Frauenheilkunde up2date 2018; 12(05): 439-457
DOI: 10.1055/a-0732-6824
Geburtshilfe und Perinatalmedizin
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Erstversorgung des reifen Neugeborenen – Teil 2: Erweiterte Erstversorgung

Bernhard Roth
,
Frank Eifinger
,
Angela Kribs
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Publication Date:
16 November 2018 (online)

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Erweiterte Maßnahmen im Rahmen der Erstversorgung reifer Neugeborener betreffen in erster Linie Störungen im Zusammenhang mit der Adaption der Atemfunktion. Da sich aus dem initialen klinischen Bild zunächst nicht erkennen lässt, welche Ursache die Störung hat und welchen Verlauf diese nimmt, ist ein strukturiertes Vorgehen im Rahmen erweiterter Maßnahmen der Erstversorgung zwingend erforderlich.

Kernaussagen
  • Anhand einer symptom- und befundorientierten Klassifikation, die u. a. auf der Bewertung des 1-min-Apgars sowie des pH-Werts im Blut der Nabelarterie basiert, lassen sich Maßnahmen, die für die erweiterte Erstversorgung des Neugeborenen relevant sind, strukturiert festlegen.

  • Ein Algorithmus (u. a. ERC-Schema) ermöglicht zeitgerecht die Diagnostik und Evaluation pathologischer Zustände während der nachgeburtlichen Adaptation des Neugeborenen sowie die erforderlichen Behandlungsmaßnahmen, bis hin zur kardiopulmonalen Reanimation. Das zuständige Personal im Kreißsaal und in der Neonatologie muss speziell in der Handhabung des Algorithmus unterwiesen und regelmäßig trainiert werden.

  • Die Herzfrequenz lässt sich während der Erstversorgung zuverlässig über das EKG ermitteln; die bei der Pulsoxymetrie erfasste Herzfrequenz ist u. U. weniger reliabel.

  • Bei unregelmäßiger Atmung, Schnappatmung oder Apnoe sollen innerhalb der 1. Lebensminute 5 blähende Atemmanöver von je 2 – 3 s Dauer durchgeführt werden. Voraussetzungen dafür, dass diese Maßnahmen wirksam sein können, sind die korrekte Lagerung des Kindes und freie obere Atemwege. Die initiale Beatmung sollte primär mit Raumluft erfolgen. Ein rascher Anstieg der Herzfrequenz und konsekutiv die Zunahme der peripheren Sauerstoffsättigung zeigen die Wirksamkeit der eingeleiteten Maßnahmen an.

  • Bleibt eine Verbesserung des Zustands aus, müssen die Randbedingungen, z. B. korrekte Lagerung des Kindes, überprüft und ggf. korrigiert werden. Bleibt auch dies wirkungslos, muss bei einer Herzfrequenz < 80/min mit Thoraxkompressionen begonnen und die Sauerstoffkonzentration im Atemgas erhöht werden.

  • Verbessert sich der Zustand nicht innerhalb von 30 s, sind die Anlage eines venösen Zugangs und die Verabreichung von Medikamenten zu erwägen. Bevorzugt wird ein möglichst zentral positionierter Nabelvenenkatheter. Bei fortbestehender Asystolie oder Bradykardie sollte rasch Epinephrin verabreicht werden, damit die myokardiale Perfusion verbessert wird.

  • Auch wenn die endotracheale Intubation im Rahmen der erweiterten Erstversorgung etwas in den Hintergrund getreten ist, muss das Verfahren eingeübt sein. Bei schwereren Neugeborenen kann alternativ eine Larynxmaske verwendet werden.

  • Natriumbikarbonat sollte zur Pufferung nur bei protrahierter Azidose eingesetzt werden. Volumenersatz ist im Rahmen der erweiterten Erstversorgung nur selten nötig. Eine Ausnahme ist der hämorrhagische Schock, bei dem rasch Blut (0-Rh-negatives Erythrozytenkonzentrat) transfundiert werden muss.

  • Wichtige ergänzende Ziele sind die Einleitung einer Hypothermiebehandlung, falls die Indikation gegeben ist, sowie Diagnose und Therapie von Hypoglykämien.

  • Auf eine sehr gute Qualität der Dokumentation muss geachtet werden. Zur Qualitätssicherung sind regelmäßige Fallbesprechungen auf Teamebene erforderlich.