manuelletherapie 2018; 22(04): 149
DOI: 10.1055/a-0658-8613
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Radiologie – Wir behandeln Patienten, nicht ihr Röntgenbild!

Claus Beyerlein
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Publication Date:
14 September 2018 (online)

Bilder sagen mehr als 1000 Worte – stimmt das? Meine einfache Antwort darauf ist: Nein!

Stellen Sie sich vor, Sie sagen einem 40-jährigen Patienten beim Betrachten seiner Röntgenbilder: „Kein Wunder, dass Sie Rückenschmerzen haben. Sie haben die Wirbelsäule eines Neunzigjährigen!“ Dann schaden dem Patienten vielmehr die Worte und nicht das (Röntgen-)Bild. In dieser Situation wäre besser zu sagen: „Die Ergebnisse des Röntgenbilds zeigen eine altersentsprechende Veränderung. Im Moment ist Ihr Rücken etwas irritiert und empfindlich. Bleiben Sie aktiv, das sorgt für eine optimale Heilung.“

In einer Studie fanden 10 verschiedene Radiologen bei einem Patienten innerhalb von 3 Wochenbei in ihren Magnetresonanztomografien (MRT) jeweils 10 unterschiedliche Ergebnisse, genauer: insgesamt 49 unterschiedliche Auffälligkeiten und keinerlei Gemeinsamkeiten [1]. In weiteren Studien an asymptomatischen Probanden zeigten sich in vielen Fällen im Röntgenbild vom Alter abhängige Auffälligkeiten (Bandscheibenprolaps, Degeneration der kleinen Wirbelgelenke, Spondylolysthese etc.), ohne jedoch Symptome (Schmerz und/oder Bewegungseinschränkungen) auszulösen [2], [3].

Fazit: Ohne zusätzliche sorgfältige klinische Untersuchung der Patienten ist das ausschließliche Verlassen auf apparative Diagnostik problematisch!

Dennoch setzt die moderne Medizin immer häufiger radiologische Verfahren ein, wodurch auch Physio- und Manualtherapeuten zunehmend mit „Bildern“ konfrontiert werden.

Der Schwerpunkt dieser Ausgabe soll daher dabei helfen, den Umgang mit diesen Verfahren Schritt für Schritt zu verstehen, da sich nur so ein größtmöglicher Nutzen aus der Diagnostik ziehen und zusammen mit der klinischen Untersuchung eine adäquate Therapie ableiten lässt.

Mit Dr. med. Achim Burget aus Hamburg konnten wir einen erfahrenen Experten gewinnen, dem die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Physiotherapeuten am Herzen liegt. Im Einführungsartikel geht es um die 5 Säulen der muskuloskeletalen Bildgebung, der Vertiefungsartikel widmet sich dem MRT, und im Praxisartikel zeigt der Autor anhand von Fallbeispielen den Weg von der Klinik zur Diagnose auf.

Ich wünsche mir, dass dieser Schwerpunkt dazu beiträgt, Ihre Sinne zu schärfen und die „Mosaiksteine“ innerhalb der klinischen Untersuchung zu einem „Ganzen“ zusammenzufügen.

Wie immer freuen wir uns auf Ihr Feedback und Ihre konstruktiven Kommentare.

Claus Beyerlein

 
  • Literatur

  • 1 Herzog R, Elgort DR, Flanders AE. et al. Variability in diagnostic error rates of 10 MRI centers performing lumbar spine examinations on the same patient within a 3-week period. Spine J 2017; 17: 554-561 doi: 10.1016/j.spinee.2016.11.009
  • 2 Brinjikji W, Luetmer PH, Comstock B. et al. Systematic literature review of imaging features of spinal degeneration in asymptomatic populations. AJNR Am J Neuroradiol 2015; 36: 811-816 doi: 10.3174/ajnr.A4173
  • 3 Nakashima H, Yukawa Y, Suda K. et al. Abnormal findings on magnetic resonance images of the cervical spines in 1211 asymptomatic subjects. Spine (Phila Pa 1976) 2015; 15 40 392-398 doi: 10.1097/BRS.0000000000000775