ergopraxis 2019; 12(05): 40-42
DOI: 10.1055/a-0864-3333
Perspektiven
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Zweifel sind normal – Studieren mit Ü40

Corinna Schug

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Publication Date:
03 May 2019 (online)

 

Corinna Schug steht schon lange im Beruf und ist damit auch recht zufrieden. Doch die Idee, noch mal zu studieren, lässt sie nicht los. Befürchtungen, dass ihr Englisch für ein Studium nicht reichen könnte oder ihre Ehe darunter leidet, schiebt sie beiseite und wagt den Schritt. Drei Jahre später ist sie zwar urlaubsreif, aber auch unglaublich stolz und gestärkt.


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Corinna Schug arbeitet seit 2005 im Fachbereich Psychiatrie der Alexianer Köln GmbH, hier seit mehreren Jahren im SPZ-Rodenkirchen, als Ergotherapeutin im Wohnheim und als STEPPS-Trainerin für den Einzugsbereich Köln-Süd. Sie hat innerhalb des Unternehmens die externe Tagesstruktur (LT24) aufgebaut und ist dort auch als Ergotherapeutin tätig. 2019 absolvierte sie den berufsbegleitenden Studiengang Occupational Therapy an den Döpfer Schulen Köln/Zuyd Hogeschool Heerlen.

Mein Name ist Corinna Schug. Ich bin 46 Jahre alt und schloss im Jahr 2000 meine Ergotherapieausbildung ab. Vor drei Jahren entschied ich mich für das Studium zum „Bachelor of Science in Occupational Therapy“.

Über diesen Schritt habe ich lange nachgedacht und mich tatsächlich auch lange dagegen entschieden. Studieren mit über 40 traute ich mir nicht zu. Denn es bedeutete ja auch, die eigene Komfortzone zu verlassen, neue Wege zu gehen und sich mit dem eigenen Berufs- und Selbstbild auseinandersetzen zu müssen. Und das, obwohl ich seit mehr als 14 Jahren eine sichere Anstellung hatte und mit meiner Arbeit meist recht zufrieden war.

Ich schreibe bewusst „recht zufrieden“, denn seit einigen Jahren mischte sich immer wieder ein Gefühl innerer Unzufriedenheit ein. Ich bildete mich stets weiter und suchte mir in meiner Arbeit immer wieder neue Herausforderungen. Doch das reichte nicht mehr aus, um den Arbeitstag mit einer wohligen Zufriedenheit beschließen zu können. Hinzu kam, dass ich als Praxisanleiterin immer häufiger auf Praktikanten traf, die sich für das duale Studium entschieden hatten – das machte mich neugierig.

Zwischen Neugier und Sorgen

In meiner Ausbildung setzten wir uns nicht mit Modellen und Assessments oder Themen wie Clinical Reasoning, Empowerment und Evidenz auseinander. Das habe ich mir im Laufe meiner Berufsjahre zwar angelesen, konnte damit jedoch nie leichtfüßig jonglieren. Ich hatte den Eindruck, nicht mehr zeitgemäß zu arbeiten.

Also begann ich 2016 mit dem berufsbegleitenden Studium. Im Gepäck viel Neugierde und Vorfreude, aber auch viele Sorgen und Fragen wie: Reicht mein Englisch für die ganze Fachliteratur? Wie wird mein Alltag aussehen? Wie wirkt sich diese Zusatzanforderung auf meine Ehe, meinen Freundeskreis, meine Freizeit und meine Arbeit aus? Und wird das alles auch dauerhaft finanziell gut zu meistern sein? Wie wird es sein, mit deutlich jüngeren Kollegen zu studieren?

Ich hatte den Eindruck, nicht mehr zeitgemäß zu arbeiten.

Ich nehme die Beantwortung dieser Fragen mal vorweg: Ja, es ist zu schaffen. Doch ein Sonntagsspaziergang sieht anders aus.


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Empfehlung: Vollzeitstelle reduzieren

Das Grundstudium absolvierte ich an den Döpfer Schulen Köln. Im Schnitt hatte man alle zwei Monate ein Modul von Freitag bis Sonntag. Zwischen den Modulen setzt man sich mit dem Gelernten in Form einer Hausarbeit auseinander und muss für diese viel recherchieren, lesen und lernen. Jedes Modul will vor- und nachbereitet werden, und Texte, Studien und Literatur sind zu circa 60 Prozent in englischer Fachsprache. Ich musste mich einarbeiten, was am Anfang schwierig war. Doch mit der Zeit hatte auch ich weniger Probleme mit den englischen Texten und immer wunderbare Mitstudenten und Dozenten an meiner Seite, die mir halfen. Der zeitliche Aufwand im Grundstudium umfasste etwa 10 bis 15 Stunden pro Woche, im Hauptstudium deutlich mehr.

Da ich meine Vollzeitstelle während des Studiums im Gegensatz zu den meisten anderen Studierenden in meinem Kurs nicht reduziert habe, waren meine Wochenenden nun immer für das Lernen und Ausarbeiten der Studieninhalte reserviert. Dies würde ich nun ganz anders machen und empfehle jedem, seine Stelle wenn möglich zu reduzieren. Denn mein Weg bedeutete auch, kaum Freizeit zu haben, den Alltag komplett neu organisieren zu müssen und sich sowohl mit einem stirnrunzelnden Ehepartner als auch naserümpfenden Freunden auseinandersetzen zu müssen. Doch auch hier möchte ich Mut zusprechen. Meine Ehe und Beziehungen zu Freunden haben das überstanden, und wir sind alle an der neuen Situation gewachsen.


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Urlaub in „Studinien“

An meinem Arbeitsalltag veränderte sich strukturell nichts. Leider konnte ich das Studium, im Gegensatz zu vielen anderen in meinem Kurs, nicht als Fortbildung oder Ähnliches beantragen und investierte viele Urlaubstage, wobei ich einen Großteil in den letzten drei Jahren in „Studinien“ verbracht habe. Also zu Hause, umgeben von viel Fachliteratur.

Inhaltlich veränderte sich in meiner Arbeit von Anfang an eine Menge. Dass ich studiere, wurde sehr unterschiedlich aufgenommen. Die Reaktionen reichten von wunderbar bis sonderbar.

Die eigentliche Veränderung fand in mir selbst statt. Ich probierte mich und vor allem das Gelernte mit Klienten aus. Das Studium war vom ersten Tag an ein Mehrwert für mich und meine Klienten: Der Therapieprozess wurde zielgerichteter und effizienter – zum Beispiel durch Evaluation. Studieninhalte wie Qualitätssicherung und externe Evidenz flossen wunderbar in meine Arbeit ein. Ich hatte den Eindruck, mit dem Studium nahm meine Arbeit Fahrt auf. Gleichzeitig wurde ich inhaltlich, aber auch in meiner Abgrenzung zu anderen Professionen deutlich klarer und fachlicher.


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Jüngere und Ältere profitieren voneinander

Finanziell war der Mehraufwand machbar, wobei ich sagen kann, dass es sich lohnt, Fachliteratur gebraucht zu kaufen oder auszuleihen. Die Anschaffung eines neuen Laptops war in meinem Fall notwendig, aber zu verkraften. Und die monatliche Studiengebühr ist für Berufstätige auch zu stemmen. Man hat sowieso kaum mehr Zeit, Geld auszugeben.

Die Frage „Wie ist es, mit jüngeren Menschen zu studieren?“, kann ich schnell beantworten: Großartig! Man profitiert immer voneinander. Natürlich ist es so, dass Kollegen, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen haben, viel näher am Lernen sind und sich auch sehr schnell theoretische Zusammenhänge erschließen können. Dafür konnte ich den Transfer in den Berufsalltag klarer erfassen und hatte an mancher Stelle deutlich Vorteile durch die Anzahl meiner Berufsjahre und die damit verbundene Erfahrung. Hier konnte ich mich dann für die entgegengebrachte Hilfe bei englischen Texten oder Verständnisfragen zu Modellen revanchieren, und es entstanden ein wunderbarer und wohlwollender Austausch sowie konstruktive und inspirierende Diskussionen mit kreativen und teilweise auch für mich innovativen Ergebnissen.

Hatte ich manchmal Zweifel? Ja! Studieren ist ein Prozess. Dieser ist mit Arbeit und dem Überwinden eigener Grenzen verbunden, und ich sehe mich noch, wie ich am Anfang des Studiums tränenzerflossen alles hinschmeißen wollte. Aber ich habe es nicht getan, da Grenzüberschreitung auch bedeutet, Neuland zu entdecken, den eigenen Horizont zu erweitern und neue Menschen kennenzulernen. Man gewöhnt sich schnell an das neue Leben. Für mich war das Lernen immer mit unglaublich viel Freude verbunden und hatte tatsächlich etwas von Entdecken und Ausprobieren.


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Für seine Arbeit brennen

Nach drei Semestern war das Grundstudium geschafft, und mein Portfolio füllte sich mit vielen neuen Kompetenzen, Lernerträgen und Erfahrungen.

Das Hauptstudium fand an der Zuyd Hogeschool in Heerlen statt. Ich möchte Sie hier nicht mit Superlativen langweilen, und sicher sieht das auch jeder anders, doch für mich war die Zeit an der Hochschule einer der schönsten, anstrengendsten und intensivsten Abschnitte meines bisherigen Lebens.

Die Module und die damit verbundenen Studienarbeiten sind aufgeteilt in Forschen, Kasuistik, Beraten, Arbeiten, Qualitätssicherung und Professionalisierung, Gesundheitsfürsorge und Diversität. Dieses Grundgerüst galt es zu füllen – mit dem Erarbeiten von zwölf niederländischen Kompetenzen, zu denen unter anderem „Beraten und Begleiten“, „Unternehmerisch tätig sein“ und „Lernen, lehren und entwickeln“ gehören. Teil des Studiums war es auch, besondere Dienste zu verrichten, weiter an seinem Portfolio zu arbeiten und für Prüfungen zu lernen. Nicht ganz unwichtig zu erwähnen ist sicherlich, dass man zu Beginn des Hauptstudiums anfängt, sich mit seiner Bachelorarbeit auseinanderzusetzen, und diese ab dem zweiten Modul konkret anfängt zu verschriftlichen. Eine wirklich spannende Erfahrung, denn man erforscht nicht nur ein selbstgewähltes Thema, man „brennt“ für seine Arbeit.

Das Studium war eine einzigartige Erfahrung!


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Unterstützung von allen Seiten

Die Dozenten, insbesondere die Mentorin und die persönliche Bachelorberaterin lassen einen nie im Stich. Die Studienarbeiten und die Bachelorarbeit sind Gruppenarbeiten, und so gewinnt man nicht nur großartige Mitstudenten und die Möglichkeit, sich auszutauschen und zu ergänzen, sondern auch neue Freunde und Kollegen, die fachlich und persönlich in die gleiche Richtung arbeiten.

Das Studium war eine einzigartige Erfahrung! Alle Herausforderungen waren umrahmt von viel Wohlwollen und Wissen. Der Unterricht wurde von den Dozenten immer sehr lebendig und verständlich aufgebaut. Es war immer Zeit für Fragen – und glauben Sie mir, ich habe viele Fragen gestellt. Jedes noch so schwierige Thema war am Ende verständlich. Ein Zeichen für das hohe Maß an Qualität, welches seitens der Dozenten nicht nur gefordert, sondern auch erbracht wurde.


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Studieren mit Ü40? Ja, unbedingt!

Ich blicke zurück auf drei Jahre berufsbegleitendes Studium, fühle mich sehr gestärkt und stolz auf die eigene Leistung und empfinde ein tiefes Gefühl der Zufriedenheit. Gleichzeitig fühle ich mich sehr müde und habe den Eindruck, meine Grenzen in den letzten drei Jahren neu definiert zu haben und so manches Mal auch über diese hinausgegangen zu sein. Doch über allem schwebt für mich das stete Gefühl von mehr Selbstbewusstsein und einer erheblichen Steigerung meiner beruflichen Identität durch deutlich mehr Fachwissen und effizientere Therapieprozesse, was gleichzeitig ein sehr positives Feedback meiner Klienten mit sich bringt.

Mir haben sich im Laufe des Studiums ganz neue Berufsfelder und Chancen eröffnet, und ich schaue nun auf ein breites Spektrum an Möglichkeiten, die ich ergreifen kann und vor allem auch ergreifen möchte. Ich habe zum Beispiel nie zuvor darüber nachgedacht, mich mit dem Berufsfeld Jobcoach auseinanderzusetzen oder in die betriebliche Gesundheitsförderung zu gehen – Themenbereiche, für die ich im Studium Feuer gefangen habe. Ich bin extrem motiviert, weiterzumachen und neue Wege einzuschlagen. Die Voraussetzungen habe ich nun, und möglicherweise mache ich ja auch noch einen Masterabschluss – es stehen mir ja alle Türen offen. Von daher: Studieren mit Ü40? Ja, unbedingt!


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