ergopraxis 2019; 12(01): 12-14
DOI: 10.1055/a-0732-8992
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Internationale Studienergebnisse


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Publication Date:
04 January 2019 (online)

 

Wünsche an die Pflege bleiben unerfüllt – Langzeitpflegepräferenzen

Es klafft eine erhebliche Lücke zwischen den Erwartungenan die Pflege und der Realität. Das ist die Schlussfolgerung einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten quantitativen Untersuchung von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf und der Universität Leipzig.

Ein Literaturreview sowie Experteninterviews dienten den Forschern als Grundlage für die Erstellung eines standardisierten Fragebogens. Telefonisch befragt wurden 1.006 Personen, die im Durchschnitt 75,2 Jahre alt waren. 46,2 % von ihnen lebten alleine. Sie wurden nach ihren Pflegewünschen gefragt – in Bezug auf den Ort der Versorgung, die Art der häuslichen Pflege, zusätzliche Dienste/Angebote in der häuslichen Pflege, die Art der Unterbringung in der stationären Pflege, die Lage des Pflegeheims sowie Aktivitäten/Tagesgestaltung in der stationären Pflege. Ein Interview dauerte ungefähr 25 Minuten.

Fehlende
finanzielle Mittel verhindern, dass sich Menschen die Pflege im Alter leisten können, die sie sich eigentlich wünschen.

Den Ergebnissen zufolge präferieren knapp 90 % der befragten Senioren die Pflege in den eigenen vier Wänden. Dabei ziehen sie eine Betreuung durch Bekannte/Familienmitglieder oder durch einen ambulanten Pflegedienst der ganztägigen Betreuung, zum Beispiel durch privat bezahlte Pflegekräfte, vor. Zusätzliche Dienste wie eine hauswirtschaftliche Hilfe sind ihnen ebenfalls wichtig. Für die stationäre Pflege wünschen sich über 90 % ein eigenes Zimmer, möglichst nahe des aktuellen Wohnortes oder der Angehörigen.

Die Ergebnisse untermauern den Wunsch der älteren Bevölkerung nach informeller Pflege zu Hause und wenn diese nicht möglich ist, nach Privatsphäre und Angeboten zur Tagesgestaltung im stationären Bereich. Die Präferenzen dürften jedoch aus monetären Gründen oft schwer zu realisieren sein. Erst mit einer privaten Vorsorge könnte man eine Pflegesituation schaffen, die den Erwartungen entspricht.

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Gesundheitswesen 2018; 80: 685–692

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Informelle Pflege zu Hause – das ist es, was sich knapp 90 Prozent der Senioren wünschen.
Abb.: Dean Mitchell/istockphoto.com (nachgestellte Situation)

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Ältere Menschen haben Spaß an Exergames – Videospiele in der Geriatrie

Das Videospiel „Coin Catcher“ erleben Senioren als gutes Workout und sinnvolle Betätigung. Das ergab die Studie eines Forscherteams um Maria Cruz und Julie D. Kugel von der Loma Linda University in Kalifornien, USA. Sie untersuchten, welche Erfahrungen ältere Personen beim Spielen mit dem Fitnessspiel machen. Dafür wählten sie einen phänomenologischen Ansatz und führten eine qualitative Studie durch.

Die 10 Studienteilnehmer bestanden aus 7 Frauen und 3 Männern im Alter von 76–99 Jahren. Von ihnen sind 6 im letzten Jahr gefallen, 4 haben Angst vorm Fallen, 8 sind körperlich aktiv und 9 beschreiben ihren Gesundheitszustand als angemessen bis gut. Innerhalb von 4 Wochen absolvierten sie 12 Sitzungen zu jeweils 15 Minuten. In dieser Zeit spielten sie das Exergame „Coin Catcher“. In regelmäßigen Abständen wurden sie nach dem Stellenwert von körperlicher Aktivität in ihrem Leben gefragt, welche Vorteile sie in dem Spiel sehen, ob es für sie sinnvoll ist, mit einem solchen Spiel ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu verbessern, welche Erfahrungen sie mit dem Spiel machen und was sie daran ändern würden. Die Antworten werteten die Forscher anhand von drei Kategorien aus:

  1. Ich musste die ganze Zeit nachdenken.

  2. Es war ein gutes Workout.

  3. Es hat Spaß gemacht.

Für die Mehrheit war das Spiel zunächst eher nervig. Im Verlauf bemerkten viele jedoch die Vorteile, zum Beispiel, dass es sie zu Bewegungen herausforderte, die sie sich nicht mehr zugetraut hätten. Die meisten Teilnehmer gaben an, dass sie das Gefühl hatten, ihr Gehirn arbeite die ganze Zeit. Die Bewegungen kämen ganz automatisch, ohne dass sie darüber nachdenken mussten. Sie wunderten sich, was sie alles können. Damit gestaltete sich das Spiel für sie als eine positive Herausforderung. Sie hatten das Gefühl, dass sich die Beweglichkeit der Arme, Beine und das Gleichgewicht verbesserten und ihre Muskulatur lockerer sei.

Im Ergebnis sehen die Forscher in „Coin Catcher“ eine gute Möglichkeit für ältere Menschen, mit der sie sowohl ihre physische Aktivität als auch ihre kognitiven Fähigkeiten verbessern können. Allerdings geben sie zu bedenken, dass die Größe der untersuchten Gruppe keine Generalisierung der Ergebnisse zulässt. Zudem weisen sie auf eine mögliche Befangenheit im Team hin, da zwei der Autoren bei der Spielentwicklung mitgewirkt hatten. In künftigen Untersuchungen möchten sie den Effekt auf Gleichgewicht und Bewegungsausmaß genauer betrachten und das Spiel nutzerfreundlicher gestalten.

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OJOT 2018; doi:10.15453/2168-6408.1490


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Selbstmanagementfähigkeiten unterstützen – Chronische Krankheiten

Chronische Krankheiten beeinflussen den Alltag von Betroffenen maßgeblich. Um sie im Umgang mit den physischen, emotionalen und sozialen Auswirkungen ihrer Krankheit zu unterstützen, sollten Ergotherapeuten die Selbstmanagementfähigkeiten der Klienten stärken. Dazu benötigen sie verschiedene Kompetenzen, die den Enablement Skills aus dem Canadian Model of Client-Centred Enablement (CMCE) entsprechen. Zu diesem Schluss kommen Mara Widmer und Martina Zimmermann in ihrer Bachelorarbeit an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW). Betreut wurden sie von Dozentin Daniela Senn.

Die Studentinnen recherchierten zunächst Literatur, um herauszufinden, mit welchen therapeutischen Kompetenzen man das Selbstmanagement von Menschen mit chronischen Krankheiten stärken kann. Sie fanden vier qualitative Studien, die sich auf industrialisierte Länder und Erwachsene mit chronischen Krankheiten bezogen und nicht älter als zehn Jahre waren. Anhand dieser Arbeiten leiteten die Studentinnen dreizehn Kompetenzen ab. Im nächsten Schritt überprüften sie, ob diese mit den Enablement Skills des CMCE übereinstimmen:

  1. ganzheitliche Befunderhebung/ Therapie und Einbezug von Ergotherapiemodellen
    CMCE: zusammenarbeiten, informieren, beteiligen, spezialisieren

  2. klientenzentrierte Vorgehensweise
    CMCE: zusammenarbeiten, informieren, beteiligen, spezialisieren

  3. Aufbau einer stabilen therapeutischen Beziehung
    CMCE: zusammenarbeiten, beteiligen

  4. Ressourcen und Defizite identifizieren
    CMCE: zusammenarbeiten, beteiligen, koordinieren

  5. gemeinsame Zielsetzung nach SMART
    CMCE: adaptieren, coachen, zusammenarbeiten, koordinieren

  6. Kommunikations- und Gesprächsführungskompetenz
    CMCE: coachen, zusammenarbeiten

  7. vielfältige Kommunikationswege nutzen
    CMCE: entwerfen/konstruieren

  8. aktiver Einbezug der Klienten
    CMCE: coachen, zusammenarbeiten, beteiligen

  9. Betroffene in Problemlöse- und Entscheidungsfindungsprozessen unterstützen
    CMCE: coachen, zusammenarbeiten, entwerfen/konstruieren, beteiligen

  10. Verhaltensänderungen fördern
    CMCE: coachen, zusammenarbeiten, beteiligen

  11. Wissen über Selbstmanagement, Krankheitsbilder und Aufklärung
    CMCE: adaptieren, coachen, beraten, konstruieren/entwerfen, informieren, spezialisieren

  12. Weiterbildungsbereitschaft
    CMCE: spezialisieren

  13. mit anderen Berufsgruppen kooperieren
    CMCE: fürsprechen, coachen, koordinieren

Chronische Krankheiten
  • 8 von 10 Europäern, die über 65 Jahre alt sind, leiden unter einer chronischen Krankheit.

  • Die häufigsten chronischen Krankheiten sind Diabetes mellitus, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Schlaganfall und psychische Störungen.

  • Fast jeder 4. Europäer leidet unter einer Langzeiterkrankung, die seine tägliche Aktivität beeinflusst.

  • 60–80 % des Gesundheitsbudgets werden in der EU für die Behandlung chronischer Krankheiten verwendet.

  • Das europäische Projekt „Joint Action on Chronic Diseases and Healthy Ageing across the Life Cycle“ beschäftigt sich mit Gesundheitsförderung, Primärprävention und der Behandlung von Menschen mit chronischen Krankheiten.

Bundesministerium für Frauen, Familien und Jugend (2018). Chronische Krankheiten. www.bmgf.gv.at/home/Gesundheit/Krankheiten/Chronische_Krankheiten

Enablement

Das Canadian Model of Client-Centred Enablement (CMCE) geht davon aus, dass Ergotherapie nicht über die Anwendung einzelner Methoden wie Bobath oder Perfetti beschrieben werden kann, sondern über die beruflichen Fertigkeiten. Dabei steht die Kernkompetenz „Enablement“ (= Befähigen/Ermöglichen) an erster Stelle und wird durch zehn untergeordnete Kompetenzen beschrieben: anpassen, fürsprechen, coachen, beraten, koordinieren, zusammenarbeiten, entwerfen/konstruieren, informieren, beteiligen und spezialisieren.

Haus KM. Neurophysiologische Behandlung bei Erwachsenen. Heidelberg: Springer; 2014

Die Studierenden schlussfolgern, dass Ergotherapeuten vielseitige Kompetenzen benötigen, um die Selbstmanagementfähigkeit von Betroffenen zu unterstützen. Ziel ist es, dass sie ihren Alltag trotz chronischer Krankheit zufriedenstellend bewältigen und am sozialen Leben teilhaben können. Dabei entsprechen die recherchierten dreizehn Kompetenzen den zehn Enablement Skills aus dem CMCE.

lk

ergoscience 2018; 13: 46–55


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Informelle Pflege zu Hause – das ist es, was sich knapp 90 Prozent der Senioren wünschen.
Abb.: Dean Mitchell/istockphoto.com (nachgestellte Situation)