Pneumologie 2019; 73(01): 17-21
DOI: 10.1055/a-0785-2463
Standpunkt
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Medizin und Ökonomie heute

Medicine and Economy Today
S. Ewig
Thoraxzentrum Ruhrgebiet, Bochum
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Santiago Ewig
Thoraxzentrum Ruhrgebiet
Kliniken für Pneumologie und Infektiologie
EVK Herne und Augusta-Kranken-Anstalt Bochum
Bergstraße 26
44791 Bochum

Publication History

eingereicht 02 November 2018

akzeptiert nach Revision 05 November 2018

Publication Date:
07 December 2018 (online)

 

I

Am Beginn der Erörterung des Verhältnisses von Medizin und Ökonomie heute soll eine These stehen, die aufzustellen in der Diskussion mit Medizinern nicht unnötig erscheint: Es gibt keinen grundsätzlichen Widerspruch von Medizin und Ökonomie. Gleich allen anderen menschlichen kulturellen Hervorbringungen findet sich auch die Medizin zwingend eingebunden in den Rahmen der begrenzten Mittel. Wie begrenzt diese konkret sind, wird durch die ökonomische Leistung des jeweiligen Staates determiniert; wie groß die Schere zwischen den Wirtschaftsleistungen verschiedener Länder ist, hat komplexe historisch-kontingente und politische Gründe, die nur (wenn überhaupt) langfristig beeinflusst werden können. In einer armen Gesellschaft ist eine Basismedizin angemessen, die den größtmöglichen Nutzen für möglichst viele sicherstellt; in einer reichen ist eine ausdifferenzierte Versorgung unter Einschluss von Leistungen, die wenigen Individuen zugutekommen, möglich. Wie weitreichend solche Leistungen ausfallen, ist wiederum eine politische Frage. Jede Medizin muss jedenfalls wirtschaften, und der Umfang, in dem sie ihre Leistungen vollziehen kann, liegt außerhalb ihrer Zuständigkeit (auch wenn im Gesundheitswesen Tätige sich entsprechend positionieren können).

Ganz anders liegen die Zuständigkeiten in der konkreten Ausgestaltung des Verfügbaren. Hier ist die Medizin nicht nur gefragt, sie sollte hier entschieden die Meinungsführerschaft beanspruchen und ausfüllen. Sie sollte dabei unbedingt den Fehler vermeiden, mit sich selbst in Streit zu geraten bzw. sich in ihren Disziplinen und Anliegen auseinander dividieren zu lassen. Leider sorgt in Deutschland allein das duale System von ambulanter und stationärer Versorgung für entsprechende Weichenstellungen.


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II

So nachdrücklich hier die These vertreten wird, dass Medizin und Ökonomie keine grundsätzlichen Antagonisten sind, so eindeutig ist aber auch, dass bestimmte Auffassungen bzw. Systeme der Ökonomie den Grundanliegen der Medizin widersprechen können. Es kommt also schon sehr darauf an zu bestimmen, welcher Art ökonomischer Logik sich die Medizin ausgesetzt sieht, und inwiefern eine solche in grundsätzlichen Widerspruch zu den Anliegen der Medizin treten kann. Dabei soll der Fokus auf der Analyse des Verhältnisses von Medizin und Ökonomie darauf beschränkt werden, wie es sich auf das Krankenhaus ausgewirkt hat.

Weltweit hat sich mit wenigen Ausnahmen das kapitalistische Wirtschaftssystem durchgesetzt, verstanden als eine Ökonomie, die auf dem Privateigentum an Produktionsmitteln, dem Warenaustausch auf dem sog. „freien Markt“ und dem treibenden Grundprinzip des Gewinns beruht. Diese Ökonomie beruht des Weiteren auf einem System der Umverteilung von Gewinnen, das ein umfangreiches Sozialsystem ermöglicht, das Verteilungskonflikte und Lebensrisiken in friedensstiftendem Umfang abzumildern erlaubt. In einer solchen Ökonomie ist auch die Medizin ein Teil des Sozialsystems. In Deutschland hat Bismarcks Sozialgesetzgebung die Krankenversicherung als eine der ersten Säulen des Sozialsystems eingeführt.

Als soziale Leistung hat die Medizin in Deutschland bis in die frühen 70er-Jahre ihre Rolle weitgehend außerhalb der Logik der Gewinnwirtschaft spielen können. Der finanzielle Rahmen, bestimmt durch Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile am Arbeitslohn, konnte weitgehend nach medizinischem Gutdünken ausgeschöpft werden; etwaige Defizite wurden durch Steuergelder gegenfinanziert. Die durch imponierende Forschungsleistungen zunehmenden Leistungsoptionen führten jedoch dazu, dass sich die Politik zu einer Reihe von Interventionen im Sinne von Gesetzen zur „Kostendämpfung“ veranlasst sah. In dieser Phase der späten 70er bis 1993 entstand ein Konflikt zwischen Medizin und Ökonomie, der durch die Sprengung des verfügbaren finanziellen Rahmens bedingt war und seitens der Politik durch gesetzlich vorgegebene Sparmaßnahmen kontrollierbar erschien. In diesem Zuge erfolgten Budgetierungen der Versorgungsbereiche. Diese wurden vonseiten der Medizin als Angriffe auf Therapiefreiheit und Patientenwohl dargestellt; folgerichtig geriet die Politik in Rechtfertigungszwang, den sie mit unlauteren Gewinninteressen der Anbieterseite konterte. Keine der beiden Seiten machte in dieser Auseinandersetzung eine gute Figur. Die medizinische Seite zeigte sich unfähig, eine medizinisch inspirierte Ökonomie zu entwerfen, die politische Seite verweigerte sich einem Diskurs über die Rechtfertigung von Leistungsbegrenzungen.

Seit 1993 veränderte sich die Situation grundlegend. Ohne Diskussion, von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, gaben die Krankenhäuser ihren Status als soziale Einrichtungen ab und erhielten den Status von Unternehmen, die gegeneinander zu konkurrieren hatten. Der leitende Gedanke der Politik war dabei, Kostensenkungen durch Schließung von Krankenhäusern zu erreichen, sich aber die Konflikte um Schließungen von Krankenhäusern zu ersparen, indem man die Krankenhäuser gegeneinander antreten ließ. Zusammen mit dem 2004 scharf gestellten Gesetz zur fallpauschalierten Abrechnung von Krankenhäusern nach dem DRG-System, das das bisherige System der Tagessätze ablöste, waren die Weichen hin zu einem System gestellt, das von Krankenhäusern eine unmittelbar ökonomische bzw. gewinnorientierte Strategie der Leistungserbringungen forderte. Dabei wurde die Medizin keineswegs aus dem Sozialsystem herausgenommen und dem sog. „freien Markt“ überlassen; vielmehr wurde das Gewinnprinzip in das innerhalb des Sozialsystems gedeckelte Budget platziert. Des Einen Gewinn muss innerhalb eines gedeckelten Systems des Anderen Verlust sein; entsprechend mussten auch eine Vielzahl von Krankenhäusern in eine finanzielle Schieflage kommen.

Die erwartete Kontraktion in der Krankenhauslandschaft ist erfolgt: die Zahl der Krankenhäuser sank von 1991 bis heute von 2411 auf 1942, die Bettenzahl von 832 auf 602/100 000 Einwohner [1]. Parallel dazu kam es zu Zusammenschlüssen von Krankenhäusern zu Krankenhausverbünden, spezialisierten Leistungsangeboten und einer Erweiterung der „Hotelleistungen“. Es war dies auch die Stunde der privaten Anbieter. Mit dem industriell geschulten Blick erkannten ihre Manager enorme Rationalisierungspotenziale und entsprechende Gewinnchancen. Der Anstieg der Krankenhäuser in privater Trägerschaft stieg im selben Zeitraum von 14,8 auf 37,1 % [1].

In diesem Zeitraum stieg die Patientenzahl nach einer kurzen Phase des leichten Rückgangs Anfang des Jahrtausends kontinuierlich an; die Verweildauer sank dabei ebenso kontinuierlich von durchschnittlich 14 auf 7,3 Tage [1].

Es war absehbar, dass früher oder später weitere Mittel in das System fließen müssen, um es zu erhalten. In diesem Zusammenhang sind die Wahlversprechen von zusätzlichen 8000 Stellen in der Pflege bzw. die bevorstehende Herausnahme der Pflege aus der DRG-Kalkulation zu sehen. Von Zeit zu Zeit muss der Deckel kurz aufspringen, um Druck entweichen zu lassen.


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III

Somit stellt sich in unserem Zusammenhang die Frage, ob das jetzige Verhältnis von Medizin und Ökonomie einen grundsätzlichen Antagonismus begründet. Ist das Gewinnprinzip grundsätzlich ungeeignet, die Anliegen der Medizin ökonomisch zu steuern? Natürlich sind mit dieser Frage Gerechtigkeits- bzw. Verteilungsfragen berührt. Anhänger des sog. „freien Marktes“ haben den sozialen Charakter einer medizinischen Leistung grundsätzlich bestritten und ordnen diese ganz selbstverständlich unter die Logik des freien Warenaustauschs ein. Scheinbar unerschwinglich hohe Preise sind in dieser Sicht schlicht Fragen der Mengenproduktion; so, wie ein Ford für alle erschwinglich wurde, kann durch industrielle Aufstellung jedwede medizinische Intervention verfügbar werden. So sehr es einen Mediziner bei dieser Argumentation gruselt, so muss doch festgehalten werden, dass diese Sicht, innerökonomisch gesehen, legitim ist und nur in medizinischer Perspektive seine Legitimität verliert. Dessen ungeachtet scheinen aktuell zwei andere Positionen miteinander zu konkurrieren:

Die erste ist die des moderaten Gewinnprinzips. Sie sucht Gewinne zu erzielen, um die notwendigen Re-Investitionen einschließlich der Innovationen abzusichern. Solcherart Ökonomie kann aktuell mit Gewinnmargen von ca. 3 – 5 % auskommen. Sie wird zur Zeit v. a. von vielen kirchlichen Trägern verfolgt. Ihre Leitidee ist immer noch die Vorhaltung der Besonderheit medizinischer Leistungen an sich, nicht der Gewinn als solcher, auch wenn sie nicht umhinkommt, sich grundsätzlich den Regeln des Gewinnprinzips anzupassen.

Die zweite ist die des reinen Gewinnprinzips. Sie ist geleitet von der kontinuierlichen Maximierung der Gewinne, die nur zum Teil in Re-Investitionen bzw. Innovationen fließen, zu einem großen Teil jedoch aus dem System genommen und in die Börsen abgeführt werden. Die angestrebten Gewinnmargen zielen häufig auf deutlich über 10 %. Private Träger, aber auch manche öffentlichen und wenige kirchliche Verbünde verstehen medizinische Leistungen als Markt, der aktuell überdurchschnittlich hohe Gewinne abwirft; die medizinische Leistung ist ausschließlich eine Ware geworden. Dieses Verständnis unterscheidet sich von dem der Anhänger des „freien Marktes“ nur dadurch, dass die Verfasstheit innerhalb eines gedeckelten Systems anerkannt wird, mutmaßlich unter der Erwartung, dass diese Grenzen über kurz oder lang ohnehin gesprengt werden.

Somit wird deutlich, dass es ein unterschiedliches Verständnis der Medizin ist, das die beiden heute vorherrschenden Prinzipien der Ökonomie leitet. Doch zweifellos handelt es sich nicht um strikte Gegensätze. Vielmehr ist in beiden Fällen das Gewinnprinzip leitend und der Umfang seines Geltungsanspruchs kann je nach aktueller finanzieller Lage bzw. ökonomischer Orientierung das moderate in Richtung eines reinen Gewinnprinzips verschieben. Mit anderen Worten: Eine scharfe Grenze zwischen beiden Positionen gibt es nicht, und im Zuge einer Verknappung der Ressourcen bei kontinuierlicher Leistungsausweitung und Kontraktion der Krankenhauslandschaft liegt eine schleichende Übernahme des reinen Gewinnprinzips immer näher.


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IV

Im gedeckelten fallpauschalierten Finanzierungssystem der Krankenhäuser gibt es grundsätzlich nur wenige Optionen, Gewinne zu erzielen ([Tab. 1]). Eine Option betrifft die Steigerung der Einnahmen. Diese erscheint möglich durch Behandlung höherer und innerhalb des DRG-Systems wertiger Patientenzahlen. Spezialisierte und zertifizierte, also qualitätsgesicherte Leistungsangebote können diesem Ziel dienen. Die andere Option betrifft die Begrenzung der Ausgaben. Hier bieten sich zum einen die Reduktion von Strukturkosten an: Die Etablierung von Behandlungsalgorithmen und das Fallmanagement dienen der Reduktion der Liegezeiten. Zusätzlich eröffnen sich Einsparpotenziale an medizinischen Materialien. Die größten Einsparpotenziale liegen jedoch in der Reduktion der Personalkosten. Über allem bekommt das Marketing eine früher nicht gekannte Bedeutung.

Tab. 1

Optionen der Einnahmenerhöhung und der Kostenreduktion innerhalb des DRG-Systems.

Bilanzen

Faktoren

Mögliche Interventionen

Konkretion

Einnahmen

Fallpauschalen

Fallzahlsteigerung
Gewinnung hochwertiger Fälle

Spezialisierung des Angebots
Anpassung der Struktur des Angebots

Ausgaben

Betriebskosten

Reduktion Personalkosten
Reduktion Strukturkosten

Reduktion der Pflegekräfte
Reduktion der Liegezeiten

Beide Optionen sind in ihrer Wirkung jedoch begrenzt; der Steigerung von Patientenzahlen werden vom System immer engere Grenzen gezogen, und die Rationalisierungspotenziale auf der Ausgabenseite sind nicht beliebig erweiterbar. Letzteres zeigt sich insbesondere am aktuellen Zustand der Pflege: Während seit 1991 eine Reduktion des nicht ärztlichen Personals von 89,1 auf 82 % erfolgte, wird nun mit der Einführung von Mindestzahlen der pflegerischen Besetzung agiert ([Tab. 2]).

Tab. 2

Zunehmende Limitation der Rationalisierungsreserven innerhalb des DRG-Systems.

Bilanzen

Mögliche Interventionen

Konkretion

Limitationen

Einnahmen

Fallzahlsteigerung
Gewinnung hochwertiger Fälle

Spezialisierung des Angebots
Anpassung der Struktur des Angebots

Steigerung nur mit jahrelangen Abschlägen möglich
weitgehend ausgeschöpft

Ausgaben

Reduktion Personalkosten
Reduktion Strukturkosten

Reduktion der Pflegekräfte
Reduktion der Liegezeiten

Einführung von Mindestbesetzungen
weitgehend ausgeschöpft

Alle Interventionen erhöhen in unterschiedlichem Ausmaß den Druck im Kessel, indem sie die Arbeitsprozesse verdichten, formalisieren und bürokratisieren. Der soziale Charakter der medizinischen Behandlung wird ganz folgerichtig zunehmend ausgehöhlt.

Diese Zusammenhänge treten bei privaten Anbietern besonders deutlich zutage, zeigen sich zunehmend aber auch bei anderen Trägern. Alle Träger der medizinischen Behandlung unterliegen der Pflicht, primär unter Gesichtspunkten des Gewinns zu agieren. Es gibt nur noch Angestellte und leitende Angestellte sowie hausübergreifende, konzernweit gültige Standards der Behandlung, insofern auch unbegrenzte Vergleichbarkeit der Leistungen, woraus sich entsprechende Sanktionsdrohungen bei Verfehlung der angestrebten Ziele ergeben.

Man darf gespannt sein, wie die weitere Entwicklung der privaten Träger mit reinem Gewinnprinzip innerhalb des gedeckelten Systems erfolgen wird. Im Grunde folgt ihre Ökonomie dem Serienbrief-Prinzip: Bankrotte Krankenhäuser werden für wenig Geld erworben, marode durch industrielle Strukturen ersetzt, Rationalisierungspotenziale, insbesondere solche der Personalreduktion ausgeschöpft, und mit den Gewinnen nach Gewinnausschüttung die Grundlagen für weitere Gewinne erzielt. Doch der Markt für Neuerwerbungen wird zumindest im Inland knapper, und es nähert sich die Zeit, in der in großem Ausmaß reinvestiert werden müsste. Derweil spitzen sich die Folgeprobleme der eigenen Krankenhäuser immer mehr zu. Weitere Rationalisierungsreserven stehen immer weniger zur Verfügung, vielmehr kommen Forderungen nach mehr Investitionen. Tatsächlich erweist sich das gedeckelte System als Korsett, das die Expansionswünsche des reinen Gewinnprinzips zu begrenzen scheint.


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V

Die Folgen der Durchsetzung der Ökonomie des reinen Gewinnprinzips für die besonderen Anliegen der Medizin sind deletär. Indem die Medizin nur als Ware begriffen wird, die es zu verkaufen gilt, wird sie umstandslos unter die Prinzipien des industriellen Warenverkehrs subsumiert. Der Arzt und die Pflegenden werden zu Anbietern einer Leistung, der Patient wird zum Kunden, der diese Leistungen abruft. Beide, Arzt bzw. Pflegende und Patient, werden abgeschafft. Es gibt keinen Behandler mehr, der mehr und ein anderes Verhältnis bietet als das eines Verkäufers, und es gibt keinen abhängigen, der Anwaltschaft bedürftigen Patienten mehr, sondern nur noch den Konsumenten. Die medizinische Behandlung reduziert sich auf die technische Leistung, die aber nur noch nach bestem Wissen, nicht mehr nach bestem Gewissen angeboten und durchgeführt wird. Es ist aber dieses beste Gewissen, das die Medizin vor einem reinen Geschäft bewahrt.


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VI

Hier nun ist es an der Zeit, über den Eigensinn der Medizin zu reflektieren. Was ist es, was mit der Medizin zunächst nur verschwommen, aber sehr eindeutig der Ökonomie des reinen Gewinnprinzips entgegen steht? Was sind die besonderen Anliegen der Medizin und inwiefern werden sie von solcher Art Ökonomie konterkariert ?

Eine Betrachtung der Behandlung des Patroklus durch Achilleus auf der Sosias-Schale lässt bereits erkennen, welcher Art das Anliegen der Medizin ist. Zunächst fällt die medizinische Versorgung als solche ins Auge, die Wundbehandlung und das Anlegen des Wundverbands. Es wird eine Technik dargestellt, mit der einem Verletzten geholfen werden kann. Philosophisch gesehen handelt es sich nach Aristoteles um ein zweckgebundenes Machen (poiesis). Jede Medizin ist ein Machen am Kranken, jede Behandlung impliziert eine medizinische Technik.

Darüber hinaus ist aber auch eine Zuwendung erkennbar, die Zuwendung des Helfers zum Verletzten. Diese Zuwendung lässt sich am besten als Handeln um seiner selbst willen verstehen (nach Aristoteles praxis). Es ist ein sehr besonderes Handeln, indem es an einem Verletzten vollzogen wird; es besteht eine asymmetrische Relation, von einem Helfenden und einem Unterlegenen. Helfender und Verletzter kommunizieren durch Tat und Wort bzw. Körpersprache, durch „Machen“ und „Handeln“.

Beide Teile der medizinischen Behandlung können nicht getrennt werden, ohne diese in ihrer Substanz zu verändern bzw. grundlegend zu zerstören. Ärztliches Handeln, ebenso wie pflegerisches Handeln, ist kommunikatives Handeln in asymmetrischer Position, und diese Asymmetrie bedingt die besondere Verantwortung, die der Behandler dem Verletzten, dem Kranken gegenüber zu tragen hat; es ist die Verantwortung, nach bestem Wissen und Gewissen das Beste für den Patienten herauszuholen. Wissen, fachliches Wissen, Technik, ist genau so essenziell wie Gewissen, die Gewissheit darüber, einer Person in ihrer Einmaligkeit gegenüberzustehen und die skrupulöse Frage, ob diesem einen Patienten in letzter Konkretion der Gewissensentscheidung das Beste zugekommen ist.

Von hier aus kann auch die Kritik an der Transformation des Patienten zu einem Kunden erfolgen. Die Medizinethiker Kick und Maio haben sehr ausführlich dargelegt, worin sich ein Patient und ein Kunde grundsätzlich unterscheiden [2] [3]. Steht der Patient in einer „Not-Hilfe“-Beziehung, so der Kunde in einer Geschäftsbeziehung; der Patient hat seine Situation nicht frei bestimmt, er ist abhängig; nicht ein Wunsch leitet ihn, sondern eine Not. Die Abhängigkeit des Patienten begründet die asymmetrische Beziehungsstruktur von Arzt und Patient, in der der Arzt für die eingeschränkte Autonomie des Patienten eintritt. Das Ziel der Behandlung ist nicht eine garantierte Leistung; die Behandlung beruht vielmehr auf einem Hilfsversprechen, das jedoch ohne Erfolgsgarantie bleiben muss.

Die Verkäufer-Kunde-Beziehung ist eine Handelsbeziehung, die auf Fairness beruht. Diese bedarf lediglich des gegenseitigen Respekts. Im Gegensatz dazu ist der Patient darauf angewiesen, dass sich der Arzt als sein Anwalt versteht, der alles ihm Bekannte und Mögliche ausschöpft, um die beste Behandlung für den individuellen Patienten zu erzielen; dazu bedarf es der Empathie und vielfach auch der näheren Kenntnis der persönlichen Situation des Patienten. Die Autonomie, die der Verkäufer dem Patienten anträgt, kann der Patient gar nicht ausfüllen; er bleibt schutzlos dem ausgeliefert, was dieser günstig anzubieten hat.

Das hier gezeichnete Verständnis der Medizin ist, ausweislich der Sosias-Schale, mindestens 2500 Jahre alt und als solches ein ganz großes Kulturgut, das seinen einmaligen Beitrag zum gelungenen menschlichen Zusammenleben hinzufügt. Es bezeichnet das besondere Anliegen der Medizin, das auf keinen Fall auf dem Altar der Ökonomie des Gewinnprinzips geopfert werden darf. Auch wenn diese Höhe des Anspruchs von Ärzten und Pflegenden keineswegs regelmäßig aufrechterhalten wird, so ist sie doch der Maßstab, an dem sich jede Praxis einer Medizin messen muss, die sich als Humanmedizin versteht.


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VII

Was kann aus diesen Betrachtungen für das Anliegen der Medizin und heutige Ärzte und Pflegende gefolgert werden? Die Politik, die hinter den hier skizzierten Entwicklungen steht, müsste eine Revision erfahren. Doch wie soll diese erfolgen, wenn die Politik sich seit geraumer Zeit jeglicher geistigen Orientierung enthält? Die politische Diskussion spielt sich heute auf dem Niveau der Einzeiler in Kleinbuchstaben ab, die heute die Kommunikation bestimmen und an die Stelle einer ernsthaften Verständigung getreten sind. Politische Entscheidungen reichen meist nur bis zur Erhöhung von Ausgaben bzw. zu neuen Umverteilungen heran. Entsprechend findet sich bei keiner einzigen Partei heute eine Wahrnehmung der Gefährdung, in der das Kulturgut Medizin heute steht, geschweige denn ein Problemlösungsansatz. Dies ist umso beklagenswerter, als dass eine Revision der Entwicklung der Medizin zur Ware von beiden Seiten des politischen Spektrums gut begründbar ist und beide Seiten reichlich Ansatzpunkte zu einem Konsens finden könnten. Doch nicht einmal in den eigenen Berufsverbänden ist ein ernsthafter Wille zur Selbstbehauptung zu finden. Auch wenn der Präsident der Bundesärztekammer Frank Ulrich Montgomery wie auch sein Vorgänger Jörg-Dietrich Hoppe sehr klare Positionen zum Selbstverständnis des Arztes und zum Wesen der Medizin eingenommen haben, ist eine entsprechend gehaltvolle politische Positionierung der Ärzteschaft ausgeblieben.

Dies gilt übrigens genauso für die Entwicklungen im ambulanten Bereich. Die sehr klaren Äußerungen von Frank Ulrich Montgomery zu den Aufkäufen von Praxen (Labormedizin, Radiologie und Nuklearmedizin, Dialyse, Augenheilkunde und Dermatologie) durch MVZs, die jedoch in Händen von Private-Equity-Gesellschaften sind, können nicht darüber hinwegtäuschen, dass bisher ohne wirksame Gegenwehr wichtige Teile der ambulanten Versorgung in die Hände privater Investoren geraten sind und andauernd geraten, deren Ökonomie das Prinzip des reinen Gewinns mustergültig bestimmt und die das definitive Ende des freien Berufs des Arztes bedeuten [4].

Viel Hoffnung auf eine kurzfristige Änderung dieser Situation darf man sich kaum machen. Es bleibt daher am Einzelnen, seine Schlussfolgerungen für sein Handeln zu ziehen. In diesem Sinne können vielleicht folgende Grundsätze eine Hilfe sein:

  1. Die Medizin sollte niemals der Versuchung nachgeben, sich ihrer ökonomischen Grundlagen kategorisch entziehen zu wollen und zu behaupten, Ökonomie sei an sich ein Einschnitt in die besonderen Anliegen der Medizin.

  2. Unter den aktuellen ökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland ist eine Ökonomie des moderaten Gewinns durchaus (noch) mit einer guten (und gerechten) Medizin vereinbar. Daher sind Krankenhausträger, die diese Ökonomie verfolgen, natürliche Bündnispartner der besonderen Anliegen der Medizin.

  3. Die Ökonomie des moderaten Gewinns neigt zur Transformation in die Ökonomie des reinen Gewinns und damit zur Auflösung des Bewusstseins, dass die Ökonomie die besonderen Anliegen der Medizin ermöglichen soll (und nicht die Medizin den Profit).

  4. Daher sollten Ärzte und Pflegende jede Gelegenheit nutzen, ihr Selbstverständnis als Helfende durch kommunikatives und instrumentelles Handeln zu unterstreichen. Ärzte sind keine Verkäufer und Patienten sind keine Kunden; diese Position ist nicht verhandelbar.

  5. Über aktuelle Positionierungen hinaus ist die Medizin aufgefordert, über eine neue Ökonomie nachzudenken, die den Eigensinn der Medizin zu bewahren hilft.


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Interessenkonflikt

Der Autor gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.


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Prof. Dr. med. Santiago Ewig
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Bergstraße 26
44791 Bochum