ergopraxis 2018; 11(11/12): 18-21
DOI: 10.1055/a-0656-9690
Ergotherapie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Entspannt schreiben – Stifthaltung

Rebecca Groth

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Publication Date:
09 November 2018 (online)

 

Wer viel schreibt und an Beschwerden in Hand, Arm, Schulter oder Nacken leidet, sollte seine Stifthaltung überdenken. Denn diese kann Überlastungssyndrome wie eine Sehnenscheidenentzündung verursachen.


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Rebecca Groth ist seit 2001 Ergotherapeutin (Bachelorabschluss 2006) und ist als FH-Dozentin der Akademie für Handrehabilitation in Bad Pyrmont tätig. Kontakt: mailto:R.Groth@Fortbildung-AFH.de

Komplex

Schreiben ist eine komplexe Tätigkeit, die nicht nur Aufmerksamkeit erfordert, sondern auch ein differenziertes Zusammenspiel von Gelenken und Muskeln. Kann die erforderliche Gelenkstellung nicht eingenommen werden, erhöht das den Tonus und führt auf Dauer zu Überlastung.

Mit der Hand zu schreiben, ist auch in der digitalen Welt Bestandteil unseres Alltags. Sei es bei Unterschriften, Notizen oder Mitschriften in einem Vortrag. Dabei bedarf es nicht nur der Konzentration und einer feinen, gezielten Ansteuerung der Hand. Stifthaltung und Stiftführung hängen grundlegend mit dem Handgewölbe zusammen. Ist es aktiv aufgerichtet, versetzt es den Daumen in die Lage, sich dem zweiten und dritten Finger entspannt gegenüberzustellen. Ist das nicht der Fall, kann eine Reihe an Veränderungen resultieren: Schmerzen, die von der Hand über das Handgelenk, den Ellenbogen bis hin zu Schultergürtel und Nacken aufsteigen.

Neben Muskelschmerzen, Tendinitis (= Sehnenentzündung) oder einem Karpaltunnelsyndrom stellt die Tendovaginitis (= Sehnenscheidenentzündung) eine häufige Problematik im Handgelenk dar. Sie kann aus einer Dauerbelastung bei starkem Muskeleinsatz der Schreibhand resultieren. Diese Problematik beschreibt auch Frau Faber[*], eine 27-jährige Studentin, deren Schreibbelastung vom vielen Mitschreiben in den Vorlesungen herrührt. Da ihr die Notizen nicht ordentlich genug sind, schreibt sie sie zu Hause noch einmal ins Reine.

Handgewölbe und Tonus überprüfen

In der ambulanten Ergotherapie berichtet Frau Faber, dass sie schon einiges an Griffverdickungen oder dickeren Stiften erfolglos ausprobiert habe. Auch sei sie dem Rat einer Kommilitonin gefolgt und habe andere Stifte getestet. Leider sei ihr durch das feste Aufdrücken die Mine des Fineliners in den Stift gesunken. Danach habe sie wieder zurück auf den robusten Kugelschreiber gewechselt.

In der weiteren Befundaufnahme zeigen sich mehrere Auffälligkeiten, die auf eine vielschichtige Problematik hinweisen. Inspektorisch findet sich an beiden Händen ein muskulär abgeschwächtes Handgewölbe. Dieses kann die Patientin zwar auf Aufforderung im Faustschluss mit viel Tonuseinsatz aufrichten, aber im Ruhetonus nicht halten. Im Rahmen der Palpation stellt die Ergotherapeutin im Seitenvergleich einen erhöhten Tonus im Unterarm sowie einen abgeschwächten Tonus der intrinsischen Muskulatur der Hand fest.


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Linierte Blätter erhöhen den Tonus

Die Ergotherapeutin beobachtet, dass Frau Faber relativ langsam schreibt und sehr auf das Einhalten der Linien achtet. Dabei führt sie den Stift in einem lateralen Vierpunktgriff, wobei der Daumen auf dem Stift aufliegt und das Endglied nicht an der Stiftführung beteiligt ist ([ABB. 1]). Beim Schreiben geht die Stifthaltung mit einem erhöhten Tonus der Hand einher, der leicht an den weißen Fingerknöcheln zu erkennen ist.

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ABB. 1 Der laterale Vierpunktgriff geht beim Schreiben mit einem erhöhten Tonus der Hand einher.
Abb.: R. Groth

Neben der Stifthaltung analysiert die Ergotherapeutin Schreibfluss, Schreibdruck, Transport der Hand über die Schreibunterlage sowie die Griffkraft. Dies beobachtet sie sowohl auf einem linierten als auch auf einem unlinierten Blatt. Denn Linien führen oft dazu, dass Patienten sich bewusst bemühen, alle Buchstaben sauber auf die Linie zu setzen. Dadurch werden sie langsamer, bauen mehr Druck auf und der Tonus im gesamten Arm erhöht sich [1].


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Einzelbewegungen von Fingern und Handgelenk testen

Zur Betrachtung der Einzelbewegungen von Fingern und Handgelenk bietet sich eine einfache Testung an: Eine Diagonale von links oben nach rechts unten verdeutlicht bei einem Rechtshänder die Stiftführung durch die Finger. Eine Diagonale von links unten nach rechts oben zu zeichnen, zeigt hingegen die flüssige Mitbewegung des Handgelenks ([ABB. 5]). Bei einem Kreis müssen die Bewegungen des Handgelenks mit denen der Finger harmonisch abgestimmt werden [1]. Deutliche Abweichungen weisen auf Defizite in spezifischen Bewegungssegmenten hin.

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ABB. 5 Mit diesen drei Strichführungen lassen sich die Einzelbewegungen von Fingern und Handgelenk testen.
Abb.: R. Groth

Diese Testung zeigte bei Frau Faber eine leichte Unsicherheit in der Fingerbewegung, während die Bewegungen des Handgelenks deutlich flüssiger waren. Zudem wurde ein hoher Schreibdruck auf die Unterlage deutlich, bei dem sich die Schrift durch zwei Lagen Papier abdrückte. Somit ergab sich neben dem Tonusproblem der Hand eine verminderte Koordination im Handgewölbe und im fingergeführten Bewegungssegment der Stiftführung.


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Muskulatur entlasten

Bei muskulären Problemen während des Schreibens muss man einen Ausgleich für die Strukturen finden. Es bietet sich eine Dehnung der Agonisten (bei Frau Faber sind das die Fingerflexoren und Handgelenksextensoren) und eine Kräftigung der Antagonisten (Fingerextensoren und Handgelenksflexoren) an [2]. Beide Techniken soll Frau Faber drei Mal täglich und bei Bedarf als Hausaufgaben durchführen. Für eine Kräftigung trainiert sie die Fingerextensoren und Handgelenksflexoren konzentrisch/exzentrisch. Für die Dehnung der Fingerflexoren extendiert sie Handgelenk und Langfinger. Die Handgelenksextensoren dehnt sie über Flexion im Handgelenk. Aber auch ein energisches Strecken und Spreizen der Finger ist gut geeignet.

Da das Handgewölbe über den fünften Strahl (= Kleinfinger und dazugehöriger Mittelhandknochen) aufgerichtet wird, muss der Patient lernen, diesen willentlich und kontrolliert anzusteuern. Eine Möglichkeit ist, den kleinen Finger zum Daumen hin zu opponieren und so ein volles Gewölbe zu erreichen ([ABB. 2]). Diese Aufrichtung des Quergewölbes kann man beim Schreiben einnehmen, indem die beiden ulnaren Finger an der Basis des Thenar abgelegt werden oder zu Beginn dort ein kleines Objekt wie einen Radiergummi oder die Stiftkappe festhalten ([ABB. 3]).

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ABB. 2 Das Handgewölbe lässt sich aufrichten, indem man den kleinen Finger zum Daumen hin opponiert.
Abb.: R. Groth
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ABB. 3 Ein kleines Objekt zwischen den beiden ulnaren Fingern und der Basis des Thenar erleichtert die Aufrichtung des Quergewölbes beim Schreiben.
Abb.: R. Groth
Analyse

Es bedarf einer genauen Analyse der gesamten Handmotorik und Nutzung der Hand, um Patienten eine effektive Hilfestellung geben zu können.


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Physiologische Ausgangsposition einnehmen

Grundlegend ist zunächst eine gute Ausgangsposition, die Rumpf, Schulter, Ellenbogen und eine physiologische Armauflage einschließt. Zu dieser Grundposition zählt auch, das Papier nicht genau gerade vor sich bzw. senkrecht zur Tischkante zu positionieren, sondern es ein wenig Richtung Schreibhand zu drehen, sodass die Arbeitswinkel für Handgelenk und Finger harmonischer werden und sie weniger muskuläre Kontrolle benötigen.

Dies erfordert ein Umdenken bei der Patientin, da sie bislang immer besonders darauf geachtet hatte, den Notizblock gerade vor sich zu haben. Bei der Erprobung verringerte sich aber auch für sie spürbar der Tonus in Schultergürtel und Arm, sodass sie diese Änderung sofort in ihren Alltag übernahm.


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Alternative Stifthaltungen ausprobieren

Die allgemeinen vorbereitenden Maßnahmen wie Dehnung, Kräftigung, Aufbau des Handgewölbes und Ausrichten des Schreibblockes übernimmt Frau Faber als Eigenübungen für zu Hause. Darüber hinaus bedarf es einer Entlastung bei der Tätigkeit an sich. Generell ist es schwierig, gewohnte, automatisierte Bewegungen und Haltungen zu verändern. Daher sollte die Patientin auch keine neue Handschrift einüben, sondern zunächst eine alternative Stifthaltung ausprobieren [3].

Der Interdigitalgriff bedingt eine entspannte Nutzung des Quergewölbes, eine Tonusverringerung in Hand- und Fingergelenken sowie eine Minderung des Schreibdrucks ([ABB. 4]). Frau Faber erprobt die neue Stifthaltung zunächst auf unliniertem Papier. Dies nimmt die Konzentration auf das Einhalten von Linien und erlaubt freiere Schreibbewegungen, bei denen es nicht auf Exaktheit ankommt. Nachdem sie sich an die alternative Stifthaltung auf dem unlinierten Blatt gewöhnt hat, wechselt sie auf den linierten Schreibblock.

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ABB. 4 Der Interdigitalgriff senkt den Tonus in den Hand- und Fingergelenken, mindert den Schreibdruck und ermöglicht dennoch die Aufrichtung des Quergewölbes.
Abb.: R. Groth

Ist der Schreibdruck auf das Papier generell zu hoch, bieten sich lockernde Übungen an. Zum Beispiel das Schraffieren einer Fläche mit einer lockeren Bewegung aus dem Handgelenk ohne viel Druck. Anschließend wählt man einen weich schreibenden Stift, der den Impuls zum erhöhten Schreibdruck vermindert. Frau Faber entschied sich für einen Roller-Pen, da sie seine Mine nicht in den Stift hineindrücken kann.

Frau Faber übernahm die Stifthaltung im Interdigitalgriff zwar nicht vollständig, aber als Entlastungsposition bei steigender Schreibdauer. Die Übungen setzte sie insbesondere während längerer Klausuren gerne ein, um danach freier weiterschreiben zu können.


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* Name von der Redaktion geändert


  • Literatur

  • 1 Schreiber P, Mai N. Schreibtraining bei Patienten mit cerebralen Läsionen. praxis ergotherapie 1988; 1: 180-186
  • 2 Srivanitchapoom P, Shamim EA, Diomi P. et al. Differences in active range of motion measurements in the upper extremity of patients with writer's cramp compared with healthy controls. J Hand Ther 2016; 4: 489-495
  • 3 Schenk T, Bauer B, Steidle B. et al. Does training improve writer's cramp? An evaluation of a behavioral treatment approach using kinematic analysis. J Hand Ther 2004; 3: 349-363
  • 4 Hirt B, Seyhan H, Wagner M, Zumhasch R. Anatomie und Biomechanik der Hand. Stuttgart: Thieme; 2014

  • Literatur

  • 1 Schreiber P, Mai N. Schreibtraining bei Patienten mit cerebralen Läsionen. praxis ergotherapie 1988; 1: 180-186
  • 2 Srivanitchapoom P, Shamim EA, Diomi P. et al. Differences in active range of motion measurements in the upper extremity of patients with writer's cramp compared with healthy controls. J Hand Ther 2016; 4: 489-495
  • 3 Schenk T, Bauer B, Steidle B. et al. Does training improve writer's cramp? An evaluation of a behavioral treatment approach using kinematic analysis. J Hand Ther 2004; 3: 349-363
  • 4 Hirt B, Seyhan H, Wagner M, Zumhasch R. Anatomie und Biomechanik der Hand. Stuttgart: Thieme; 2014

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ABB. 1 Der laterale Vierpunktgriff geht beim Schreiben mit einem erhöhten Tonus der Hand einher.
Abb.: R. Groth
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ABB. 5 Mit diesen drei Strichführungen lassen sich die Einzelbewegungen von Fingern und Handgelenk testen.
Abb.: R. Groth
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ABB. 2 Das Handgewölbe lässt sich aufrichten, indem man den kleinen Finger zum Daumen hin opponiert.
Abb.: R. Groth
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ABB. 3 Ein kleines Objekt zwischen den beiden ulnaren Fingern und der Basis des Thenar erleichtert die Aufrichtung des Quergewölbes beim Schreiben.
Abb.: R. Groth
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ABB. 4 Der Interdigitalgriff senkt den Tonus in den Hand- und Fingergelenken, mindert den Schreibdruck und ermöglicht dennoch die Aufrichtung des Quergewölbes.
Abb.: R. Groth