Über das Fernsehen macht sich heute kaum noch jemand Gedanken. Es ist einfach da,
wie der Strom aus der Steckdose oder fließendes Warm- oder Kaltwasser, und zählt zu
den beliebtesten Freizeitbeschäftigungen der Deutschen. Laut der Arbeitsgemeinschaft
Fernsehforschung (AGF) belief sich die durchschnittliche Fernsehdauer pro Tag im Jahr
2018 auf 217 Minuten, also 3,5 Stunden und 7 Minuten. In den letzten 10 Jahren schwankte
dieser Wert zwischen 3,5 Stunden und 2 Minuten im Jahr 2009 und 3,5 Stunden und 15
Minuten im Jahr 2011 (dem „Allzeithoch“; [[30]]).
Nach wie vor gehört das Fernsehen also zu den am meisten benutzten Bildschirmmedien,
wobei dies vor allem für die ältere Generation gilt. Wie ▶ [
Abb. 1
] zeigt, nimmt der Fernsehkonsum der Deutschen mit dem Lebensalter zu: Während die
3- bis 13-Jährigen 45 Minuten pro Tag fernsehen, sind es bei den 14- bis 29-Jährigen
schon 76 Minuten und bei allen über 14-Jährigen 216 Minuten, also etwas mehr als 3,5
Stunden.
Welche Konsequenzen hat Fernsehen für den Zuschauer? Interessanterweise gab es für
Menschen im höheren Lebensalter bislang hierzu nur wenige Untersuchungen. Gute Daten
lagen bislang vor allem für junge Menschen vor: Bei Kindern und Jugendlichen ist die
Sache klar, wie durch über Jahrzehnte hinweg publizierte Studien aus vielen Ländern
eindrücklich gezeigt werden konnte: Zuviel Fernsehen kann der kognitiven Entwicklung
schaden und damit der Bildungsbiografie junger Menschen, wie schon früher in dieser
Zeitschrift [[20], [22]] und von mir bereits im Jahr 2005 zusammenfassend in Buchform veröffentlicht worden
war [[21]]. Dass der Fernsehkonsum in jungen Jahren damit einen Risikofaktor für die Entwicklung
von Demenz im Alter darstellt, folgt zwangsläufig aus der Tatsache, dass eine geringere
Bildung in jungen Jahren mithin einer der größten Risikofaktoren für die Entwicklung
einer Demenz im Alter darstellt [[17], [25]].
Was den Fernsehkonsum im höheren Lebensalter anbelangt, war die Datenlage bislang
längst nicht so klar. Man vermutete zwar bereits im Jahr 1993, dass die Kombination
von „rasch wechselnden fragmentierten dichten sensorischen Reizen einerseits und Passivität
des Betrachters andererseits“ zur Entwicklung einer Demenz beitragen könnte, hatte
aber damals keine Belege dafür [[1]]. Dies änderte sich erst allmählich in den Jahren danach.
Bereits im Jahr 2005 publizierten US-amerikanische Wissenschaftler eine Fallkontrollstudie
an 135 Patienten mit Demenz vom Alzheimer-Typ und 331 gesunden Kontrollpersonen [[16]]. Man verglich beide Gruppen im Hinblick auf 26 Freizeitaktivitäten, denen die Teilnehmer
zwischen dem 40. und 59. Lebensjahrzehnt nachgegangen waren und fand mit jeder Stunde
TV-Konsum täglich ein um Faktor 1,3 gesteigertes Risiko an einer Alzheimer Demenz
erkrankt zu sein (unter Berücksichtigung der Kontrollvariablen Alter, Geschlecht,
Einkommen und Bildung). Bereits damals führten die Autoren die Vermutung an, dass
es die besonderen Eigenschaften des Fernsehens sind (geringe geistige Beanspruchung),
die den Effekt verursachen könnten: „Unsere Befunde passen zu der Überlegung, dass
die Teilnahme an nicht intellektuell stimulierenden Aktivitäten mit einem erhöhten
Risiko, an Alzheimer Demenz zu erkranken, verbunden ist, und dass Fernsehen einen
Marker für die verminderte Teilnahme an intellektuell stimulierenden Aktivitäten darstellen
könnte“[
1
] ([16], S. 157).
▶ Abb. 1 Je höher das Durchschnittsalter der Gruppe, desto länger wird ferngesehen. Man beachte,
dass hier – abgesehen von der ersten Säule ganz links – nicht die TV-Zeiten in verschiedenen
Altersgruppen für sich gezeigt sind, sondern jeweils die TV-Zeiten für die über 14-Jährigen
bis zu einem bestimmten Alter, welches zunimmt. Trotz längerer Suche waren Zahlen
für die einzelnen Gruppen jeweils für sich genommen für mich nicht auffindbar, bzw.
nicht frei zugänglich [[31]].
New Yorker Wissenschaftler gingen mit Unterstützung des National Institute of Aging
in Bethesda, Maryland, der Frage nach, ob bestimmte TV-Programme einen besonderen
negativen Einfluss auf die kognitive Leistungsfähigkeit haben [[7]]. Die befragten 289 Frauen im Alter von 70 –79 Jahren, die zu den gesünderen 2 Dritteln
einer Gesamtkohorte detailliert nach ihren Fernsehgewohnheiten. Man fragte im Einzelnen
ab, in welche Kategorien das gesehene TV-Programm fällt. Am häufigsten wurden Nachrichten
geschaut; weitere Kategorien (in englischer Sprache[
2
]) waren „Detective, Talk, Soap, Game, Nature, Mysteries, Comedies, Sports, Movies,
Other.“ Die Teilnehmerinnen waren im Mittel 75,5 Jahre alt und schauten 4 Stunden
fern. Ihre kognitive Leistungsfähigkeit wurde dann mit bekannten neuropsychologischen
Testverfahren gemessen (Trail Making Test, TMT; Hopkins Verbal Learning Test, Revised,
HVLT-R; Mini-Mental State Examination, MMSE).
Insgesamt zeigte die Studie einen klaren Zusammenhang zwischen der Bevorzugung von
Talkshows und Seifenopern („Talk“, „Soap“) mit dem Bestehen von Aufmerksamkeits- und
Gedächtnisdefiziten. Um auszuschließen, dass es sich um einen Effekt von prodromal
vorbestehenden depressiven oder demenziellen Erkrankungen handelt, wiederholte man
daher die Analyse nur mit Daten von denjenigen Teilnehmerinnen mit intakter globaler
kognitiver Leistungsfähigkeit (ausgeschlossen wurden n = 28) und ohne jegliche depressive
Symptomatik (ausgeschlossen: n = 18). Das Ergebnis blieb hierdurch unbeeinflusst,
sodass die Autoren insgesamt zu dem Ergebnis kommen, dass eine Präferenz beim Fernsehen
für Talkshows und Seifenopern mit einer etwa 7,3-fach bzw. 13,5-fach erhöhten Wahrscheinlichkeit
von geringerer geistiger Leistungsfähigkeit einhergeht.
Da es sich um eine Querschnittsstudie handelt, lässt sich prinzipiell nicht sagen,
wie dieser Zusammenhang zu interpretieren ist: Das Schauen von Talkshows und Seifenopern
könnte zu Einbußen in der geistigen Leistungsfähigkeit führen; es könnte jedoch auch
sein, dass Menschen mit eingeschränkter geistiger Leistungsfähigkeit diese TV-Programme
bevorzugen, weil sie wenig kognitive Ansprüche stellen. Die Autoren geben weiterhin
zu bedenken, dass diese Sendungen aufgrund ihres „parasozialen“[
3
] Charakters zum Stressabbau geeignet seien und daher einen Marker für Stress darstellen
könnten, was den Zusammenhang ursächlich erklären würde.
Eine im Fachblatt Neurology publizierte chinesische Studie erfasste 5437 Teilnehmer
beiderlei Geschlechts im Alter von 55 Jahren oder mehr über einen Zeitraum von 5 Jahren
(Chongqing Aging Study; [[34]]). Jährlich wurde mit der Mini-Mental State Examination (MMSE) die kognitive Leistungsfähigkeit
bestimmt, wobei sich ein durchschnittliches Risiko von 2,3 % für die Entwicklung einer
kognitiven Leistungsbeeinträchtigung (cognitive impairment) zeigte. Gemessen wurden
Lebensgewohnheiten bzw. geistige, körperliche und soziale Aktivitäten (Lesen, Brettspiele,
Fernsehen, Radiohören, Schreiben, Gartenarbeit, Angeln, Verwandte und Freunde besuchen,
Reisen, Malen und Zeichnen, Radiohören, Tanzen, Musizieren) sowie bekannte Risikofaktoren
(Alkohol- und Tabakkonsum, das Bestehen körperlicher Erkrankungen oder einer Depression,
geringer Bildungsgrad) für die Entwicklung kognitiver Beeinträchtigungen. Während
Lesen und Brettspiele im Verlauf mit einer vergleichsweise geringeren kognitiven Beeinträchtigung
signifikant einhergingen, zeigte sich der entgegengesetzte Zusammenhang für das Fernsehen.
Die Autoren diskutieren dieses Ergebnis vorsichtig erneut dahingehend, dass Fernsehen
sowohl kognitive Beeinträchtigung zur Folge haben könnte oder aber auch als Zeichen
für eine bereits bestehende Beeinträchtigung gewertet werden könne. Interessanterweise
zeigten Musizieren, Schreiben sowie die verschiedenen körperlichen und sozialen Aktivitäten
keinen Zusammenhang mit der Entwicklung kognitiver Defizite. Lediglich kognitiv anspruchsvolle
Tätigkeiten (Lesen, Brettspiele) zeigten einen positiven Zusammenhang mit der geistigen
Leistungsfähigkeit und Fernsehen einen negativen. Obwohl die Autoren aus ihren Daten
keine Kausalität ableiten können, halten sie den Zusammenhang dennoch für klinisch
relevant: Sofern man während der Anamnese ohnehin über Freizeit- und Mediennutzungsverhalten
spricht, sollte man etwas genauer nach den geschauten Sendungen fragen. Werden dann
vor allem Talkshows und Seifenopern angegeben, könne dies im Einzelfall eine genauere
Betrachtung der geistigen Leistungsfähigkeit nahelegen.
Eine aufwendige, im Fachblatt JAMA Psychiatry publizierte Längsschnittstudie ergab
weitere Hinweise für ungünstige Auswirkungen von geringer körperlicher Aktivität und
viel Fernsehen in jüngeren Jahren (18- bis 30-Jährige, Durchschnittsalter 25,1 Jahre;
56,5 % weiblich; 54,5 % hellhäutig) auf die geistige Leistungsfähigkeit 25 Jahre später
[[10]]. Die Studie wurde in 4 US-amerikanischen Großstädten in den Jahren 1985–2011 durchgeführt
und beinhaltet Daten (alle 5 Jahre wurde gemessen) zu 3247 Teilnehmern (man hatte
mit 5115 begonnen). Zur Messung der körperlichen Aktivität wurde ein standardisierter
Fragebogen verwendet, der 13 Aktivitäten starker und moderater körperlicher Anstrengung
einzeln erfasst. Der tägliche TV-Konsum wurde erfragt, und die geistige Leistungsfähigkeit
nach 25 Jahren wurde mittels dreier standardisierter Verfahren gemessen: Der Digital
Symbol Substitution Test (DSST) diente zur Erfassung von Schnelligkeit und exekutiven
Funktionen, für die zudem auch der Stroop-Test zum Einsatz kam. Das verbale Gedächtnis
wurde mit dem Rey Auditory Verbal Learning Test (RAVLT) gemessen. Eine ganze Reihe
von möglicherweise relevanten weiteren Kovariablen (Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit,
Bildungsgrad, BMI, Alkohol- und Nikotinkonsum und Bluthochdruck) wurden ebenfalls
erfasst.
Gruppenvergleiche im Hinblick auf die körperliche Aktivität ergaben für die exekutiven
Funktionen ein um etwa 50 % gesteigertes Risiko (DSST: OR 1,62; Stroop: OR: 1,37)
der Abnahme in der Gruppe mit geringer körperlicher Aktivität (n = 528, entsprechend
16,7 % der Gesamtgruppe; alle Ergebnisse signifikant). Das verbale Gedächtnis war
nicht beeinträchtigt (RAVLT: OR 1,17, n. s.). Bezog man die genannten Kovariablen
mit in die Analyse ein, blieben die Ergebnisse für den DSST (OR 1,47) signifikant.
Die Gruppe mit viel TV-Konsum (n = 353, entsprechend 10,9 % der Gesamtgruppe; nur
signifikante Ergebnisse werden berichtet) hatte dagegen ein um 50 bis mehr als 100
% gesteigertes Risiko einer Reduktion der exekutiven Funktionen bei allen 3 Tests
(DSST: OR 2,26; Stroop. OR: 2,01; RAVLT: OR 1,58). Unter Einbeziehung der Kovariablen
reduzierten sich diese Werte etwas, blieben jedoch für den DSST (OR 1,64) und den
Stroop-Test (OR 1,58) signifikant. Auch unter Einbeziehung der körperlichen Aktivität
in das Regressionsmodell änderten sich diese Ergebnisse nur unerheblich. Weiterhin
gab es keine signifikante Interaktion zwischen körperlicher Aktivität und TV-Konsum.
In dieser Studie wurde deutlich, dass der negative Effekt des TV-Konsums mit der Verdrängung
körperlicher Aktivität allein nicht erklärt werden kann. Zudem erwies sich der Effekt
des Fernsehens als größer als der Effekt geringer körperlicher Aktivität und als weitgehend
unabhängig von diesem. Ein wesentlicher Nachteil der Studie besteht darin, dass keine
Ausgangsmessung der geistigen Leistungsfähigkeit vorgenommen wurde und man daher nicht
ausschließen kann, dass die geistig Schwächeren mehr Fernsehen und damit der Ursache-Wirkungs-Zusammenhang
nicht vom Fernsehen zur geringen geistigen Leistungsfähigkeit geht, sondern umgekehrt
verläuft[
4
]. Weil jedoch die Teilnehmer dieser Studie zu Beginn im Mittel 25 Jahre alt waren,
ist es unwahrscheinlich, dass man hier schon Einschränkungen (im Sinne von Anzeichen
einer Demenz) hätte messen können. Dennoch ist eine solche umgekehrte Kausalität im
Hinblick auf mehr TV-Konsum und geringere geistige Leistungsfähigkeit (das zweite
bewirkt das erste) allerdings nicht mit letzter Sicherheit auszuschließen, denn man
weiß aus anderen Studien, dass weniger gebildete Menschen mehr Fernsehen, und dass
die Bildung eines Menschen vor Demenz schützt (siehe hierzu auch die Diskussion).
Eine sehr große britische Studie (UK Biobank cohort; [[2]]) fand ebenfalls einen negativen Zusammenhang zwischen TV-Konsum und geistiger Leistungsfähigkeit
5 Jahre später. Die großen Teilnehmerzahlen (je nach Test zwischen gut 12 000 und
gut 114 000) werden allerdings durch eine weniger genaue Methodik (Selbstbeurteilung
und Tests am Computer zuhause, d. h. unbeobachtet) gleichsam „erkauft“, was eigene
Probleme bei der Interpretation der Daten mit sich bringt.
Ganz aktuell wurde jetzt eine Studie über die Auswirkungen des TV-Konsums auf die
geistige Leistungsfähigkeit im Alter veröffentlicht, die wegen des aufwendigen methodischen
Vorgehens bei zugleich recht großer Stichprobe als bemerkenswert einzustufen ist [[6]]. Man verwendete Daten von 3590 Teilnehmern im Alter von über 50 Jahren, die geistesgesund
(also ohne Demenz) in den Jahren 2008 und 2009 in die English Longitudinal Study of
Aging (ELSA) aufgenommen worden waren und 6 Jahre danach (2014–2015) erneut untersucht
wurden.
Die Teilnehmer waren im Mittel 67 Jahre alt (Bereich: 52 bis über 90 Jahre), zu 43,7
% männlich und zu 72,3 % verheiratet bzw. fest liiert. Die meisten arbeiteten nicht
mehr, aber immerhin etwa jeweils 15 % arbeiten noch vollzeitig bzw. in Teilzeit. Nach
ihrem durchschnittlichen täglichen Fernsehkonsum wurden die Teilnehmer in 5 etwa gleich
große Gruppen (Quintile) eingeteilt, die
-
weniger als 2,5 Stunden (19,6 %),
-
2,5–3,5 Stunden (19,1 %),
-
3,5–4,5 Stunden (18,4 %),
-
4,5–7 Stunden (23,4 %) bzw.
-
mehr als 7 Stunden (19,6 %) täglich fern sahen.
Wie ▶ [
Tab. 1
] zeigt, schauen Frauen bzw. allein lebende, nicht mehr arbeitende, weniger gebildete
und ärmere Menschen mehr fern als Männer bzw. verheiratete, arbeitende, gebildetere
und wohlhabendere Menschen (▶ [
Abb. 2
]).
Zur Messung der geistigen Leistungsfähigkeit der Teilnehmer wurden bekannte Textverfahren
für das Neulernen verbaler Information (verbal memory) und die Wortflüssigkeit (semantic
fluency) zu Beginn der Studie (baseline) und 6 Jahre später verwendet. Zur Messung
des verbalen Gedächtnisses wurden 10 Wörter per Tonaufzeichnung (ein Wort jede zweite
Sekunde) dargeboten und sowohl gleich danach sowie einige Zeit später wieder abgefragt.
Die Leistung aus beiden Abfragen diente als Maß des verbalen Gedächtnisses bzw. des
Neulernens. Die semantische Flüssigkeit wurde gemessen, indem die Teilnehmer so viele
Tiere wie möglich in einer Minute nennen sollten.
Dann wurde der Einfluss der Zeit des Fernsehkonsums mit 3 Regressionsmodellen untersucht.
Man verglich hierzu, um wie viel sich die Leistungsfähigkeit in den Tests bei den
Teilnehmern aus den Quintilen 2–5 gegenüber dem ersten Quintil (weniger als 2,5 Stunden
TV-Konsum) verändert hat. Dieses Vorgehen entspricht dem von nahezu allen Studien
zu den Auswirkungen des Fernsehkonsums auf was auch immer – Bildung, Körpergewicht,
Kriminalität etc. Es ist der Tatsache geschuldet, dass es praktisch niemanden gibt,
der überhaupt nicht fernsieht. Zum Vergleich: Will man die Auswirkungen des Rauchens
auf die Gesundheit der Menschen untersuchen, dann kann man Raucher mit Nichtrauchern
vergleichen. Dies gelingt bei Studien zum TV-Konsum nicht, weil praktisch niemand
gar nicht fernsieht. Man ist also immer auf den Vergleich von mehr mit weniger Fernsehen
angewiesen[
5
].
Tab. 1
Deskriptive Ergebnisse in den 5 Quintilen nach zunehmender Fernsehzeit im Hinblick
auf demografische und andere untersuchte Variablen (nach [[6]], Table 1). Sämtliche Unterschiede in den hier angeführten Variablen (Geschlecht,
Status etc.) bezüglich der Quintile sind mit p < 0,001 signifikant.
Variable
|
Quintile nach täglicher TV-Zeit
|
< 2,5 h
|
2,5–3,5 h
|
3,5–4,5 h
|
4,5–7 h
|
> 7 h
|
Geschlecht
|
m
|
23,8 %
|
20,5 %
|
16,8 %
|
20,8 %
|
18 %
|
w
|
16,2 %
|
18 %
|
19,6 %
|
25,5 %
|
20,7 %
|
Status
|
verh/gem
|
21,1 %
|
19,8 %
|
18,1 %
|
22,3 %
|
18,8 %
|
allein
|
15,6 %
|
17,4 %
|
19,0 %
|
26,5 %
|
21,5 %
|
Arbeit
|
Vollzeit
|
28,2 %
|
23,6 %
|
16,1 %
|
16,5 %
|
15,7 %
|
Teilzeit
|
24,2 %
|
20,1 %
|
19,9 %
|
17,7 %
|
18,1 %
|
keine
|
16,7 %
|
18,0 %
|
18,5 %
|
26.2 %
|
20,7 %
|
Bildung
|
kein Abschluss
|
7,6 %
|
12,7 %
|
16,8 %
|
32,5 %
|
30,4 %
|
Abschluss mit 16
|
16,9 %
|
19,6 %
|
21,0 %
|
23,6 %
|
19,0 %
|
Abschluss mit 18
|
19,1 %
|
21,5 %
|
19,3 %
|
22,8 %
|
17,3 %
|
höherer Abschluss
|
32,3 %
|
25,9 %
|
16,6 %
|
15,3 %
|
9,9 %
|
SES
|
20 % arm
|
8,2 %
|
11,3 %
|
17,1 %
|
32,9 %
|
30,4 %
|
20 % reich
|
32.2 %
|
25,9 %
|
16,6 %
|
15,3 %
|
9,9 %
|
körperliche Aktivität
|
Gering
|
12,5 %
|
15,1 %
|
17,5 %
|
29,8 %
|
25,2 %
|
Mäßig
|
19,1 %
|
20,0 %
|
19,0 %
|
23,4 %
|
18,8 %
|
Hoch
|
28,2 %
|
21,4 %
|
17,8 %
|
16,5 %
|
16,2 %
|
▶ Abb. 2 Daten aus ▶ [
Tab. 1
] zum Zusammenhang von TV-Konsum in Stunden pro Tag und Bildung (kein Abschluss versus
akademischer Abschluss) sowie sozioökonomischem Status (arm versus reich), wobei jeweils
die Extremgruppen (oberstes und unterstes Fünftel) miteinander verglichen werden.
Je gebildeter ein Mensch ist, desto weniger sieht er fern. Je ungebildeter er ist,
desto mehr sieht er fern. Fast das gleiche Ergebnis (die Zahlen in der Tabelle sind
teilweise fast identisch) liefert die Einteilung nach sozioökonomischem Status (nach
Daten aus ▶ [
Tab. 1
]).
▶ Abb. 3 Abnahme des verbalen Gedächtnisses in Abhängigkeit vom Fernsehkonsum: Dargestellt
ist die Abnahme des verbalen Gedächtnisses bei den 4 Gruppen mit längeren täglichen
TV-Zeiten bezogen auf die Gruppe mit der geringsten TV-Nutzungszeit von 0–2,5 Stunden
täglich; angegeben sind die beta-Gewichte der ersten beiden Regressionsmodelle (links:
Modell 1; rechts: Modell 2). Die Abnahme in der Gruppe mit 2,5–3,5 Stunden Nutzungszeit
ist in beiden Modellen nicht statistisch signifikant (n. s.). In den 3 Gruppen mit
noch höherem TV-Konsum jedoch erreicht die Abnahme der verbalen Gedächtnisleistung
in beiden Modellen jeweils das angegebene Signifikanzniveau (p-Werte in der Abbildung
angegeben; nach Daten aus [[6]], Table 2, linke Spalte). Zwischen den Modellen 2 und 3 gab es nur sehr geringe
Unterschiede, weswegen die Daten aus Modell 3 nicht abgebildet sind.
Die Regressionsmodelle bezogen inkrementell zusätzliche Variablen mit ein: Mit Modell
1 untersuchte man die Auswirkungen des TV-Konsums auf die Messungen der geistigen
Leistungsfähigkeit nach 6 Jahren unter Einbeziehung der Ausgangswerte (baseline).
Bei Modell 2 bezog man noch zusätzlich die Auswirkungen demografischer Variablen (Geschlecht,
Alter, Status, ethnische Zugehörigkeit, Arbeit, Bildung und sozioökonomischer Status,
SES) mit ein sowie zusätzlich erfasste Variablen zur Gesundheit der Teilnehmer (Bestehen
einer Depression, Selbstbeurteilung der körperlichen Gesundheit, Alkohol- und Nikotinkonsum,
Vorliegen chronischer Erkrankungen, einschließlich kardiovaskulärer Probleme). In
einem dritten Ansatz (Modell 3) wurde schließlich noch zusätzlich die körperliche
Aktivität berücksichtigt.
Die 3 Modelle berücksichtigen also entweder
-
nur den Zusammenhang zwischen Fernsehkonsum und Veränderung der geistigen Leistungsfähigkeit
im Vergleich zur Ausgangsmessung, oder sie bezogen noch
-
demografische und Gesundheitsdaten in die Auswertung mit ein bzw.
-
noch zusätzlich das Ausmaß der körperlichen Aktivität.
Beim verbalen Gedächtnis zeigte sich in Modell 1 ein klarer dosisabhängiger Zusammenhang
zum TV-Konsum: Je mehr Stunden täglich TV konsumiert wird, desto mehr nahm das verbale
Gedächtnis im Vergleich zum Ausgangswert 6 Jahre zuvor ab (▶ [
Abb. 3
]). In den anderen beiden Modellen erwies sich dieser Zusammenhang zwar als 44–55
% kleiner, war aber dennoch deutlich: Selbst in Modell 3 ergab sich ein linearer (also
dosisabhängiger) negativer Zusammenhang (B = –0,13, SE = 0,04, p < 0,001, CI: –0,20,
–0,06) zwischen täglicher Fernsehzeit und verbalem Gedächtnis. Zum Vergleich führen
die Autoren an, dass nach ihren Berechnungen 3,5 Stunden TV-Konsum für das verbale
Gedächtnis schädlicher sind als Armut (unteres Quintil verglichen mit dem mittleren
Quintil). Mehr als 7 Stunden täglicher TV-Konsum ist vergleichsweise schädlicher als
nicht vorhandener Schulabschluss.
Im Hinblick auf die Wortflüssigkeit ergab das Model 1 ebenfalls eine negative Beziehung
zu mehr als 3,5 Stunden täglichem TV-Konsum, der sich jedoch bei den Modellen 2 und
3 stark abschwächte und nicht mehr überzufällig war. Zwischen den beiden Modellen
gab es nur kleine, numerische Unterschiede, sodass die Autoren davon ausgehen, dass
vor allem die demografischen und die Gesundheitsvariablen für die Abschwächung verantwortlich
sind, nicht jedoch das Ausmaß körperlicher Aktivität.
Weitere statistische Analysen zeigten, dass der Effekt nicht durch einen anderen Mechanismus
(etwa einen bestimmten Risikofaktor oder eine bestimmte Krankheit) zustande kam. Es
zeigte sich ferner, dass die vor dem Fernseher verbrachte Zeit bei den Teilnehmern
über die Zeit hinweg recht stabil war, und dass, wenn der Effekt für den schmalen
Bereich von 3–3,5 Stunden berechnet wurde, er sich noch nicht zeigt. Hieraus schließen
die Autoren, dass 3,5 Stunden täglicher TV-Konsum als ein Schwellenwert zu betrachten
ist, oberhalb dessen sich negative Auswirkungen von TV-Konsum bemerkbar macht.
Die Studie zeigt zunächst einmal, dass man die Effekte des Fernsehens nicht einfach
als Verdrängung gesünderer Verhaltensweisen als Sitzen betrachten kann. Diese sogenannte
Verdrängungshypothese [[19]] ist die schwächste Interpretation der Effekte von Bildschirmmedien, weil sie unmittelbar
plausibel ist (wer vor dem Fernseher sitzt, tut vieles andere Gute bzw. Gesunde nicht)
und ohne jegliche Vorannahmen zu gesundheitlichen Problemen durch Bildschirmmedien
auskommt. (Motto: Bildschirmmedien sind an sich nicht schädlich, aber wenn man zu
viel Zeit damit verbringt, macht man manches, was einem gut täte, weniger.) Gemäß
dieser Hypothese könnte man vermuten (und so wurde es auch immer wieder behauptet),
dass das Fernsehen (oder andere Bildschirmmedien wie Computer oder Spielekonsolen,
Tabletts oder Smartphones) nicht per se schädliche Auswirkungen hätten, sondern lediglich
Bewegungsarmut begünstigten. Deswegen käme es dann zu den negativen Auswirkungen.
Dieser Mechanismus existiert einerseits sicherlich in der realen Welt, er erklärt
jedoch die vorliegenden Daten nicht. Denn es wurde ja – und das ist eine Besonderheit
der Studie – ein Zusammenhang zwischen TV-Konsum und Verminderung der geistigen Leistungsfähigkeit
gefunden, der sich als unabhängig vom Ausmaß der körperlichen Bewegung darstellte.
Zuviel Fernsehen scheint also über Bewegungsmangel mit all seinen Folgen hinausgehend
zu einer Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit zu führen. Wer also meint,
er brauche zwischen den Zeiten seines TV-Konsums nur gelegentlich zu joggen und wäre
damit automatisch vor negativen Folgen geschützt, der irrt.
Wenn die Ursachen für den Zusammenhang zwischen Fernsehen und geistiger Leistungsfähigkeit
nicht im Bewegungsmangel liegen, worin bestehen sie dann? Die Autoren diskutieren
3 mögliche Mechanismen:
-
der passive Charakter des TV-Konsums,
-
Stress (durch Fernsehen) mit konsekutivem neuronalen Zelltod im Hippocampus sowie
-
die Verdrängung anderer Freizeitaktivitäten wie gemeinsames Spielen oder andere kulturelle
bzw. soziale Aktivitäten, die der Entwicklung einer Demenz entgegenwirken[
6
].
Verdrängung anderer Freizeitaktivitäten
Es ist eine Binsenweisheit, dass der Fernsehkonsum andere Aktivitäten verdrängt. Hierbei
handelt es sich keineswegs nur um Bewegung, sondern vor allem auch um gemeinsame Freizeitaktivitäten
und damit um Sozialkontakte, die in unserer von Bildschirmmediennutzung geprägten
Welt immer seltener werden: Bei Erwachsenen in den USA beträgt die Bildschirmmediennutzung
im täglichen Durchschnitt 9 Stunden und 22 Minuten, davon eine Stunde und 39 Minuten
bei der Arbeit und 7 Stunden und 43 Minuten in der Freizeit. 51 % der Erwachsenen
geben an, mehr als 8 Stunden täglich mit Medien zu verbringen, nur 19 % geben dagegen
weniger als 4 Stunden tägliche Medienzeit an [[13]]. Da bleibt für soziales Erleben und die damit verbundenen kognitiven Herausforderungen
kaum noch Zeit. Auch kann hinzutreten, dass die Verringerung der Häufigkeit und Dauer
sozialer Kontakte zu einer Zunahme des Erlebens von Einsamkeit führen, von der wir
heute wissen, dass Einsamkeit wiederum als Stressor bedeutsame negative Auswirkungen
auf Gesundheit und Wohlbefinden haben kann ([[12], [11]]; zusammenfassende Darstellung in [[28], [29]] ).
Zurück zum Befund, dass Fernsehen im Alter mit verminderter geistiger Leistungsfähigkeit
ab 3,5 Stunden pro Tag (im Vergleich zu bis zu 2,5 Stunden) im Zusammenhang steht.
Ein flüchtiger Blick auf ▶ [
Abb. 1
] könnte im Lichte dieses Ergebnisses zunächst als „Entwarnung“ interpretiert werden,
scheinen wir doch im Wesentlichen weniger als 3,5 Stunden täglich fern zu sehen. Man
kann jedoch aus der Abbildung bereits erahnen, dass ältere Menschen einen höheren
TV-Konsum haben, denn je mehr von ihnen hinzukommen und je älter diese sind, desto
stärker erhöht sich der Gesamtdurchschnitt.
Berechnet man die Daten aus ▶ [
Abb. 1
] unter Zuhilfenahme der demografischen Daten zu Deutschland (wie viele Menschen sind
gerade wie alt) neu, so lassen sich Altersgruppen mit klaren Kategoriengrenzen berechnen
und es ergeben sich die in ▶ [
Abb. 4
] dargestellten Werte. Wie man sieht, sind genau diejenigen, die in der Studie von
Fancourt und Steptoe (2019) [[6]] untersucht worden waren, auch am stärksten betroffen: Der durchschnittliche Fernsehkonsum
liegt in genau den Altersgruppen über 50 Jahren deutlich über 3,5 Stunden, für die
in dieser Studie auch ein negativer Zusammenhang des täglichen TV-Konsums von über
3,5 Stunden mit geistiger Leistungsfähigkeit gefunden worden war. Bei den 50- bis
59-Jährigen liegt der tägliche TV-Konsum bei knapp 4,5 Stunden, bei den 60- bis 69-Jährigen
bei gut 5 Stunden und bei den über 70-Jährigen bei gut 5,5 Stunden. So betrachtet
sind die Ergebnisse praktisch sehr bedeutsam.
Aber ist der aus dem vereinigten Königreich stammende Befund auch für Deutschland
relevant? Ohne auf die qualitativen Unterschiede des Fernsehens zwischen uns und unseren
britischen Nachbarn eingehen zu können (das Parlament ist dort auf jeden Fall kurzweiliger,
das haben wir alle in den letzten Wochen und Monaten gelernt), liegen Deutschland
und Großbritannien im europäischen Vergleich – also quantitativ – nicht sehr weit
auseinander, wie aus ▶ [
Tab. 2
] hervorgeht. Die Deutschen schauen eher noch etwas mehr fern als die Briten, sodass
die Ergebnisse aus Großbritannien durchaus auf uns angewandt werden können.
Der tägliche Fernsehkonsum in Europa schwankt zwischen 2 Stunden in der deutschen
Schweiz und 5,25 Stunden in Rumänien (EU-Durchschnitt: 3 Stunden 47 Minuten). Wer
nun denkt: „Da sind wir ja in Deutschland mit unserem durchschnittlichen täglichen
TV-Konsum von 3 Stunden und 41 Minuten gerade nochmal halbwegs davon gekommen; sollen
doch erst einmal die Rumänen, Serben, Portugiesen, Griechen, Türken, Polen oder Italiener
nicht so viel fernsehen“, der liegt falsch. Denn ein durchschnittlicher TV-Konsum
von 3 Stunden 41 Minuten sagt auch, dass etwa die Hälfte der Menschen mehr als 3,5
Stunden vor dem Fernseher verbringt[
7
]. Und zweitens liegen die älteren Menschen, also genau die Gruppe, die bei erhöhtem
TV-Konsum mit dosisabhängig häufiger an Demenz erkrankt, weit oberhalb der 3,5 Stunden.
Muss man sich um Länder mit durchschnittlich weit über 3,5 Stunden liegendem TV-Konsum
Sorgen machen? – Vielleicht. Wie ein flüchtiger Blick auf die ▶ [
Tab. 2
] vermuten lässt, gibt es eine deutliche negative Korrelation zwischen dem durchschnittlichen
TV-Konsum der Bewohner eines Landes und deren wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit
(Bruttoinlandsprodukt pro Kopf). Berechnet man diese Korrelation, dann liegt sie kaufkraftbereinigt
bei r = –0,74 (p < 10-5), nicht kaufkraftbereinigt liegt sie mit r = –0,79 sogar noch etwas höher. Nun ist
Korrelation nicht gleich Kausalität. Aber wie herum man es auch betrachtet: Sorgen
kann man sich in beiden Fällen machen[
8
].
Tab. 2
TV-Konsum in Minuten pro Tag nach Ländern im Jahr 2017 [[32]]. Die Tabelle wurde um die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des betreffenden Landes
(Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner, unbereinigt sowie kaufkraftbereinigt) ergänzt
(Daten aus Wikipedia zum Jahr 2017).
Land
|
TV Minuten/Tag
|
BIP/Kopf
|
BIP/Kopf (kaufkraftbereinigt)
|
Rumänien
|
317
|
10,757
|
24,508
|
Serbien
|
313
|
5,899
|
15,000
|
Portugal
|
284
|
21,161
|
30,417
|
Ungarn
|
282
|
15,531
|
29,474
|
Nordmazedonien
|
274
|
5,474
|
14,914
|
Griechenland
|
262
|
18,637
|
27,737
|
Türkei
|
261
|
10,512
|
26,893
|
Kroatien
|
260
|
13,138
|
24,423
|
Polen
|
259
|
13,822
|
29,523
|
Bulgarien
|
249
|
8,064
|
21,687
|
Italien
|
244
|
31,984
|
38,140
|
Estland
|
243
|
19,840
|
31,749
|
Belgien (Süd)
|
243
|
43,582
|
46,553
|
Russland
|
242
|
10,608
|
27,835
|
Ukraine
|
242
|
2,583
|
8,713
|
Slowakei
|
237
|
17,664
|
33,025
|
Litauen
|
236
|
16,730
|
32,229
|
EU
|
227
|
32,700
|
32,700
|
Spanien
|
225
|
28,359
|
38,286
|
Weißrussland
|
225
|
5,760
|
18,931
|
Frankreich
|
222
|
39,869
|
43,760
|
Deutschland
|
221
|
44,550
|
50,425
|
Slowenien
|
215
|
23,654
|
34,408
|
Zypern
|
209
|
24,976
|
37,023
|
Vereinigtes Königreich
|
203
|
39,735
|
44,117
|
Belgien (Nord)
|
198
|
43,582
|
46,553
|
Niederlande
|
178
|
48,346
|
53,635
|
Lettland
|
177
|
15,547
|
27,644
|
Irland
|
175
|
70,638
|
75,539
|
Österreich
|
175
|
47,290
|
49,869
|
Finnland
|
168
|
46,017
|
44,333
|
Schweiz (italienisch)
|
163
|
80,591
|
61,422
|
Dänemark
|
156
|
56,444
|
49,883
|
Luxemburg
|
148
|
105,803
|
106,374
|
Schweden
|
140
|
53,218
|
51,475
|
Schweiz (französisch)
|
139
|
80,591
|
61,422
|
Norwegen
|
138
|
74,941
|
71,831
|
Schweiz (deutsch)
|
121
|
80,591
|
61,422
|
Denn es könnte ja sein, dass sich die Menschen in ärmeren Ländern eher vor den Fernseher
zurückziehen, um sich von ihrer prekären Situation abzulenken. Der erhöhte TV-Konsum
könnte also eine Folge der Armut sein. Es könnte jedoch auch sein, dass ein erhöhter
TV-Konsum mehr Armut bedingt, z. B. weil weniger Arbeitszeit zur Verfügung steht oder
weil mehr TV-Konsum nachweislich eine ungünstigere kognitive Entwicklung [[9], [18], [33]] und eine geringere Bildung zur Folge hat [[8]]. Mehr TV bedeutet weniger Arbeit und weniger Bildung und beides bedeutet mehr Armut.
Ich weiß nicht, worüber ich mir mehr Sorgen machen soll, die Verursachung von TV-Konsum
durch Armut oder die Verursachung von Armut durch TV-Konsum – der Zusammenhang ist
auf jeden Fall da und lässt sich nicht wegdiskutieren.
In vielfältigen Diskussionen über negative Auswirkungen von Bildschirmmedien habe
ich über mehr als ein Jahrzehnt hinweg immer wieder erlebt, dass wie folgt argumentiert
wurde: Diese Behauptung sei schon vor Jahrzehnten im Hinblick auf das Fernsehen erhoben
worden und sei daher nicht ernst zu nehmen. Impliziert wird also (sonst funktioniert
das Argument gar nicht), dass das Fernsehen keine negativen Auswirkungen habe. Dies
traf nach vielfältigen Studien für Kinder und Jugendliche noch nie zu und ist nach
den mittlerweile vorliegenden Daten auch für erwachsene Menschen nicht zutreffend.
Es sei daher an dieser Stelle nochmals abschließend festgehalten: Das Fernsehen hat
auch bei Menschen mit (weitgehend) abgeschlossener Gehirnentwicklung negative Auswirkungen
auf die geistige Leistungsfähigkeit. Diese lassen sich nicht im Sinne eines reinen
Verdrängungseffekts verstehen (Motto: Wer viel fernsieht, tut vieles andere, was gesund
wäre, nicht). Vielmehr legen die vorliegenden Daten nahe, dass es sich beim Fernsehen
um ein Verhalten handelt, das aufgrund seiner spezifischen Charakteristik (passive
Aufnahme fragmentierter sensorischer Reize bei geringer Selbststeuerung bzw. geringem
Top-Down-Informationsfluss und abwesender Handlungskonsequenz) der geistigen Leistungsfähigkeit
eines Menschen schadet. Wie so oft macht auch hier die Dosis das Gift. Es ist eine
Zeiterscheinung, dass wir heute in viel stärkerem Ausmaß zur Überdosierung neigen
als noch vor wenigen Jahrzehnten, als es nur für ein paar Stunden täglich 2 oder 3
Programme zu sehen gab. Mit Hunderten von Programmen rund um die Uhr (die nicht zuletzt
deswegen auch nicht anspruchsvoller wurden) sind wir einem Überangebot ausgesetzt,
das die Überdosierung sicherlich begünstigt.
Ich kenne niemanden, der den Gedanken im Alter an Demenz zu erkranken, für attraktiv
hält, etwa nach dem Motto: „Dann denke ich weniger und mache mir damit auch immer
weniger Sorgen – auch was meinen eigenen Tod betrifft. Das ist doch viel angenehmer
als diesen ganzen Prozess bewusst miterleben zu müssen.“ Wenn aber so wirklich niemand
denkt, dann müssen sich alle die Frage gefallen lassen, warum sie täglich einige Stunden
daran arbeiten, dass es genau so kommt.