Sprache · Stimme · Gehör 2019; 43(02): 74-75
DOI: 10.1055/a-0851-8945
Aus der Cochrane Library
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Schlucktherapie bei Schluckstörungen (Dysphagie) nach akutem und subakutem Schlaganfall

Bath Philip M, Lee Han Sean, Everton Lisa F.
Swallowing therapy for dysphagia in acute and subacute stroke.

Cochrane Database Syst Rev 2018;
10 CD000323.
DOI: 10.1002/14651858.CD000323.pub3.
Further Information

Publication History

Publication Date:
06 June 2019 (online)

 

Dysphagie (Schluckstörungen), als eine häufige Folge von Schlaganfall, ist mit einem erhöhten Risiko für Tod oder Pflegebedürftigkeit, dem Auftreten von Lungenentzündung, einer verringerten Lebensqualität und längerem Krankenhausaufenthalt verbunden. Behandlungen zur Verbesserung der Dysphagie zielen darauf ab, die Wiederherstellung der Schluckfunktion zu beschleunigen und die genannten Risiken zu verringern. Dies ist eine Aktualisierung eines Reviews, der zuerst im Jahr 1999 publiziert und 2012 aktualisiert wurde.


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Ziele

Es sollte die Wirksamkeit von Schlucktherapie auf Tod oder Pflegebedürftigkeit bei Schlaganfallüberlebenden mit Dysphagie, innerhalb von 6 Monaten nach Beginn des Schlaganfalls, beurteilt werden.


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Suchmethoden

Wir durchsuchten das Cochrane Stroke Group Trials Register (26. Juni 2018), das Cochrane Central Register of Controlled Trials (CENTRAL; 2018, Issue 6) in der Cochrane Library (durchsucht am 26. Juni 2018), MEDLINE (26. Juni 2018), Embase (26. Juni 2018), den Cumulative Index to Nursing and Allied Health Literature (CINAHL) (26. Juni 2018), Web of Science Core Collection (26. Juni 2018), SpeechBITE (28. Juni 2016), ClinicalTrials.Gov (26. Juni 2018) und die World Health Organization International Clinical Trials Registry Platform (26. Juni 2018). Wir durchsuchten auch Google Scholar (7. Juni 2018) und die Referenzlisten relevanter Studien und Review-Artikel.


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Auswahlkriterien

Wir wollten randomisierte kontrollierte Studien (RCTs) zur Intervention bei Menschen mit Dysphagie und neuerem Schlaganfall (innerhalb von 6 Monaten) einschließen.


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Datenerhebung und -analyse

Zwei Review-Autoren haben unabhängig voneinander Einschlusskriterien angewendet, die Daten extrahiert, eine Beurteilung des Risikos für Bias vorgenommen und zur Beurteilung der Qualität der Evidenz den GRADE Ansatz verwendet. Meinungsverschiedenheiten konnten durch Diskussion mit dem 3. Review-Autor (PB) gelöst werden. Wir verwendeten Random Effects Modelle zur Berechnung von Odds Ratios (ORs), Mittelwertdifferenzen (MDs) und standardisierten Mittelwertdifferenzen (SMDs) und bestimmten jeweils 95 % Konfidenzintervalle (CIs).

Der primäre Endpunkt war ein funktionsbezogener Endpunkt, definiert als Tod oder Pflegebedürftigkeit (oder Tod oder Behinderung) am Ende der Studie. Sekundäre Endpunkte waren fallbezogene Sterblichkeit am Ende der Studie, Dauer des stationären Aufenthaltes, Anteil der Teilnehmer mit Dysphagie am Studienende, Schluckfähigkeit, Penetrations-Aspirations-Score oder Lungenentzündung, pharyngeale Transitzeit, Einweisung in ein Pflegeheim und Ernährung.


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Hauptergebnisse

Wir haben 27 neue Studien (1777 Teilnehmer) zu dieser Aktualisierung hinzugefügt, um insgesamt 41 Studien (2660 Teilnehmer) einzuschließen.

Wir untersuchten die Wirksamkeit von Schlucktherapie insgesamt und in Subgruppen nach Art der Intervention: Akupunktur (11 Studien), Verhaltensintervention (9 Studien), medikamentöse Therapie (3 Studien), neuromuskuläre Elektrostimulation (NMES; 6 Studien), pharyngeale Elektrostimulation (PES; 4 Studien), physische Stimulation (3 Studien), transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS; 2 Studien) und transkranielle Magnetstimulation (TMS; 9 Studien).

Schlucktherapie hatte keine Wirkung auf den primären Endpunkt (Tod oder Pflegebedürftigkeit/Behinderung am Studienende), basierend auf Daten aus einer Studie (2 Datensätze) (OR 1,05, 95 % CI 0,63 bis 1,75; 306 Teilnehmer; 2 Datensätze; I² = 0 %; P = 0,86; Evidenz von moderater Qualität). Schlucktherapie hatte keinen Effekt auf die fallbezogene Sterblichkeit am Studienende (OR 1,00, 95 % CI 0,66 bis 1,52; 766 Teilnehmer; 14 Studien; I² = 6 %; P = 0,99; Evidenz von moderater Qualität). Schlucktherapie verringerte wahrscheinlich die Dauer des stationären Aufenthaltes (MD –2,9, 95 % CI –5,65 bis –0,15; 577 Teilnehmer; 8 Studien; I² = 11 %; P = 0,04; Evidenz von moderater Qualität). Die Forscher fanden keine Hinweise auf einen Subgruppen-Effekt, basierend auf Tests für Subgruppenunterschiede (P = 0,54). Schlucktherapie verringerte wahrscheinlich den Anteil von Teilnehmern mit Dysphagie am Studienende (OR 0,42, 95 % CI 0,32 bis 0,55; 1487 Teilnehmer; 23 Studien; I² = 0 %; P = 0,00001; Evidenz von niedriger Qualität). Die Studienergebnisse geben keine Hinweise auf einen Subgruppen-Effekt basierend auf Tests für Subgruppenunterschiede (P = 0,91). Schlucktherapie könnte die Schluckfähigkeit verbessern (SMD –0,66, 95 % CI –1,01 bis –0,32; 1173 Teilnehmer; 26 Studien; I² = 86 %; P = 0,0002; Evidenz von sehr niedriger Qualität). Wir fanden keine Hinweise auf einen Subgruppen-Effekt basierend auf Tests für Subgruppenunterschiede (P = 0,09). Wir stellten eine moderate bis erhebliche Heterogenität zwischen den Studien zu diesen Interventionen fest. Schlucktherapie verminderte nicht den Penetrations-Aspirations-Score (d. h. sie verminderte nicht die radiologisch messbare Aspiration) (SMD –0,37, 95 % CI –0,74 bis –0,00; 303 Teilnehmer; 11 Studien; I² = 46 %; P = 0,05; Evidenz von niedriger Qualität). Schlucktherapie könnte die Inzidenz von Atemwegsinfektion oder Lungenentzündung vermindern (OR 0,36, 95 % CI 0,16 bis 0,78; 618 Teilnehmer; 9 Studien; I² = 59 %; P = 0,009; Evidenz von sehr niedriger Qualität).


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Schlussfolgerungen der Autoren

Evidenz von moderater und niedriger Qualität deutet darauf hin, dass Schlucktherapie keine signifikanten Effekte auf die Endpunkte Tod oder Pflegebedürftigkeit/Behinderung, fallbezogene Sterblichkeit am Studienende oder den Penetrations-Aspirations-Score hatte. Jedoch könnte Schlucktherapie die Dauer des stationären Aufenthalts, Dysphagie und Atemwegsinfektionen reduziert und die Schluckfähigkeit verbessert haben. Diese Ergebnisse basieren allerdings auf Evidenz von unterschiedlicher Qualität und beinhalten eine Vielfalt an Interventionen. Weitere qualitativ hochwertige Studien sind erforderlich, um zu untersuchen, ob spezifische Interventionen wirksam sind.

Übersetzung
A. de Sunda, D. Hinsen, F. Körner und F. Krzok, freigegeben durch Cochrane Deutschland

Kommentar

Ein Befreiungsschlag für die Dysphagietherapie konnte der aktualisierte Cochrane Review nicht werden. Im Vergleich zum Review von 2012 gilt die Gesamteinschätzung unverändert, wonach keine Verbesserung des funktionellen Outcomes durch Dysphagietherapie bewiesen werden kann. Allerdings könne für die Akkupunktur, behaviourale Techniken und die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ein schwacher Effekt auf Outcome-Parameter gezeigt werden.


Diese leichte Verbesserung der Einschätzung ist der Tatsache zuzuschreiben, dass sich die Zahl der eingeschlossenen Studien und Probanden nahezu verdreifacht haben und nunmehr 41 Studien mit insgesamt 2660 Probanden die Analysebasis bilden. Eingeschlossen wurden randomisiert kontrollierte Studien an dysphagischen Patienten bis zu 6 Monaten nach hämorrhagischem oder ischämischem Schlaganfall. Fast alle Studien zur posturalen Kontrolle, Kompensation oder Nahrungsadaptation wurden ausgeschlossen, da diese meist ohne Kontrollgruppe durchgeführt worden waren. Zwar erscheint dieses Vorgehen unter formalen Aspekten nachvollziehbar. Inhaltlich ist aber eher schwer zu argumentieren, warum unmittelbare – also nicht durch etwaige Spontanremission verfälschte – Effekte einer definierten Intervention kein Bestandteil einer Effizienzevaluation sein sollen.


23,4 % der eingeschlossenen Studien untersuchten Akkupunktur, 44,7 % elektrische oder magnetische Stimulation, je 6,4 % medikamentöse Therapie bzw. physikalische Stimulation und 19,1 % behaviorale Therapie. Diese Verteilung spiegelt sicherlich nicht die klinische Praxis wieder.


Die größte Studiengruppe, die elektrostimulativen Verfahren, wurden in den letzten Jahren zum Teil mit erheblicher industrieller Förderung ermöglicht und in gut kontrollierten Studiendesigns untersucht. Ein vergleichbarer, kontrollierter und evidenzgesteuerter Forschungsimpetus findet sich im behavioralen Sektor nicht, obwohl dieser überwiegend die Therapieinhalte definiert.


Die Ergebnisse des Reviews könnten, wie auch die Autoren betonen, durch verschiedene Faktoren verzerrt sein: den Ausschluss von Studien; weitere 86 Studien sind zwar veröffentlicht, waren aber nicht abschließend durch die Autoren beurteilt. Auch wurden nicht Einzelinterventionen, sondern gruppierte Interventionen bzw. die Effekte aller schlucktherapeutischer Maßnahmen untersucht. Das bedingt in Kombination mit den Einschlusskriterien eine formalisierte, aber keine fachlich-methodisch kontrollierte Analyse. Ein Beispiel mag die Konsequenzen verdeutlichen: in Cochrane wird die TDCS als nicht effektiv bewertet. Eingeschlossen wurden 2 Studien, in denen entweder die betroffene oder die gesunde Hemisphäre stimuliert wurden. Im Vergleich dazu nennt die Metaanalyse von Pisegna et al. (2016) für die TDCS eine gute Effektstärke von 0,85, wenn nur Studien mit Stimulation der gesunden Hemisphäre betrachtet werden.


Dem Autorenteam um Philip Bath ist höchste Anerkennung und Dank für ihre aufwändige Analyse und ihre Kommentare zu zollen. Wissenschaftlern seien deren klare Empfehlungen zur Studienkonstruktion ans Herz gelegt.


Autorinnen/Autoren

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Christian Ledl, Schön Klinik Bad Aibling

Literatur


[1] Pisegna J et al. Effects of non-invasive brain stimulation on post-stroke dysphagia: A systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Clin. Neurophysiol 2016; 127: 956 – 68. doi:10.1016/j.clinph.2015.04.069


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Christian Ledl, Schön Klinik Bad Aibling