Nervenheilkunde 2019; 38(05): 337
DOI: 10.1055/a-0847-8528
Buchbesprechung
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Antidepressiva: Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte

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Publication History

Publication Date:
06 May 2019 (online)

Tom Bschor. Antidepressiva: Wie man sie richtig anwendet und wer sie nicht nehmen sollte. München: Südwest Verlag 2018. 224 Seiten, gebunden, 20 Euro, ISBN 978–351–709–736–7

Mit der Einführung der Substanzklasse der Antidepressiva in den 1950er-Jahren waren große Hoffnungen für die Behandlung der Depression verbunden. Die Monoaminhypothese der Depression wurde formuliert, Antidepressiva wurden als Antidot für ein vermeintliches chemisches Ungleichgewicht des Gehirns vermarktet. Die Heilsversprechungen haben sich im Folgenden jedoch nicht erfüllt. Seit 1995 hat sich die Verschreibung von Antidepressiva fast verachtfacht, dennoch nehmen Krankschreibungen und Frühberentungen aufgrund von Depressionen weiter stark zu. Seit Jahren wird daher der Nutzen von Antidepressiva kontrovers diskutiert.

Tom Bschor, Chefarzt der Abteilung für Psychiatrie der Schlosspark-Klinik in Berlin und ausgewiesener Experte in der Behandlung von Depressionen, hat nun ein Buch verfasst, welches sich gänzlich dieser Substanzklasse widmet. Es gibt einen umfassenden Überblick über den aktuellen Wissensstand zur Depression und deren Behandlung und richtet sich an Ärzte und Betroffene gleichermaßen. Das Buch liefert zudem einen strukturierten Leitfaden für eine evidenzbasierte Pharmakotherapie der Depression. Wann sollten Antidepressiva eingesetzt, wann wieder abgesetzt werden? Wer sollte keine Antidepressiva erhalten? Welche Strategien sind bei Nichtansprechen erfolgversprechend, welche nicht? Auf diese und andere wichtige Fragen geht der Autor differenziert ein und belegt seine Argumente anhand aktueller Studien.

Ob dieser differenzierte Behandlungsalgorithmus überhaupt zum Tragen kommen sollte, hängt indes von der Frage ab, ob Antidepressiva eine positive Nutzen-Kosten-Bilanz attestiert werden kann. Bschor spricht in seinem Buch in diesem Zusammenhang die diversen Probleme in den Antidepressivastudien an. Publikationsbias, Einschluss vorbehandelter Patienten und unzureichende Verblindung sind einige der Ursachen systematischer Verzerrung in den Primärstudien, welche zu einer Überschätzung der Wirksamkeit dieser Medikamente führen. Der in randomisierten Studien gemessene Effekt von etwa 2–3 Punkten auf der Depressionsskala HAMD ist von fraglicher klinischer Relevanz und durch die Verzerrungen wahrscheinlich noch überschätzt. Demgegenüber stehen die unerwünschten Wirkungen dieser Medikamente. Sexuelle Funktionsstörungen sind häufig, Entzugssymptome möglicherweise häufiger als bisher angenommen. Antidepressiva schützen nicht vor Suiziden und erhöhen langfristig möglicherweise sogar die Rückfallraten.

Jeder, der gedenkt Antidepressiva in der Behandlung von Depressionen zu verschreiben oder selbst einzunehmen, sollte sich kritisch mit dem Nutzen-Risiko-Profil dieser Medikamente auseinandersetzen. Welchen Stellenwert diese Medikamente in der Therapie der Depression haben sollten, wird wohl auch weiterhin kontrovers diskutiert werden. Dieses Buch liefert einen wichtigen Beitrag zu dieser Debatte.

Constantin Volkmann, Berlin