Schlüsselwörter
Permanenter postoperativer Hypoparathyreoidismus - Versorgungsqualität - Lebensqualität
Key words
permanent postoperative Hypoparathyreoidism - quality of care - quality of life
Einleitung
Trotz einer inzwischen hohen Sensibilität und Verbesserungen der chirurgischen Technik
bleibt der postoperative Hypoparathyreoidismus die häufigste Komplikation nach einer
totalen Thyreoidektomie [1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]. Die hohe Relevanz dieser Komplikation begründet sich v. a. durch mögliche Symptome
[8]
[9]
[10], aber auch durch erhebliche Folgeerkrankungen und weitreichende Auswirkungen auf
die Lebensqualität der Patienten [11]
[12]
[13]
[14]. Daneben besteht eine erhebliche sozioökonomische Bedeutung.
Eine individualisierte Nachsorge mit besonderer Berücksichtigung gefährdeter Patienten
könnte die Versorgungsqualität insbesondere für Risikopatienten vebessern. Erkenntnisse
zur Versorgungsqualität sind bisher kaum vorhanden.
Am eigenen Patientengut unseres Schilddrüsenzentrums (Kompetenzzentrum DGAV) analysierten
wir deshalb Versorgungsstrukturen und -qualität und zeigen Verbesserungspotenziale
auf.
Material und Methoden
Unsere Untersuchung umfasste 420 konsekutive Patienten, die in unserem Schilddrüsenzentrum
zwischen 08/2012 und 08/2014 eine totale Thyreoidektomie erhielten (Einschlusskriterien).
Ausschlusskriterien waren primärer oder sekundärer Hyperparathyreoidismus, Rezidiv-Struma
sowie Metastasenresektion nach vorangegangener Operation bei Schilddrüsenkarzinom.
Es wurden der Parathormonwert am ersten postoperativen Tag in pg/ml, der niedrigste
Calciumwert während des stationären Krankenhausaufenthaltes in mmol/l sowie postoperative
Komplikationen (Nachblutung, Hämatom, Wundinfekt, pathologischer HNO-ärztlicher Befund,
Horner-Syndrom) ermittelt.
Das Patientenkollektiv wurde anhand der erhobenen Daten in 2 Gruppen eingeteilt:
-
Vergleichskollektiv (n = 223): Patienten nach totaler Thyreoidektomie ohne postoperativen
Hypoparathyreoidismus (Definition: Parathormon i. S. am 1. postoperativen Tag ≥ 15 pg/ml
und Calcium ≥ 2,1 mmol/l) und ohne andere Komplikationen.
-
Hypoparathyreoidismus-Kollektiv (HPK, n = 197)): Patienten nach totaler Thyreoidektomie
mit postoperativem Hypoparathyreoidismus (Definition: Parathormon i. S. am 1. postoperativen
Tag < 15 pg/ml und/oder Calcium i. S. < 2,1 mmol/l).
Befragung beider Patientengruppen mit Hilfe eines validierten Fragebogenmessinstrumentes
Zur Abfrage der Symptome der Patienten innerhalb der vergangenen 4 Wochen zum Zeitpunkt
der Befragung (mind. 8 Monate postoperativ) sowie zur Überprüfung der durch diese
Symptome empfundenen Belastung wurde ein ursprünglich von Bohrer et al. [15] im Jahr 2005 entwickeltes und durch uns modifiziertes validiertes Fragebogen-Messinstrument
eingesetzt (Anhang I+II).
Es wurden berechnet:
-
Summenscore: Berechnung aus der Gesamtzahl der angegebenen Symptome. Jeder mit „hatte
ich nicht“ beantworteten Frage wurde der Wert 1 zugeordnet und von der Gesamtzahl
der möglichen Symptome abgezogen. Es konnte ein maximaler Summenscore von 45 sowie
ein minimaler Summenscore von 0 erreicht werden. Wurden auf einem Fragebogen 1 oder
mehrere der 45 Fragen bezüglich der Symptome nicht beantwortet, wurde kein Summenscore
für diesen Fragebogen errechnet.
-
Belastungsscore: Den einzelnen Antwortmöglichkeiten wurden die folgenden Punktwerte
zugeordnet und diese zu einem Gesamtscore addiert: „hatte ich nicht“ und „hatte ich
und belastete mich gar nicht“ = 0, „hatte ich und belastete mich etwas“ = 1, „hatte
ich und belastete mich mäßig“ = 2, „hatte ich und belastete mich stark“ = 3, „hatte
ich und belastete mich sehr stark“ = 4. Damit ergaben sich ein maximaler Belastungsscore
von 180 und ein minimaler Belastungsscore von 0.
Wurden auf einem Fragebogen 1 oder mehrere der 45 Fragen bezüglich der Symptome nicht
beantwortet, wurde kein Belastungsscore für diesen Fragebogen errechnet.
Wurden mehrere Intensitäten der empfundenen Belastung angekreuzt, so wurde stets die
stärkere Intensität angenommen und für die Berechnung verwendet.
Der Median und der Mittelwert der Summen- und Belastungsscores des HPK wurde mit dem
Median und dem Mittelwert der Summen- und Belastungsscores des Vergleichskollektivs
verglichen, um eine mögliche Mehrbelastung des HPK darzustellen.
Ergänzend zu den Scores wurden separate Auswertungen der folgenden Fragen vorgenommen:
-
Zufriedenheit mit der Therapie: Die Patienten hatten die Möglichkeit, ihre Zufriedenheit
mit der Therapie prozentual anzugeben von 0–100 %. Es wurden sowohl der Mittelwert
als auch der Median berechnet. Die Zufriedenheit des HPK wurde mit der Zufriedenheit
des Vergleichskollektivs verglichen.
-
Qualität der Erfassung der Beschwerden durch den Fragebogen: Die Patienten hatten
die Möglichkeit, ihre Zufriedenheit über die gestellten Fragen zum Ausdruck zu bringen.
Die Ergebnisse wurden in einem Balkendiagramm dargestellt.
-
Durchführung der ambulanten Nachsorge: Diese Frage wurde lediglich dem Hypoparathyreoidismus-Kollektiv
gestellt. Es wurde erfragt, wer die ambulante Nachsorge durchführte (Hausarzt, Nuklearmediziner
oder Endokrinologe).
Zusätzlich wurden jedem Patienten vor der Blutentnahme 3 Fragen mit vorgegebenen Antwortmöglichkeiten
gestellt:
-
„Hat Ihr Hausarzt regelmäßig Calcium-Kontrollen durchgeführt? (Ja/Nein/Nicht bekannt)“
-
„Nehmen Sie aktuell eines oder mehrere der folgenden Medikamente ein? (Vitamin D/Calcium/Keine/Vitamin
D und Calcium)“
-
„Hat Ihr Hausarzt die Dosierung folgender Medikamente seit Ihrer Operation verändert?
(Vitamin D/Calcium/Keine/Beide)“
Konnte die dritte Frage nicht beantwortet werden, so wurde die aktuelle Medikation
mit der Entlassungsmedikation anhand der Dokumentation im Entlassungsarztbrief verglichen.
Ergab sich ein Unterschied, so wurde die Antwort mit „Ja“ gewertet, ergab sich kein
Unterschied, so wurde die Antwort mit „Nein“ gewertet.
Bewertung der ambulanten Versorgungsqualität
Die ambulante Versorgungsqualität der Patienten des Studienkollektivs wurde anhand
von 4 Aspekten beurteilt:
-
Um festzustellen, ob Patienten mit einem dauerhaft erniedrigten Parathormon mindestens
6 Monate nach der Operation eine Substitutionsmedikation erhielten, die einen normwertigen
Serumcalciumwert herbeiführt, wurden bei diesen Patienten folgende Variablen ausgewertet:
Es wurde zunächst erfasst, ob die Patienten zum Blutentnahmezeitpunkt eine Substitutionsmedikation
einnahmen. Nach Einteilung der Patienten in eine Gruppe mit Einnahme einer Substitutionsmedikation
und eine Gruppe ohne Einnahme einer Substitutionsmedikation wurde ausgewertet, wie
viele Patienten der jeweiligen Gruppe einen aktuellen Calciumwert i. S. ≥ 2,1 mmol
bzw. < 2,1 mmol hatten.
-
Alle Patienten, bei denen eine Blutentnahme im Rahmen der Studie durchgeführt worden
war, wurden nach dem gemessenen Parathormon in 2 Gruppen eingeteilt: Gruppe 1 (n = 7)
fasste alle Patienten mit einem PTH < 15 pg/ml zusammen. Gruppe 2 (n = 110) umfasste
alle Patienten mit einem PTH ≥ 15 pg/ml.
In einem folgenden Schritt wurde berechnet, wie viele Patienten dieser beiden Gruppen
eine Substitutionsmedikation nach mindestens 6 Monaten postoperativ erhielten.
-
Im HPK wurde die Anzahl derjenigen Patienten ermittelt, die eine regelmäßige Calciumkontrolle
durch den Hausarzt erhielten. Eine genaue Zeitspanne wurde hierbei nicht berücksichtigt.
-
In einem letzten Schritt wurde untersucht, bei wie vielen Patienten des HPK eine Veränderung
der Substitutionsmedikation im weiteren Verlauf nach der Operation vorgenommen wurde.
Die Art der Veränderung spielte hierbei keine Rolle.
Identifikation von Risikofaktoren anhand der erhobenen Daten
In einer gesonderten Analyse am gleichen Patientenkollektiv identifizierten wir Prädiktoren
für den permanenten postoperativen Hypoparathyreoidismus. Hieraus wurde eine Risikostratifizierung
als Grundlage für eine individualisierte Nachsorge insbesondere gefährdeter Patienten
entwickelt (Manuskript zur Veröffentlichung eingereicht).
Die statistische Analyse umfasste den exakten Fisher-Test bei kleinen Fallzahlen,
um den Unterschied in den Häufigkeiten zweier kategorialer Variablen darzustellen.
Der Chi²-Test fand mit dem gleichen Ziel bei einer größeren Fallzahl Anwendung.
Lagen eine stetige und eine kategoriale Variable vor, so wurde der Mann-Whitney-U-Test
zur Berechnung der statistischen Signifikanz herangezogen.
Die Studie wurde von der Ethikkommission des Universitätsklinikums Münster genehmigt
(Nr. 2015–339-f-S mit Datum vom 24.08.2015).
Ergebnisse
An der Blutentnahme nahmen 117 der 382 zugelassenen Patienten (30,6 %) teil. 62 dieser
Patienten gehörten dem HPK an (53 % aller Patienten zur Blutentnahme), 55 dieser Patienten
gehörten dem Vergleichskollektiv an (47 %). Ein permanenter Hypoparathyreoidismus
trat bei 11,3 % aller Patienten mit Hypoparathyreoidismus bzw. bei 6 % aller Patienten
mit Blutentnahme 8–32 Monate postoperativ auf. Wir identifizierten als Prädiktoren
für einen permanenten Hypoparathyreoidismus einen erniedrigten PTH-Wert am 1. postop. Tag,
Verzicht bzw. Nicht-Erfordernis einer Redondrainage und eine lange Krankenhausverweildauer.
Es bestand jedoch keine Assoziation mit der Durchführung einer Nebenschilddrüsenautotransplantation
[16].
Postoperative Beschwerden der beiden Patientenkollektive
Von 197 Patienten des HPK haben 111 Patienten den Fragebogen ausgefüllt zurückgesendet.
9 dieser Fragebögen waren unvollständig ausgefüllt und wurden daher von der Auswertung
ausgeschlossen. Aus dem Vergleichskollektiv sandten 120 Patienten den Fragebogen ausgefüllt
zurück. In diesem Kollektiv waren 11 Fragebögen unvollständig ausgefüllt und wurden
daher aus der Auswertung ausgeschlossen. Somit wurden im HPK 102 Fragebögen, im Vergleichskollektiv
109 Fragebögen bezüglich der beiden Scores ausgewertet. Die Belastungsscores und Summenscores
der beiden Kollektive wurden einander gegenübergestellt und verglichen. Die Ergebnisse
zeigt [Tab. 1]. Der Mann-Whitney-U-Test für unabhängige Stichproben ergab eine Signifikanz von
p = 0,91 für den Summenscore und eine Signifikanz von p = 0,403 für den Belastungsscore.
Tab. 1
Belastungsscore und Summenscore der beiden Patientenkollektive.
|
Belastungsscore
|
Summenscore
|
Patienten der HP-Gruppe
|
Mittelwert 20,50
Standardabweichung 19,76
|
Mittelwert 16,59
Standardabweichung 12,44
|
Patienten der Vgl.-Gruppe
|
Mittelwert 19,92
Standardabweichung 21,17
|
Mittelwert 14,56
Standardabweichung 12,97
|
Häufigkeit eines normwertigen Calciumwertes in Abhängigkeit von der Substitutionsmedikation
im Patientenkollektiv mit dauerhaft erniedrigtem PTH < 15 pg/ml
In der Gruppe der 7 Patienten mit dauerhaft erniedrigtem PTH hatten 4 Patienten unter
Substitutionsmedikation einen Calciumwert ≥ 2,1 mmol/L (66,7 %). 2 konnten trotz Substitution
keinen normwertigen Calciumwert erreichen (33,3 %). 1 Patient hatte ohne Substitution
einen normwertigen Calciumspiegel im Serum. Kein Patient hatte bei fehlender Substitution
ein erniedrigtes Calcium.
Häufigkeit der Substitution nach mindestens 6 Monaten postoperativ in Abhängigkeit
vom PTH-Wert zum Zeitpunkt der Studienblutentnahme
Es wurde untersucht, wie häufig Patienten mit normaler Nebenschilddrüsenfunktion dauerhaft
eine Substitutionsmedikation einnehmen. Von den 7 Patienten, die ein dauerhaft erniedrigtes
PTH hatten, gaben 6 Patienten (85,7 %) an, regelmäßig eine Substitution bestehend
aus Calcium und/oder Vitamin D einzunehmen. Nur 1 Patient nahm trotz dauerhaft erniedrigten
PTHs keine Substitutionsmedikation ein (14,3 %). 26 Patienten wurden mit normwertigem
PTH nach mindestens 6 Monaten substituiert (23,6 %). Die übrigen 84 Patienten mit
normwertigem PTH wurden nach ihren Angaben nicht substituiert (76,4 %) ([Tab. 2]).
Tab. 2
Konzentrationsverhältnisse der Substitution nach mindestens 6 Monaten postoperativ
in Abhängigkeit des PTHs.
|
Substitutionsmedikation ja
|
Substitutionsmedikation nein
|
Anteil der Patienten mit Parathormonwert < 15 pg/ml > 6 Monate nach der Operation
|
85,7 % (n = 6)
|
14,3 % (n = 1)
|
Anteil der Patienten mit Parathormonwert ≥ 15 pg/ml > 6 Monate nach der Operation
|
23,6 % (n = 26)
|
76,4 % (n = 84)
|
|
Gesamtzahl n = 32
|
Gesamtzahl n = 85
|
Durchführung von regelmäßigen Calciumkontrollen im Serum durch den Hausarzt im HPK
Von den 62 Patienten des HPK gaben 47 an, dass bei ihnen eine regelmäßgie Calciumkontrolle
durch den Hausarzt durchgeführt wurde (75,8 %). Bei 10 Patienten (16,1 %) wurden keine
regelmäßigen Calciumkontrollen durch den Hausarzt durchgeführt, 5 Patienten konnten
keine Angaben zu dieser Fragestellung machen (8,1 %) ([Tab. 3]).
Tab. 3
Durchführung von regelmäßigen Calciumkontrollen im Serum durch den Hausarzt im HPK.
Calciumkontrolle ja
|
75,8 % (n = 47)
|
Calciumkontrolle nein
|
16,1 % (n = 10)
|
Calciumkontrolle unbekannt
|
8,1 % (n = 5)
|
|
Gesamtzahl n = 62
|
Änderung der Substitutionsmedikation gegenüber der Entlassungsmedikation im HPK
Die Substitutionsmedikation wurde bei 54 Patienten des HPK gegenüber der Empfehlung
zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem stationären Krankenhausaufenthalt verändert (87,1 %).
8 Patienten gaben an, dass keine Veränderung vorgenommen wurde bzw. der Vergleich
der aktuellen Medikation mit der des Entlassungsbriefes ergab keinen Unterschied (12,9 %).
Zufriedenheit der beiden Patientenkollektive mit der Therapie
Aus dem HPK beantworteten 98 Patienten diese Frage auf dem Fragebogen. Im Vergleichskollektiv
beantworteten 100 Patienten diese Frage. Im HPK ergab sich aus der Berechnung der
einzelnen Angaben zur Zufriedenheit mit der Therapie ein Mittelwert von 77,9 % (Stabw.
22,3) Im Vergleichskollektiv ergaben sich ähnliche Zufriedenheitswerte. Hier betrug
der Mittelwert für die Zufriedenheit 76,2 % (Stabw. 26,1) ([Tab. 4]). Der exakte Test nach Fisher ergab eine exakte Signifikanz (2-seitig) von p = 0,563.
Tab. 4
Zufriedenheit der beiden Patientenkollektive mit der Therapie.
|
Anzahl Patienten der HP-Gruppe
|
Anzahl der Patienten der Vgl.-Gruppe
|
0 %
|
2
|
2
|
10 %
|
0
|
1
|
20 %
|
0
|
3
|
30 %
|
3
|
4
|
40 %
|
5
|
3
|
50 %
|
5
|
9
|
60 %
|
7
|
4
|
70 %
|
10
|
10
|
80 %
|
22
|
17
|
90 %
|
19
|
14
|
100 %
|
25
|
33
|
|
Gesamtzahl n = 98 Mittelwert 77,9 % Standardabweichung 22,3
|
Gesamtzahl n = 100 Mittelwert 76,2 % Standardabweichung 26,1
|
Zufriedenheit beider Patientenkollektive mit der Qualität des Fragebogens
Im HPK beantworteten 111 Patienten diese Frage auf dem Fragebogen, im Vergleichskollektiv
120 Patienten. Im HPK gaben 3 Patienten (2,9 %) an, dass der Fragebogen die körperlichen
Beschwerden, die zurzeit im Vordergrund stehen, „gar nicht“ erfasst. 13 Patienten
entschieden sich für „einige“ (12,8 %), 8 Patienten für „viele“ (7,8 %), 35 Patienten
gaben „die meisten“ (34,3 %) und 43 Patienten (42,2 %) „vollständig“ an.
Im Vergleichskollektiv gaben 6 Patienten (5,8 %) an, dass der Fragebogen ihre zurzeit
vorhandenen Beschwerden „gar nicht“ erfasste. 18 Patienten (17,3 %) gaben „einige“
an, 8 Patienten (7,7 %) „viele“, 35 Patienten (33,7 %) entschieden sich für „die meisten“
und 37 Patienten (35,6 %) für „vollständig“ ([Abb. 1]). Der Pearson-Chi²-Test ergab eine asymptotische Signifikanz (2-seitig) von p = 0,692.
Abb. 1 Abbildung der Zufriedenheit beider Patientenkollektive mit der Qualität des Fragebogens
(blau: Anzahl der Patienten im Hypoparathyreoidismus-Kollektiv, HPK; rot: Anzahl der
Patienten im Vergleichskollektiv).
Diskussion
Der postoperative Hypoparathyreoidismus ist die häufigste Komplikation nach totaler
Thyreoidektomie. In der Literatur schwanken die Angaben zur Inzidenz des transienten
Hypoparathyreoidismus (< 6 Monate postoperativ) zwischen 6,8 % und 46 %, die zur Inzidenz
des permanenten Hypoparathyreoidismus zwischen 0 % und 43 % [4]
[5]
[7]. Sowohl für die passagere Manifestation als auch für den permanenten postoperativen
Hyperparathyreoidismus (> 6 Monate) ist die zielgerichtete und bedarfsgerechte Betreuung
der Patienten von entscheidender Bedeutung für die Prävention von kurz- und langfristigen
Folgekomplikationen [12].
Nur durch eine valide Erkennung des unmittelbar postoperativen Hypoparathyreoidismus
kann die Therapiebedürftigkeit zuverlässig eingeschätzt werden. In Studien hat sich
als optimaler Zeitpunkt für die Parathormon- und Calciumbestimmung der erste postoperative
Tag gezeigt [17]
[18]. Zu diesem Zeitpunkt ist eine sichere und kosteneffiziente Diagnose des postoperativen
Hypoparathyreoidismus möglich [19]
[20]. Als Cut-off-Wert für die Entwicklung einer symptomatischen Hypocalcämie wird ein
PTH-Wert von ca. 10 pg/ml angegeben. Die frühe Diagnose ermöglicht einen früheren
Beginn der Substitutionstherapie und kann einen verlängerten Krankenhausaufenthalt
verhindern [21]
[22]. Dieses Vorgehen entspricht unserem Routinevorgehen in der klinischen Versorung
und wurde auch in der hier vorgelegten Studie angewendet. Hierdurch können kurzfristige
Sekundärkomplikationen wie eine Tetanie oder Herzrhythmusstörungen effizient vermieden
werden.
Die Standardtherapie des Hypoparathyreoidismus umfasst zum einen die bedarfsgerechte
Calciumsubstitution, zum anderen die Gabe eines Vitamin-D-Präparates [14]
[23]
[24]. Unterschiedliche Präparate beider Arzneimittel stehen zur Verfügung. Cholecalciferol
ist das am häufigsten verwendete und günstigste Vitamin-D-Präparat, jedoch kann es
aufgrund der langen Halbwertszeit zu Intoxikationen führen [25]
[26]. Eine wichtige Bedeutung hat daneben Calcitriol, die biologisch aktive Form des
Vitamin D3. Vor allem die kurze Halbwertszeit von 4 bis 6 Stunden, die fehlende Notwendigkeit
einer endogenen Aktivierung und die stärkste Wirksamkeit machen dieses Präparat besonders
vorteilhaft [26]
[27]
[28]
[29]. Zur oralen Calciumsubstitutionstherapie werden Calciumcitrat und Calciumcarbonat
verwendet [26]. Für die Behandlung mit Calciumcarbonat sollte beachtet werden, dass dieses nicht
in neutralem Milieu löslich ist und so zum Beispiel nicht in Kombination mit einem
Protonenpumpeninhibitor angewendet werden sollte [25]. In diesem Fall sollte Calciumcitrat verwendet werden [26].
Mit diesem Vorgehen kann zunächst unmittelbar auf einen postoperativen Hypoparathyreoidismus
reagiert werden.
In einem relevanten Anteil der thyreoidektomierten Patienten kommt es jedoch zur Ausbildung
eines permanenten Hypoparathyreoidismus [4]
[5]
[7]. Dieses bestätigte sich auch in unserer Untersuchung. Von besonderer Bedeutung für
die Versorgung des postoperativen Hypoparathyreoidismus ist deshalb die mittel- und
langfristige engmaschige Betreuung und Therapie betroffener Patienten. Ziel unserer
Studie war deshalb, die Qualität der ambulanten Versorgung dieser Patienten zu untersuchen
und mögliche Zielparameter für eine Verbesserung aufzuzeigen. Hierzu wandten wir etablierte
Fragebogeninstrumente an und entwickelten diese weiter. Darüber hinaus entwarfen wir
einen eigenen Katalog von ergänzenden Fragen zu spezifischen Fragestellungen.
Betrachtet man mindestens 6 Monaten postoperativ die Symptomanzahl und die empfundene
Belastung von Patienten nach totaler Thyreoidektomie ohne jegliche Komplikation, verglichen
mit Patienten, die einen postoperativen Hypoparathyreoidismus entwickelten, so ist
nahezu kein Unterschied im subjektiven Empfinden zu verzeichnen. In der vorliegenden
Arbeit wurde der Mann-Whitney-U-Test zur Berechnung der statistischen Signifikanz
angewendet. Dieser belegte keinen Unterschied zwischen den beiden Kollektiven (Summenscore
p = 0,91; Belastungsscore p = 0,403). Dagegen wird aufgrund bisher vorliegender Studienergebnisse
von einer relevanten Beeinträchtigung der Lebensqualität bei Patienten mit einem Hypoparathyreoidismus
ausgegangen [30]
[31]. In einer Studie der Universität Würzburg wurde eine signifikant erhöhte Beschwerdelast
in einem Hypoparathyreoidismus-Kollektiv unter adäquater Substitution von Calcium
und Vitamin D nachgewiesen, verglichen mit einer Kontrollgruppe aus Patienten nach
Schilddrüsenoperation ohne Entwicklung eines Hypoparathyreoidismus [28]. Grundlage dieser Erhebungen waren 3 Fragebogenmessinstrumente (Symptomcheckliste
SCL 90-R, Beschwerdeliste (B-L), Gießener Beschwerdebogen) [30]. Aufgrund der Verwendung unterschiedlicher Fragebogenmessinstrumente im Vergleich
zu unserer Studie ist ein Vergleich der Ergebnisse jedoch kaum möglich.
Zur Verifizierung des Erfolgs der Substitutionstherapie der Patienten mit einem permanent
erniedrigten PTH wurde das Serumcalcium als Parameter betrachtet. Kein Patient mit
einem Calcium < 2,1 mmol/l wurde nicht substituiert. Bei 33,3 % (n = 2) der Patienten
mit Substitutionstherapie war diese nicht ausreichend in dem Sinne, dass kein normwertiger
Calciumspiegel unter Substitutionstherapie erreicht wurde. 66,7 % (n = 4) der Patienten
erreichten einen normwertigen Calciumspiegel unter Substitution. Ein Patient hatte
trotz erniedrigten PTHs keine Substitutionsmedikation erhalten, jedoch wies dieser
dennoch ein normwertiges Serumcalcium auf. Insgesamt kann man aus diesen Ergebnissen
ableiten, dass die Substitution bei Patienten mit einem permanent erniedrigten PTH
zuverlässig durchgeführt wird, jedoch bedarf es engmaschigerer laborchemischer Kontrollen,
um den Serumcalciumspiegel in den empfohlenen niedrigen Normbereich anzuheben [14].
Betrachtet man das gesamte Blutentnahmekollektiv, so ist auffällig, dass trotz normwertigen
Parathormons in 26 von 110 Fällen (23,6 %) eine Substitutionsmedikation eingenommen
wurde. Nur 1 von 7 Patienten (14,3 %) nahm trotz eines erniedrigten Parathormons nach
mindestens 6 Monaten postoperativ keine Substitutionsmedikation ein. Diese Ergebnisse
bestätigen das vermutete Problem, dass zu häufig ohne Notwendigkeit eine Substitutionsmedikation
weiter eingenommen wird [32]. Eine Studie von Witte et al. kam zu dem gleichen Ergebnis. Auch hier wurde bei
49 % der Patienten, die unter regelmäßiger Substitutionstherapie mit Calcium und/oder
Vitamin D standen, eine normale Nebenschilddrüsenfunktion nachgewiesen [33]. Dies ist unter anderem wegen der hohen jährlichen Therapiekosten und möglichen
Nebenwirkungen einer Calciumsubstitutionstherapie zu vermeiden [32]. Ob die Calciumsubstitution aufgrund einer anderen Indikation, wie z. B. einer Osteoporose,
durchgeführt wurde, wurde in unserer Studie nicht berücksichtigt.
Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern ein normwertiger Calciumspiegel eine adäquate
Therapie des permanenten Hypoparathyreoidismus widerspiegelt. Eine Untersuchung bei
Patienten mit einem permanenten Hypoparathyreoidismus unter Standardtherapie mit Calcium
und Vitamin D zeigte eine Beeinträchtigung der Stimmung und des Wohlbefindens, obwohl
die Mehrheit der Patienten einen Calciumwert im Normbereich aufwies [9]. Vermutet wurde daher, dass diese Beeinträchtigung im Empfinden unmittelbar durch
das Fehlen des Parathormons bedingt sein könnte und nicht durch die Calciumhomöostase
[9]. Darüber hinaus konnte die Behandlung mit Calcium und Vitamin D die physiologische
Calcium-Phosphat-Homöostase nicht wiederherstellen, sodass die Patienten ein höheres
Risiko der extraossären Kalzifikation aufwiesen [9]. Mit der nun neu zur Verfügung stehenden Therapie mit rekombinantem humanem Parathormon
kommt ein wichtiger Baustein zur Therapie des chronischen Hypoparathyreoidismus hinzu.
Bisherige Studienergebnisse zeigen eine Verbesserung der Calciumhomöostase bei niedrigerem
Substitutionsbedarf mit der Standardtherapie und es gibt Hinweise, dass ebenso die
Lebensqualität verbessert wird [12]. Vorbehalten bleibt die Therapie aktuell Patienten, die unter Standardtherapie nicht
zufriedenstellend eingestellt werden können [12].
Bemerkenswert ist, dass bei 75,8 % (n = 47) der Patienten beim Hausarzt regelmäßige
Calciumkontrollen durchgeführt wurden. Trotz Normalisierung des Serumcalciumspiegels
erfolgte jedoch in vielen Fällen keine Beendigung der Substitutionsmedikation. Bei
87,1 % (n = 54) der Patienten mit einem postoperativen Hypoparathyreoidismus wurde
die Substitutionsmedikation nach der Entlassung jedoch angepasst. Führt man diese
Ergebnisse zusammen, so scheint es häufige Kontrollen des Serumcalciumwertes zu geben
verbunden mit einer Anpassung der Substitutionsmedikation, ohne jedoch den Schritt
des Absetzens zu wagen.
Betrachtet wurde ebenfalls die Zufriedenheit der Patienten mit ihrer postoperativen
Therapie. Die Meinung der beiden Kollektive gleicht sich bei einer insgesamt guten
Zufriedenheit mit der Therapie (77,9 % vs. 76,2 %). Der fehlende Unterschied zeigt
sich ebenfalls im Chi²-Test (p = 0,524). Dieses Ergebnis steht im Kontrast zur etablierten
Erkenntnis, dass die Lebensqualtität von Patienten mit postoperativem Hypoparathyreoidismus
erheblich eingeschränkt ist im Vergleich zu thyreoidektomierten Patienten ohne Hypoparathyreoidismus.
Hier muss eine kritische Würdigung erfolgen, indem die Frage offenbleibt, ob der von
uns für die spezifische Fragestellung gering modifizierte Fragebogen ausreichend valide
ist. Hieraus könnte sich eine mögliche Limitierung für die Aussagekraft der hier vorgelegten
Untersuchung ergeben. Eine Non-Responder-Analyse wurde nicht durchgeführt.
Jedoch muss hier beachtet werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Patienten
die Zufriedenheit mit ihrer Schilddrüsenhormonsubstitution zur Beantwortung dieser
Frage in den Vordergrund gerückt hat und nicht die Therapie einer möglichen Nebenschilddrüsenunterfunktion,
wie es gewünscht war. Dies wurde durch eine Vielzahl an schriftlichen Vermerken auf
den Fragebögen sowie aus dem persönlichen Gespräch mit den Patienten im Rahmen der
Blutentnahme deutlich. Daher ist die Frage bezüglich des eigenen Empfindens der Qualität
der Substitutionstherapie bei Hypoparathyreoidismus nicht uneingeschränkt zu verwerten.
Eine andere mögliche Erklärung für die übereinstimmenden Zufriedenheitsniveaus in
beiden Patientengruppen könnte sein, dass die Patienten mit Hypoparathyreoidismus
ideal therapiert wurden. Dieses traf aber offensichtlich nicht zu.
Die Qualität des Fragebogens bezüglich der Beschwerdeerfassung wurde im HPK etwas
besser bewertet als im Vergleichskollektiv. Hier spiegelt sich sicher wider, dass
die im Fragebogen genannten Symptome dem HPK vertrauter sind. Auch hier zeigt sich
im Chi²-Test kein signifikanter Unterschied beider Kollektive.
Es wurde erfragt, wer die Nachsorge der Patienten mit einem Hypoparathyreoidismus
übernimmt. Hier ist ganz klar der Schwerpunkt in der hausärztlichen Versorgung zu
sehen (96,2 %). Somit kommt dieser eine herausragende Bedeutung in der Therapie des
Hypoparathyreoidismus zu.
Durch die Kenntnis von Risikofaktoren könnte eine bessere Selektion von Patienten
ermöglicht werden, die von einer engmaschigeren ambulanten Nachsorge profitieren.
Gefährdete Patienten könnten zielgerichtet und engmaschig betreut werden, um Langzeitfolgen
des Hypoparathyreoidismus vorzubeugen. Andererseits ließe sich das Risiko einer Übertherapie
für nicht betroffene Patienten verringern.
In der ambulanten hausärztlichen Versorgung von Patienten mit Hypoparathyreoidismus
stellten wir sowohl Merkmale einer Über- als auch einer Unterversorgung fest. Hieraus
lassen sich zur Verbesserung Zielparameter ableiten: 1. Es sollte eine engmaschige
Nachsorge erfolgen, idealerweise unter Berücksichtigung individueller Risikofaktoren.
2. Bei allen Patienten mit einem permanenten Hypoparathyreoismus ist regelmäßig auf
eine ausreichende Substitutionstherapie zu achten. 3. Bei allen Patienten mit normwertigem
Parathormon sollte die Substitutionstherapie zeitgerecht beendet werden.