Fortschr Neurol Psychiatr 2019; 87(03): 158-159
DOI: 10.1055/a-0847-3824
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Digitale Interventionen bei psychiatrisch-psychotherapeutischen Indikationen

Digital Interventions in Psychiatry and Psychotherapy
Further Information

Publication History

Publication Date:
19 March 2019 (online)

Telemedizinische Anwendungen und digitale therapeutische Maßnahmen sind national und international auf dem Vormarsch - von der Selbstanwendung als computerbasierte Programme oder mobile Apps, mit oder ohne Anleitung, bis zu internetbasierten off- oder online-Therapieprogrammen mit oder ohne begleitende digitale oder personale therapeutische Intervention. Dieses als e-Health bzw. e-Mental Health bezeichnete wachsende Gebiet in seinen verschiedenen Anwendungsbereichen definiert die niederländische Expertin Heleen Riper folgendermaßen:

„E-Mental Health is a generic term to describe the use of information and communication technology (ICT) – in particular the many technologies related to the Internet – when these technologies are used to support and improve mental health conditions and mental health care, including care for people with substance use and comorbid disorders. E-mental health encompasses the use of digital technologies and new media for the delivery of screening, health promotion, prevention, early intervention, treatment, or relapse prevention as well as for improvement of health care delivery (eg, electronic patient files), professional education (e-learning), and online research in the field of mental health” [1].

Hieraus ergibt sich Regelungsbedarf, dessen Befriedigung mit einer hochagilen digitalen Marktentwicklung kaum noch Schritt halten kann. Dabei ist der Entwicklungsstand im europäischen und internationalen Maßstab durchaus unterschiedlich. Deutschland, das bis vor kurzem eher noch als Entwicklungsland galt, ist hier kräftig am Aufholen. Bundesärzte- und Bundespsychotherapeutenkammer arbeiten an der weiteren Lockerung des Fernbehandlungsverbots, mehrere Therapieprogramme und Applikationsformen sind in Deutschland verfügbar (s. u.). Grundsatzfragen - wie die nach berufsrechtlichen Grundlagen und Verantwortlichkeit, zum Datenschutz, nach dem erforderlichen Ausmaß an therapeutischer Beziehung für Akzeptanz und Adhärenz sowie Erfolg, nach den geeigneten Forschungs- und Analysemethoden zur Evaluation neuer Verfahren [2], zur Anerkennung verbindlicher Qualitätsstandards von als wirksam evaluierten und zertifizierten Verfahren mit Überführung in die Regelversorgung - stehen zur Klärung an, während der Markt mit hochaktiven Start-up Unternehmen neue Produkte quasi zur Selbstbedienung via Download zur Verfügung stellt.

Im Rahmen eines Interreg-geförderten Forschungs- und Entwicklungsprogramms für NW-Europa mit deutscher Beteiligung steht die Entwicklung von Empfehlungen für eine europäische Policy sowie die Propagierung von e-Mental Health und deren Qualitätsprodukten auf der Agenda (www.nweurope.eu/emen). Analog zur deutschen Entwicklung (s. u.) haben aktuell eine Reihe von internationalen Experten Qualitätskriterien publiziert und zum internationalen Konsens aufgerufen [3].

Die eigene Profession muss sich dieser Entwicklung stellen und sie in Praxis, Lehre und Forschung aktiv mitgestalten [4].

Für das vorliegende Schwerpunktheft wurden fünf Beiträge aus dem Themenspektrum zu digitalen Interventionen ausgewählt:

Den Auftakt machen Köhnen, Dirmaier und Härter zum Thema „Potentiale und Herausforderungen von e-Mental-Health-Interventionen in der Versorgung psychischer Störungen“. Die Autoren geben einen kurzgefassten Überblick zu Begrifflichkeiten und Konzepten,Technologien, Methoden und Anwendungsbereichen mit unterschiedlichem Ausmaß an therapeutischer Unterstützung, zu Chancen und Herausforderungen in der Versorgung psychischer Störungen, sowie zum Einsatz bei chronischen somatischen Störungen und deren psychischen Belastungen.

Munz, Jansen und Böhmig stellen aus Perspektive der Bundespsychotherapeutenkammer das Thema „Fernbehandlung aus psychotherapeutischer Sicht“ dar und gehen dabei auf Chancen, Risiken, Wirksamkeit und gesetzliche Rahmenbedingungen in der videogestützten Behandlung sowie beim Einsatz von Gesundheits-Apps und Internetprogrammen bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen ein. Themen wie therapeutische Beziehung und Motivation, Akzeptanz, Abbrüche und Nebenwirkungen, Verordnung und Einbezug wirksamer Programme in die Regelversorgung, Zulassung als Medizinprodukt, sowie Integration in die Psychotherapie, Diagnosestellung und Aufklärung im persönlichen Kontakt, Datenschutz, berufsrechtliche Überlegungen und Checklisten für Patienten sowie Leitfaden für Psychotherapeuten werden ebenfalls behandelt.

Klein und Kollegen fokussieren in ihrer Übersicht auf das Thema „Selbstmanagement Interventionen in der Behandlung depressiver Störungen: reif für die klinische Praxis?“. Die Arbeit stellt Untersuchungsergebnisse zu fünf deutschsprachigen Interventionen vor und geht detaillierter auf Ergebnisse der EVENT-Studie mit dem Programm deprexis ein. Im Fazit beantworten die Autoren die Frage nach der klinischen Anwendungsreife positiv mit Empfehlung einer Übernahme in die Regelversorgung bei Erfüllung definierter Qualitätskriterien durch ein unabhängiges Gutachtergremium (s. u.).

Die Originalarbeit von Löbner et al. „Online-Selbstmanagement bei Depressionen - die Beziehung von Dosis und Wirksamkeit im hausärztlichen Versorgungssetting“ liefert zu der vorstehenden Beurteilung ein aktuelles Beispiel aus der @ktiv-Studie mit dem deutschsprachigen (online kostenfreien) iCBT-Programm moodgym. Wesentliches Ergebnis der an depressiv leicht- bis mittelschwer erkrankten Hausarztpatienten / innen durchgeführten Studie war ein „Dosis-Wirksamkeitseffekt“ i. S. besserer Wirksamkeit bei höherer Nutzungsintensität mit Konsequenzen für Adhärenzsteigerung und intensitätsfördernde therapiebegleitende Maßnahmen.

Dem durchgängigen Thema notwendiger Qualitätssicherungsmaßnahmen gilt schließlich ein weiterer Beitrag von Klein et al. „Die Nadeln im Heuhaufen finden: Qualitätskriterien für den Einsatz von internetbasierten Selbstmanagement-Interventionen in Prävention und Behandlung psychischer Störungen“. In Anlehnung an die vorliegenden Kriterien der DGPPN und DGPs werden Qualitätskriterien für digitale Interventionen vorgestellt und deren Bedeutung für einen unabhängigen Prüfprozess als Voraussetzung der Übernahme in den Leistungskatalog der Kostenträger diskutiert.

In der Zusammenschau sollen die Beiträge Einblick in das stark in Bewegung befindliche Themengebiet geben und als Information und Anregung zur weiteren Beschäftigung mit der Thematik in Praxis, Lehre und Forschung dienen.

 
  • Literatur

  • 1 Riper H, Andersson G, Christensen H. et al. Theme issue on e-mental health: a growing field in internet research. J Med Internet Res 2010; 12: e74
  • 2 Mohr DC, Schueller SM, Riley WT. et al. Trials of Intervention Principles: Evaluation Methods for Evolving Behavioral Intervention Techniques. J Med Internet Res 2015; 17: e166
  • 3 Torous J, Andersson G, Bertagnoli A. et al. Towards a consensus around standards for smartphone apps and digital mental health. World Psychiatry 2019; 18: 97-98 DOI:10.1002/wps.20592
  • 4 Yellowlees P, Shore JH. Telepsychiatry and Health Technologies. A Guide for Mental Health Professionals. American Psychiatry Association Publishing. 2018