Deutsche Heilpraktiker-Zeitschrift 2019; 14(02): 66-71
DOI: 10.1055/a-0863-3900
Magazin
Reportage
© Karl F. Haug Verlag in Georg Thieme Verlag KG

Ein Blick hinter die Demeter-Kulissen

Viktoria Konrat

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Publication Date:
12 April 2019 (online)

 

Summary

Wofür steht das orange-weiß-grüne Demeter-Siegel eigentlich genau? Einer der Demeter-zertifizierten Höfe ist der Schwärzler Hof im Allgäu. Susanne Schwärzler gewährt spannende Einblicke in die anthroposophisch begründete Form der Landwirtschaft.


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Abb. 1 Tagein, tagaus leben sie auf der strukturreichen Weide, bis der erste Schnee fällt: die Demeter-Kühe. Foto: © Louis Zuchtriegel

Demeter – Wofür steht das orange-weiß-grüne Siegel eigentlich genau? Einer der Demeter-zertifizierten Höfe ist der SCHWÄRZLER HOF IM ALLGÄU. DHZ-Redakteurin Viktoria Konrat verbringt einen sonnigen Nachmittag mit Susanne Schwärzler, die spannende Einblicke in die anthroposophisch begründete Form der Landwirtschaft gewährt.

DER ERSTE TIEFE Atemzug auf einem Bauernhof macht etwas mit einem. Die Ruhe, die nur durch Kuhglocken und hin und wieder ein Muhen oder Blöken durchbrochen wird, hat eine ganz spezielle Wirkung: Die Gedanken scheinen nicht wie sonst häufig durcheinander zu wirbeln, sondern legen sich sanft auf den Weiden zur Ruhe. Die unzähligen Grüntöne und die reine Luft lassen viele kleine Muskeln im Körper entspannen. Der Stress der Stadt fällt ab.

Es ist Ende September, und ausgerechnet an diesem Tag ist das Thermometer in Kempten wieder auf 20 °C geklettert, es ist keine Wolke am Himmel zu sehen. Oben auf einem Hügel der Stadt im Allgäu steht der Schwärzler Hof – ein Demeter- Bauernhof des Ehepaars Susanne und Walter Schwärzler. Das Wohnhaus auf dem Hof fügt sich mit seinem großen Dach und der dunklen Holzverkleidung am oberen Hausdrittel charmant in die Kulisse ein. Der Kuhstall und ein Schuppen sind mit dem Haus verbunden. Ein Windspiel läutet von der großen Scheune aus, die sich gegenüber dem Wohnhaus befindet. Auf der abfallenden Hügelseite kann man vom Gehweg vor dem Haus aus in einem weitläufigen Gehege einige Hühner picken sehen. Ein Gefühl steigt auf, dass hier irgendetwas anders ist.

Von konventionell zu Demeter: Ein Hof im Wandel

Susanne Schwärzler kommt über die gläserne Gartentür aus ihrem Haus. Eine herzliche Umarmung zur Begrüßung und das Du sind selbstverständlich. Ihre weiße Kurzarmbluse betont ihre sonnengebräunte Haut. Man sieht in ihrem Blick, dass sie eine Frau ist, die weiß, was sie will. Susanne ist nicht nur Bäuerin, sondern auch Heilpraktikerin. Ihr Steckenpferd ist Beckenbodentraining. Dafür gibt sie Kurse und unterrichtet andere, die das Wissen wiederum in Kursen weitergeben. Auch das findet auf dem Hof statt. Nach der Arbeit ist also stets vor der Arbeit.

Wir setzen uns an einen Holztisch draußen neben der Scheune. Susanne erzählt, wie sie und ihr Mann zu dem Hof gekommen sind. Zusammen haben sie ihn 1987 von seinem Vater übernommen. Walter Schwärzler war zu diesem Zeitpunkt 19 Jahre alt. Es war ein konventioneller Hof, der jedoch unter vergleichsweise natürlichen Verhältnissen geführt wurde. So bekamen schon damals die Kühe nur wenig Kraftfutter, und Kunstdünger wurde selten ausgetragen. Dennoch waren die Tiere häufig krank, Euterentzündungen der Kühe waren an der Tagesordnung.

Als die beiden den Hof übernahmen, war klar, dass er nicht konventionell bleiben soll. Das junge Paar besuchte deshalb eine Veranstaltung des Bio- Ring Allgäu e. V. Die Frage war: Welche Möglichkeiten gibt es überhaupt, einen Hof zu führen? Einer der Anwesenden war der Demeter-Bauer Walter Heim, der damals sinngemäß sagte: Solange die Kühe Hörner tragen und die Bienen ihren Stachel haben und der Kosmos wirken darf, so lange kann man von einer Demeter-Landwirtschaft reden; das ist die Gesundung der Landwirtschaft. Nach diesem Zusammentreffen war es entschieden: Der Hof sollte ein Demeter-Hof werden.

Anthroposophie

Biodynamische Präparate

Biodynamische Präparate sind als Heilmittel für die Pflanzen und Erde zu verstehen und werden aus verschiedenen Pflanzen und Mineralien hergestellt und teilweise in eine tierische Hülle (zum Beispiel in eine Hirschblase oder ein Kuhhorn) gegeben. Es gibt sechs Pflanzenpräparate (Kamillen-, Löwenzahn-, Brennnessel-, Eichenrinden-, Schafgarben-, Baldrianpräparat), die man in den natürlichen Dünger (in den Misthaufen, Pflanzenkompost oder die Gülle) vergräbt und diesen somit impft. Sie werden so wieder den Pflanzen zugeführt und regen die jeweiligen Prozesse an. Auf diesem Weg können sie den Humusaufbau und die Bodenstruktur verbessern. Es gibt außerdem zwei Spritzpräparate, die man auf die Felder austrägt. (Weitere Informationen zu den einzelnen Präparaten: www.demeter.de)

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Abb. 2 Der Hahn und eines der Hühner wollten das Foto nicht verpassen. Foto: © Louis Zuchtriegel

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Biodynamische Präparate – ein Kern der Demeter-Landwirtschaft

Eine genaue Vorstellung davon, was hinter dem Demeter-Siegel steckt, haben wahrscheinlich viele von uns Außenstehenden nicht. Klar ist vermutlich jedem, der Demeter kennt und schätzt, dass das Leben für die Tiere ein möglichst würdiges und artgerechtes ist. Demeter ist in der Anthroposophie verwurzelt. Diese Weltanschauung spiegelt sich in den Richtlinien wieder.

Kurz nachdem die Schwärzlers die Veranstaltung des Bio- Ring Allgäu e. V. besucht hatten, folgten Feldbegehungen mit Walter Heim. Es wurden Bodenproben genommen und nach Würmen gesucht; nachgesehen, ob Moos vorhanden ist und welche Pflanzen wachsen. Zum Schluss sagte Heim, dass sie nun mit den Präparaten loslegen können.

Die biodynamischen Präparate sind zentral in der Demeter- Landwirtschaft (siehe Kasten). Ohne sie ist keine biodynamische Landwirtschaft möglich. Sie sind über die Demeter-Richtlinien genau definiert. Es gibt insgesamt sechs Pflanzenpräparate und zwei Spritzpräparate. Jedes ist jeweils für bestimmte Vorgänge im Gesamtorganismus Bauernhof zuständig. Die biodynamischen Präparate unterstützen die Gesundung der Landwirtschaft, deren Wichtigkeit auch Rudolf Steiner immer betont hat. Ein Beispiel für ein Pflanzenpräparat ist das Schafgarbenpräparat. Es verbessert Prozesse in der Erde, an denen Kalium und Stickstoff beteiligt sind. Auf diese Weise unterstützt dieses Pflanzenpräparat im übertragenen Sinne die Niere und Blase der Landwirtschaft. Die Schafgarbenblüten werden in eine Hirschblase gegeben. Der Hirsch ist der Repräsentant der Nervosität. Die Blase für sich ist wiederrum als nervöses Organ bekannt. So hängt die Pflanze mit der tierischen Hülle zusammen, mit der sie vergraben wird. Das weitere Vorgehen unterscheidet sich dann ein wenig je nach Präparat. Im Fall des Schafgarbenpräparats setzt man es ein halbes Jahr der Sonne aus. Anschließend gräbt man es für ein halbes Jahr in der Erde ein. Dann wird es in die Gülle oder den Misthaufen vergraben und als Dünger ausgetragen.


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Der Hof als Organismus

Während wir im Schatten der Scheune sitzen und uns unterhalten, läuft ein junger Mann zum Kuhstall. Er lächelt und hebt die Hand zum Gruß. In den warmen Monaten des Jahres können Schüler von Waldorfschulen Praktika auf Demeter-Höfen machen, so auch auf dem Schwärzler Hof. Sie sind in der arbeitsreichsten Zeit des Jahres eine wichtige Unterstützung. Von ihm schweift unser Blick weiter zu den zwei kräftigen Walnussbäumen, die vor uns neben der Scheune wachsen. Über einen Balken sind die zwei Bäume verbunden. An diesem hängen an Seilen zwei Schaukeln. Mit Blick auf die kräftigen Wurzeln der Bäume erklärt Susanne einen weiteren Zusammenhang. Humus spielt eine zentrale Rolle in der Demeter-Landwirtschaft. Dass Humus fruchtbaren Boden bedeutet, ist allgemein bekannt. Seine Bedeutung geht jedoch weiter. Der Humus stellt für die Demeter- Landwirtschaft das Zwerchfell dar. Über der Humusschicht wachsen die Bäume, die auf den Kopf gestellt nicht nur optische Ähnlichkeiten mit der Lunge und ihren verzweigten Bronchien haben, sondern auch die gleiche Aufgabe erfüllen: Austausch von Sauerstoff und Kohlenstoffdioxid. Die Vergleiche eines Hofs mit einem Gesamtorganismus tauchen immer wieder auf und fügen sich weiter zusammen. Der Hof besteht nicht nur aus verschiedenen funktionellen Bereichen, sondern ergibt ein Ganzes. Und würde man sich nur auf eines der Organe konzentrieren, ist keine gesunde Landwirtschaft möglich. Für Außenstehende mögen die anthroposophischen Hintergründe teilweise schwierig zu verstehen sein, so ist es aber auch mit der klassischen Medizin, fügt Susanne an.


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Der wertvolle Dung

Demeter bedeutet auch, dass es viele verschiedene Tiere auf einem Hof gibt, denn jedes Tier hat ein anderes Wesen. Und jedes dieser Wesen produziert einen anderen Dung, der wiederum einer anderen Pflanze dienlich ist. Hühnermist ist beispielsweise sehr stickstoffreich. Wenn man also Hühner hat, die viel Stickstoff in den Mist bringen, braucht man keinen stickstoffliefernden Kunstdünger mehr.

Die Natur gibt uns im Grunde alles vor. Wir Menschen müssten uns ihrer nur bedienen.

Ein weiteres Beispiel: Schweine-Mist ist sehr kaliumreich. Kalium ist ein wichtiges Element für das Nervensystem. Die Tiere geben also einen „Nerven-Mist“ von sich und sind selbst Tiere, bei denen das Nervensystem eine große Bedeutung hat. Sie riechen, wühlen im Boden und haben nur Borsten und kein dichtes Fell. Das heißt, sie fühlen den ganzen Tag, auch wenn es nur der warme oder kalte Wind ist. Sie liegen sozial beieinander, sind ausgesprochen intelligent und sehr saubere Tiere. Wer Schweine hält, hat also Kalium. Eine Pflanze, die Kalium benötigt, ist wiederum die Schafgarbe. Und die Schafgarbenblüten werden über eines der biodynamischen Präparate im Dünger eingebracht, um weitere Prozesse zu unterstützen. Dieser Kreislauf ist geschlossen.

Susanne macht sehr deutlich, dass Kunstdünger heutzutage eigentlich nur notwendig ist, weil den natürlichen Kreisläufen kein Raum gegeben wird. Die Natur gibt uns im Grunde alles vor. Wir Menschen müssten uns ihrer nur bedienen.

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Abb. 3a Das Horn einer Kuh besteht aus blutbildendem Knochen mit einer verhornten Hülle und ist innen weitgehend hohl. Fotos: © Louis Zuchtriegel Foto: © Adobe Stock / Dragana Gordic

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Auf zu den Tieren

Der Hof umfasst 10 Hektar eigenes Land, 2 davon sind Wald für Bau- und Brennholz. 5 Hektar hat das Ehepaar dazu gepachtet. Seit sie den Hof übernommen haben, haben sie viel an den Gebäuden gearbeitet und sie erneuert. Auf dem Schwärzler Hof gibt es 15 Stallplätze für Kühe, einige Hühner (in der Regel 7–20 mit den Küken), 4 Gänse und Schafe (2–3 Mutterschafe und ein Bock, derzeit sind es auch einige Lämmer). Wir laufen den Hang hinab zu dem großen Gehege, in dem die Schafe, Gänse und Hühner zusammenleben. Im Moment sind es einige Junghühner, die im Sommer geboren sind. Sie sind noch so klein, dass sie durch den Zaun passen. Weil sie auf dem Hof aber ihr Zuhause haben, laufen sie nicht weg, wohl aber über den Hof. Die hell gefiederten kleinen Tiere sausen vor unseren Füßen über den Weg, als würden sie Fangen spielen. Wir betreten das Gehege und Susanne beugt sich zu den erwachsenen Hühnern, die sich um sich scharen. Sie sagt lächelnd: „Meine Kinder“. Auf dem Weg zu den Schafen, die links im Gehege beieinanderstehen, ruft Susanne: „Selina! Ja komm mal her!“ und läuft zu ihrem Lieblingsschaf. Dann schmusen die beiden ausgiebig. Das Fell der Tiere ist teils lockig, teils wellig. Es ist wohltuend, die Hände darin zu vergraben und die Wärme der Tiere zu spüren, die die Streicheleinheiten sichtlich genießen. Der Hauptbock ist ein anmutiges Tier mit wunderschönen geschwungenen Hör- nern. Nicht alle Tiere haben Namen, nur diejenigen, die nicht geschlachtet werden, sondern zur weiteren Züchtung bleiben. Es wäre sonst zu schwer, sie zu schlachten, meint Susanne. Als wir ein Foto der Schafe machen wollen, flitzen der Hahn und eine Henne zu uns. Sie positionieren sich stolz vor den Schafen. Die Situation gewinnt unweigerlich an Komik, da sich die Tiere verhalten wie bei einem Familienporträt – jeder möchte ganz vorne stehen (siehe Abb. 2)

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Abb. 3b Das Hirschgeweih hat im Vergleich zum Kuhhorn keinen inneren Hohlraum und ist abgesehen von der Basthaut und der Basis nicht durchblutet. Fotos: © Louis Zuchtriegel

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Abb. 3c Der Schädel einer Kuh, die als Kalb enthornt wurde, zeigt deutliche Verformungen. Fotos: © Louis Zuchtriegel

Das Gehege ist übersäht mit schattenspendenden Obstbäumen, einige von ihnen noch so reich an Früchten, dass die Äste unter dem Gewicht nach unten gezogen werden. Die Pflaumen schmecken wie gezuckert, und ihre tiefviolette Farbe schmückt den Baum wie Weihnachtskugeln.


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Kühe in der Hauptrolle

Es geht nun weiter zu den berühmten Demeter-Kühen, die oberhalb des Hauses ihr Revier haben. Unten am Gehege sieht man sie noch nicht. Es geht bergauf. Als wir recht weit oben am Hang stehen, erblicken wir die ersten Tiere. Die Herbstsonne wirft an diesem September-Nachmittag lange Schatten auf den Boden, was ihre Hörner noch imposanter aussehen lässt. Susanne ruft zu einer der Kühe: „Wir kommen in guter Absicht Lorelei. Kommt nur her!“. Sie schauen alle neugierig zu uns und laufen eine nach der anderen auf uns zu, vorneweg Lorelei. Die Kühe gehören der nur noch selten vertretenen Rasse Original Braunvieh an. Zwischen ihren anmutigen Hörnern wächst ein Pony mit etwas rötlicherem Fell. Weiches, helles und deutlich längeres Fell schmückt ihre Ohren. Die meisten haben einen Wirbel im Fell zwischen den Augen, sodass es dort kreisförmig wächst. Wenn man sich die Wiese anschaut, wird ein weiterer Grundpfeiler der Demeter-Landwirtschaft ganz deutlich: Das Futter. Es ist eine ausgesprochen strukturreiche Wiese – Schafgarbe, wilde Möhren und viele weitere wilde Kräuter übersäen die Fläche, es riecht wie ein Wildkräutersalat. Eine Kuh erleichtert sich neben uns und es macht ein klatschendes Geräusch. Im nächsten Moment wird endlich klar, was an diesem Hof grundlegend anders ist, als auf jedem normalen Bauernhof. Das Gefühl vom Anfang des Tages bestätigt sich, etwas ist anders: Der Geruch! Es gibt keinen scharfen Geruch nach Mist, selbst direkt bei den Kühen nicht. Das ist eine direkt spürbare Auswirkung davon, dass die Kühe wesensgemäß strukturreiches Futter fressen können, erklärt Susanne.

„Erst einmal müssen wir den Tieren dienen, bevor sie dann uns dienen.“

Neben dem weitläufigen Gehege der Kühe, welches an den Wald grenzt, befindet sich auf der anderen Seite eines schmalen Weges ein zweites Gehege. Dort ist Stina, die ehemalige Leitund Herdenkuh mit zwei Stieren. Stina ist 17 Jahre alt und trägt seit fast einem Jahr nicht mehr. Susanne hat es mit D4 Östradiol im Trinkwasser versucht und lässt zwei Stiere mitlaufen, aber es klappt nicht. Am nächsten Montag soll Stina geschlachtet werden. Susanne erklärt, dass sie nur 15 Stallplätze haben und sie nicht behalten können. Stina hatte jedes Jahr ein Kalb, war immer gesund. Susanne flüstert: „Sie ist so schön. Da werde ich weinen müssen. 17 Jahre.“ Sie erzählt vom ersten Mal, als sie beim Schlachten einer Kuh dabei war. Sie schlachten die Tiere nicht selbst, aber begleiten die Tiere, bis sie ausgeblutet sind und streicheln sie so lange. Die Erfahrung war sehr schwer für sie, sind es doch Tiere, die sie jahrelang begleitet. Susannes Stimme wird etwas zittrig, als sie davon erzählt. Dann schaut sie zu Stina: „Mir tuts so leid, aber Stina, du hast jetzt so lange Zeit gehabt. Mit zwei Stieren. Mehr können wir nicht machen, wirklich nicht.“ Der Unterschied zwischen einem konventionellen Landwirtschaftsbetrieb und einem Hof wie diesem könnte nicht klarer sein. Es sind ihre Haustiere, die sie über viele Jahre pflegt und gern hat und die sie am Ende schlachten lässt. Aber auch das geschieht mit aller Würde, die möglich ist. Für sie ist das der einzige Weg, der einen Mensch berechtigt, das Fleisch von einem Tier zu nehmen. Von den Tieren wird alles, was möglich ist, verarbeitet, zum Beispiel Fleisch, Innereien, der Darm für biodynamische Präparate und das Fell. Susanne formuliert sehr treffend: „Erst einmal müssen wir den Tieren dienen, bevor sie dann uns dienen“. Und das tut sie. Tagtäglich.

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Abb. 4 Die Kühe rennen zum Melken Richtung Stall. Foto: © Louis Zuchtriegel

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Die Kuh und ihre Hörner

Wir setzen uns wieder an den Tisch neben der Scheune. Susanne holt ein Teil eines Schädels einer Kuh mit Horn, einer enthornten Kuh und ein Teil eines Hirschgeweihs aus einer Tasche. In der Demeter-Landwirtschaft ist es Pflicht, den Kühen ihre Hörner zu lassen. Die sonst so häufige Enthornung in den ersten Lebenswochen ist verboten. Das Horn einer Kuh ist innen weitgehend hohl, das Horn selbst besteht aus blutbildendem Knochen mit einer verhornten Hülle (Abb. 3a). Das Horn ist Teil des Schädels. Verletzten sich die Kühe am Horn, verursacht das starke Blutungen. Man sieht in dem Kuhschädel sehr eindrucksvoll die Nebenhöhlen, die auch die innere Struktur der Hörner bestimmen. Wiederkäuer haben das ausgeprägteste Nebenhöhlensystem im Tierreich. Die Gase, die beim Wiederkauen entstehen, können hier zirkulieren. Sie zirkulieren in den Schädel und verlaufen dann spiralförmig nach vorne, über die Nebenhöhlen in die Stirn und schließlich in das Horn. Von der Spitze der Hörner zirkulieren die Gase wieder zurück. Man vermutet, dass dieser Vorgang den Rhythmus des Wiederkauens bestimmt.

Unübersehbar zeigt sich der Unterschied zum Hirschgeweih (Abb. 3b). Der Hirsch wirft sein Geweih jedes Jahr ab, es ist also kein Teil des Schädels. Das Geweih hat im Gegensatz zum Horn keinen inneren Hohlraum. Die Basis des Geweihs ist durchblutet, das Geweih selber aber nicht, ausgenommen der Basthaut, die vor dem Gefege und Abwerfen abstirbt.

Gravierend sieht man den Unterschied des Kuhschädels mit Horn und des Kuhschädels einer Kuh, die als Kalb enthornt wurde. Dadurch, dass die Gase im Schädel ankommen, aber nicht in die Hörner zirkulieren können, entsteht nun eine problematische Situation für die Kuh: Der Schädel gerät unter Druck. Aufgrund dessen verformt er sich, und es entwickelt sich eine nach oben gewölbte Schädelform. Die zwei Schädel im Vergleich zeigen das unübersehbar (Abb. 3c). Die Gase können dann nicht mehr vollständig zirkulieren. Mithilfe von Wärmebildkameras konnte außerdem gezeigt werden, dass sich durch die aufsteigenden Verdauungsgase bei enthornten Kühen oben am Schädel Hitze staut. Das kann wiederum das Gehirn schädigen. Normalerweise gibt die Kuh über ihre Hörner Hitze ab. Es wird deutlich, dass die Enthornung für eine Kuh lebenslange Folgen hat.


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Einem Wiederkäuer Nagerfutter geben?

Ein weiterer wichtiger Pfeiler eines artgerechten Lebens einer Kuh ist das Futter. Die Auswirkung dessen duften wir auf der Weide erriechen. Kühe in der konventionellen Haltung erhalten einen hohen Anteil eiweißreiches Futter. Das ist jedoch kein Futter für eine Kuh, sondern im Grunde für ein Nagetier. Ein Wiederkäuer verdaut eiweißreiches Futter viel zu schnell. Deshalb verursacht das Silagefutter auch oft Durchfall. Und ohne Hörner können zudem die Gase nicht ausreichend zirkulieren. Man nimmt der Kuh im Grunde das, was sie braucht, um den täglichen Leistungssport, der die Milchproduktion eigentlich ist, artgerecht leisten zu können. In der Folge verändert sich die Milch: das Wiederkauen kann nicht ausreichend stattfinden, die Eiweißwerte steigen an, die ganze Struktur der Milch verändert sich. Neurodermitis und Unverträglichkeiten können die Folge für uns Menschen sein.

Zum Weiterlesen

Weiterführende Literatur

  1. Höfer W. Phönix aus der Asche. Spagyrische Kristallanalyse von Wasser und Lebensmittelqualitäten. Überlingen-Bambergen: Wasserstudio Bodensee; 2018

  2. Informationshefte des Arbeitskreises „Hörner tragende Kühe“:

    • Arbeitskreis Hörner tragende Kühe. Die Kuh braucht ihre Hörner! Heft 2. Weiterführende Untersuchungen. 1. Aufl. Kempten; 2002

    • Arbeitskreis Hörner tragende Kühe, Bio-Ring Allgäu e.V. Die Kuh und ihre Hörner. Erfahrungen und Untersuchungen.

  3. Aufl. Kempten; 2010

    Diese und weitere Informationshefte erhalten Sie gegen eine Spende von 5 Euro beim Arbeitskreis „Hörner tragende Kühe“ des Bio-Ring Allgäu e. V. (www.bioring-allgaeu.de/horn/arbeitskreis- hoerner/).

Darüber hinaus beobachtet man, dass die Körperform von Kühen sich verändert, die stets eiweißreiches Futter erhalten. Der Körperschwerpunkt verschiebt sich von der Brust zum hinteren Teil der Kuh. Die grundlegende Form nähert sich also der eines Nagetiers, so Susanne.


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Stallzeit

Es ist früher Abend geworden, die Schatten werden immer länger. Die Kühe liegen in ihrer wohlriechenden Wiese und kauen entspannt. Der Hofhelfer steht unten am Stall und ruft nach ihnen. Es kommt Bewegung in die Herde. Eine Kuh nach der anderen erhebt sich. Die erste rennt los und löst eine Kettenreaktion aus. Die hunderte Kilo schweren Tiere galoppieren auf den Zuruf hin den Hügel hinunter, die Ohren fliegen hoch und runter, der Schwanz wedelt hin und her, es ist ein Bild für Götter (Abb. 4). Sie werden im Stall gemolken, dann geht es zurück auf die Wiese, wo sie tagein, tagaus leben dürfen, bis der erste Schnee fällt. Eine der Kühe steht unten am Stall und schaut mir in die Augen, sie blinzelt langsam. Es ist kaum möglich, nicht zu fühlen, wie viel Seele hinter diesem Blick steckt.

Erleben Sie Susanne Schwärzler beim 36. Deutschen Heilpraktikertag!

Am 04. Mai 2019 hält Susanne Schwärzler einen Vortrag in der Vortragsreihe „HP-Sprechstunde: Ernährung“ zum Thema „Milch – vertrag’ ich nicht“.

Dieser Artikel ist online zu finden: http://dx.doi.org/10.1055/a-0863-3900


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Abb. 1 Tagein, tagaus leben sie auf der strukturreichen Weide, bis der erste Schnee fällt: die Demeter-Kühe. Foto: © Louis Zuchtriegel
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Abb. 2 Der Hahn und eines der Hühner wollten das Foto nicht verpassen. Foto: © Louis Zuchtriegel
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Abb. 3a Das Horn einer Kuh besteht aus blutbildendem Knochen mit einer verhornten Hülle und ist innen weitgehend hohl. Fotos: © Louis Zuchtriegel Foto: © Adobe Stock / Dragana Gordic
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Abb. 3b Das Hirschgeweih hat im Vergleich zum Kuhhorn keinen inneren Hohlraum und ist abgesehen von der Basthaut und der Basis nicht durchblutet. Fotos: © Louis Zuchtriegel
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Abb. 3c Der Schädel einer Kuh, die als Kalb enthornt wurde, zeigt deutliche Verformungen. Fotos: © Louis Zuchtriegel
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Abb. 4 Die Kühe rennen zum Melken Richtung Stall. Foto: © Louis Zuchtriegel