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DOI: 10.1055/a-0665-7753
Ein Fall von Aplasie des Knochenmarks bei einem 8 ½ Monate alten weiblichen Säugling nach Überdosierung von nicht-indiziertem Silica D6 und Mercurius cyanatus D6 [1]
Publication History
Publication Date:
18 September 2018 (online)

Zusammenfassung
Eine gleichzeitige Applikation von nicht-indiziertem Silica D6 und Mercurius cyanatus D6 je dreimal täglich bewirkte bei einem weiblichen Säugling ausgeprägte Arzneimittelsymptome[2] ab 3 – 4 Wochen nach Beginn dieser Medikation. Diese Warnzeichen wurden jedoch nicht
erkannt, und so erhielt das Kind im Alter von 1 ½ bis 7 Monaten insgesamt etwa 150 – 180
Dosen pro Arznei. Ohne andere erkennbare Ursache oder ererbte Disposition kam es im
Alter von 8 ½ Monaten zu einer Aplasie des Knochenmarks.
Phosphorus zeigte bei gleichzeitig fortgeführter allopathischer Therapie nur vorübergehend eine
bessernde Wirkung. China, Acidum sulfuricum und Lachesis heilten nicht. Erst nach Beendigung jeglicher allopathischen Therapie wurde durch
12 Gaben Phosphorus Q1 eine dauerhafte Heilung bewirkt, Nachbeobachtungszeit: 28 Jahre.
Das vorliegende Fallbeispiel belegt, dass es beim Einsatz potenzierter Arzneien zwingend
erforderlich ist, die Gesetzmäßigkeiten und Regeln der klassischen Homöopathie genau
zu beachten und einzuhalten. Die wesentliche Gefahr besteht darin, potenzierte Medikamente
regelwidrig gemäß den Gewohnheiten der Allopathie zu verordnen, z. B.: nach klinischen
Diagnosen statt nach individuellen Symptomen, in zu starker Dosierung, in zu häufig
repetierten Dosen, nach fixen Schemata statt individuell dem jeweiligen Krankheitsfall
angepasst, ohne sorgfältige Verlaufsbeobachtung oder als gleichzeitige Verabreichung
mehrerer Arzneimittel (z. B. in Kombinationspräparaten).
Summary
Simultaneous application of non-indicated Silica D6 and Mercurius cyanatus D6 in an infant girl 3 times a day led to distinct proving symptoms beginning 3 – 4
weeks after the commencement of medication. However, the warning signs were not recognized
and the child received approximately 150 – 180 doses of each drug in between the ages
of 1 ½ and 7 months. Without any other recognizable cause or hereditary disposition,
at the age of 8 ½ months the infant suffered from bone marrow aplasia.
Phosphorus, with simultaneous allopathic therapy, led only to temporary improvement. China, Acidum sulfuricum and Lachesis did not produce a cure. Only after ceasing any form of allopathic treatment and returning
to Phosphorus, after 12 doses Phosphorus Q1 did complete recovery result. Observation continued for 28 years.
The present case study proves that it is absolutely necessary when using potentized
remedies to strictly observe and comply with the laws and rules of classical homeopathy.
The main danger is to prescribe potentized drugs contrary to rules in accordance with
the habits of allopathy, e. g. according to clinical diagnoses rather than individual
symptoms, dosages are too high, doses are repeated too frequently, dosages are applied
in fixed patterns instead of being adjusted individually, without careful observation
of the course of treatment
or several drugs are prescribed simultaneously, e. g. as compounds, instead of a strict
monotherapy.
Schlüsselwörter
Aplastische Anämie - hämorrhagische Erkrankung - Phosphorus - professionelles versus unprofessionelles Vorgehen beim Einsatz potentierter Arzneien - allopathische Medikation als Heilungshindernis - iatrogene SchädigungKeywords
Aplastic anemia - haemorrhagic disease - Phosphorus - professional versus unprofessional approach in the use of potentized remedies - simultaneously applied allopathic medication as a healing obstacle for classic homeopathic treatment - iatrogenic damage due to improper use of potentized remedies after allopathic procedureAnmerkungen
1 Vortrag, gehalten auf dem 45. Kongress der Liga Medicorum Homoeopathica Internationalis,
Köln, am 8. Mai 1991, Proceedings, Band II, S. 55 – 75.
In französischer Übersetzung: Atmandjan A (ed.): Compte rendu selectionne – 46ème
Congrès Ligue Medicale Homoeopathique Internationale, Cologne 6 – 11 Mai 1991. Paris,
1991, 22 – 46, sowie in: Groupement Hahnemannien du Docteur Pierre Schmidt, 30 (1993),
378 – 398.
In ungarischer Übersetzung: Simile, Budapest (Organ der Gesellschaft der homöopathischen
Ärzte Ungarns) 2003 (10), 76 – 91.
2 Der Begriff „Arzneimittelsymptome“ bezeichnet spezifische Symptome eines Arzneimittels, welche durch mehrfach verabreichte Dosen hervorgerufen werden – entweder im Rahmen einer homöopathischen Arzneimittelprüfung beim gesunden Menschen oder durch zu häufige Repetition bei der Behandlung eines Patienten.
28 S. auch Künzli J, ibid., S. 707.
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Stellungnahmen zur vorliegenden Arbeit
Alle 3 Ärzte, deren Stellungnahme hier wiedergegeben wird, haben sich 1990 – 1992
sehr für die Publikation der vorliegenden Arbeit eingesetzt.
„Lieber Dr. Thomas,
die Arbeit ist ganz ausgezeichnet. Kein einziges Wort kann gestrichen werden. Das
Ganze ist in vielfacher Hinsicht ein Modellfall.
Die Arbeit wird in den Kongressakten in extenso abgedruckt. Aber als Vortrag ist sie
zu lang. Dem können Sie aber folgendermaßen beikommen: Sie müssen die Sache nur total
umkrempeln, d. h. die Rosinen gleich zuerst bringen, nicht erst am Schluss. Denn die
Rosinen dürfen auf keinen Fall durch die 20-Minuten-Grenze geköpft werden.
Ich schlage also vor, Sie beginnen folgendermassen:
‚Die Heilung einer Aplasie des Knochenmarks bei einem 9-monatigen Mädchen durch Phosphor.
Es handelt sich in mancherlei Hinsicht um einen Modellfall.
Und zwar weil
1. Schaden ungeeigneter Therapie mit homöop. Präparaten ….
Merc. cy. D6 und Sil. D6 über lange Zeiträume und ganz unindiziert ….
2. Allopathie neben Homöopathie ungünstig ….
3. Homöopathie allein glänzend ….‘
Also Ihre Epikrise von zuhinterst einfach zuerst bringen.
Und langsam und sehr deutlich lesen.
Wenn die Epikrise verlesen ist, dann beginnen Sie die Fallschilderung vorzulesen,
wörtlich – nichts auslassen.
Dann auf einmal kommt die Guillotine der 20 Minuten. Nun können Sie sofort stoppen
und sagen: ‚Den weiteren Verlauf können Sie in den Kongressakten nachlesen. Ein paar Gaben Phos.
Q1 heilten und so ist es bis heute geblieben.‘
Also einfach so weit lesen, bis man Sie stoppt, dann diese paar Schlussworte.
Lieber Dr. Thomas,
ich möchte nicht, dass dieser Fall in den Kongressakten vergraben wird. Er muss in
einer Zeitschrift erscheinen. (…)
Ich möchte den Fall jedem einzelnen hom. Arzt in der ganzen Welt als Modellfall in
die Hand drücken. Er kann auch Modellfall für eine einstige Rezeptierpflicht für die
hom. Mittel abgeben. Da bin ich schon immer dafür gewesen.
Beste Grüße
Künzli“
Dr. med. Jost Künzli von Fimmelsberg (1915 – 1992), in einem Schreiben vom 26.9.1990
an den Verfasser.
„Sehr geehrter Herr Kollege (…),
der Kollege Christoph Thomas aus Konstanz teilte mir kürzlich mit, daß er seinen kasuistischen
Beitrag über die homöopathische Behandlung eines Kindes mit einer ‚aplastischen Anämie‘
Ihrer Zeitschrift zur Publikation vorgelegt habe, und gab mir gleichzeitig Einblick
in den diesbezüglichen Schriftwechsel mit Ihnen und Herrn Dr. (…).
Wie Sie aus dem Brief von Herrn Thomas an Sie vom 02.12.91 wissen, habe ich dessen
Ihnen jetzt vorliegenden Beitrag vor einiger Zeit gelesen und versucht, ihn in einer
medizinischen Zeitschrift unterzubringen. Das Mißlingen dieses Versuchs war für mich
eine enttäuschende Erfahrung. Ich finde die Arbeit von Herrn Thomas ausgezeichnet,
vor allem wegen ihrer guten Didaktik und den begründeten Angaben über die Wahl der
verwendeten homöopathischen Arzneien und deren Verdünnung. Die Thomasʼschen Ausführungen vermitteln uns einen Einblick in die der Homöopathie zugrunde liegenden
Theorien und Überlegungen und überzeugen durch den großen Ernst und ihre Gewissenhaftigkeit.
Auch wenn es dem ‚Allopathen‘ nicht immer leicht fällt, den detaillierten Überlegungen
des Autors oder den Theorien der Homöopathie zu folgen, so können wir uns ihnen doch
nicht einfach entziehen oder sie als unlogisch abtun. Zu zahlreich sind ihre Anhänger
und ihre therapeutischen Erfolge. Wir ‚Schulmediziner‘ sollten den Dialog mit den
homöopathischen Ärzten suchen und diesen ‚sine ira et studio‘ führen. Dazu ist es
aber notwendig, daß wir seriösen Homöopathen den Zugang zu unseren wissenschaftlichen
Zeitschriften öffnen. Die gute Kasuistik, die ja ohnehin die Basis aller wissenschaftlichen
Bemühungen in der Medizin ist, könnte zur Grundlage ernsthafter Diskussionen werden.
Den Verweis der Redaktion einer wissenschaftlich-medizinischen Zeitschrift auf die
bessere Plazierung der Thomasʼschen Arbeit in einer homöopathischen Zeitschrift empfinde
ich daher als wenig hilfreich. Auf diese Weise erfahren ‚Schulmediziner‘ nichts Ernsthaftes
über das Wirken der Homöopathen und die Ergebnisse ihres Tuns. Dadurch werden die
bekannten Vorurteile unterstützt und wird der fällige Dialog unterbunden.
Diese Überlegungen haben mich ermutigt, diesen Brief heute an Sie, sehr geehrter Herr
(…) zu schreiben, um die Waagschale Ihrer Überlegungen vielleicht doch zugunsten der
Arbeit von Herrn Thomas zu beeinflussen. Bei kritischer Bewertung meines eigenen Fachgebiets
(Hämatologie und Onkologie) kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren, daß auch die
‚Schulmedizin‘ kein in sich geschlossenes, logisches System ist und daß auch sie durch
den Dialog mit anderen, auch unkonventionellen Heilverfahren zusätzlichen Nutzen ziehen
könnte!
Mit freundlichem Gruß
Ihr H. Begemann“
Prof. Dr. med. Herbert Begemann (1917 – 1994), Arzt für Innere Medizin und Hämatologie,
St. Peter im Schwarzwald, in einem Schreiben vom 9.12.1991 an den Herausgeber einer
wissenschaftlichen Ärztezeitschrift.
„Ich fand die Lektüre unglaublich packend und aufschlußreich. Ich fände es sehr schade,
wenn diese akribische, engagierte und hingebungsvolle Schilderung nicht veröffentlicht
würde, und werde mir Mühe geben, sie zumindest für pädiatrische Kollegen zugänglich
zu machen. (...) Ich bin über Ihre Fallstudie ganz froh, da nach meinem Verständnis
sich dabei soviel originär ärztliches Wirken und ärztliche Ethik zeigt, eine Einstellung,
die offenbar vielen unserer Kollegen in ihrer zwar wissenschaftlich korrekten, aber
z. T. unmenschlichen Ausübung des Berufes verloren gegangen ist. Auch das von anderen
vorgenommene ‚Gemuschel‘ in Diagnostik, oberflächlicher Beobachtung und ‚Schrotflintentherapie‘
stört mich gewaltig, ja entsetzt mich immer wieder. Ich bin Ihnen für die Demonstration
subtilen, einfühlsamen ärztlichen Handelns sehr dankbar. (...) Ich habe den Eindruck,
daß mich diese Kasuistik und überhaupt der homöopathische Ansatz noch lange beschäftigen
werden.“
Dr. med. Rüdiger Lorentzen, Kinderarzt, Hannover, seinerzeit Mitglied im Ausschuss
„Kind und Umwelt“ des Berufsverbandes der Kinderärzte Deutschlands, Auszüge aus 2
Briefen vom 3.11.1991 und vom 30.11.1991 an den Verfasser.