillen ab und meinte, Anna* komme gut zurecht, auch wenn er in drei Tagen wieder
zur Arbeit müsse. Ich bat ihn dennoch, darauf zu achten, dass Anna* regelmäßig isst,
und fragte, ob sie viel weine oder unglücklich sei. Niklas* verneinte und führte ihr
Verhalten auf die Hormone zurück. Ich fragte ihn, ob er sich an das Thema Wochenbettdepression
aus dem Kurs erinnert. Ich sagte, dass sich Anna* m. E. in diesem Zustand befinden
könnte. Niklas* versicherte mir, sie sei nur müde und sonst sehr gut drauf. Dennoch
versuchte ich, ihn weiter zu sensibilisieren. Er versprach mir, sie gut zu umsorgen,
und wir verabredeten uns für den nächsten Tag. Ich fuhr mit sehr gemischten Gefühlen
weg und nahm mir vor, am nächsten Tag die EPDS mitzunehmen und mit beiden zu besprechen.
Um 22 Uhr rief mich Niklas* an. Er weinte fast, während er berichtete, dass er inzwischen
ebenfalls vermutet, Anna hätte eine Depression. Seit dem Abend habe er das komplette
Versorgen von Mia* übernommen. Anna* wolle nicht mal mehr anlegen und lasse die Kleine
seit fünf Stunden weinen. Sie wirke, als sei es nicht ihr Kind. Er habe panische Angst,
dass Anna* sich und der Kleinen etwas antue. Sie reagiere kaum auf ihn und überhaupt
nicht auf Mia*. Während des ganzen Telefonats weinte das Mädchen im Hintergrund. Und
trotz der direkten Aufforderung ihres Mannes mochte Anna* Mia* nicht auf den Arm nehmen
und stillen. Mit Pre-Nahrung und Flasche fuhr ich zur Familie. Ich versuchte, mit
Anna* zu reden, aber auch auf mich reagierte sie abweisend. Sie versuchte halbherzig,
ein paar Situationen zu entschuldigen, wirkte aber sehr abwesend. Ich fragte sie,
was sie bedrückt oder wie ich ihr helfen kann. Ich bat sie, Mia* an die Brust zu legen,
da die Kleine merklich Hunger hatte und die Brust in voller Laktation schon sehr gespannt
aussah. Sie verneinte vehement und sagte, sie wolle nur noch Flasche füttern. Das
saugende Kind könne sie nicht aushalten.
Ich erklärte Niklas* und Anna*, dass ich die Situation als akute PPD einschätze und
dass Anna* sofortige Hilfe benötige. Diese würde sie zunächst in der Frauenklinik
bekommen, in der ich sie gern wieder aufnehmen lassen möchte. Mit ihrem Einverständnis
rief ich in der Klinik an und klärte die stationäre Aufnahme ab. Meine Sorge war,
dass Anna* sich und / oder ihrer Tochter etwas antun könnte. Niklas* stand die Erleichterung
ins Gesicht geschrieben. Anna* wirkte nur hilflos. Ich erklärte, warum eine PPD entstehen
könne und betonte, dass sie dies nicht beeinflussen kann und dass es nichts über ihre
Qualität als Mutter aussagt. Ich wusste, Anna* würde sofort ihre Kompetenz als Mutter
infrage stellen. Daher war mir das wichtig.
Der Klinikaufenthalt
Der diensthabende Arzt nahm Anna* mit Niklas* und Mia* als Begleitpersonen auf. Ich
erklärte Anna* die Milchpumpe. Am nächsten Tag bestätigte ein psychiatrisches Konsil
die PPD. Anna* wurde in den nächsten Tagen auf ein stillgeeignetes trizyklisches Antidepressivum
eingestellt und es folgten mehrere Akutgespräche mit der Klinikpsychologin. Leider
war es nicht möglich, schnell einen Platz in einer Klinik mit Mutter-Kind-Therapie
zu bekommen, sodass Anna* nach 10 Tagen wieder nach Hause entlassen wurde. Ihr Zustand
war immer noch instabil. Das Desinteresse und die Lethargie waren einer tiefen Traurigkeit
und Hilflosigkeit gewichen. Annas* Hausarzt schaffte es, durch Beziehungen einen Termin
bei einem Verhaltenspsychologen zu bekommen, zu dem sie dreimal pro Woche ging.
Die Hebammenbetreuung
Niklas* ließ sich sofort nach Diagnosestellung beurlauben, um für Anna* und Mia* da
zu sein. Da Anna* psychisch noch nicht stabil war, hielten alle beteiligten Professionen
neben der regelmäßigen Psychotherapie eine regelmäßige Hebammenbetreuung für sehr
wichtig. Der behandelnde Gynäkologe stellte unkompliziert ein Rezept für eine weitere
Hebammenbetreuung aus. Ich fuhr zunächst weiterhin täglich zu Anna*. Es war ersichtlich,
dass sie Unterstützung benötigte, um ihre eigenen Bedürfnisse und die ihres Kindes
wahrzunehmen und zu realisieren. In Absprache mit dem behandelnden Psychotherapeuten
erstellte ich mit Anna* bei den Hausbesuchen einen Ablaufplan für die nächsten 24
Stunden in Bezug auf die Versorgung ihres Kindes und die Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse.
Wir fixierten den Plan schriftlich. Das half Anna*, sich an der Struktur zu orientieren.
Nach und nach traute sich Anna* wieder zu, Mia* anzulegen und konnte die Nähe immer
besser tolerieren. Um die Bindung weiter zu stärken, empfahl ich Anna*, mit Mia* zu
baden (Bondingbad) und viel mit nackter Haut zu kuscheln, was sie gern annahm. Nach
ca. einem Monat war Anna* so stabil, dass sie körperliche Nähe zu Mia* genoss und
sich auch zutraute, allein einen Spaziergang mit Mia* in der Trage zu machen. Es gelang
ihr zunehmend besser, den Tag zu strukturieren. So vergrößerten wir die Zeiten zwischen
den Hausbesuchen. Auch für die Verhaltenstherapie benötigte sie nur noch zwei Termine
pro Woche. Niklas* fing nach zwei Monaten wieder an, drei Tage pro Woche zu arbeiten.
Die ersten Wochen schlief Annas* Mutter bei Mia* und ihr, um Anna* in allen Belangen
zu unterstützen. Nach drei Monaten konnte Anna* die Nächte allein verbringen. Ich
fuhr dann noch einmal wöchentlich zum Hausbesuch. Und sie begann in der Praxis den
Rückbildungskurs. Anna* genoss es merklich, wieder unter Menschen zu kommen.
Die Rehabilitation
Über den Hausarzt beantragte Anna* eine psychosomatische Kur beim Rententräger, zu
der sie ihr Kind als Begleitperson mitnehmen und betreuen lassen konnte. Diese wurde
schnell genehmigt und sie trat die Kur im Anschluss an den Rückbildungskurs an. Der
Kurort lag ganz in der Nähe von Niklas* Arbeitsplatz. Anna* konnte dort in Ruhe Kraftreserven
aufbauen. Nach neun Monaten wurden die Antidepressiva kontinuierlich reduziert und
Anna* war beschwerdefrei und arbeitsfähig. Die ambulante Verhaltenstherapie führte
sie noch bis 1,5 Jahre nach der Geburt weiter. Das Paar ist zurzeit erneut in freudiger
Erwartung. Als die Schwangerschaft feststand, begann Anna* sich psychologisch unterstützen
zu lassen, damit im Falle eines erneuten Auftretens einer PPD sofort reagiert werden
kann. Die Beziehung zu ihrem Kind beschreiben die Eltern als glücklich und unkompliziert.
Reflektion der Hebammenbetreuung
Die Betreuung von Anna* und ihrer Familie habe ich oft als emotional anstrengend erlebt.
Wenn ich dies gespürt habe, war es mir wichtig, mich mit meinen Kollegen / Kolleginnen
in der Hebammenpraxis und in der Klinik auszutauschen, um durch verschiedene Perspektiven
meine Vorgehensweise zu reflektieren und mir immer wieder meinen Auftrag und meine
Grenzen bewusst zu machen. Optimal wäre aus meiner Sicht für Anna* eine stationäre
Therapie in einer Klinik mit Mutter-Kind-Therapie gewesen. Da diese Möglichkeit nicht
bestand, haben wir gemeinsam interdisziplinär vor Ort nach einem individuellen Weg
gesucht, der zum Erfolg führte. Rückblickend ließe sich gewiss die Frage stellen,
ob sich durch den Einsatz der EPDS schon in der Schwangerschaft Handlungsbedarf zur
Hinzuziehung eines / -r Facharztes / Fachärztin für Psychiatrie oder eines / -er Psychologen / -in
ergeben hätte. Dies habe ich in der realen Betreuungssituation jedoch noch nicht als
notwendig empfunden.