Z Sex Forsch 2019; 32(01): 27-38
DOI: 10.1055/a-0835-1358
Dokumentation
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Wie sich die Geschlechterbeziehung in den letzten 100 Jahren verändert hat und warum es so schwierig ist, darüber innerhalb der Psychoanalyse ins Gespräch zu kommen

Über eine Geschichte von Verletzungsverhältnissen [1] How Gender Relations Have Changed in the Last 100 Years and Why It Is So Difficult to Talk about Them in the Psychoanalytic ContextOn a History of Injurious Constellations
Christa Rohde-Dachser
Professorin für Psychoanalyse (em.) an der Universität Frankfurt
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Publication Date:
20 March 2019 (online)

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Zusammenfassung

Unter der Prämisse, dass Geschlechtsidentität immer nur als „Geschlecht-in-Beziehung“ gedacht werden kann, eine Beziehung, in der die Veränderung eines Geschlechtspartners grundsätzlich auch den anderen Partner in Mitleidenschaft zieht, betrachtet die Autorin die von Freud entwickelte Psychoanalyse der Geschlechterdifferenz und die Veränderungen, die sie seitdem erfahren hat, auf einer beziehungstheoretischen Ebene, in der eine veränderte Sichtweise des eigenen Geschlechts grundsätzlich auch eine Veränderung des jeweils anderen nach sich zieht, und zwar unabhängig davon, ob dies bewusst intendiert ist oder nicht. Die Autorin untersucht vor diesem Hintergrund, wie weibliche und männliche Psychoanalytiker seit Mitte des vorigen Jahrhunderts ihre jeweilige Geschlechtsidentität definiert haben, und wie diese Diskussionen über die Veränderungen innerhalb der Psychoanalyse der Geschlechterdifferenz in beiden Fällen bis heute weitgehend geschlechtsintern stattfanden. Auf der zwischengeschlechtlichen Ebene vollzieht sich der Geschlechterdialog demgegenüber vor allem als eine Auseinandersetzung mit wechselseitigen Kränkungen, in die auch Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker immer noch verstrickt sind. Für eine andere Art des Austauschs ist die Psychoanalyse bis heute weder theoretisch noch methodisch hinreichend gerüstet. Die Autorin plädiert für eine Reflexion dieses zwischengeschlechtlichen Dialogs auch innerhalb der Psychoanalyse.

Abstract

The author proceeds on the premise that gender identity can only be conceptualized as “gender in relation(s)” in which changes in one partner will necessarily affect the other. Accordingly, she discusses the psychoanalysis of gender difference as proposed by Freud and the changes it has undergone since in terms of a theory of relations in which an altered view of one’s own gender will necessarily bring about a change in one’s view of the other gender, irrespective of whether this is intentional or not. The author investigates the way in which female and male psychoanalysts from the 1950 s to the present have defined their own gender identity, concluding that in both cases discussions on changes in the psychoanalysis of gender difference have largely taken place on a same-gender basis. One of the main reasons for this, she contends, is that psychoanalysis is neither theoretically nor methodologically equipped for an engagement with this issue from an inter-gender perspective. Psychoanalysts themselves feel too bound up in the whole matter to be able to reflect adequately on what they experience every day.

Fußnoten

1 Der vorliegende Beitrag ist ein Zweitabdruck und wurde bereits an folgender Stelle veröffentlicht: Rohde-Dachser C. Wie sich die Geschlechterbeziehung in den letzten 100 Jahren verändert hat und warum es so schwierig ist, darüber innerhalb der Psychoanalyse ins Gespräch zu kommen. Über eine Geschichte von Verletzungsverhältnissen. Psyche – Z Psychonal 2018; 72: 521–548. https://doi.org/10.21706/ps-72–7–521. Die geschlechtergerechte Sprache haben wir von der Autorin unverändert übernommen.
Bei dem Beitrag handelt es sich um eine erweiterte Fassung des Einführungsvortrags zum Symposium „Zwischen Dichotomie und Vielfalt. Die Psychoanalyse der Geschlechterdifferenz revisited. Versuch einer Verortung im gegenwärtigen Diskurs“ an der International Psychoanalytic University (IPU) Berlin am 21./22.10.2017.


11 Auch die folgenden Feststellungen sind wörtlich oder sinngemäß dem Vorwort zu „Männliche Identität“ ([Dammasch et al. 2009]) oder den darin abgedruckten Aufsätzen von [Aigner (2009)], [Blaß (2009)], [Dammasch (2009)] und [Hopf (2009)] entnommen.