JuKiP - Ihr Fachmagazin für Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 2019; 08(02): 50-51
DOI: 10.1055/a-0850-7550
Kolumne
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Es muss schon passen!

Heidi Günther
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Publication Date:
08 April 2019 (online)

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(Quelle: Paavo Blåfield)

„Arbeite nur – die Freude kommt von selbst.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), deutscher Dichter

Drei Tage vor Weihnachten des vergangenen Jahres sind mein Sohn, meine Schwiegertochter und ich frohen Mutes und mit riesigem Einkaufszettel in die METRO gefahren. Keine gute Idee. Wir waren dort nicht allein. Die Stimmung, die im Auto eigentlich noch ganz gut war, sank binnen allerkürzester Zeit ganz weit nach unten. Unlustig haben wir also unseren Zettel abgearbeitet, für spontane Einkäufe nach dem Motto „Auch ganz schön“ oder „Das könnten wir doch mal probieren“ blieb weder Lust noch Zeit. Dafür hat mein Sohn gesorgt. Mit sehr genervtem Gehabe trieb er uns durch die Regalreihen, um dann an einer Kasse anzukommen, bei der das Ende der Schlange stehenden Kunden am Horizont nur zu ahnen war. Und auch das nur, weil wir recht hoch aufgeschossene Menschen sind. Ein kleiner Mensch hätte nicht mal über den Korb des Vordermanns sehen können. Wer schon mal in der METRO war, weiß, das sind nicht Körbe wie bei EDEKA oder REWE. Das sind Waggons!

Als dann die Kassiererin in unser Blickfeld kam, hatte ich genügend Zeit, sie bei ihrer Arbeit zu beobachten. Ganz ehrlich: Das wäre nichts für mich. Stundenlang ganz kleine bis riesengroße Artikel über den Scanner zu ziehen und dabei vorwiegend genervte Menschen als Gegenüber ansehen und ihren Unmut ertragen zu müssen. Mich würde man spätestens am zweiten Tag mindestens feuern, wenn nicht sogar wegen Übergriffigkeit verhaften.

Dann war ich vor zwei, drei Wochen im Kreisverwaltungsreferat der Stadt München. Das ist die Behörde, die die 1,5 Millionen Menschen der Stadt München verwaltet. Ich möchte in diesem Jahr in die Ferne verreisen und benötige dafür einen gültigen Reisepass. Ich hielt mich für besonders pfiffig und fand es strategisch sehr günstig, diese unliebsame Aktion zwischen den Jahren abzuarbeiten. Gerade von unseren Mitarbeitern aus Bosnien höre ich immer wieder von exorbitanten Wartezeiten in den übervollen Warteräumen und von genervten Sachbearbeitern.

Also fuhr ich an einem dieser wenigen Werktage, ausgerüstet mit Buch, Telefon, Getränk und was zum Knabbern, um den Blutzucker bei Laune zu halten, gegen 7.30 Uhr mit der U-Bahn in die Ruppertstraße. Großer Fehler! In der U-Bahn herrschten gewissermaßen Tokioter Verhältnisse. Es passte kein Blatt zwischen die einzelnen Reisenden. Von mir zu Hause bis zu meinem Ziel sind es fünf Stationen, und viel mehr hätte ich auch nicht ertragen. Ich hatte große Sorge, ob ich es schaffen würde, an meiner Haltestelle aus dem Abteil zu kommen. Es stellte sich allerdings heraus, dass diese Sorge völlig unnötig war, denn fast alle Mitfahrer stiegen dort aus und quetschten sich auf die nicht enden wollende Rolltreppe. Eigentlich bin ich ja Atheistin, aber an diesem Morgen musste ich doch mal ein Stoßgebet loslassen, mit der Bitte, dass das alles nur Angestellte des KVR sein mögen. Ich hatte nämlich gelesen, dass die Stadt München in ihrer Verwaltung mehr als 35.000 Menschen beschäftigt. Und von denen waren hoffentlich gerade sehr viele auf dem Weg zur Arbeit, leider in ein wirklich hässliches Gebäude, in dessen Innerem es dann allerdings auch nicht hübscher wird.

Als ich endlich den zum Anliegen und Buchstaben „G“ passenden Flur gefunden hatte, zog ich die Nummer 28, und schwupp, nach nur 40 Minuten Wartezeit durfte ich das Großraumbüro betreten und mein Anliegen einem sehr wortkargen jungen Mann vortragen. Während er den nötigen Schreibkram abarbeitete, habe ich ihn und auch die Umgebung ein wenig begutachtet. Das Büro war düster. Sicherlich lag das auch an dem trüben Wintermorgen, und ich hoffe für die Angestellten, dass es sonst sonnendurchflutet ist. Es gab etwa zehn Schreibtische mit jeweils zwei Stühlen davor, und alle waren besetzt. Am Nachbartisch wurde auf einem Schild um Geduld gebeten, weil an diesem ausgebildet würde. Prompt hat sich die junge Auszubildende irgendwie vertan, und sofort herrschte mittelschwere Aufregung. Allerdings nicht bei der Ausbilderin, sondern bei dem zu verwaltenden Bürger. Dabei fiel mir auch auf, dass während des gesamten Gezeters mein Sachbearbeiter nicht einmal den Kopf gehoben hat.

Ich habe mich gefragt, was er wohl von Beruf ist (wahrscheinlich Verwaltungsfachangestellter), ob das sein Traumberuf von Kind an war und wie es ihm und den anderen Mitarbeitern dort nach acht Stunden an fünf Tagen die Woche geht. Ich selbst saß keine 15 Minuten in diesem Büro, war insgesamt knapp zweieinhalb Stunden in diesem Haus und danach fix und fertig. Also, das wäre auch nichts für mich.

Bestimmt haben Sie es mittlerweile bemerkt: Ich bin in meinen persönlichen Präferenzen, was den Beruf betrifft, ein wenig eingeschränkt oder anspruchsvoll oder auch bequem. Als ich Krankenschwester wurde und dann war, hatte ich schon eine gewisse Leidenschaft für diesen Beruf. Und, was auch nicht unwichtig und nicht zu verachten ist, ich hatte auch lange viel Glück. Ich habe – vor allen Dingen als junge Frau – immer in interessanten Fachabteilungen und in guten Teams gearbeitet. Ich hatte gute Vorgesetzte, die mich gefördert, gefordert und unterstützt haben, und ich kenne auch Zeiten, in denen wirklich noch gepflegt und nicht nur abgearbeitet wurde.

Auch mit meiner jetzigen Station habe ich eigentlich ein bisschen Glück. Sie ist klein, fachlich anspruchsvoll und im Moment sehr gut besetzt. Wir können es uns leisten, gut zu pflegen, aber auch sehr modernes, aufwendiges Wundmanagement anzubieten. Meine Kollegen haben die Möglichkeit, neben guter Pflege (im wahrsten Sinne des Wortes) auch zu lernen, sich auszuprobieren und, wenn es ganz verrückt wird, sogar Spaß an der Arbeit und vielleicht auch ein bisschen Stolz auf die Ergebnisse zu empfinden. Ich finde, genau das sollte es sein, was Arbeit ausmacht, und ich würde es jedem gönnen.

Aber vielleicht habe ich es mit meiner sparsamen Fantasie nur nicht erkennen können, und diese zehn Angestellten der Stadt und die Kassiererin sind am Ende des Tages total happy und zufrieden mit sich und ihrer Arbeit und denken über uns Krankenschwestern und Krankenpfleger umgekehrt genauso: dass dieser Beruf so gar nichts für sie wäre.

In diesem Sinne Ihre

Heidi Günther
hguenther@schoen-kliniken.de