Einleitung
Am 23. Juni 2018 jährte sich der 125. Geburtstag des Dermatologen Sigwald Bommer ([Abb. 1]; Infobox 1), dessen Biografie und Lebenswerk bisher nicht ausführlich bearbeitet
wurden. Er verstarb kurz nach seinem 70. Geburtstag bei einem tragischen Autounfall
in der Nähe seines damaligen Wohn- und Wirkortes Greifswald [1]. An den heute in der Dermatologie weitgehend vergessenen Sigwald Bommer und an seinen
ungewöhnlichen Ansatz, Ernährungstherapie und ganzheitliche medizinische Aspekte in
den universitären Klinikalltag zu integrieren, soll dieser Artikel erinnern.
Abb. 1 Sigwald Bommer (1893 – 1963).
1893 am 23. 06. in Dresden geboren
1911 Medizinstudium in Gießen, Frankfurt a. M. und Heidelberg
1919 Approbation
1921 Promotion über ein onkologisches Thema
1922 Assistent an der dermatologischen Universitätsklinik Heidelberg
1925 Assistent und Oberarztstelle an der Lupusheilstätte Gießen
1928 Habilitation
1931 Wechsel an die Universitätskliniken der Charité, Berlin
1935 Direktorat der Universitäts-Hautpoliklinik Ziegelstraße, Berlin
1938 Berufung zum a. o. Professor und Gründung des Instituts für Medizinische Ernährungslehre
in Berlin
1950 Berufung als Ordinarius für Dermatologie an die Universität Greifswald
1955 Aufnahme in die Deutsche Akademie der Wissenschaften (DAW)
1959 Gründung der Forschungsstelle für Medizinische Ernährungslehre an der Hautklinik
Greifswald
1961 Emeritierung
1963 am 11. 08. verstorben bei Greifswald
Werdegang
Sigwald Bommer wurde am 23. Juni 1893 in Dresden geboren. Nach der Schulzeit auf humanistischen
Gymnasien in Dresden und Mannheim begann er 1911 in Gießen Medizin zu studieren. Nach
seinem freiwilligen Eintritt ins Militär (1914) folgten Kriegseinsätze im medizinischen
Bereich und Studienplatzwechsel nach Frankfurt am Main 1915 und Heidelberg 1918 [2]
[3]
[4]. Dort schloss er das Studium 1919 ab. Er wurde bei Richard Werner (1875 – 1945)
im Heidelberger Krebsforschungsinstitut Samariterhaus mit einer Literaturarbeit über
„Die bisherigen Ergebnisse der experimentellen ätiologischen Geschwulstforschung“
promoviert. Danach wandte er sich der Dermatologie zu. Seine akademischen Lehrer waren
Siegfried Bettmann (1869 – 1939) in Heidelberg, Karl Zieler (1874 – 1945) in Würzburg
und Albert Jesionek (1870 – 1935) in Gießen [2]
[5]. An der Lupusheilstätte in Gießen wurde Bommer mit der Lichttherapie nach Niels
Finsen (1860 – 1904) bekannt, die Jesionek von einer lokalen zu einer Ganzkörperbehandlung
weiterentwickelt hatte. Das Ziel dieser Therapie formulierte Bommer: „Der Körper selbst
wird durch Regulation und Ausnutzung der natürlich gegebenen Umweltsfaktoren [sic]
in die Lage versetzt, seinerseits die Tuberkelbazillen zu vernichten.“ Neben den Lichtbehandlungen
gehörten eine stärkende Ernährung, regelmäßiges Baden und Gymnastikübungen zur Allgemeinbehandlung
in Gießen [6]. Bommer habilitierte sich 1928 bei Jesionek „Über sichtbare Fluoreszenz beim Menschen“.
Im selben Jahr machte er seine ersten Erfahrungen mit der Ernährungstherapie bei Hauttuberkulose.
Durch andere Maßnahmen nicht beeinflussbare Lupus-vulgaris-Herde heilten unter Anwendung
der sog. SHG-Therapie ab. Diese, nach ihren Entwicklern Ferdinand Sauerbruch (1875 – 1951), Adolf Herrmannsdorfer (1889 – 1969) und Max Gerson (1881 – 1959) benannte Ernährungstherapie, zeichnete sich durch eine vitamin-
und fettreiche, aber salzarme Kost aus [2]
[7].
Nach diesen erstaunlichen Erfolgen bei Lupus vulgaris verlegte Bommer sein Forschungsinteresse
hauptsächlich in den Ernährungsbereich. Er wechselte – nicht zuletzt wegen des schwierig
gewordenen Verhältnisses zu Jesionek – von Gießen an die Charité nach Berlin, zunächst
an die Ernährungsabteilung der Sauerbruchʼschen Kliniken der Chirurgie, dann in die
Dermatologie zu Franz Blumenthal (1878 – 1971) und Walter Frieboes (1880 – 1945) [2]
[8]. Später bekam er eine Anstellung an der Universitäts-Hautpoliklinik in der Ziegelstraße,
wo er 1935 das Direktorat übernahm [9]. In dieser Zeit beschäftigte er sich mit der Entwicklung seiner eigenen Form der
Ernährungstherapie. Diese konzipierte er in 4 (später 5) aufeinander aufbauenden Stufen,
die von Fasten über reine Rohkost und laktovegetabile Nahrung zu einer ausgewogenen
Vollkost führten (Infobox 2) [10]
[11]
[12]. Bemühungen, den dermatologischen Lehrauftrag Bommers um „Ernährungstherapie und
Volksernährung“ zu erweitern, scheiterten 1935. Von Seiten der Inneren Medizin sprach
sich der einflussreiche Internist Gustav von Bergmann (1878 – 1955) gegen die Erteilung
eines solchen Auftrages aus [13]
[14]. Auch dem ersten Antrag, Bommer zum außerordentlichen Professor zu ernennen, wurde
im Jahr 1936 nicht stattgegeben [15]. Nach seinem Beitritt zur NSDAP im Jahre 1937 erhielt Bommer im darauffolgenden
Jahr eine nichtbeamtete außerordentliche Professur [9]. Deutschlands erstes Institut für Ernährungsforschung öffnete 1938 unter der Leitung
Bommers an den Polikliniken der Berliner Ziegelstraße seine Türen [16]. Das Institut wurde zu Kriegsende komplett zerstört. Bommers Bemühungen zum Wiederaufbau
scheiterten [17]; 1950 erhielt er den Ruf auf den dermatologischen Lehrstuhl nach Greifswald [18].
I. Stufe: Fasten: Obstsaftdiät, Obstdiät, strenge Rohkost, Milchtage
II. Stufe: Obst, Obstsaft, „deutscher“ Tee (Kräuter-, Hagebutten- oder Apfeltee), Vollkornbrot,
Honig, Nüsse, Vollkornbrei (ohne Milch), Gemüse (roh oder gekocht), Salat, Pellkartoffeln,
Fett (Butter oder Pflanzenöl) 20 bis 40 g (pro Tag)
III. Stufe: Wie Stufe II
Zulage: ½ Liter Milch, 100 g Quark, Fettmenge 50 bis 60 g (pro Tag)
IV. Stufe: Wie Stufe III
Zulage: Fleisch oder Fisch bis 500 g in der Woche, 2 Eier in der Woche
Verboten: Fleisch- und Fischkonserven, Räucherwaren, Wurst, Käse (außer Quark), Kochsalz, alle
Mehlarten und Nährmittel außer Vollkornschrot, alle Brotsorten außer Vollkornbrot,
Süßwaren und Konditorwaren, alle Fette außer Butter oder Pflanzenöl, Essig, alle Essigkonserven,
alle chemisch konservierten Nahrungsmittel, Kaffee (auch Malzkaffee!), schwarzer Tee,
Kakao, Schokolade, Alkohol, Nikotin
Nur beschränkt erlaubt: Zucker, „einwandfreie“ Marmelade (ohne Farb- und Konservierungsstoffe o. ä. chemische
Zusätze)
Seine Familie siedelte erst 2 Jahre später endgültig von Westberlin nach Greifswald
über, nachdem Bommer die Rahmenbedingungen, unter denen er arbeiten konnte und wollte,
verhandelt hatte. Diese umfassten neben der Vergrößerung der stets überbelegten Universitätsklinik
für Haut- und Geschlechtskrankheiten eine in ihrer Art wahrscheinlich einzigartige
Ausstattung: eine Bäder- und Wickelabteilung, einen eigenen Garten zum Obst- und Gemüseanbau
(mit Gewächshäusern), Rohmilchlieferungen aus einem Universitätsgut des Umlandes und
die Einstellung von Diätassistentinnen für die Klinikküche. Schlussendlich gehörte
auch die Errichtung einer Forschungseinrichtung für seinen wissenschaftlichen Schwerpunkt
Ernährungslehre dazu [1]
[19]
[20]. 1959 konnte er innerhalb der Universitäts-Hautklinik Greifswald die Abteilung für
Medizinische Ernährungslehre eröffnen, deren Leiter er war. 1961 wurde die Abteilung
als „Forschungsstelle für medizinische Ernährungslehre“ selbständiges Institut der
Universität. Nach seiner im selben Jahr erfolgten Emeritierung blieb er als Leiter
der Einrichtung aktiv [1]
[21]. In dieser Zeit wendete er sich zunehmend der Ernährung im zivilisatorischen Kontext
zu. Bommer warnte vor der Zunahme von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Zahnschäden und
Krebsleiden, die nach seiner Einschätzung im direkten Zusammenhang mit falscher Ernährung
standen [22]. Am 11. August, knapp 2 Monate nach seinem 70. Geburtstag, starb Sigwald Bommer
bei einem tragischen Autounfall [23].
Ernährungstherapie und Ganzheitsmedizin in der Dermatologie
Die Hypothese Bommers zur Wirksamkeit der Ernährungstherapie umfasste die Verbesserung
sowohl der Gefäßfunktion als auch des intermediären Redoxstoffwechsels der Zellen
im gesamten Organismus. Die Entwicklung dieser Hypothese begann anhand der Beobachtungen
an Lupus-vulgaris-Herden: In minimal 6 Wochen kam es regelmäßig über einen Rückgang
von Ödem und venöser Stase zu einer belebteren Farbe und Beschaffenheit der Haut.
Schließlich heilten die Lupusgeschwüre fast narbenfrei ab, der längste Abheilungsprozess
dauerte allerdings achtzehn Monate. Mikroskopische Untersuchungen der Kapillaren bestätigten
den Prozess: Von unregelmäßig angeordneten und ausgesackten, atonischen Gefäßen entwickelte
sich das Kapillarbild zu feinem und regelmäßig gegliedertem, durchpulstem Gewebe.
Diese Beobachtungen blieben nicht auf Lupus vulgaris beschränkt. Auch bei narbig veränderter
Haut mit Hyperkeratosen und Teleangiektasien verbesserten sich Funktion und Durchblutungsverhältnisse
des Gewebes durch genügend lange Ernährungsumstellung [24]
[25].
Der Forschungsfortschritt in den 1930er-Jahren mehrte die Erkenntnisse über die Wichtigkeit
der Vitamine für den Zell- und Oxidationsstoffwechsel. Die häufig mit Hauterscheinungen
einhergehenden Avitaminosen wurden nach und nach abgegrenzt (Beri Beri – Thiaminmangel
– oxidativer Glykolyseweg, Citratzyklus, Pellagra – Niacinmangel – Wasserstoffübertragung
Citratzyklus/Atmungskette). Diese Erkenntnisse bestätigten Bommers Hypothese, dass
der gesunde Ablauf der Oxidationsvorgänge, von ihm auch das „System der Inneren Atmung“
genannt, zentral für die Entstehung und Verhinderung von Krankheiten war [25]
[26]. Des Weiteren beobachtete Bommer, dass Hautkrankheiten häufig mit Verdauungsstörungen
einhergingen. Die Nahrung an sich konnte einerseits durch Aufnahme von zu stark eiweiß-
und fetthaltigen Lebensmitteln verdauungs- und stoffwechselbelastend sein, andererseits
jedoch zu wenig Vitamine und „Spurenstoffe“ enthalten. Zu beachten waren also die
Menge und Qualität der Nahrung einerseits, die Verhältnisse der Hauptnährstoffe und
Vitaminzufuhr andererseits. Durchblutungshemmungen führten zu Ablagerungen von Stoffwechselzwischenprodukten,
die wiederum den Zellmetabolismus behinderten. Verdauungstätigkeit, Durchblutungssituation
und Stoffwechselaktivität besserten sich im Laufe der Nahrungsumstellung und galten
als Indikator für den Erfolg seiner Maßnahmen. Dem Gedanken folgend, dass diese 3
Systeme sich gegenseitig günstig oder ungünstig beeinflussten, begründete er den Einsatz
einer gestuften Ernährungstherapie bei unterschiedlichen Dermatosen. Je nach Patient
und Krankheitsgeschehen variierte er die Einstiegsstufe sowie Dauer und Schnelligkeit
des Kostaufbaus [26]
[27]. Seine „gesunde Dauerkost“, die er seinen Patienten kontinuierlich einzuhalten empfahl,
ähnelt erstaunlich den aktuell empfohlenen Ernährungsrichtlinien der Deutschen Gesellschaft
für Ernährung (DGE, [Tab. 1]) [11]
[28]
[29]
[30].
Tab. 1
Gegenüberstellung von Bommers „gesunder Dauerkost“ und „Vollwertig essen und trinken
nach den 10 Regeln der DGE“ [11]
[28]
[29]
[30].
Bommers „gesunde Dauerkost“
|
10 Regeln der DGE
|
1 Lebensmittelvielfalt genießen
|
Grundsätzlich ist eine laktovegetabile Ernährung zu bevorzugen mit Ergänzung von
Fleisch und Fisch an maximal 4 Tagen pro Woche.
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Nutzen Sie die Lebensmittelvielfalt und essen Sie abwechslungsreich. Wählen Sie überwiegend
pflanzliche Lebensmittel. Kein Lebensmittel allein enthält alle Nährstoffe. Je abwechslungsreicher Sie essen,
desto geringer ist das Risiko einer einseitigen Ernährung.
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2 Gemüse und Obst – nimm „5 am Tag“
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Obst und Gemüse (roh oder gekocht), Salat, Nüsse
|
Genießen Sie mindestens 3 Portionen Gemüse und 2 Portionen Obst am Tag. Zur bunten
Auswahl gehören auch Hülsenfrüchte wie Linsen, Kichererbsen und Bohnen sowie (ungesalzene)
Nüsse. Gemüse und Obst versorgen Sie reichlich mit Nährstoffen, Ballaststoffen sowie sekundären
Pflanzenstoffen und tragen zur Sättigung bei. Gemüse und Obst zu essen, senkt das
Risiko für Herz-Kreislauf- und andere Erkrankungen.
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3 Vollkorn wählen
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Pellkartoffeln, Vollkornbrot, Vollkornbrei; keine Weißmehlprodukte
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Bei Getreideprodukten wie Brot, Nudeln, Reis und Mehl ist die Vollkornvariante die
beste Wahl für Ihre Gesundheit. Lebensmittel aus Vollkorn sättigen länger und enthalten mehr Nährstoffe als Weißmehlprodukte.
Ballaststoffe aus Vollkorn senken das Risiko für Diabetes mellitus Typ 2, Fettstoffwechselstörungen,
Dickdarmkrebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
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4 Mit tierischen Lebensmitteln die Auswahl ergänzen
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Milchprodukte täglich (Milch, Quark); Fleisch bis 500 g oder Fisch bis 750 g und 2
Eier pro Woche
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Essen Sie Milch und Milchprodukte wie Joghurt und Käse täglich, Fisch ein- bis zweimal
pro Woche. Wenn Sie Fleisch essen, dann nicht mehr als 300 bis 600 g pro Woche. Milch und Milchprodukte liefern gut verfügbares Protein, Vitamin B2 und Calcium. Seefisch versorgt Sie mit Jod und fetter Fisch mit wichtigen Omega-3-Fettsäuren.
Fleisch enthält gut verfügbares Eisen sowie Selen und Zink. Fleisch und insbesondere
Wurst enthalten aber auch ungünstige Inhaltsstoffe.
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5 Gesundheitsfördernde Fette nutzen
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Pflanzenöl und Butter
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Bevorzugen Sie pflanzliche Öle wie Rapsöl und daraus hergestellte Streichfette. Vermeiden
Sie versteckte Fette. Fett steckt oft „unsichtbar“ in verarbeiteten Lebensmitteln
wie Wurst, Gebäck, Süßwaren, Fast-Food und Fertigprodukten. Pflanzliche Öle liefern, wie alle Fette, viele Kalorien. Sie liefern aber auch lebensnotwendige
Fettsäuren und Vitamin E.
|
6 Zucker und Salz einsparen
|
Verboten sind:
-
Stark salzhaltige und mit chemischen Konservierungsstoffen behaftete Nahrungsmittel
(Fleisch- und Fischkonserven, Räucherwaren, Wurst, Käse [außer Quark])
nur eingeschränkt:
„Wichtig [geschmacklich und gesundheitlich …] kann die Verwendung von Kräutern sein.“
|
Mit Zucker gesüßte Lebensmittel und Getränke sind nicht empfehlenswert. Vermeiden
Sie diese möglichst und setzen Sie Zucker sparsam ein. Sparen Sie Salz und reduzieren
Sie den Anteil salzreicher Lebensmittel. Würzen Sie kreativ mit Kräutern und Gewürzen. Zuckergesüßte Lebensmittel und Getränke sind meist nährstoffarm und enthalten unnötige
Kalorien. Zudem erhöht Zucker das Kariesrisiko. Zu viel Salz im Essen kann den Blutdruck
erhöhen. Mehr als 6 g am Tag sollten es nicht sein.Wenn Sie Salz verwenden, dann angereichert
mit Jod und Fluorid.
|
7 Am besten Wasser trinken
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Kräuter- und Früchtetee, Wasser; Verboten sind Kaffee (auch Malzkaffee), schwarzer
Tee, Alkohol, Nikotin.
|
Trinken Sie rund 1,5 Liter jeden Tag. Am besten Wasser oder andere kalorienfreie
Getränke wie ungesüßten Tee. Zuckergesüßte und alkoholische Getränke sind nicht empfehlenswert. Ihr Körper braucht Flüssigkeit in Form von Wasser. Zuckergesüßte Getränke liefern
unnötige Kalorien und kaum wichtige Nährstoffe. Der Konsum kann die Entstehung von
Übergewicht und Diabetes mellitus Typ 2 fördern. Alkoholische Getränke sind ebenfalls
kalorienreich. Außerdem fördert Alkohol die Entstehung von Krebs und ist mit weiteren
gesundheitlichen Risiken verbunden.
|
8 Schonend zubereiten
|
„die Zubereitung des Gemüses [ist] wichtig: Es soll möglichst kurz mit wenig Wasser
und etwas Fett (Butter oder Pflanzenöl) gedünstet werden. Ein rasches Ansteigen der
Erwärmung, kurzes Kochen, Nichtwarmhalten hinterher sind am ehesten geeignet, die
Vitaminwerte, soweit möglich, zu erhalten.“
|
Garen Sie Lebensmittel so lange wie nötig und so kurz wie möglich, mit wenig Wasser
und wenig Fett. Vermeiden Sie beim Braten, Grillen, Backen und Frittieren das Verbrennen
von Lebensmitteln. Eine schonende Zubereitung erhält den natürlichen Geschmack und schont die Nährstoffe.
Verbrannte Stellen enthalten schädliche Stoffe.
|
9 Achtsam essen und genießen
|
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Gönnen Sie sich eine Pause für Ihre Mahlzeiten und lassen Sie sich Zeit beim Essen. Langsames, bewusstes Essen fördert den Genuss und das Sättigungsempfinden.
|
10 Auf das Gewicht achten und in Bewegung bleiben
|
Sowohl Über- als auch Unterernährung sind zu vermeiden, die Ernährung muss an die
körperliche Aktivität angepasst werden.
|
Vollwertige Ernährung und körperliche Aktivität gehören zusammen. Dabei ist nicht
nur regelmäßiger Sport hilfreich, sondern auch ein aktiver Alltag, in dem Sie z. B.
öfter zu Fuß gehen oder Fahrrad fahren. Pro Tag 30 bis 60 Minuten moderate körperliche Aktivität fördern Ihre Gesundheit und
helfen Ihnen dabei, Ihr Gewicht zu regulieren.
|
Die Ernährungstherapie war für Bommer grundlegender Teil der Ganzheitsmedizin. Als
weiterhin relevant erachtete er die „Zufuhr von Licht und Wasser in geeigneter Form
und Dosierung, Aufenthalt und geregelte Bewegung an frischer Luft, Einflüsse von Wärme
und Kälte, Schlafen in genügend gelüfteten oder womöglich Freilufträumen, Ernährung.“
Hinzu kamen Massagen, Hautreizung durch trockenes Bürsten, „Schwitzbäder […] in Form
der finnischen Sauna“ und Schwefelbäder [31]
[32].
Als Ergänzung der durchblutungsfördernden Allgemeinmaßnahmen erprobte er auch homöopathische
Arzneimittel in niedriger, also stofflicher Potenzierung und äußere Anwendungen mit
Heilerde, Echinacin®, Eichenrindenabkochung und Vitamin-E-haltigem-Keimöl [31]
[33]. Während der Nachkriegszeit, in der Ernährungstherapien schlecht durchführbar waren,
widmete er sich gezielt der Injektionstherapie. Über Novocain® (Procain)-Infiltrationen um periphere Nerven und in Muskelverhärtungen gelang es
ihm, Hautveränderungen in den jeweiligen Innervationsgebieten zu bessern, doch die
Erfolge waren i. d. R. nicht dauerhaft. Ähnliche Wirkungen erzielte er mit der Injektion
von Doryl®, einem Acetylcholinpräparat, und Plenosol® (Mistelextrakt). Alle 3 Präparate wirkten
anregend auf die Durchblutung des den Injektionsort umgebenden Gewebes [34].
Mit einem heute sehr modern anmutenden Ansatz riet Bommer stets, das persönliche und
soziale Umfeld des Patienten bei der Therapie zu berücksichtigen. 1955 empfahl er
Psychotherapie als Begleitung bei juckenden Ekzemen [35].
Gute Erfolge mit der Ernährungstherapie hatte Bommer insbesondere bei akuten Dermatosen.
Dies sah er damit erklärt, dass die relevanten Störungen der akuten Entzündung – „1.
Der primäre Spasmus arterieller Stromgebiete, 2. die venöse Stase bzw. Prästase, 3.
die Permeabilitätsstörung der Gefäßwand mit folgendem Ödem“ – als Faktoren des pathologischen
Einflusses auf das „System der inneren Atmung“ zur physiologischen Norm rückführbar
waren [36]. So verzeichnete er gute Erfolge insbesondere bei akuten Dermatitiden, Ekzemerkrankungen
und Rosazea. Schwerer waren Heilungen von Akne und Psoriasis herbeizuführen. Sie bedurften,
wie alle chronischen Erkrankungen, einer längeren Behandlungsdauer bei nicht sicherem
Erfolg [37]. Obwohl die Ernährungstherapie mit größerem finanziellem Aufwand, bedingt durch
höhere Verpflegungskosten und längere Liegedauern, einherging, setzte sich Bommer
stets für ihre Anwendung ein. Dabei war er sich weiterer Faktoren, die die Ernährungstherapie
erschwerten, durchaus bewusst: Erstens verlangte die Therapie vom Patienten, Ernährungsgewohnheiten
– i. d. R. dauerhaft – umzustellen. Zweitens musste der behandelnde Arzt genügend
Nachkontrollen durchführen und den Patienten motivieren [10]
[38]
[39]. In Summe führten diese Punkte dazu, dass die Ernährungstherapie bis heute eine
Randerscheinung der Medizin blieb. Ebenso wird damit plausibel, dass die von Bommer
angeführten guten Erfolge bei Hauttuberkulose sich nicht durchgehend bestätigen ließen,
weil eine konsequente Durchführung der Ernährungstherapie nicht stattfand [40]
[41]
[42]. Mit der aufkommenden Chemotherapie ist diese innerhalb der 1950er-Jahre sehr schnell
abgelöst worden [43]
[44].
Stoffwechselstörungen als Kofaktor von Hautkrankheiten finden jedoch in neuerer Zeit
wieder mehr Beachtung, v. a. bei chronisch entzündlichen Erkrankungen wie der Psoriasis
und Akne. Das Metabolische Syndrom gilt heute als bedeutender Faktor der Pathogenese
und Aufrechterhaltung der Psoriasis. Zur ihrer Besserung werden derzeit folgende Maßnahmen
empfohlen: Vermeidung von Alkohol und Tabak, Reduzierung des Übergewichts sowie antioxidantien-
und vitaminreiche Kost. Die Gabe von Fischöl unterstützt die topische und systemische
Therapie [45]
[46]
[47].
Bodo Melnik spricht bei der Akne vom „Metabolischen Syndrom der Talgdrüse“. Er bewies
die Verbindung von Akne mit der „westlichen Nahrung“, insbesondere der Aufnahme von
Milchprodukten und Lebensmitteln mit hohem glykämischen Index (Weißmehlprodukte, Süßigkeiten
etc.). Die Nahrungsmittel führen über erhöhte IGF-1- und Insulinspiegel schlussendlich
zur Aktivierung von mTORC1 und damit zur Protein- und Fettsynthese. mTORC1 erhöht
nicht nur den Talgdrüsenstoffwechsel, sondern ist auch beim Auftreten nicht dermatologischer
metabolischer Erkrankungen, Diabetes mellitus, Übergewicht und Krebserkrankungen,
z. B. dem Melanom, von zentraler Bedeutung [45]
[48]. Ernährungsempfehlungen für Akne beinhalten: Vermeidung von Nikotin, Milchprodukten
und Süßspeisen, vermehrte Aufnahme von zinkhaltigen Nahrungsmitteln und Fischöl. Die
vielfach in Fischöl enthaltenen Omega-3-Fettsäuren (Eicosapentaensäure, EPA und Docosahexaensäure,
DHA) wirken über die Antagonisierung der Arachidonsäure allgemein antientzündlich
[46]. Die heutigen Ernährungsempfehlungen für diese Erkrankungen ähneln Bommers Ernährungsstufen
beträchtlich. Nahrungsmittel, die nach aktuellen Erkenntnissen entzündungsaktivierend
wirken, wurden weitgehend, aber nicht vollständig in der Aknetherapie ausgespart ([Tab. 2] und [Tab. 3]) [49]
[50]
[51].
Tab. 2
Ernährungsempfehlungen bei Akne [49]
[50]
[51].
|
zu vermeiden
|
empfohlen
|
Sigwald Bommer
|
|
|
Bodo Melnik
|
-
Zucker, Süßwaren, Softdrinks, Pizza, Nudeln, Weißbrot, Brötchen, Cornflakes
-
Milch, Joghurt, Milcheis, Molke, Kasein-Konzentrate, Käse, Butter, Sahne
-
Fast Food, Cracker, Pommes frites, Donuts
|
-
Salate, Gemüse (v. a. Kohlarten)
-
Seefische, Pflanzenöle (Olivenöl)
-
Grüner Tee, Curcumin, Beeren
|
Tab. 3
Unterschiede der Ernährungsempfehlungen bei Akne [49]
[50]
[51].
Bommer
|
Melnik
|
Empfehlung
|
Vermeidung
|
Butter
|
Butter
|
aufgrund gesättigter Fette mTORC1-Aktivierung
|
Milchprodukte im Rahmen einer laktovegetabilen Kost (Stufe III) Milch, Quark
|
Milchprodukte: Milch, Joghurt, Milcheis, Molke, Kaseinkonzentrate, Käse
|
Starker IGF-1- und Insulinanstieg postprandial, mTORC1-Induktion und -Aktivierung
|
Publikationen
Bommers Werk umfasst rund 230 Publikationen, die sich vorwiegend mit der Ernährungstherapie
beschäftigen. Seine Artikel erschienen in unterschiedlichen wissenschaftlichen Zeitschriften
und Fachjournalen, darunter Deutsche Medizinische Wochenschrift, Münchner Medizinische
Wochenschrift, Klinische Wochenschrift, Das Deutsche Gesundheitswesen, Strahlentherapie,
Dermatologische Zeitschrift, Dermatologische Wochenschrift, Zentralblatt für Haut-
und Geschlechtskrankheiten, Archiv für Dermatologie und Syphilis, Der Hautarzt und
Dermatologische Studien. Seine Dissertation wurde in der Zeitschrift für Krebsforschung,
seine Habilitationsschrift in der Acta Dermato-Venereologica veröffentlicht. International
publizierte er sowohl englisch in den US-amerikanischen Journalen The American Review
of Tuberculosis und The Urologic and Cutaneous Review als auch spanisch in der Revista
Médica Germano-Ibero-Americana. Seine erste Monografie, „Getreidegerichte aus vollem
Korn – gesund, kräftig, billig!“, stellt ein Kochbuch dar, das erstmals 1941 erschien.
Es folgten 4 weitere Auflagen unter demselben Titel. Seine ehemalige Ehefrau Lisa,
die als Co-Autorin mitwirkte, veröffentlichte in den 1980er-Jahren eine völlige Neuauflage
des Buchs unter dem Namen „Vollwert-Getreidegerichte aus echtem Schrot und Korn“.
In der zweiten Monografie des Jahres 1943, „Die Ernährung der Griechen und Römer“,
zeigte er die Entwicklung der Ernährung der antiken Völker und der modernen industriellen
Gesellschaft auf. Dazu stellte er jeweils die Auswirkungen auf Gesundheit und Krankheitsentstehung
dar. 1961 erschien eine Neuauflage des Werkes unter dem Titel „Die Gabe der Demeter“.
Wissenschaftliches und universitäres Ansehen
1955 nahm die Klasse der Medizin der Deutschen Akademie der Wissenschaften (DAW) Bommer
als Fachvertreter in den Sektionen Ernährung und Dermatologie auf [52]
[53]. In diesem Rahmen leitete er ab 1959 die klinisch-physiologische Abteilung des Institutes
für Ernährung in Potsdam-Rehbrücke [54]. 1956 trat er der „Internationalen Gesellschaft für Nahrungs- und Vitalstoff-Forschung“
bei. Er wurde noch im selben Jahr Mitglied des Wissenschaftlichen Rates und 1959 zum
Vizepräsidenten der Gesellschaft gewählt [55]
[56]. Seit 1953 war er Dekan der Medizinischen Fakultät Greifswald. Das Amt behielt er
bis 1957 und blieb weiter bis 1960 als Prodekan an der Fakultät tätig [23]
[57]. Bei Bommer habilitierten sich Heinz Langhof (1918 – 1965), Alwin Knapp (1918 – 1995)
und Heinz-Dieter Jung (1916 – 2000). Knapp folgte Bommer 1961 auf den Greifswalder
Lehrstuhl. Er forschte vorwiegend biochemisch auf dem Gebiet der Stoffwechselerkrankungen,
insbesondere zur Rolle des Vitamin-B-Komplexes und der Dysregulationen von Aminosäure-Stoffwechselwegen
[58].
Fazit
Bommer fällt durch die Beharrlichkeit auf, mit der er sich dem Thema der Ernährungstherapie
gegen Widerstände von ärztlichen Kollegen widmete. So können Bommers Forschungen und
Therapieansätze aus den 1930er- bis 1950er-Jahren als früher Versuch gelten, Hautkrankheiten
über eine Verbesserung des Gesamtstoffwechsels zu beeinflussen; sie stellen eine interessante
Anregung für die moderne Diätetik dar.